In Genf sollen allen Staatsangestellten die Löhne gekürzt werden. Dies ist nicht nur ein Angriff gegen sie, sondern bereitet den Boden für weitere Angriffe in der ganzen Schweiz. Um diese abzuwehren, braucht die ArbeiterInnenbewegung ein konsequentes Programm gegen Sparmassnahmen.

«Von März bis Juni hat man uns applaudiert, jetzt kürzen sie uns die Löhne», schreit eine Pflegerin erzürnt ins Mikrofon am Genfer Place Neuve, wo sich am 15. Oktober 6000 öffentliche Angestellte, vor allem LehrerInnen und Pflegepersonal, versammeln. Die Menge applaudiert, alle teilen ihre Wut. Wut gegen den Genfer Staatsrat, der allen Staatsangestellten über die nächsten vier Jahre die Löhne um 6-9% kürzen will. Dies trifft insbesondere die Angestellten des kantonalen Spitalverbands HUG. Seit Beginn der COVID-Pandemie schieben sie regelmässige 60-Stundenschichten. Jetzt ist die zweite Welle da und die PflegerInnen sind erschöpft und überarbeitet. Ebenso die LehrerInnen, deren Schulklassen in den letzten Jahren kontinuierlich vergrössert wurden, ohne das bitter nötige Lehrpersonal zu erhöhen. Sie alle haben die Schnauze voll von Sparmassnahmen auf ihrem Rücken.

Warum wird gespart?

Sparmassnahmen sind nichts Neues. Seit 2008 befindet sich der Kapitalismus in einer tiefen systemischen Krise, die Profite stehen unter Druck. Die kapitalistischen Staaten unternehmen alles Mögliche, um die Profitbedingungen ihrer Kapitalisten zu verbessern, etwa mit Steuersenkungen für Unternehmen. Dies darf dann von den Lohnabhängigen ausgebadet werden, durch Kürzungen des Sozialstaats, des Gesundheits- und Bildungssystems, oder eben direkten Angriffen auf Löhnen und Arbeitsbedingungen des öffentlichen Personals. Die Perspektive für die kommenden Jahre hat sich mit der COVID-Krise noch einmal verdüstert: Die Milliarden, welche Bund und Kantone zur «Rettung der Wirtschaft» in die Hand genommen haben, müssen wieder eingespart werden. Ueli Maurer kündigte für 2021 «schmerzhafte Sparmassnahmen» auf Bundesebene an, ebenso diverse Finanzminister in anderen Kantonen.  Die Schweizer Bourgeoisie beobachtet genau die Reaktionen des Genfer Staatspersonals, welches schweizweit wahrscheinlich am besten organisiert ist: Wenn es den Bürgerlichen hier gelingt, harte Sparmassnahmen durchzuprügeln, dann wird das auch in den anderen Kantonen gehen. Die Gewerkschaft VPOD hat dies gut erkannt. Sie unterstützt den Genfer Streik mit der nationalen Streikkasse und gibt ihm somit eine hohe Priorität für alle Staatsangestellten in der Schweiz.    

Mut zum Kampf

Aber wie dagegen kämpfen? Eine erste Antwort haben die Staatsangestellten an einer Versammlung vom 6. Oktober selbst gegeben: Streik! Gewerkschaftsfunktionäre, welche vom Streik abrieten und stattdessen ein Referendum gegen das Budget bevorzugt hätten, wurden von den 500 Versammelten ausgebuht. An Kampfbereitschaft mangelt es also nicht. Mehrfach wurde der Streik vom November 2015 in Redemeldungen als Beispiel hinzugezogen. Damals konnten fast 30’000 Angestellte in einem mehrtägigen Streik die Lohnkürzungen der öffentlichen Angestellten abwehren. Eine erste wichtige Schlussfolgerung wurde von den Streikenden also bereits gezogen: Nur der Kampf kann Sparmassnahmen verhindern. Die Frage ist nur: wie nachhaltig? Selbst mit diesem historischen Streik von 2015 konnten Sparmassnahmen nur kurzfristig zurückgeschlagen werden. In den Budgets von 2016 bis 2019 wurden sie durch die Hintertür wieder hineingeschmuggelt. Jeder Sieg bleibt in der aktuellen Krise höchstens temporär. Entscheidend ist, ob im Kampf neue Lohnabhängige vom Kampf überzeugt werden und sich organisieren. Dazu muss auch der jetzige Streik in erster Linie genutzt werden, denn neue Angriffe werden so sicher kommen wie das Amen in der Kirche. 

Organisieren statt verhandeln!

Dazu brauchen die Gewerkschaften aber ein Programm, welches konsequent die kategorische Ablehnung aller Sparmassnahmen in den Mittelpunkt stellt. Noch sind sie in der Illusion gefangen, mit den Regierungen einen ausgewogenen Kompromiss aushandeln zu können. Wir können die bürgerlichen Regierungen aber nicht in Verhandlungen davon überzeugen, dass Sparmassnahmen «schlecht für die Wirtschaft» sind. Für die Kapitalisten gibt es in der Krise keine Alternative als Sparen, es sei denn, man häuft neue Schulden an. Dies würde die Sparmassnahmen aber lediglich in die Zukunft verschieben. Das ist keine «Alternative», mit der man Vertrauen unter den Lohnabhängigen gewinnt. Wir müssen von der Defensive in die Offensive übergehen: Wir bezahlen diese Krise nicht, die Kapitalisten sollen bezahlen. Das Geld ist da, es ist lediglich bei einer kleinen, steinreichen Klasse angehäuft. Ein ausgebautes Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem, gute Löhne und würdige Arbeitsbedingungen könnten sofort gesichert werden, wenn wir die Banken und Grosskonzerne vergesellschaften und die Reichen und Unternehmen richtig besteuern. Kurz: heute die Löhne und Arbeitsbedingungen des öffentlichen Personals verteidigen ist nur möglich, wenn wir mit der Profitlogik brechen. Wir brauchen dringend eine politische Kraft, welche dieses Programm ohne Wenn und Aber in der gesamten Arbeiterbewegung verteidigt!