Die durch das Coronavirus ausgelöste Krise hat auf dem Schweizer Arbeitsmarkt bereits Verwüstungen angerichtet. Mit dem Ende der Kurzarbeit kann die Situation nur noch schlimmer werden: In den nächsten Monaten wird es zu zahlreichen Massenentlassungen und Verlagerungen kommen.

Im vergangenen Juni meldeten sich 150.289 Personen als arbeitslos an, 53.067 mehr als im Juni 2019. Hinter diesen Zahlen steckt eine knallharte Realität: Ganze Familien werden zerstört und auch gut ausgebildete Fachkräfte verlieren ihre Arbeit. Diese Situation zeigt, dass im kapitalistischen System das Gesetz des Profits regiert, und dass es in Krisenzeiten zu einer sozialen Katastrophe führt. Angesichts dieser verheerenden Aussicht steht die Arbeiterklasse als Ganzes vor der Wahl: Die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen für die kommenden Jahrzehnte zu akzeptieren oder darum zu kämpfen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Dies tritt insbesondere in Genf zutage; der oben beschriebene Prozess hat bereits begonnen, und die Arbeiterinnen und Arbeiter kämpfen. Als der multinationale Logistikkonzern XPO Logistics eine Massenentlassung von 32 Personen in seiner Filiale in Satigny ankündigte, begannen die Beschäftigten einen verlängerbaren Streik. Diese Kämpfe legen auch das kapitalistische System mit all seinen Widersprüchen bloss. Die Frage «wie kämpfen?» ist entscheidend.

Der Kampf

Sogar in der Schweiz, wo relativ wenige solche Kämpfe stattfinden und diese auf viele Hindernisse stossen, haben organisierte ArbeiterInnen Siege errungen, die uns Schlussfolgerungen für zukünftige Kämpfe erlauben.

Als die Geschäftsleitung von ABB Sécheron (Genf) im November 2017 die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Polen ankündigte, gelang es den ArbeiterInnen, die Produktion zu blockieren. Aus Angst vor einer Erschöpfung der Lagerbestände gewährte die Unternehmensleitung den Streikenden eine erhebliche Erhöhung ihrer Abfindungen. Dieses Beispiel zeigt die Macht der Arbeiterklasse: Wenn sie aufhört zu arbeiten, ist die Produktion gelähmt und die Bosse machen keinen Profit mehr. Letztendlich basiert die kapitalistische Wirtschaft vollständig auf den ArbeiterInnen, die als einzige Reichtum produzieren.

Der Stopp der Produktion ist der effektivste Weg, um Zugeständnisse zu erringen und Arbeitsplätze zu retten. Wenn die Unternehmensleitung behauptet, dass das Unternehmen nicht rentabel genug sei und keine Arbeitsplätze garantieren könne, müssen die ArbeiterInnen allumfassenden Zugang zur Rechnungsführung verlangen. Dies ist die Forderung nach dem Einblick in die Geschäftsbücher (siehe dazu den Artikel «Kämpfen wie in Bellinzona», Der Funke 92). Der Zugang zu diesen Informationen offenbart die Tricksereien des Managements und sein Wettrennen um Profite. Er bietet einen Einblick in die Finanzen, Investitionen, Verwendung von Rohstoffen und andere Aspekte des Managements des Unternehmens. Somit ist er ein Mittel zur Einführung der Kontrolle über die Produktion: Dies ist der Beginn der Arbeiterkontrolle.

Auch wenn die Kapitalisten die Kontrolle nicht so leicht an die ArbeiterInnen abgeben, hängt deren Zukunft davon ab, dass die Aktivitäten des Unternehmens aufrechterhalten werden, wenn nötig auch ohne die Bosse. Kollektive Interessen kollidieren dann mit Privateigentum. Aus diesem Grund muss der Kampf eine weitere Forderung vorantreiben: Die Verstaatlichung des Unternehmens unter der Kontrolle der Arbeiter, welche die während dieses Prozesses geschaffenen Formen der ArbeiterInnenorganisation beibehält.

Der Streik löst ein Machtverhältnis aus, das sich im Laufe des Kampfes entwickelt. Eine Doppelmacht, die die Arbeiter den Bossen entgegensetzt, wird geschaffen. Sie bleibt jedoch auf das Unternehmen beschränkt und ist daher per Definition instabil. Doch dank der Kampferfahrung und insbesondere des Einblicks in die Rechnungsbücher entwickeln die Arbeiterinnen und Arbeiter ein anderes Selbstverständnis. Sie werden sich ihrer Macht bewusst und sehen klar, dass der Konkurrenzkampf die Unternehmen zwingt, ihren Gewinn zu maximieren, ohne den Nutzen der produzierten Güter oder die Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. Sie sehen auch, dass ein isoliertes Unternehmen allein die Widersprüche des Marktes nicht überwinden kann. Die Schlussfolgerung ist, dass ihr Kampf auf andere Filialen, einen ganzen Sektor und schliesslich auf die gesamte kapitalistische Wirtschaft ausgeweitet werden muss! Tatsächlich dienen diese Kämpfe als Lernprozess für die Planwirtschaft, die darauf abzielt, wirklich und demokratisch auf die Bedürfnisse der Gesellschaft zu reagieren.

Wir haben also drei Forderungen gesehen (Öffnung der Geschäftsbücher, Arbeiterkontrolle und Verstaatlichung), die im Kampf gegen Massenentlassungen notwendig sind. Sie sind am wirksamsten: Sie stammen aus der Arbeiterbewegung und entstehen oft in den Kämpfen selbst. Sie geben den ArbeiterInnen nicht nur unmittelbare Macht gegen die Leitung ihres Unternehmens, sondern vor allem eine wegweisende Erfahrung. In Kampf lernen die ArbeiterInnen, dass sie ihr Unternehmen und die Wirtschaft selbst führen können.

Auf dem Weg zu einer Planwirtschaft

Die Beispiele des Kampfes bei ABB Sécheron oder den SBB-Werkstätten in Bellinzona zeigen uns deutlich die Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie zeigen aber auch die Grenzen dieser einzelnen Kämpfe gegen Massenentlassungen auf, die immer auf die Widersprüche des kapitalistischen Systems stossen. Schlussendlich wurden trotzdem ABB-Mitarbeiter entlassen und die Privatisierung bei SBB Cargo fortgesetzt. Die Produktion anzuhalten erlaubt es, die Unternehmensleitung unter Druck zu setzen, aber ein solcher Erfolg der ArbeiterInnen ist nur vorübergehender Natur: Selbst wenn die Bosse in Zeiten, in denen die ArbeiterInnen Macht besitzen, Zugeständnisse machen, werden sie später wieder mit dem Abbau von Arbeitsplätzen beginnen.

Eine Situation der Doppelherrschaft, in der sich die ArbeiterInnen gegen die Kapitalisten stellen, kann nicht zu einem endgültigen Sieg reichen, wenn sie isoliert bleibt. Aber all diese Kämpfe sind Gelegenheiten für die Arbeiterinnen und Arbeiter, sich zu organisieren, ihre eigenen demokratischen Strukturen zu schaffen und Macht zu erlangen. Sie zeigen die Notwendigkeit, die einzelnen Kämpfe auf die gesamte Arbeiterklasse auszudehnen, um ein System zu überwinden, das völlig irrational produziert, nur um Reichtum in den Taschen einiger weniger Herrscher anzuhäufen.

Diese Schlussfolgerungen sind keine vagen theoretischen Abstraktionen, sie werden in jedem einzelnen Kampf aufgezeigt. Im Laufe der Kämpfe wird deutlich, dass eine Planwirtschaft nicht nur notwendig, sondern vor allem auch möglich ist. Obwohl diese Situationen oft instabil sind und keinen linearen Prozess darstellen, ist es unerlässlich, mit dem Kampf zu beginnen: Schlussfolgerungen ziehen, ein Machtverhältnis aufbauen und jene Forderungen weitertreiben, die den tatsächlichen Ursprung des Problems bekämpfen. Die Rolle der MarxistInnen ist es, diese Forderungen bei den ArbeiterInnen zu verteidigen und ihnen so zum Sieg zu verhelfen. Weiterhin besteht sie darin, auf dem grossen Ganzen zu bestehen: Es ist notwendig aufzuzeigen, wie diese Kämpfe mit der Krise des Kapitalismus zusammenhängen, und aufzuzeigen, was immer offensichtlicher werden wird. Krisen, Arbeitslosigkeit, Unterdrückung und Erderwärmung sind die unvermeidlichen Folgen des kapitalistischen Systems. Doch wir haben die Macht, es zu überwinden!

Bild: flikr