„Staatstrojaner: Juso zeigen Mario Fehr an.“ Mit dieser Schlagzeile betitelte der Tagesanzeiger den Artikel, der die Diskussion um den Kauf von Staatstrojanern und Überwachung in die Öffentlichkeit trug. Die Empörung, welche gegen die Juso von verschiedenen Seiten gehegt wird, wird von den sozialliberalen Politikern in der SP verstärkt angeheizt. Dass sich die Juso wieder einmal auf Konfrontationskurs mit ihrer Mutterpartei begibt, ist der Ausdruck verschiedener Entwicklungen. In der jüngsten Entwicklung sehen wir einen SP-Regierungsrat, der sich genau bei einem Thema, welches auf der politischen Agenda der Juso dick eingetragen ist, weit von den Parteipositionen entfernt. Die Juso muss den Umgang mit Exekutivpolitikern, die eigenmächtig gegen die Beschlüsse der Parteibasis handeln, thematisieren, um künftig gegen diese vorgehen zu können.

 

© mariofehr.ch

 

Nachdem bekannt wurde, dass ein SP-Regierungsrat den Kauf eines umstrittenen Staatstrojaners zu verantworten hat, reagierte die Juso mit ihrer Kritik richtig. Durch ihre konsequente Verurteilung des Regierungsrats stellte sich die Juso als schärfster Kritiker an die Spitze der Überwachungsgegner. Die Erfolgsaussichten einer Strafanzeige gegen einen Handlanger des bürgerlichen Rechtssystems sind eher gering. Sicher gilt es jedoch, dieses Verfahren nicht mit denselben moralischen Vorwürfen (eine Strafanzeige hätte mit einer „sachorientierten“ Politik nichts zu tun) wie der rechte Flügel der SP  zu kritisieren. Dass dabei die eigentliche inhaltliche Kritik an Mario Fehr wegen des Entsetzens über die Anzeige in den Hintergrund rückt, war vorhersehbar. Die Strafanzeige war ein Mittel zum Zweck, um den Diskurs in die Öffentlichkeit zu tragen, mehr aber auch nicht. Wichtig ist nun, den Inhalt dieser Kritik in die SP zu tragen. Das Handeln von Mario Fehr ist kein Einzelfall, auch beispielsweise der Rentenklau von Alain Berset ist nicht mit der Parteilinie konform. Die Empörung darüber war ebenfalls enorm.

Treten Diskussionen dieser Art auf, zeigt dies nur, dass die pragmatisch orientierte Politik der Exekutivpolitiker nicht vereinbar mit den programmatischen Forderungen der Parteibasis ist. Zu keiner Zeit waren die Chancen auf Zugeständnisse von der bürgerlichen Seite kleiner als heute. Unter den heutigen Verhältnissen, welche durch die Krise des Kapitalismus und die Schwäche der ArbeiterInnenbewegung geprägt ist, können Regierungsmitglieder der SP keine neuen Errungenschaften für die ArbeiterInnen erreichen, geschweige denn „das Schlimmste“ verhindern oder irgendetwas mitentscheiden. Von dem Zeitpunkt an, an dem die SP der Regierung beitritt, ist sie gezwungen, sich der bürgerlichen Logik zu unterwerfen. Ausdruck davon ist, dass mittlerweile SP-Politiker die eifrigsten Verfechter des Kollegialitätsprinzip sind. Diese diente eigentlich nur dazu, die SP als Minderheit in die bürgerliche Politik zu integrieren. Solchen Erscheinungen liegt das Selbstverständnis der SP, sich als reine Wahlpartei zu verstehen, zugrunde. Dadurch wird die Regierungsarbeit zu einem inhaltsleeren Selbstzweck, Ausdruck davon sind Politiker wie Mario Fehr oder Alain Berset.
Bisher und auch im aktuellen Beispiel versuchte die Juso, diese Widersprüche zu lösen, indem sie einzelne Persönlichkeiten oder bei Sachthemen ihre Exekutivpolitiker angriffen. Dieses Vorgehen ist viel zu sehr auf einzelne Individuen fokussiert. Dabei sehen sie nicht, dass die Probleme eine Folge der Regierungsbeteiligung bei einer parlamentarischen Minderheit sind. Denn der Druck des bürgerlichen Staats, der auf die entsprechenden Mandatsträger wirkt, drängt diese immer mehr nach rechts. Nur mit einer genaueren Kontrolle der eigenen Mandatsträger, einer strikten Rechenschaftspflicht vor der Basis, einem Ausschluss bei Abweichung von der Parteilinie oder sogar einem ganzen Rückzug aus der Regierung lassen sich solche Probleme vermeiden.

Abwicklung der Affäre

So ist auch das Auffliegen der Affäre um Fehr symptomatisch für die fehlende Kontrolle der Mandatsträger. Denn der Trojanerkauf kam erst durch einen Zufall ans Licht, nämlich als die italienische Softwarefirma „Hacking Team“ gehackt wurde. 450 Gigabyte geheime Daten wurden aus dem System der Firma entwendet und veröffentlicht. Die Auswertung dieser Daten brachte Einsicht in die Geschäftsbeziehungen der italienischen Softwarefirma mit dem FBI, diversen autoritären Regierungen und eben auch der Zürcher Kantonspolizei. Es löste erhebliche Empörung aus, dass ein Schweizer Polizeikorps zu einer Firma Geschäftsbeziehungen führt, welche gleichzeitig mit Staaten kollaboriert, die mit brutalster Repression gegen die eigene Bevölkerung vorgehen. Dass die Verfügung über den 500‘000 Franken teuren Softwarekauf von SP-Regierungsrat Mario Fehr unterzeichnet wurde, setzt dem Ganzen die Krone auf. Legitimiert wurde der Kauf durch die Begründung, dass diverse Verbrechen wie Geldwäscherei und Drogenhandel besser bekämpft werden sollen. Dass in der Schweiz Staatstrojaner unter anderem auch gegen linke Aktivisten eingesetzt werden, wird bewusst verschwiegen. Zudem ist auch unter Juristen umstritten, ob ein solcher Trojanerkauf heute überhaupt eine rechtliche Grundlage besitzt. Gleichzeitig wurde von parlamentarischer Seite kritisiert, dass zu diesem Entscheid keine Debatte im Kantonsrat geführt wurde.

Mario Fehr, der tobende Magistrat

Zutiefst betroffen von der Kritik in Form einer Strafanzeige der Juso gab Mario Fehr bald darauf die Sistierung seiner Parteimitgliedschaft bekannt. Hinter seiner Empörung schwebt die süsse Ironie, dass die von ihm gelobte Rechtsstaatlichkeit nun gegen ihn eingesetzt wird. In einem Interview gegenüber der NZZ meinte er: „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Mitglieder der Partei, der ich seit 33 Jahren angehöre, zu rein politischen Zwecken ein Strafverfahren gegen mich anstreben.“ Wie ein trotziges Kind besteht er darauf seine Parteimitgliedschaft. Die weiteren Interviews, die Mario Fehr der NZZ (6.11.) gab, werfen die Frage auf, wieso er es bei einer Sistierung belassen hatte.
Der Druck auf die Juso wuchs von Seite der SP massiv, Fehr forderte Sanktionen seitens der SP gegen die Juso, was sogar eine Kürzung der Finanzierung beinhaltete. Fehr drohte an, die Sistierung so lange aufrecht zu halten, bis die Anzeige gegen ihn zurückgezogen wird. Gleichzeitig kündigte er an, dass sich die Angebote um seine Mitgliedschaft in anderen Parteien steigerten. Die Angst vor Wählerverlusten scheint noch ziemlich stark verankert zu sein. Der drohende Verlust eines „gut“ gewählten Regierungsmitgliedes entfacht Panik in der SP, worauf der Druck auf die Juso wiederum wächst. Dies ist ebenfalls ein Ausdruck davon, dass die SP ihren Horizont der politischen Aktivität nur auf die parlamentarische Arbeit beschränkt. Fehrs Plan ging auf, er konnte die kantonale SP nach seiner Pfeife tanzen lassen. Zeitgleich jammert Fehr über die Kräfte in der SP, die ihn und den rechten Flügel in der Partei mundtot machen wollen. Er fordert Platz für alle Flügel in der SP, aber vor allem für die Rechten.
Später im Interview meint er:„ Ich kann nicht Regierungsrat sein in einer Partei, deren Mitglieder mich mit Strafanzeigen lähmen. Wenn die SP auf Dauer Regierungspartei sein will, muss sie solche Strömungen unter Kontrolle haben.“ Fehr ist dabei gewissermassen der Schwanz, der versucht, mit dem Hund zu wedeln. Denn es ist nicht die Partei, die nach seiner Pfeife tanzen muss, sondern umgekehrt. Ausserdem lässt sich die heuchlerische Rhetorik der Sozialliberalen erkennen. Sie fordern die allgemeine Akzeptanz ihrer Existenz in der Partei, während sie noch im selben Atemzug fordern, linke Strömungen, welche die Regierungsbeteiligung in Frage stellen, unter Kontrolle zu halten.

Flügelkämpfe zeichnen sich ab

Die Reaktion in der SP setzte nach der Anzeige sehr schnell ein, die ganze Affäre hielt bis in die nationalen SP-Kreise Einzug. Seit langem gab es wieder einmal eine stärkere Konfrontation mit einem eigenen Regierungsvertreter. Aber auch aus der SP gab es Kritik, die gegen Fehr gerichtet war, weil er selbst gegen SP-Parteilinie verstossen hatte. Denn in einem kantonalen Positionspapier heisst es: „Die SP Kanton Zürich lehnt die Vorratsdatenspeicherung und die Verwendung von Staatstrojanern und vergleichbaren Technologien ab, da diese auf einem Generalverdacht gegenüber allen Bürgern fussen. Die Gefahr des Datenmissbrauchs durch involvierte private Drittanbieter ist nicht zu unterstützen.“ Es ist deshalb unverständlich, weshalb sich die kantonale SP-Führung in dieser Frage hinter Fehr stellen konnte. Dass es auch ganz anders gehen kann, sehen wir momentan bei der Lancierung des NDG-Referendums. Obwohl sich im Nationalrat grosse Teile der SP für das Gesetz aussprachen, sprach sich der nationale SP-Parteivorstand unter dem Druck der Juso für das Referendum aus.
Die gesamte Fehr-Affäre hat wieder einmal die Widersprüche in der SP aufgezeigt. Die Erfahrungen mit Fehr haben bewiesen: Solange sich die Mandatsträger nicht an die Parteipositionen halten, gibt es keinen Grund, länger in der Regierung zu bleiben. Doch die sozialliberalen Elemente setzten sich vermehrt über die Grundsätze der Partei hinweg und versuchen, den Rest von ihr durch vermeidliche Gewinne zusätzlicher Wählerstimmen aus dem bürgerlichen Lager, nach rechts zu zwingen. Dieser Entwicklung muss Einhalt geboten werden. Die versöhnlerische Politik, die Levrat oder Daniel Frei auf nationaler oder kantonaler Ebene betreiben, um Platz für alle Flügel in der Partei zu schaffen und damit jegliche Flügelkämpfe zu untergraben, hilft dabei gar nichts. Denn je länger sich der versöhnlerische Teil den parteiinternen Diskussionen zwischen den Flügeln verwehrt, riskiert die SP ein weiteres Abdriften nach rechts, wie es die Partei schon in den 90ern erlebt hatte. Dass sich wieder ähnliche Tendenzen abzeichnen, zeigt sich in der Gründung einer rechten Plattform in der SP die verschiedene Sozialliberale anstreben. Dieser sich formierende rechte SP-Block wird zu programmatischen Diskussionen führen, insofern die Versöhnler nicht die inhaltlichen Widersprüche zwischen den Flügel verschleiern. Dabei sind solche Diskussionen sehr wichtig, denn sie helfen eine klare Parteilinie zu finden.
Die Frage der Regierungsbeteiligung muss dabei zwingend mit den kommenden Flügelkämpfen verknüpft werden. Doch dazu muss sie von der Juso in die SP getragen werden. Bei diesen Diskussionen muss die Juso den linken Flügel in der SP bestärken und sollte unbedingt anhand der Fehr-Affäre die Diskussion in der SP starten, wie die Parteibasis mit solchen Exekutivpolitiker zukünftig umgehen soll, wie diese durch die interne Demokratie an die Parteilinie gebunden werden können. Bei Verstössen gegen demokratische Entscheide durch MandatsträgerInnen, vor allem von RegierungsvertreterInnen, sollte in Zukunft der Parteiausschluss gefordert werden. Toleriert die Juso solche Abweichungen aus pragmatischen Rechtfertigungen, verliert sie jegliche Glaubwürdigkeit.

Alain Schwerzmann
Präsident Juso Winterthur