Was machst du tagtäglich? Wie sieht dein Tagesablauf aus? Was gefällt dir an deiner Arbeit? Was eher nicht? Wenn du also Lust hast, über deine Arbeit zu schreiben, melde dich bitte bei uns unter redaktion@derfunke.ch. Wir freuen uns auf deinen Beitrag!

Medizinstudierende müssen in der zweiten Hälfte des Studiums mehrere Praktika absolvieren. Indem wir jeweils einen Monat in der Chirurgie, Kinderheilkunde, Psychiatrie und weiteren Disziplinen verbringen, festigen wir die erlernte Theorie und sammeln erste praktische Erfahrungen. In den Praktika erhalten wir die Rolle der UnterassistentInnen. Das bedeutet, dass wir nicht nur von der Seitenlinie die Action verfolgen, sondern auch selber Verantwortung zeigen müssen. Wir nehmen die neuen PatientInnen auf, schreiben Berichte und organisieren diagnostische Massnahmen, wie Ultraschalluntersuchungen, und helfen so den AssistenzärztInnen bei ihrer Arbeit.

Dauerstress im Krankenhaus
Durch die enge Zusammenarbeit mit den AssistenzärztInnen und dem Pflegepersonal erhalten wir einen einzigartigen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Der tägliche Stress der Angestellten fällt sofort auf. Die jungen ÄrztInnen verbringen regelmässig über zehn Stunden im Krankenhaus, da in der eingeplanten Dienstzeit keine Minute für den eintönigen Papierkram reinpasst. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis Wichtiges vergessen geht.

In diesem dauerhaften Stresszustand führt bei manchen ÄrztInnen die kleinste Verzögerung oder der winzigste Fehler zu Wutausbrüchen. Die Schuld für den entsetzlich langen Arbeitstag und für den Stress wird oft mal auf die Mitarbeitenden abgeschoben. Das führt schnell zu einer gewissen Feindlichkeit zwischen den ÄrztInnen und der Pflege: Es scheint für ÄrztInnen einfacher zu sein, Pflegende zu beschuldigen als andere ÄrztInnen – und umgekehrt.

In der Arbeitswelt des Krankenhauses dünkt die gegenseitige Solidarität unter den Berufsklassen unmöglich zu sein, weil jeder Akt von Solidarität mit einer kürzeren Mittagspause oder späterem Feierabend bestraft wird. Anstatt die eigentliche Ursache der Probleme beim Personalmangel und in der Ineffizienz des Gesundheitswesens zu suchen, wendet sich der Frust gegen die Mitarbeitenden v.a. anderer Berufe.

Profitmotiv auf Kosten der Gesundheit
Ein grosser Teil meiner Motivation für das Medizinstudium war, dass man als Arzt seinen Mitmenschen helfen kann. Ich stellte mir eine sinnvolle Tätigkeit vor, die zum Allgemeinwohl der Gesellschaft beiträgt. Diese innere Motivation der Angestellten wird in unserem Gesundheitssystem völlig missachtet und zunehmend vom Profitzweck missbraucht. Nicht die Qualität der Behandlung oder das Wohlergehen der PatientInnen, sondern nur die schwarzen Zahlen am Ende des Finanzberichts definieren den Erfolg eines Krankenhauses.

Sparmassnahmen und «Rationalisierungen» im Gesundheitswesen treffen nicht nur die verletzlichsten Schichten der Bevölkerung, sondern auch die Lohnabhängigen im Gesundheitssektor. Laut der «Berner Zeitung» diskutiert die Direktion der Insel-Gruppe – eine Aktiengesellschaft, der Anbieter meines Praktikums und das grösste Spitalnetz der Schweiz mit 10’750 Angestellten – mittelfristig bis zu 700 Arbeitsplätze abzubauen. Dies würde natürlich den erdrückenden Arbeitsstress noch erhöhen und somit auch die Qualität der Gesundheitsversorgung weiter verschlechtern.

Das Perfide unserer Gesellschaft kommt hier klar zur Geltung: Um Profite für den Verwaltungsrat und die Aktionäre zu erzielen und den ChefärztInnen Löhne teilweise in Millionenhöhe auszuzahlen, werden Menschenleben in Gefahr gesetzt. So müssen ÄrztInnen, die bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten und deswegen unter chronischem Schlafmangel leiden, lebenswichtige Entscheidungen treffen und anspruchsvollste Operationen durchführen. Im Alltag der ÄrztInnen rückt das Zwischen-menschliche oft in den Hintergrund. Wenn die Aufgaben und Verantwortungen sich überhäufen, ist dies oft das Erste, was vernachlässigt wird. Auch wenn die Medizin dem Profitmotiv gehorcht, scheint mir die Arbeit nach wie vor erfüllend, da sie offensichtlich zum Allgemeinwohl der Gesellschaft beiträgt. Das riesige Potenzial zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Behandlungen lässt sich aber leider nicht im Kapitalismus verwirklichen.