Ende letzten Jahres sprach sich die SP noch klar gegen das Rahmenabkommen aus. Seitdem hat sie ihre Position jedoch geändert. Wieso ist sie nun doch bereit, das Rahmenabkommen zu unterstützen? Und wieso spielt das den Rassisten in die Hände?

Das Rahmenabkommen ist ein neuer Vertrag, der die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU regeln soll. Diese übt grossen Druck auf den Schweizer Staat aus, das Rahmenabkommen anzunehmen. Angesichts des Brexits vertritt die EU gegenüber Drittländern eine härtere Position als in der Vergangenheit.

Dazu kommt, dass der Wirtschaftsraum der EU viel grösser als die Schweizer Volkswirtschaft ist. Sie droht damit, dass ohne die Annahme des Abkommens, die bisherigen Verträge nicht mehr weiterentwickelt würden und auch keine neuen Verträge mehr abgeschlossen werden. Für die Schweizer Exportwirtschaft würde dadurch der Zugang zum grossen EU-Binnenmarkt erschwert. Dieser Marktzugang ist jedoch für das Schweizer Kapital extrem wichtig. Weit über die Hälfte aller Exporte gehen in die EU.

Der Angriff auf die FlaM

Für die Lohnabhängigen stehen weder die Profitmöglichkeiten auf dem EU-Markt noch “harmonische” Beziehungen zur EU im Zentrum. Entscheidend für sie ist der Lohnschutz. Der Vertrag würde nämlich die flankierenden Massnahmen (FlaM) untergraben. Die FlaM sollten seit der Einführung der Personenfreizügigkeit die Löhne der in der Schweiz Beschäftigten vor Lohndumping durch ausländische Unternehmen schützen. Diese Massnahmen sind zwar bei weitem ungenügend. Doch sie bilden den einzigen bestehenden Schutz und müssen deshalb verteidigt werden.

Mit der Annahme des Rahmenabkommen müsste ein Teil der FlaM abgeschafft werden. Deshalb stellt das Rahmenabkommen einen direkten Angriff auf die flankierenden Massnahmen und damit auf die gesamte Arbeiterklasse dar. Das Lohndumping würde noch weiter zunehmen. Den Lohnschutz zu verteidigen ist eine Klassenfrage.

Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie … in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen…

Karl Marx & Friedrich Engels (1848): Manifest der Kommunistischen Partei
Zuerst gegen das Abkommen

Im Dezember sorgten die SP und die Gewerkschaften für Furore, als sie sich kämpferisch gaben und erklärten, sich gegen das Rahmenabkommen zu stellen. Damit stellten sie sich korrekterweise klar hinter die FlaM und somit den Lohnschutz.

Besonders prominent trat damals Corrado Pardini (als Vertreter der UNIA, aber auch als Nationalrat der SP) auf, und erklärte die Verhandlungen zum Rahmenabkommen als gescheitert. Der Lohnschutz sei kompromisslos zu verteidigen und gelte als «rote Linie». Die SP vertrat die gleiche Position.

Dann das Umschwenken

Seit Ende Februar tönt dies jedoch anders. Der sozialliberale Flügel der SP, der schon von Anfang an für das Abkommen und «gute Beziehungen» zur EU warb, tritt nun offensiver auf. Auch die Geschäftsleitung der SP positioniert sich nun ganz anders als noch vor zwei Monaten. Sie zeigen sich kompromissbereit und wollen verhandeln um doch noch eine tragbare Lösung zu finden. Christian Levrat formulierte das an der Delegiertenversammlung der SP Anfang März treffend widersprüchlich: «Ja zu Europa. Ja zum Lohnschutz.»

Die bürgerlichen Parteien geben dem Druck nach

Schlussendlich kann sich die Schweizer Wirtschaft dem Druck der EU nicht entziehen. Das beschriebene Kräfteverhältnis überwiegt jede verhandlungstechnische Drohposition der Parteien. Ein beträchtlicher Teil der Repräsentanten der Bourgeoisie schwenkt bereits heute um. Sicher aber nach den Wahlen werden sie das Abkommen akzeptieren.

Das Grosskapital – repräsentiert von der EconomieSuisse – verteidigte das Abkommen seit jeher, denn es hat schlussendlich die gleichen Klasseninteressen wie das Europäische Kapital. Die FDP ist schlussendlich ebenfalls auf eine Ja-Position umgeschwenkt, und die CVP «koppelt ihre Unterstützung als einzige Bürgerliche Partei an konstruktive Forderungen», was ebenfalls ein verschleiertes Ja ist. Nur die SVP hat eine konsequente Nein-Position.

Die vermeintlichen Optionen der SP

Die restlichen bürgerlichen Parteien versuchen nun Druck auf die SP aufzubauen, das Abkommen ebenfalls zu unterstützen. Wenn das Rahmenabkommen bei einer Volksabstimmung (und der Opposition der SVP) eine Chance haben soll, sind sie auf die Unterstützung der SP angewiesen. Wie bereits bei der Abstimmung um die Einführung der Personenfreizügigkeit und der FlaM kommt der SP eine zentrale Rolle zu. Dieses de facto Vetorecht gäbe der SP eigentlich eine sehr gute Verhandlungsposition um den bestehenden Lohnschutz zu verteidigen (so wie sie das im Dezember noch getan hat).

Für die Mehrheit der herrschenden Klasse würde ein Scheitern des Abkommens, und damit eingeschränkten Zugang zum grössten Exportmarkt, harte wirtschaftliche Konsequenzen haben. Der Klassengegensatz wird scharf erkennbar zwischen dem Zugang zum Exportmarkt und der Verteidigung des Lohnschutzes. Doch die SP-Führung anerkennt diesen Gegensatz nicht. Sie sucht nach einem Kompromiss, wo es keinen Platz für einen Mittelweg gibt. Vor eine entweder-oder Situation gestellt, glaubt sie “staatstragend” wirken zu müssen, also diesen Gegensatz mit einem Kompromiss überbrücken zu können – im Interesse des bürgerlichen Staates.

Der Reformismus der SP wird dort reaktionär, wo er nicht erkennt, dass sich seine zwei Optionen gegenseitig ausschliessen. «Ja zu Europa» bedeutet Ja zum kapitalistischen Europa. Es bedeutet, im Interesse der Unternehmer den Wirtschaftsstandort zu verteidigen, auch wenn dafür die FlaM geopfert werden. «Ja zum Lohnschutz» bedeutet, das zu verteidigen, was man hat. Jedes Akzeptieren einer Aufweichung der FlaM ist ein Schritt zurück, gegen die Interessen der Lohnabhängigen. Hier zeigt sich klar: Jeder reformistische Kompromiss ist ein Einknicken vor den Patrons.

Unser Kampf gegen die rassistische Hetze

Eine Auflockerung der Lohnkontrollen führt zuerst zu tieferen Löhnen für Entsandte und für alle Arbeitenden von ausländischen Firmen. Das brauchen die Kapitalisten sofort um Druck auf die Löhne aller «inländischen» Angestellten zu machen! Mit den Dutzenden von verschiedenen Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen spaltet die bürgerliche Politik erfolgreich die Lohnabhängigen. Mit der SVP als Speerspitze schüren sie den Rassismus, mit dem Ziel, die Löhne für alle zu drücken. Das einzige Mittel dagegen ist der gemeinsame Kampf aller Lohnabhängigen.

Sozialisten verteidigen konsequent die Interessen und die Solidarität unter allen Lohnabhängigen, nicht als religiösen Kanon, sondern weil der proletarische Internationalismus in Zeiten des globalisierten Kapitalismus unsere einzige Waffe darstellt.

Anina Durgiai und Caspar Oertli
JUSO Stadt Bern und JUSO Stadt Zürich