[dropcap]E[/dropcap]ine Antwort auf den kürzlich publizierten Eintrag „Venezuela: Armee als Machtfaktor“ im Blog der Juso Schweiz.

Sie kann halbwegs aufmerksame linke BeobachterInnen der venezolanischen Politik ganz schön in Rage versetzen: Die internationale Medienblockade[1] und die unglaublich verzerrte Berichterstattung aller bürgerlichen Medien (von linksliberal bis rechtskonservativ) über die aktuellen gewalttätigen Konfrontationen in Venezuela.

Es ist deshalb wichtig, dass die Linke dem eine eigene Darstellung und eigene Positionen entgegenhält, die den wirklichen Vorkommnissen Rechnung tragen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist es erfreulich, dass die Juso Schweiz mit dem kürzlich verfassten Blog-Eintrag „Venezuela: Armee als Machtfaktor“ Stellung bezieht. Die Freude ist allerdings schnell verflogen, wenn man den Artikel dann auch liest. Wir sehen uns daher gezwungen, hier darzulegen, weshalb wir keineswegs mit dem Inhalt dieses Blog-Eintrages einverstanden sind. Wir hoffen überdies, dass die dort dargelegten Vorstellungen nicht der Meinung der gesamten Geschäftsleitung entsprechen.

Der Autor, Juso-Geschäftsleitungsmitglied Lewin Lempert, scheint das Beispiel der momentanen politischen Turbulenzen in Venezuela nur ins Feld zu führen, um eine weltweite Abschaffung der Armee zu fordern. Leider sagt er uns hingegen gar nichts über die Hintergründe der gewalttätigen Konfrontationen zwischen der rechten Opposition und der sozialistischen Regierung. Er hält es auch nicht für nötig, in diesem Konflikt in irgendeiner Weise Position zu beziehen und sich auf die Seite der arbeitenden und armen Bevölkerung Venezuelas zu stellen. Sozialistischer Internationalismus sieht anders aus. Genau dieser muss aber die Hauptachse jeder Stellungnahme zu internationalen Themen sein.

Verfallen wir nicht der bürgerlichen Propaganda!

Genosse Lewin stellt zu Beginn richtig fest, dass in Venezuela nicht Sozialismus herrscht, wie dies von den bürgerlichen Medien immer wieder behauptet wird. Das hindert ihn aber nicht daran, gleich im darauffolgenden Satz der üblichen bürgerlichen Propaganda zu verfallen. Völlig unkritisch übernimmt er die Rhetorik der internationalen Medien und einiger vermeintlicher Menschenrechtsorganisationen (wie Human Rights Watch), deren imperialistische Mission in Lateinamerika schon von vielen Seiten offengelegt wurde. Er stellt fest, das Fehlen von „nicht diskutierbare[n] Freiheits- und Grundrechte[n]“ wie der „Medien- oder Meinungsäusserungsfreiheit“ im „autoritären“ Venezuela stehe im Widerspruch zum demokratisch-sozialischen Selbstverständnis der Juso.

Anders als immer wieder erzählt wird, ist die Mehrheit der Medien in Venezuela jedoch in privater Hand und steht der Opposition deutlich näher als der Regierung. Die Hetze und die offenkundigen Lügen in den oppositionellen Medien nehmen dort übrigens Masse an, die wir uns hier in der Schweiz kaum vorstellen können. Worauf sich die fehlende Meinungsäusserungsfreiheit beziehen soll, will uns der Genosse im Blog-Eintrag leider nicht erklären. Ist es etwa so, dass die Opposition keine Kundgebungen und Demonstrationen abhalten könnte? Natürlich nicht. Oder bezieht sich Genosse Lewin vielleicht auf die vermeintlichen „politischen Gefangenen“? Nur, wie sie in den chavistischen Reihen Venezuelas schön sagen, sind das keine „politischen Gefangenen“, sondern „gefangene Politiker“. Nicht nur, dass sie bereits beim Putschversuch 2002 aktiv beteiligt waren, sie haben auch in den letzten Jahren immer wieder zu gewalttätigen Protesten aufgerufen.

Demokratischer Sozialismus?

Richtig ironisch wird die Sache aber, wenn der Autor behauptet, die chavistische Politik Venezuelas sei nicht sozialistisch, weil eine „sozialistische Transformation nur funktionier[en kann] mit  einer Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche – was in Venezuela nicht der Fall ist“. Leider scheint unser Genosse Lewin aber nicht über die geringsten Kenntnisse des sogenannten „bolivarischen“ Projektes und dessen Umsetzung zu verfügen. Dieses weist nämlich – hierin liegt die angesprochene Ironie – sowohl in Ziel als auch in Methoden der Umsetzung eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Ansätzen der LinksreformistInnen auf, die in der Juso einen so starken Rückhalt geniessen.

In Wirklichkeit haben Chávez und seine Regierung spätestens seit 2005 das Ziel einer sozialistischen Transformation angestrebt, die durch eine genau solche „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ erreicht werden sollte. Nicht nur wurden zu der traditionellen liberalen Dreiteilung der Staatsgewalten neue Gewalten zur Mitbestimmung des Volkes hinzugefügt und sonstige Mittel der demokratischen Teilhabe wie unter anderem das Referendumsrecht ausgebaut. Über diese radikal-demokratischen Veränderungen hinaus wurde beispielsweise auch das Bildungssystem demokratisiert, es wurden kommunale Räte zur Selbstverwaltung geschaffen, es wurden alternative Formen der Eigentumsordnung und notabene das Genossenschaftswesen gefördert und einiges mehr. Dieser Prozess, mit dem Anspruch, die liberale repräsentative Scheindemokratie in eine „partizipative Demokratie“ mit direkter Mitbestimmung der Bevölkerung in ihren jeweiligen Lebensbereichen zu transformieren, hat in Venezuela Elemente in die Gesellschaft eingeführt, die weit über die klassische sozialdemokratische Stellvertreterpolitik hinausgehen. All das sollte das linksreformistische Herz eigentlich deutlich höher schlagen lassen.

Dass genau in dieser Konzeption der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft auch die Limiten des bolivarischen Projektes[2] und der Grund für die aktuelle Legitimitätskrise der sozialistischen Regierung zu suchen sind, müssen wir als die zweite grosse Ironie in dieser Geschichte bezeichnen. Wir wollen an dieser Stelle allerdings nicht zu einer (durchaus notwendigen) Kritik an der sozialistischen Regierung Venezuelas übergehen. Beschränken wir uns darauf, kurz festzuhalten, dass es nicht reicht, überall neue demokratische politische Strukturen aufzubauen, die dann eine Demokratisierung der Gesellschaft erreichen sollen, während das Privateigentum an Produktionsmittel der grössten kapitalistischen Unternehmen unangetastet bleibt.[3] Das „Primat der Politik über die Wirtschaft“ kann nicht erreicht werden, indem man der kapitalistischen Wirtschaft einen politischen Willen von aussen aufzwingen will, ohne die Strukturen der Wirtschaft mit ihrer Eigentumsordnung selbst grundlegend umzuwälzen. Worüber sollen denn die Mitglieder in den gesamten geschaffenen basisdemokratischen Strukturen wie den kommunalen Räten entscheiden, wenn die Ressourcen doch anderswo liegen? Man kann eben nicht kontrollieren, was einem nicht gehört.

Genau darin liegt in letzter Instanz die Beschränktheit des Transformationsprojektes der sogenannten „bolivarischen Revolution“ Venezuelas. Die kapitalistischen Sektoren wurden niemals systematisch vergesellschaftet und unter die demokratische Kontrolle der Bevölkerung gebracht. Stattdessen hat sich die Regierung damit begnügt, mehr demokratische Strukturen zu schaffen und für jedes aufkommende Problem ein neues Ministerium ins Leben zu rufen, was freilich keine Abhilfe schafft, sondern eine Bürokratisierung fördert, die sich nicht zuletzt durch ihre Korruptionsanfälligkeit auszeichnet. Die „Demokratisierung“ der Erdöleinnahmen hat zwar ausgebaute Sozialprogramme (die sogenannten „Misiones“) ermöglicht, doch blieb man bei fehlender Kontrolle über die Wirtschaft auch von den Konjunkturschwankungen der Weltwirtschaft abhängig, wie das ganze Land nun schmerzhaft zu spüren hat.

Kurz: Das Problem Venezuelas und der Grund für die aktuelle Krise besteht darin, dass die chavistischen Regierungen in ihrem revolutionären Bestreben auf halben Weg Halt gemacht haben und nun auf einer nicht-funktionierenden kapitalistischen Wirtschaft sitzen, während wirklicher Sozialismus von der Regierung noch immer nicht auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Die Armee als das grösste Hindernis zur Emanzipation?

Genosse Lewin hingegen sieht den wichtigen und erwähnenswerten Faktor, der eine emanzipatorische Politik in Venezuela verhindert, im Fortbestehen der Armee. Solange es die Armee gebe, sei immer die Möglichkeit einer gewaltbegleiteten Machtübernahme durch die Armee möglich, während auch sonst die Macht der Armee wie ein Damokles-Schwert über der Politik schwebe, da eine starke Armee stets Einfluss auf die Politik nehmen könne. Sozialistische Politik erfordere deshalb die weltweite Abschaffung der Armee, wie das Beispiel Venezuelas zeige.

Die Armee spielt nicht in jedem Land die gleiche Rolle und man sollte nicht in abstrakte Analogien verfallen, ohne die tatsächlichen Kräftekonstellationen in den verschiedenen Ländern sehr genau in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus kann man aber auch die verallgemeinerbare Tatsache festhalten, dass jeder Versuch einer Umgestaltung der Gesellschaft durch die arbeitende Bevölkerung die gesamten Kräfte der alten Ordnung gegen sich aufbringt, die ihre Privilegien schützen oder wiedererlangen möchten. Venezuela in den letzten 18 Jahren wäre auch in dieser Hinsicht ein wunderbares Lehrbeispiel. Wie zynisch und realitätsfern der Vorschlag des Verfassers des Blog-Eintrages ist, zeigt sich alleine schon dadurch, dass Chávez’ linke Regierung in Venezuela keine drei Jahre im Amt überlebt hätte, wenn sie nicht den Grossteil der Armee (und natürlich der Bevölkerung) hinter sich gehabt hätte, als die alten Oligarchen Chávez 2002 mit der Hilfe Washingtons nur kurzfristig aus der Regierung zu putschen vermochten.

Die venezolanische Opposition und ihre Unterstützer aus dem imperialistischen Norden haben sich während der mittlerweile fast zwei Jahrzehnten unter chavistischen Regierungen noch nie um die Demokratie geschert. Sie haben jede – demokratische oder undemokratische, friedliche oder gewalttätige – Möglichkeit zu nutzen versucht, die sozialistischen Regierungen vorzeitig aus dem Amt zu drängen und die absolute Macht der Oligarchie wiederherzustellen, um zur erz-neoliberalen Politik vor Chávez’ Zeiten zurückzukehren. Eine solche wäre aber mit Sicherheit nicht mit rein demokratischen, sondern nur mit autoritären Mitteln aufrechtzuerhalten, steht sie doch nicht nur den objektiven Interessen, sondern auch dem momentanen subjektiven Willen der Mehrheit der Bevölkerung diametral entgegen.

Wie bitte sollen die Errungenschaften der bolivarischen Revolution ohne Waffen geschützt werden, während die Opposition über Waffen und die Unterstützung des imperialistischen Nordens verfügt? Wie soll man sich gegen die kolumbianischen Paramilitärs schützen, die bereits seit 2004 immer wieder vom Kapital ins Feld gebracht werden und deren Gewalt und Terror in den populären Vierteln in den letzten Jahren stark zugenommen hat? Glaubt Genosse Lewin etwa, dass die gesamten imperialistischen Staaten gleichzeitig ihre Armee abschaffen würden? Dass die gesamten Waffen in den Händen von paramilitärischen rechten Milizen sich einfach in Luft auflösen? Soll sich denn die Bevölkerung in den populären Viertel nicht verteidigen und besser alles aufgeben, was bisher erreicht wurde?

Staatliche Repression

Im gleichen Ton kritisiert der Verfasser des Blog-Eintrages auch die staatliche Repression zur Bekämpfung der Proteste. Auch das ist nichts anderes als das liberale Gewäsch der bürgerlichen Presse. Tatsächlich attackiert eine weisse, obere Mittelschicht gerade mit Gewalt alle sozialen Errungenschaften der letzten Jahren, setzt öffentliche Spitäler, Universitäten und Busse in Brand und ermordet mit Scharfschützengewehren Regierungsanhänger und Gewerkschafter. Natürlich wird dies von der internationalen Presse stets verschwiegen. Aber wir Linken haben die Pflicht, die verzerrten Darstellungen zu entlarven, die tatsächlichen Vorkommnisse ans Licht zu bringen und uns auf die Seite der arbeitenden und unterdrückten Bevölkerung zu stellen, statt einfach die dominante Erzählung vorbehaltlos zu übernehmen.

Ganz unabhängig von der oft sehr fragwürdigen Haltung der Regierung handelt es sich hier um einen klaren Klassenkonflikt. Die Protestierenden aus den oberen Mittelschichten haben wiederholt versucht, in das Stadtzentrum in der Hauptstadt Caracas vorzudrängen, das von den regierungstreueren Unterschichten dominiert wird, und wo sich auch das Regierungsgebäude befindet. Dies haben die Staatskräfte immer zu verhindern versucht, um nicht ein Szenario wie im Jahr 2002 zuzulassen. Aber natürlich, man könnte einen solchen rassistischen Mob, der in den letzten Jahren immer wieder seine Verachtung sowohl für die Demokratie als auch für die populären Schichten gezeigt hat, auch einfach ziehen lassen. Für die arbeitende Bevölkerung ist ja das Schicksal der bolivarischen Revolution ohnehin nicht so wichtig.

Ein wenig Realismus, bitte!

Es ist politisch völlig kontraproduktiv, sich die gesellschaftliche Realität, die natürlich brutal ist, einfach wegzuwünschen. Gegen die Gewalt der Reaktion muss man sich verteidigen, was nicht mit netten Worten und verbaler Überzeugungskraft zu erreichen ist. Letzteres hat leider auch die sozialistische Regierung Venezuelas noch immer nicht eingesehen. Präsident Maduro versucht schon seit geraumer Zeit, einer ganz offensichtlich nicht an Dialog interessierten Opposition den Dialog anzubieten und Kompromisse mit den Kapitalisten zu schliessen. Genau das ist aber einer der Hauptgründe für die relative Schwäche der Regierung. Statt Massnahmen zu ergreifen, um die nicht-funktionierende regulierte Marktwirtschaft hinter sich zu lassen und eine sozialistische Wirtschaft aufzubauen, versucht die Regierung lieber, einen nicht haltbaren Status quo aufrechtzuerhalten, weil sie nicht zur Enteignung der Grosskapitals übergehen will.

Sich gegen die Gewalt der Reaktionäre zu verteidigen geht nur, wenn die arbeitende Bevölkerung, die zur treibenden Kraft einer sozialistischen Umgestaltung wird, ihre Errungenschaften und ihr gesellschaftliches Werk selbst verteidigen kann. Genau da liegt die Notwendigkeit einer demokratischen bewaffneten Institution derjenigen Teile der Bevölkerung, die Urheber der Veränderung sind.

Diese Notwendigkeit bezeichnet der Genosse Lewin jedoch als eine Absurdität, weil sich sonst die Stärksten an den Waffen durchsetzen würden und weil sich eine per definitionem autoritäre Institution wie die Armee nicht demokratisieren liesse. Die hobbesianische Formel Homo homini lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – scheint sich tief in Genosse Lewins Denken eingeprägt zu haben. Er betrachtet die Menschen als völlig eigensinnige Individuen, die sich zu zerfleischen beginnen, sobald sie auch nur eine Waffe in die Hand gedrückt bekommen.

Selbstverständlich zwingt die Konkurrenz in der kapitalistischen Gesellschaft die Menschen in einen manchmal rücksichtslosen Kampf mit anderen Menschen, die sogar der selben Klasse angehören können. Wahr ist aber auch, dass die Menschen sehr wohl in die gleiche Richtung zu gehen bereit sind, wenn sie ein gemeinsames gesellschaftliches Projekt haben, in denen sie selbst Autoren der Veränderung sind. Die Bevölkerung ist also durchaus fähig und gewillt, die eigenen Errungenschaften zu verteidigen, wenn sie von undemokratischen Kräften attackiert werden, ohne sich dabei gegenseitig umzubringen.

Es stimmt, dass die Demokratisierung einer Armee in einer rein kapitalistischen Gesellschaft kaum möglich ist, weil sich die demokratischen Entscheidungen der Basis gegen die Interessen der herrschenden Klasse richten können. Damit bestünde die Gefahr, dass die Armee statt eines Instruments zur Sicherung der nationalen Kapitalinteressen in eine tatsächliche Volksmacht gegen das Kapital umschlagen könnte. Ein anständiges Argument, weshalb demokratische Milizen des Volkes, die ihre Emanzipationsbestrebungen vor der Reaktion schützen, eine Unmöglichkeit seien, bleibt uns Genosse Lewin aber schuldig. Er beschränkt sich auf einen Seitenhieb gegen die Soldatenräte.

Hände Weg von Venezuela! Vorwärts zur sozialistischen Revolution!

In den letzten Jahren haben wir immer wieder die bolivarische Revolution gegen ihre reaktionären Widersacher verteidigt. Auch jetzt dürfen wir nicht vergessen, was der Klassengehalt dieses Konfliktes ist. Eine Rückkehr der ultra-rechten Kreise an die Macht durch eine gewalttätige Amtsenthebung Maduros, auf welche Teile der venezolanischen Opposition hinarbeiten, würde ganz sicher niemandem in den populären Schichten der venezolanischen Bevölkerung auch nur im Geringsten helfen. Die internationale Medienkampagne gegen die Regierung, welche die Legitimierung eines solchen Szenarios vorbereitet, muss wo immer möglich entlarvt und kritisiert werden. Unsere Parole gegenüber den imperialistischen Aggressionen gegen das bolivarische Venezuela bleibt: Hände Weg von Venezuela!

Gleichzeitig dürfen wir aber auch nicht eine kritiklose Verteidigung der sozialistischen Regierung vornehmen. Unsere Unterstützung gilt dem bolivarischen Prozess der Veränderung und den arbeitenden und armen Menschen Venezuelas, die von diesem Prozess profitieren. Wir haben aber immer betont, dass die sozialen Errungenschaften des Chavismus nur aufrechtzuerhalten sind, wenn der Prozess weitergeht und vorwärts treibt. Seit einigen Jahren schon ist dies jedoch nicht mehr gegeben und die Regierung versucht mehr oder weniger verzweifelt, den Status quo aufrechtzuerhalten. Eine unvermeidliche Konsequenz davon ist, dass die Regierung in ihrer eigenen Basis an Rückhalt verliert und die Massen mehr und mehr desillusionniert sind, auch wenn wir gerade in den letzten Wochen gesehen haben, wie entschlossen sie zur Verteidigung der bolivarischen Revolution bereit sind.

Wenn der Veränderungsprozess deshalb nicht vertieft und auf seine seine letzte Konsequenz getrieben wird, dann wird ein Sturz der Regierung tatsächlich irgendwann nicht mehr vermeidbar. Die Regierung muss deshalb endlich dazu übergehen, die grössten Unternehmen systematisch zu vergesellschaften und unter die demokratische Arbeiterkontrolle zu stellen. Das System der Kommunen mit seinen Räten muss Leben erhalten, indem die Menschen auch wirklich über den Gebrauch der Ressourcen bestimmen können und die Produktion nach den Bedürfnissen der Menschen, statt des Profits zu richten. Mit einem Wort, die bolivarische Revolution kann nur überleben, wenn sie vorwärts geht zur sozialistischen Revolution.

Martin Kohler

JUSO Genf


 

[1] https://amerika21.de/blog/2017/04/174967/medienblockade-venezuela

[2] Im Bezug auf die Rolle der Genossenschaften habe ich diese Grenzen schon mal in einem früheren Artikel aufgezeigt: http://www.derfunke.ch/htm/de/deutsch/wirtschaft/die-grenzen-der-rolle-von-genossenschaften-in-der-ueberwindung-des-kapitalismus/

[3] Die Verstaatlichungen, die in Venezuela in den letzten Jahren durchgeführt wurden, hatten in keinem Moment einen strategischen Charakter, der auf die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft gerichtet war. Sie haben sich vielmehr aus dem direkten Konflikt zwischen den Unternehmensleitungen und dem Staat oder aber der ArbeiterInnenschaft ergeben.