In der direktdemokratischen Schweiz ist die Initiative eines der beliebtesten Instrumente der parlamentarischen Linken geworden, um fortschrittliche Reformpolitik zu machen. So hat man in der JUSO zum Beispiel direkt nach der Einreichung der 1:12-Initiative eine zweite Initiative lanciert und bereits fertig gesammelt. Auch die SP ist auf der Suche nach ihrem nächsten Zukunftsprojekt und hat deshalb an der DV in Fribourg sechs Initiativ-Vorschläge präsentiert.

Bereits jetzt kann man im gewohnten „Superstar“-Format auf der SP-Website für seine Lieblingsforderung abstimmen. Diese konsultative Umfrage soll auch „politisch Interessierte“ einbinden, die bisher eingegangenen 2760 Stimmen lassen aber stark daran zweifeln, dass die Klicks weit über die Parteigrenze hinweg reichen. Die meisten Likes haben bisher die Initiativen „Für eine Finanztransaktionssteuer“ und „Mehr Transparenz bei den Parteifinanzen“ (je 22% Stimmanteil), das Schlusslicht bildet die Forderung nach der Schaffung einer Behörde, um der Lohnungleichheit aufgrund des Geschlechts entgegenzuwirken (7%). Wen diese politischen Visionen noch nicht überzeugt haben, dem bleibt noch die Wahl zwischen einer Erhöhung der Unternehmenssteuer (20%), der Kinderzulagen (19%) oder einer erleichterten Einbürgerung für Migrantenkindern (9%).

In der SP nichts Neues

Die sechs Optionen bieten alles in Allem wenig Originalität. Die Finanztransaktionssteuer geistert schon lange in Europa herum und wird inzwischen selbst von Bürgerlichen als Lösung der Krise propagiert. Dass die Schweizer Parteienfinanzierung sich transparenzmässig auf Bananenrepublik-Niveau bewegt, ist allen bewusst und wird von der JUSO auf lokaler Ebene bereits bekämpft. Die SP-Antwort auf die Ungleichheiten zwischen Mann und Frau, nämlich die Schaffung einer staatlichen Behörde, erscheint von fast schon absurder Naivität. Einzig die Initiative „Für ein zeitgemässes Bürgerrecht“, die aus der Feder einer jusonahen Gruppe um Cédric Wermuth stammt, vermag mit der Verkündigung einer neuen Ideologieoffensive in der linken Migrationspolitik etwas frischen Wind aufzubringen. Aber auch hier geht es vor allem darum, das schwedische Einbürgerungsmodell auf die Schweiz anzuwenden.

Gas geben statt bremsen

Dass jede Initiative ihre Berechtigung hat und auch zu einer Verbesserung der jetzigen Umstände führen würde, ist unbestritten. Vergleicht man aber die heutige Auswahl mit derjenigen, welche die SP 2009 den Delegierten unterbreitete (Mindestlohn, Cleantech, 12 Monate Elternurlaub, Gratis Krankenversicherung für Jugendliche, AHV ab 40 Beitragsjahren) oder mit den JUSO-Alternativen zum Verbot der Nahrungsmittelspekulation (Legalisierung aller Sans-Papiers, Unternehmenssteuer von 30%, Offenlegung der Geschäftsbücher, Bankenverstaatlichung), dann scheint diese doch eher als Rückwärtsschritt. Den meisten Mitgliedern ist überhaupt schleierhaft, woher diese sechs Vorschläge stammen, denn die Basis selber konnte anscheinend keine eigenen Ideen einreichen. Die JUSO Thurgau hat deshalb zuhanden der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz eine Resolution geschrieben, welche von der SP fordert, dass solche Projekte für die ganze Partei geöffnet werden müsse. Sie wollen, analog wie dies in der JUSO bereits geschieht, dass alle GenossInnen die Möglichkeit haben, eigene Projekte zur Abstimmung zu bringen und nicht bloss über eine vorselektierte Auswahl zu entscheiden.

Die bereits lancierten Initiativen wie die AHV Plus, die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, der Mindestlohn, die Einheitskrankenkasse oder 1:12, welche mit progressiven Forderungen eine sehr hohe Zustimmung verzeichnen, zeigen den Weg auf, denn die Linke weitergehen muss. Raus aus der Verteidigungsstellung, wo man in finanziellen schwierigen Zeiten mit den Bürgerlichen um die letzten sozialen Privilegien der Schweizer Arbeiterklasse feilscht. Hin zu einer offensiven Opposition, in welcher wir uns gegen jegliche Angriffe auf unseren Lebensstandard wehren und diese durch das Präsentieren von linken Gegenkonzepten als reine Klasseninteressen entlarven.

Was bringt uns die direkte Demokratie?

Die direktdemokratischen Instrumente bringen viele Vorteile mit sich, doch sind sie leider kein Allerheilmittel. Das Sammeln einer Initiative oder eines Referendums ist vor allem für linke Organisationen sehr zeitintensiv und bindet einen erheblichen Teil der vorhandenen Ressourcen. Der Wirkungsradius ist in den meisten Fällen gering, denn aufgrund der zwingenden Einheit der Materie kann man nur auf einzelne Aspekte eines meist gesamtgesellschaftlichen Problemen eingehen. Die Dauer von Lancierung bis Umsetzung kann sich locker über ein halbes dutzend Jahre hinauszögern, wenn sie überhaupt umgesetzt wird (Beispiel Alpeninitiative). Auf jeden Fall Zeit genug für die KapitalistInnen mit Hilfe eines Heers von Rechts- und Wirtschaftsanwälten bereits Schlupflöcher gefunden oder den Firmensitz ins Ausland verlegt zu haben. Es ist deshalb illusorisch anzunehmen, dass wir als Linke bloss hundert vielleicht auch tausend Initiativen durchbringen müssen und die Schweiz dann endlich sozialistisch geworden ist. Vor allem da das Grundübel im Kapitalismus, das Privateigentum, von der Verfassung garantiert ist.

Wie können wir also die Initiative nutzen, um revolutionäre Politik zu machen? Wir müssen uns bereits bei der Auswahl der Initiative im Klaren sein, dass es keinen Sinn macht, sich einfach für das Thema mit der höchsten Annahmechance zu entscheiden. Mindestforderungen oder Themen, die Nichts mit der Lebensrealität der ArbeiterInnen zu tun haben, können mit ein wenig Geschick und Zufall durchaus Volksmehrheiten erringen, doch sind sie nicht in der Lage unsere Partei längerfristig zu stärken. Dafür brauchen wir klare, linke Forderungen, welche den Leuten zeigen, wofür und wogegen sie sich einsetzen müssen. Unser Hauptziel ist nicht, die Abstimmung zu gewinnen, sondern die Parteibasis für ein neues Projekt zu begeistern, die Menschen auf die Strasse zu bringen und um diese Forderung zu organisieren. Eine knapp abgelehnte Vorlage, welche einen gesellschaftlichen Diskurs ausgelöst und zu einem Mitgliederzuwachs geführt hat, ist um einiges wertvoller als eine gewonnene, die keine solche Dynamik auslösen konnte. Aber schlussendlich ist auch der Abstimmungssieg entscheidend, dann wenn ihm eine grosse Mobilisierung vorausging und eine Debatte stattgefunden hat. So nämlich erkennen die Menschen, dass sie, wenn sie sich gemeinsam organisieren, die Kraft besitzen, die Gesellschaft nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

Welche Initiative braucht die SP?

Die Frage ist jetzt natürlich, welche dieser sechs Initiativen das Potenzial hat, diese Bewegung innerhalb der Gesellschaft und der Partei auszulösen. Wir als MarxistInnen erkennen dieses Potenzial am ehesten in der Initiative zur Erhöhung der Unternehmensbesteuerung. Diese kommt beim ersten Anblick sehr technisch rüber, doch beinhaltet sie einiges an Sprengkraft. Nicht nur haben die Bürgerlichen unter dem Deckmantel der „Unternehmenssteuerreform II“ den grössten Diebstahl am Volkseigentum begangen, den die Eidgenossenschaft je gesehen hat. Sie bereiten mit der dritten USTR-Reform bereits den nächsten Raubzug vor. Diese Klassenangriff von oben wurde vom Bundesgericht bereits als illegal erklärt, ist aber wegen den fehlenden Konsequenzen ein Thema, welches in der Bevölkerung immer noch für grossen Unmut sorgt. Diese Empörung wird in naher Zukunft drastisch zunehmen, nämlich dann, wenn die vollen Auswirkungen dieser Steuerausfälle zum Tragen kommen werden. Es wird voraussichtlich weitere Sparpaketen auf kommunaler und regionaler Ebene geben, wo sich bereits seit geraumer Zeit Widerstand formiert hat. In mehreren Kantonen haben schon grössere Demonstrationen gegen diesen Sozialabbau stattgefunden. Insbesondere die Staatsangestellten sind radikalisiert wegen den verschlechterten Arbeitsbedingungen und Lohnkürzungen, aber die drastischen Einsparungen bedrohen den Lebensstandard aller ArbeiterInnen. Die Forderung nach höheren Unternehmenssteuern ist eine gute Antwort auf diese Sparprogramme und könnte auf viel Zustimmung und aktiver Unterstützung stossen. Dazu ist es aber absolut von Nöten, dass diese Verbindung von uns aufgezeigt wird, dass wir die Diskussionen in diese Richtung drängen und an den Brennpunkten präsent sind. Ansonsten droht die Initiative von den Bürgerlichen auf eine bloss technische Frage reduziert zu werden und die Auseinandersetzung findet bloss noch um Diagramme, Graphiken und Steuermodelle statt. Falls es uns aber gelingt diese Verknüpfung herzustellen, den Leuten zu zeigen, dass wir mit Einschnitte in unserem Lebensstandard die Profite der Unternehmen finanzieren müssen, dann steht uns womöglich mit einer solchen Initiative ein heisser Herbst bevor.