Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde uns im Dezember noch vor der Omikron-Wand zugeschickt. Auch wenn einige Stellen nicht mehr aktuell sind, wollen wir euch diesen Einblick ins Arbeitsleben während der Pandemie nicht vorenthalten. Mit Sicherheit haben sich die im Bericht geschilderten Tendenzen seither nur weiter verschärft.

Seit der Zeitumstellung ist es nicht ganz so dunkel, wenn ich morgens zur Arbeit ins Testzentrum fahre. Zwei getrennte Schlangen erwarten mich bei meiner frühmorgendlichen Ankunft: eine für symptomatische Menschen oder für die, die mit Positiv-Getesteten Kontakt hatten, und eine zweite für die, die das Zertifikat brauchen und den Test selber bezahlen. In den vergangenen Monaten spiegelte sich die COVID-Situation der Schweiz in der sich ständig verändernden Länge dieser zwei Schlangen wie in einem Krisen-Barometer.

Als die Antigen-Schnelltests mit Zertifikat noch kostenfrei und die Fallzahlen relativ niedrig waren, testeten wir den ganzen Tag ununterbrochen und die Zertifikat-Schlange schien einfach kein Ende zu nehmen. Das neue Preisschild der Schnelltests hat diese Dynamik abgebremst und es ging einige Zeit ruhiger zu. Dafür waren die, die das Zertifikat trotzdem brauchten und den Test selber zahlen mussten, umso gereizter. Dann stiegen die Fallzahlen wieder und sind inzwischen so hoch, dass die symptomatische Schlange oftmals doppelt so lang ist und wir abends oft Menschen wegschicken müssen, die vielleicht positiv sind.

Eines war dabei immer konstant: Das ständige Motzen von allen Seiten. Die Menschen sind unzufrieden, weil sie (mittlerweile in der Kälte) warten müssen, weil sie den Test unangenehm finden (dabei werden sie zum Teil auch handgreiflich), oder weil sie sowieso nicht an Corona oder an das Testen glauben und von Grund auf alles unnötig finden. Der Spalt, der sich aufgrund der Pandemie und der Massnahmen des Bundes durch die Bevölkerung zieht, klafft auch in meinem Testzimmer. Die, die nicht geimpft sind, regen sich über die Massnahmen auf, die ihnen die Freiheiten im öffentlichen Raum einschränken. Die, die geimpft sind, regen sich über die Ungeimpften auf, in der Überzeugung, diese würden die Pandemiebekämpfung verhindern. Alle sind müde, verängstigt, unzufrieden, und in mir spalten sich die Gemüter.

Zum einen habe ich wie viele andere Angst, mich anzustecken und vielleicht dabei meine Verwandten in Gefahr zu bringen. Wenn man den ganzen Tag mit potenziell positiven Menschen in Kontakt ist, ist es fast unvermeidbar, dass die scheinbare Rücksichtslosigkeit der Ungeimpften einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Zum anderen komme ich trotz allem ein wenig aus der Fassung, denn wenn man mit so vielen – und vor Allem so vielen unterschiedlichen – unzufriedenen Menschen konfrontiert wird, die offenbar falsch oder nicht genug informiert sind und nicht von der Impfung überzeugt wurden, obwohl sie mit grösster Wahrscheinlichkeit Impfungen generell noch nie in Frage gestellt haben, kommt man fast nicht um die Erkenntnis herum, dass hier gesamtgesellschaftlich etwas ganz arg schief gelaufen ist. Die gescheiterte Impfkampagne bringt den Vertrauensverlust in die Regierung an die Oberfläche, der schon seit Jahrzehnten den steten Untergang des Kapitalismus begleitet.

Die Arbeit selber ist sehr monoton und hirntötend. Obwohl es durchaus auch andere Aufgabenbereiche gibt, ausser dem Testen selber – das Beantworten des Telefons, das Überprüfen von Patienteninformationen von vergangenen Tests und andere administrative Arbeit – bin ich fast nie mit etwas anderem beschäftigt. In meiner 10-Stunden-Schicht teste ich hunderte von Menschen und zirkle dabei durch immer gleiche Bewegungen, Floskeln, Informationen und gezwungene Lächeln. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich während dem Sprechen gar nicht mehr richtig zuhöre, was ich überhaupt am Sagen bin. Schon an meinem zweiten oder dritten Arbeitstag kam ich mir selber fremd vor. Die Person, die die Menschen treffen, wenn sie von mir getestet werden, bin nicht ich. Ich fühle mich meines Seins beraubt, und wenn ich endlich wieder zuhause ankomme, fühle ich mich unangenehm unrein und muss mich fast zwangsläufig waschen.