[dropcap]A[/dropcap]m 8. Dezember findet in St. Gallen eine Delegierteversammlung der JUSO statt. Dort wird ein Positionspapier zum Freihandel diskutiert. Dieses findet ihr hier.
UnterstützerInnen der marxistischen Strömung haben an das Positionspapier einen Rückweisungsantrag gestellt. Dieser wird während der Versammlung verteidigt.

Das von der GL vorgeschlagene Positionspapier zum “Freihandel” ist nationalistisch und schürt Illusionen in den Staat der KapitalistInnen. Die vorgeschlagenen Alternativen liegen dementsprechend alle im Rahmen des kapitalistischen Systems. Hinzu kommt, dass die brennende Aktualität bezüglich dieses Themas – der drohende Handelskrieg – völlig abwesend ist. Mit einzelnen Anträgen könnten diese verheerenden Mängel nicht ausreichend aufgezeigt und noch weniger korrigiert werden. Somit ist dieser Rückweisungsantrag notwendig.

Wir möchten an dieser Stelle versuchen, unsere drei Hauptkritikpunkte zusammenzufassen:

  1. Nationalismus

An zahlreichen Stellen wird etwa die “nationalstaatliche und politisch-demokratische Kontrolle” (Z. 14), der “Schutz von inländischen Wirtschaftsbereichen von auswärtigen Wirtschaftsakteur*innen” (Z. 156), “Schutzmassnahmen für die eigene Volkswirtschaft” (Z. 108) oder die “staatliche Souveränität in Sachen nationaler Wirtschaftspolitik” (Z. 109) gefordert.

Damit verteidigt die GL eines der reaktionärsten Elemente der kapitalistischen Ordnung: den Nationalstaat. Zunächst einmal bedeutet die Verteidigung der “eigenen Volkswirtschaft” und der “nationalen Wirtschaftspolitik” immer eine Verschleierung der Klassengegensätze: Unter dem Kapitalismus richtet sich jede Volkswirtschaft nach den Interessen der KapitalistInnenklasse, die ihre Profite auf Kosten der Lohnabhängigen und Jungen verbuchen. Auch die “sogenannten ‘Entwicklungsländer’” haben gemäss der GL ein einheitliches Interesse: Diese sollen nämlich einerseits durch Handelshemmnisse, andererseits durch Verhandlungen verteidigt werden. Doch die GL verkennt völlig, dass auch “Entwicklungsländer” in Klassen gespalten sind, die gegensätzliche Interessen vertreten. Kurz: Durch die Verteidigung des Nationalstaates verhindert die GL eine Analyse und schliesslich Lösungen, welche die internationale ArbeiterInnenklasse in ihrer Ganzheit verteidigt.

Der Nationalstaat, wie wir ihn heute verstehen, wurde mit der Entwicklung des Kapitalismus aus dem Feudalismus gegründet, sehr oft auf willkürliche Weise (siehe beispielsweise die afrikanischen Grenzen). Heute ist der Nationalstaat ein Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte, da er beispielsweise zu Wettbewerb zwischen den Staaten und Einwanderungskontrollen führt. Er wirkt auch als Hemmschuh für die Entwicklung der menschlichen Kultur, indem er einen giftigen Nationalismus fördert, die freie Niederlassung der Menschen und die Vermischung ihrer Kulturen einschränkt.

Die Schaffung von Freihandelszonen, wie der Europäischen Union, ist ein Eingeständnis der Bourgeoisie, dass die wirtschaftliche Entwicklung im Kapitalismus den Abbau nationaler Schranken erfordert;  und zum Beispiel die gegenwärtige Krise der Eurozone ist ein Beweis dafür, dass die Aufhebung nationaler Barrieren im Kapitalismus unmöglich ist.

Der Sozialismus hingegen ist ein System, das die ArbeiterInnenklasse über die Grenzen hinweg vereint und nationale Barrieren und den Wettbewerb zwischen den Staaten niederreisst. Das bedeutet nicht die Zerstörung lokaler Unterschiede und Kulturen – die Vereinigung verschiedener Regionen innerhalb eines Staates im Sozialismus würde ihre Individualität nicht zerstören; sie zerstört einfach die künstliche Steuer, die Migration und andere Barrieren zwischen den Menschen. Insofern bedeutet Internationalismus, Hindernisse für die Zusammenarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität zu beseitigen.

Mit ihrem Positionspapier bleibt die GL gänzlich im Rahmen des kapitalistischen Systems. Wer den Nationalstaat stützt, stellt sich gegen den Sozialismus! Aus diesem Grund können wir als JungsozialistInnen auf keinen Fall einem solchen Positionspapier zustimmen.

  1. Staatsgläubigkeit und Stellvertreterpolitik

In diesem zweiten Punkt kritisieren wir, dass für die GL die Lösungen ausschliesslich in den Mechanismen des bürgerlichen Staates liegen. Dafür steht der Satz in  Zeile 24 symbolisch: “Zölle, Importquoten oder minimale Herstellungsbedingungen in Sachen Arbeit und Umweltnormen wären dabei Mittel, um diese internationalen Handelsaustäusche zu kontrollieren.” Dabei begeht die GL zwei entscheidende Fehler:

Erstens, die GL geht dem bürgerlichen und reformistischen Märchen des neutralen Staates auf den Leim. Die Hauptaufgabe des Staates liegt in der Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung. Der bürgerliche Staat verteidigt also die bürgerliche Ordnung. In der Folge sind die kapitalistischen Interessen tausendfach mit dem Apparat des bürgerlichen Staates verschränkt. Dies hat klare Konsequenzen für die “Lösungsvorschläge” der GL: An verschiedenen Stellen wird beispielsweise gefordert, dass der Import kontrolliert oder Normen geschaffen werden sollen. Doch wie zuvor gesagt, sind die Mechanismen des bürgerlichen Staates wie Importzölle oder Normen in letzter Instanz unter der Kontrolle der KapitalistInnen.

Natürlich können auch im bürgerlichen Staat Massnahmen durchgesetzt werden, die gegen die Interessen der KapitalistInnen gehen. Doch diese müssen erkämpft werden und zwar durch die Massen der arbeitenden und jungen Menschen. Dies führt direkt zum zweiten Punkt:

Im ganzen Positionspapier der GL fehlt jeglicher Ansatz, wie die ArbeiterInnenklasse und die Jugend gegen den durch die KapitalistInnen kontrollierten, zerstörerischen Handel organisiert werden könnte. Dies ist eine direkte Folge der blinden Staatsgläubigkeit der GL: Der Kampf gegen die kapitalistischen Interessen wird gänzlich in den bürgerlichen Staat hineinverlagert. Somit ersetzen ParlamentarierInnen, welche über Zölle und Normen verhandeln, die Jungen und Lohnabhängigen, welche für ihre Lebensbedingungen einstehen.

Dies ist reinste reformistische Stellvertreterpolitik! Auch hier bleibt die GL gänzlich im Rahmen des Kapitalismus, denn mit Stellvertreterpolitik wird kein System überwunden. Aus diesem Grund können wir als JungsozialistInnen auf keinen Fall einem solchen Positionspapier zustimmen.

  1. Aktualität

Zuletzt ist für uns klar: ein solches theoretisches Papier muss sich immer an den realen Begebenheiten und der Aktualität orientieren. Wer momentan zu Handelspolitik schreibt, kommt nicht darum herum, den zunehmenden Protektionismus – vor allem der USA – zu thematisieren. Dennoch schafft es die GL, mit keinem Wort darauf einzugehen. Noch schlimmer, in Zeile 124 behauptet die GL, dass “Heutzutage die Kapitalist*innenklasse volles Interesse daran (hat), einen ungezügelten Freihandel zu unterstützen”. Das schrammt brutal an der Aktualität vorbei.

Jahrzehntelang wuchs der Welthandel viel schneller als die Produktion und lieferte die treibende Kraft für das Wachstum der Weltwirtschaft. In der letzten Zeit hat sich das Wachstum des Welthandels jedoch auf ein niedrigeres Niveau als das Wachstum des BIP verlangsamt. Der Welthandel in Prozent des BIP erreichte in den Jahren 2008 und 2011 zweimal den Höchststand von 61%, ist aber seither im Sinkflug (Quelle: Weltbank).

Ob protektionistische Massnahmen getroffen werden oder der Freihandel gefördert und gefordert, ist keine Entscheidung die die Staaten unabhängig von ihrer reellen ökonomischen Situation treffen. Zurzeit herrscht weltweit eine Situation der Überkapazität. Nicht nur, dass Produziertes nicht mehr abgesetzt werden kann, aber ein grosser Teil der Anlagen weltweit kann aufgrund der fehlenden Absatzmärkte (sprich: Überproduktion) nicht mehr voll ausgelastet werden. So soll der Protektionismus der USA dafür sorgen, die Profite der US-amerikanischen Kapitalisten im Binnenmarkt zu sichern – und nicht etwa die Lohnabhängigen vor Entlassung schützen.

Wir unterstützen weder Freihandel noch Protektionismus, denn beide werden lediglich im Interesse der Herrschenden unterschiedlich angewandt. Das gegenwärtige Aufkommen des Protektionismus ist Teil der weltweiten Wirtschaftskrise. Doch gleichzeitig führt er direkt in die nächste Krise: Ein Handelskrieg könnte zu einem deutlichen Rückgang des Handelsvolumens führen, der die Weltwirtschaft in eine besonders schwere Rezession stürzen würde. Ein solcher protektionistischer Anstieg würde vor allem auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Dem setzen wir die konsequente Verteidigung der Interessen der internationalen ArbeiterInnenklasse entgegen.

Ob Protektionismus oder Freihandel – wir SozialistInnen betrachten diese Phänomene nie isoliert von der herrschenden Realität! Deshalb gilt es dieses Positionspapier abzulehnen.