[dropcap]D[/dropcap]ie Stimmung im Saal war angeheizt. Die Debatte zur Ergreifung des Referendums gegen die Rentenreform an der JUSO Jahresversammlung vom März polarisierte in der Partei. Schon im Vorfeld wurde in den sozialen Medien heftig diskutiert. Am Schluss entschieden sich die Delegierten knapp gegen die Resolution, welche ein Referendum ins Auge gefasst hätte. Die Debatte zeigte jedoch deutlich, dass eine grosse Mehrheit der JUSO nicht bereit war die Erhöhung des Frauenrentenalters, die Senkung des Umwandlungssatzes, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Erhöhung der Pensionskassen-Beiträge zu akzeptieren. Die unklare Stellungnahme der Geschäftsleitung in der Frage des Referendums, allen voran von Präsidentin Tamara Funiciello, führte jedoch dazu, dass sich keine Mehrheit für eine konsequente Position finden liess.

Von Seiten der SP wurde im Vorfeld grosser Druck auf die Geschäftsleitung ausgeübt, damit diese ein Referendum vonseiten der JUSO verhindere. Ehemalige Präsidenten der JUSO gingen an die Medien, um die JUSO anzugreifen. Es gab Gerüchte, dass der JUSO vonseiten der SP sogar finanzielle Konsequenzen angedroht wurden. Bis zum Schluss war unklar, wie sich die Geschäftsleitung positionieren würde. Am Schluss tat sie es gar nicht. Die GL versuchte die politischen Differenzen der vorliegenden Resolutionen zu verschleiern und das Referendum mit technischen Argumenten, wie Sammelaufwand etc. abzutun. Nur dank dieser Unentschlossenheit konnte der rechte Flügel, welcher die AHV Reform als Sieg verkaufen wollte, einen Abstimmungserfolg verbuchen.

Dass die JUSO ihrer Mutterpartei in diesem historischen Fehler folgt ist tragisch. Es zeigt eine Reihe von Problemen auf; einerseits der reformistischen Linken im Allgemeinen, andererseits hinsichtlich des Verhältnisses JUSO – SP. Der grossen Mehrheit der SP-PolitikerInnen und GewerkschafterInnen, welche diesen schlechten Kompromiss mit den Bürgerlichen eingegangen sind, wollen wir keine böse Absicht oder offenen Verrat unterstellen. Es ist sogar durchaus anzunehmen, dass viele dieser PolitikerInnen mit viel Herzblut an diesem Kompromiss mitgearbeitet haben und hart vor die kleinen Zückerchen der Reform gekämpft haben. Wir müssen hier die Logik reformistischer Politik als Grund dieses Übels hinterfragen.

Im Herbst des vergangenen Jahres zeigten die Gewerkschaften mit einer der grössten Demonstrationen der letzten Jahre Stärke für einen Ausbau der AHV. Eine gigantische Angstkampagne, welche den Niedergang der AHV heraufbeschwor, führte jedoch letztendlich zu einer Niederlage der “AHVplus”-Initiative. Daraus zu schliessen, dass die Mehrheit der SchweizerInnen gegen eine Existenz-sichernde AHV sei, wäre absurd. Im Gegenteil zeigte diese Erfahrung vielmehr, dass das kapitalistische System offensichtlich nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und den Lohnabhängigen ein würdiges Leben im Alter zu gewährleisten. Die Bürgerlichen müssen den Untergang heraufbeschwören, damit die Menschen gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Statt diese Erfahrung zu nutzen um eine radikalere Oppositionspolitik gegen diese Rentenreform und zur Stärkung der AHV aufzubauen, zog die SP den Schluss, dass nun wohl Verschlechterungen akzeptiert werden müssen. Diese Kehrtwende zeigt sich deutlich an der Rhetorik der Partei. Wurde Bersets Rentenreform im letzten Jahr noch als Rentenklau bezeichnet, spricht man jetzt von einer historischen Stärkung der AHV. Wie konnte das passieren?

Die Unfähigkeit der reformistischen Politik über die Grenzen des Systems hinauszudenken und auf die eigene Stärke zu setzen, verdammt die Politiker dazu sich den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und den Kräfteverhältnissen im Parlament zu unterwerfen. In Zeiten der Krise und einer rechtsbürgerlichen Mehrheit im Parlament werden die PolitikerInnen somit gezwungen, die Verschlechterungen zu schlucken. Ihr Kampf reduziert sich auf kleinste Zugeständnisse, welche man dann als Sieg verkaufen muss. Die Argumentation ist dabei immer dieselbe. Wenn wir nicht wären, wäre es noch viel schlimmer gekommen.

Natürlich regt sich gegen eine solche Politik Widerstand in der Linken. Im Falle der Rentenreform vor allem bei den Frauen, die am härtesten getroffen werden, aber auch bei den Gewerkschaften in der Romandie. Daher kommt auch die Notwendigkeit der SP- und Gewerkschaftsspitzen Druck aufzubauen und eine zusätzliche drohende Verschlechterung in Aussicht zu stellen, falls die Vorlage versenkt wird. FDP-Fraktionspräsident Cassis sagte gegenüber dem Tagesanzeiger, wie dies abläuft. So habe die SP im Parlament implizit versprochen: «Wenn ihr das Ständeratsmodell mit 70 Franken mehr AHV-Rente unterstützt, sorgen wir für Ruhe in linken Kreisen».

Und so verwandelt sich der Reformismus, wie schon so oft in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, in eine Vertretung der Interessen der Bürgerlichen vor der eigenen Basis. Alain Berset machte dies in seiner Rede vor dem Ständerat mehr als deutlich, als er sagte, der Kern der Reform sei die Senkung des Umwandlungssatzes „und zwar real und nicht in der Theorie“. 2010 wurde die BVG Revision, welche genau dies erreichen wollte, mit 72,7% abgelehnt! Bersets Rentenreform ist somit der Versuch, mit kleinen Zugeständnissen die SP- und Gewerkschaftsspitzen für die Konterreform einzuspannen, um so den linken Widerstand zu brechen.

In solchen Momenten wäre es umso wichtiger, dass die JUSO ihren Prinzipien treu bleibt und klar Stellung bezieht. Statt unter dem Druck der SP nachzugeben, ist es die Aufgabe der JUSO Druck auf die Mutterpartei zu machen und einen konsequenten Kampf gegen Angriffe auf unsere Lebensbedingungen zu führen. Mit der Urabstimmung, welche die SP Führung nun organisiert, bietet sich nun eine Möglichkeit, diese Diskussion in der ganzen Partei zu führen und den Widerstand zu organisieren. Mit einem offenen Brief an die JUSO-Sektionen versucht die marxistische Strömung den Druck zu erhöhen und einen Beitrag zur Debatte rund um die Urabstimmung zu leisten.

In letzter Instanz muss die Linke auf ihre eigenen Kräfte setzen. Diese liegen weder im Parlament noch in der Regierung, sondern auf der Strasse und den Betrieben. Der Abstimmungssieg gegen die Senkung des Umwandlungssatzes, die AHV-Demo, die grossen Frauendemonstrationen und die präventive Absage des rechten Aufmarsches «Wir sind direkte Demokratie» sind Entwicklungen, auf denen wir aufbauen müssen. Denn langfristig überwindet die ArbeiterInnenbewegung ihre strukturelle Schwäche nicht mit faulen Kompromissen im Parlament, sondern mit einem klaren sozialistischen Programm und dem Aufbau einer tiefen Verankerung in der ArbeiterInnenklasse.

Die Redaktion