Dieser Artikel erschien bereits am 12. September. In Anbetracht des Wahlesultats und der Diskussion über die politische Ausrichtung der SP behält er aber seine Aktualität.

Bei den Wahlen im kommenden Oktober besteht die realistische Gefahr, dass SVP und FDP gemeinsam eine absolute Mehrheit an Sitzen im Nationalrat bekommen könnten. Um dies zu verhindern, geht die SP in den Kantonen Luzern und Graubünden neben den Grünen auch Listenverbindungen mit der GLP ein. Auch wenn es dabei um reine Zweckbündnisse geht, kann diese Strategie längerfristig üble Folgen für die SozialdemokratInnen haben.

"Elefantenrunde" © Wochenblatt

Eine bedrückte Stimmung herrscht am Abend des 14. August im Contenti in Luzern. Soeben hat die kantonale Delegiertenversammlung der SP mit 40:1 Stimmen entschieden, mit der GLP eine Listenverbindung für die kommenden Nationalratswahlen einzugehen. Niemand scheint darüber wirklich glücklich zu sein, aber es müsse eben sein, da die GLP sonst, bei demselben Resultat wie vor vier Jahren, ihren Sitz an die SVP verlieren würde. Da zusätzlich auch die Chancen auf einen zweiten Sitz der SP leicht steigen, übertönen die Delegierten ihr mulmiges Bauchgefühl, gehen eine Allianz ein, für die politische Gemeinsamkeiten kaum vorhanden sind und versuchen anschliessend, bei einer Bratwurst den bitteren Nachgeschmack mit einem Schluck Bier herunterzuspülen.

 

Neoliberaler Einheitsbrei und Politikverdrossenheit

Wie vielerorts wird die politische Agenda im Kanton Luzern seit Jahren von der desolaten Finanzlage, verursacht durch zahlreiche Steuersenkungen, wie der Halbierung (!) der Unternehmensgewinnsteuer, bestimmt. Jahr für Jahr wiederholt sich derselbe Zirkus: Die Kantonsregierung und die bürgerliche Mehrheit im Parlament sparen an allen Ecken und Enden. Die linke Gegenwehr beschränkt sich indessen darauf, zu betonen, dass ein gutes Bildungssystem für einen Wirtschaftsstandort langfristig wichtiger sei, als tiefe Steuern, zu mahnen, dass es doch unmoralisch sei, bei der Behindertenbetreuung Einsparungen vorzunehmen und zu fordern, dass die Steuererleichterungen für die wohlhabenden Gesellschaftsschichten teilweise rückgängig gemacht werden.

Die SP weigert sich auszusprechen, was diese Steuerpolitik und die damit verbundenen Sparmassnahmen eigentlich sind: ein direkter Angriff auf die ArbeiterInnenklasse durch die Besitzenden und ihre politischen VertreterInnen; ein Ausdruck dafür, dass der Kapitalismus langsam aber sicher in sein Endstadium übergeht, in dem sich Konkurrenzkämpfe auf allen Stufen verhärten und Zugeständnisse an die Schwächeren der Gesellschaft nicht mehr möglich sind. Sie ist nicht bereit, Alternativen zur profitorientierten Marktwirtschaft, welche unweigerlich zu dieser Art von Austeritätspolitik führen muss, zu vertreten.

 

Die SP muss mit den Bürgerlichen brechen

Die alternativlose Abbaupolitik führt indessen zu einer ansteigenden Verdrossenheit und Desinteresse gegenüber der Politik im Allgemeinen. Bei den kantonalen Parlaments- und Regierungswahlen im vergangenen Frühling lag die Stimmbeteiligung zum ersten Mal unter 40 Prozent, gleichzeitig wurde die SP nach jahrzehntelanger Vertretung aus der Regierung abgewählt. Auffallend ist dabei, dass in den linken, alternativen Quartieren der Stadt Luzern die Stimmbeteiligung am tiefsten war, während sie in kleinen, erzkonservativen Gemeinden auf dem Land teilweise über 70 Prozent lag. Die SP schafft es also offensichtlich nicht, ihre potentiellen WählerInnen an die Urne zu bringen.

Wenn die SP diese verdrossenen Leute abholen möchte, muss sie damit aufhören, sich Richtung Mitte zu orientieren und aus dem bürgerlichen Politsumpf ausbrechen. Indem sie Listenverbindungen mit der GLP eingeht, tut sie aber genau das Gegenteil. Der Plan mag vielleicht bei den kommenden Wahlen aufgehen, längerfristig wird die Linke mit solchen Manövern aber immer mehr in den Einheitsbrei der Politik geknetet. Für GenossInnen mag dabei durchaus klar sein, dass es sich bei dieser Verbindung um reine Wahltaktik handelt und nicht um eine politische Annäherung, wenn aber auf jedem Wahlzettel steht, dass man gemeinsam zur Wahl antritt, hat dies eine andere Signalwirkung.

Die Empörten sind da, doch die SP zeigt zu wenig Präsenz. Wenn sich beispielsweise die LehrerInnen versammeln, um gegen Sparmassnahmen im Bildungsbereich zu demonstrieren, so sind zwar einige SP-Mitglieder da, die Fahnen verstauben aber indessen im Sekretariat. Wenn es hoch kommt, werden vielleicht ein paar Unterschriften für eine Initiative gesammelt, zum Thema passende Propagandaschriften sucht man aber vergeblich. Die JUSO ist bei solchen Demonstrationen jeweils mit ein paar Fahnen dabei, hält sich aber bei ihrem eigentlichen Zielpublikum zurück: 2013 protestierten 500 SchülerInnen gegen den Bildungsabbau, 2012 waren es gar 1500. Das Komitee „Lernende gegen die Sparwut“, welche diese Kundgebungen organisierte, war und ist zu einem starken Teil durch die JUSO geprägt. Diese weigert sich jedoch, in Absprache mit anderen Jungparteien, offen auf diesen Demonstrationen aufzutreten, mit der Begründung, man wolle keine Parteipolitik über Sachpolitik stellen. Es ist wohl kaum nötig zu erwähnen, dass diese Kundgebungen zwar ein schönes Zeichen waren, realpolitisch aber wenig bis gar nichts bewirkten. Indessen hat die JUSO die Chance verpasst, die empörten Massen zu radikalisieren und davon zu überzeugen, dass die Sparmassnahmen nur Teil eines grösseren Ganzen sind, eines Klassenkampfes.

 

Listenverbindungen sind mehr als Rechnerei

Ein Beispiel dafür, welchen politischen Gehalt Listenverbindungen haben können, findet sich ebenfalls im Kanton Luzern. Zum ersten Mal gehen CVP und FDP bei den kommenden Wahlen eine Verbindung ein. Trotz intensiver Gespräche kam es vor vier Jahren, aufgrund zu starker politischer Differenzen, nicht dazu, und das obwohl die beiden Parteien seit Jahren gut zusammenarbeiten und viele ländliche Gemeinden gemeinsam regieren. Politische Gemeinsamkeiten und Zusammenarbeit bestehen zwischen SP und GLP hingegen nur im städtischen Parlament. Hier unterstützt die Partei immer wieder linke Vorstösse, wenn es etwa um Ökologie oder Wohnqualität geht. Gleichzeitig lässt sie sich aber auch gerne von den Bürgerlichen für Sparmassnahmen im Bildungsbereich einsetzen. Blickt man hingegen auf die kantonale Ebene, so ist es schwierig, Abstimmungen zu finde, in der die GLP die Linke unterstützt.

Die SP scheint indessen vergessen zu haben, mit welcher Sorge viele GenossInnen auf die Gründung der GLP reagiert haben, welche Erleichterung nach den Wahlen herrschte, als klar war, dass die WählerInnen diese neue Partei nicht für eine soziale Alternative hielten und sie ihre Stimmen grösstenteils vom bürgerlichen Lager gewann. Vier Jahre später ist man drauf und dran, die Grünliberalen nun doch als eine solche Alternative hinzustellen. Die SP fördert damit auch aktiv das Image, dass es ihr hauptsächlich um Posten und Sitze und nicht um politische Veränderungen gehe.

 

Energiewende und Widmer-Schlumpf

In grundsätzlichen Fragen ist die GLP eine bürgerliche Partei wie jede andere auch. Sie stellt sich in Bund und Kantonen hinter die Austeritätspolitik, macht munter mit beim Abbau von Sozialwerken und der Privatisierung des Service Publique, und unterstützt eine regressive Migrationspolitik; bei der Abschaffung des Botschaftsasyls war sie an vorderster Front mit dabei und unterstützte sogar als einzige Partei die Forderung der Zürcher SVP nach einer speziellen Kennzeichnung in den Pässen eingebürgerter SchweizerInnen. Ihre BündnispartnerInnen wählt sie je nach dem, woher gerade der Wind weht. Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei, wie vor vier Jahren in Luzern, um EVP handelt oder aktuell in Zürich den Ecopop-Verein; wer auch immer sich als SteigbügelhalterIn anbietet, mit dem wird zusammengearbeitet, ungeachtet der politischen Positionen. Die Projekte, welche GLP und SP aktuell gemeinsam haben, sind zum einen der Ausstieg aus der Atom- und Umstieg auf erneuerbare Energien und zum andern die Wiederwahl von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Die Energiewende ist grundsätzlich eine gute Sache. Voraussichtlich wird es aber darauf hinauslaufen, dass die grossen Stromkonzerne dafür mit Steuergeldern belohnt werden, während die Strompreise für private Verbraucher steigen, was nicht das Ziel einer linken Politik sein darf. Ob es sich wirklich lohnt, dafür und für die Wiederwahl einer bürgerlich-konservativen Bundesrätin Allianzen mit einer Partei einzugehen, die eine menschenverachtende Asylpolitik und ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem nicht nur mitträgt, sondern aktiv fördert, ist mehr als fraglich. Die Abwahl Widmer-Schlumpfs durch eine rechte Mehrheit ist im Übrigen alles andere als gesichert. Die FDP liess bereits verlauten, man werde nur dann die SVP-Kandidatur unterstützen, wenn diese eine Person aufstellt, welche für eine offene Aussenpolitik einsteht und den bilateralen Weg mit der EU weitergehen möchte. Die Geschichte zeigt allerdings, dass solche BundesrätInnen für gewöhnlich nach ihrer Wahl aus der SVP ausgeschlossen werden.

Solche „einmaligen Ausnahmen“ können zudem schnell zur Gewohnheit werden. Es ist gut möglich, dass sich die Ausgangslage vor den Wahlen in vier Jahren gegenüber heute nicht gross verändern wird. Wird die SP dann wieder gleich vorgehen? Was machen wir, wenn dann die CVP Hilfe braucht, um ihre Sitze gegen die SVP zu verteidigen? Ein weiterer Schritt wäre es für die SP dann sicher nicht mehr, auch hier eine Listenverbindung einzugehen.

 

Rechte Mehrheit anders verhindern

Eine rechte Mehrheit aus SVP und FDP kann natürlich nicht das Ziel der Linken sein. Statt wahltaktische Manöver zu veranstalten, sollte sich die SP aber fragen, was sie in der Zeit zwischen den Wahlen falsch gemacht hat. Sie muss damit aufhören, in der Öffentlichkeit einen reinen Verteidigungskampf zu führen und sich im Parlament mit Kleinigkeiten abspeisen zu lassen. In der Flüchtlingsfrage mit wirtschaftlichen Interessen zu argumentieren ist genauso schädlich, wie anständige Löhne auf rein moralischer Basis zu diskutieren. Die Mindestlohninitiative ist ein gutes Beispiel für eine Chance, die SP und Gewerkschaften verpasst haben. Unsere GegnerInnen haben uns reihenweise Vorlagen geliefert, um das kapitalistische System zu kritisieren. Doch statt klarzustellen, dass das System der Fehler ist, wenn wichtige Betriebe nicht in der Lage sind, ihre Angestellten ordentlich zu entlohnen, weicht die SP aus und meint nur, dass dann schon Lösungen gefunden würden. So gewinnt man keine Abstimmungen – und Wahlen erst recht nicht.

 

Lukas Schumacher
JUSO Sursee / SP Ruswil