Der Bundesrat hat am Montag die «ausserordentliche Lage» ausgerufen und strengere Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie erlassen. Diesen muss natürlich strikt Folge geleistet werde. Doch die Massnahmen bleiben weiterhin völlig ungenügend. Wenn Bundesrat und Arbeitgeber uns nicht schützen, müssen wir es selber tun!

Die Pandemie macht die Gesundheitsversorgung zum zentralen Schauplatz. Nach Jahrzehnten der Sparmassnahmen, der Bettenreduktion und Personaleinsparungen ist es eine Frage von Tagen, bis die Kapazitätsgrenze in den Spitälern erreicht sind. Gerade für Fälle, welche eine Intensivbetreuung benötigen.

Die Lohnabhängigen verstehen instinktiv, dass die Ausbreitung des Virus nur gemeinsam eingedämmt werden kann. Dies führte zu einer spontanen Solidaritätswelle. Nachbarschaftshilfen spriessen überall aus dem Boden und es werden öffentliche Applause für das Gesundheitspersonal organisiert. Wir unterstützen solche Initiativen. Die Situation als eine Notlage für die ganze Gesellschaft zu sehen ist korrekt. 

Doch bei aller Solidarität darf die Scheinheiligkeit nicht vergessen werden, mit der die herrschende Klasse dieses Gefühl ausnutzt. Sie reden davon, die Krise «gemeinsam» und «solidarisch» zu lösen. Doch die Regierung und die Bosse haben in den letzten Tagen und Wochen wiederholt bewiesen, dass sie nichts anderes kennen als ihr Sonderinteresse. Dieses ist den Interessen der Arbeitenden klar entgegengesetzt. Die Kosten der Pandemie und der Krise werden nicht solidarisch getragen. Das Ziel der Besitzenden ist es, die Kosten einseitig auf die Lohnabähigen abzuschieben. Diese trifft es bereits heute direkt und hart. Nicht nur in den Pflegeberufen. Hunderttausende sehen sich mit Kurzarbeit, Lohnausfall oder Arbeitslosigkeit konfrontiert.

Die Massnahmen des Bundesrats haben zwei Ziele, welche sich gegenseitig ausschliessen. Einerseits das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu schützen und andererseits den Schaden für die Wirtschaft minimal zu halten. Griffige Massnahmen würden die Abschaltung ganzer Wirtschaftsbereiche und die Selbstisolation der Lohnabhängigen erfordern. Doch das schmerzt das Kapital. Indem der Bundesrat die meisten Sektoren weiter offen hält, gewichtet er Profit höher als Menschenleben.  

In dieser Situation publizierten die grossen Parteien, inklusive der SP, einen gemeinsamen Aufruf zum nationalen Schulterschluss hinter dem Bundesrat und seiner Krisenstrategie. 

In Zeiten, in denen die Regierung und Patrons Profit über Menschenleben stellen, darf kein Friedensabkommen mit den Parteien des Kapitals geschlossen werden. Die Unterstützung des Aufrufs zu einer geeinten Schweiz ist gefährlich, weil er die sich gegenüberstehenden Interessen verwischt. Mit dem Schulterschluss tappt die SP in die Falle und lässt sich von den Bürgerlichen instrumentalisieren. 

Geeinter Kampf oder nationale Einheit?

Die Schweiz ist das Land mit der zweithöchsten Dichte an infizierten Personen im Verhältnis zur Bevölkerung. Wieso wird nicht flächendeckend getestet? Wieso gibt es zu wenig Betten auf den Notfallstationen? Das hat gesellschaftliche Gründe: Sie heissen Kapitalismus, Sparmassnahmen und die bürgerliche Krisenpolitik. Während Jahrzehnten haben die Kapitalisten Betten weggekürzt und die Pflegendenschlüssel (Pflegende pro Patient) aufgeweicht, weil die Profite konsequent über das Wohl der Menschen gestellt wurden. 

Viele Pflegerinnen und Pfleger kennen die leeren Versprechen der Politik aus eigener Erfahrung. Das Personal vom Universitätsspital Lausanne erklärte bereits am letzten Freitag in einem Aufruf an die Regierung: «Wir werden unser Sozial- und Privatleben opfern, um die Menschen zu pflegen, die uns brauchen. Wir verstehen die Notwendigkeit und setzen uns dafür ein. Wir bitten Euch, uns den Respekt zu erwidern und auch uns gegenüber eine Verpflichtung einzugehen.» Danach fordern sie einen massiven Investitionsplan in die Spitäler, um im Normalfall unter zumutbaren Bedingungen pflegen zu können. Direkter spricht es Marta, eine Krankenpflegerin in Barcelona aus: «Der öffentliche Applaus war rührend. Doch was wir wirklich brauchen, ist weniger Applaus und mehr Demaskierung der schamlosen Profiteure, welche uns sogar noch abzocken, während wir uns hier abrackern!» 

Uns triffts mit voller Wucht

Die bundesrätlichen Schliessungen von Unterhaltungsangeboten, Restaurants und Läden haben ganze Sektoren lahmgelegt. Die Kapitalisten warten nicht und sind bereits jetzt daran, die Last der Situation voll auf den Buckel der Lohnabhängigen abzuladen. Sie suchen bereits heute jegliche Schlupflöcher, um den pandemiebetroffenen Lohnabhängigen keinen Lohn bezahlen zu müssen (die NZZ gibt dazu in einem Artikel genauen Rat). 

In den am meisten betroffenen Sektoren ist der Anteil unsicherer Arbeitsverhältnisse hoch. All jene im Stundenlohn, Temporärverträgen, ohne fixes Pensum, in der Probezeit, etc., sind mit dem sofortigen kompletten Lohnausfall konfrontiert.  Hunderte Klein- und Kleinstbetriebe stehen vor dem aus.

Wer Kurzarbeit machen muss, büsst «nur» 20% des Lohns ein. Das ist eine vorübergehende Lösung. Der Anteil Unternehmen, die Kurzarbeit beanspruchen, schnellt gerade in die Höhe: im Kanton Zürich alleine sind bis Dienstag bereits Gesuche von 2600 Betrieben eingegangen. Die acht Milliarden Soforthilfen decken höchstens drei Monate Kurzarbeit. Wenn die Arbeitslosenversicherung leer ist, werden wir garantiert erneut zur Kasse gebeten werden.

Doch das ist erst der Anfang. Die Zahlung von Mieten, Hypotheken, und Löhnen wird für viele Betriebe – bei ausbleibender Kundschaft und verspäteten Zahlungen – unmöglich werden und zu Hunderten von Konkursen führen. Das wird von Massenentlassungen begleitet sein. 

Für viele Lohnabhängige ist die finanzielle Situation bereits kritisch. Doch sie wird sich noch weiter zuspitzen. Das wird die politische Situation in naher Zukunft grundsätzlich verändern. Doch noch vor einem Ende des gesundheitlichen Ausnahmezustandes wird es zu grösseren Konfrontationen mit den Patrons und ihren Politikern kommen. Eine erste Eskalationswelle rollt seit Dienstagmorgen über alle noch offenen Baustellen, durchs Gewerbe, die Fabriken und die Läden.

Profit ist die Priorität des Bundesrats

Um die Ausbreitung des Virus radikal einzudämmen bräuchte es das radikale «social distancing», also das Herunterfahren aller nicht existenzieller Arbeiten und die Isolation der Angestellten zu Hause. Nur so könnte die Ansteckungsrate genug schnell gesenkt werden, um das Gesundheitssystem nicht kollabieren zu lassen. Doch für die Kapitalisten und den Bundesrat ist dies ein No-Go! «Die normalen Arbeitsprozesse sollen garantiert werden», wiederholte der SP-Bundesrat Berset gebetsmühlenartig. Die Aussage ist klar: Katastrophe hin oder her, der Rubel muss rollen. Profit ist das höchste Gebot. Die Wirtschaft darf nicht mehr als nötig belastet werden, gerade in Anbetracht der ökonomischen Rezession, die sich weltweit abzeichnet.. Deshalb muss die Mehrheit der Betriebe offen bleiben – auch wenn Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. 

Dies erklärt die heuchlerische Doppelmoral der Botschaft des Bundesrats:  Jasspartien sind per Verordnung verboten. In den Betrieben hingegen muss weitergearbeitet werden. 

Dass der Bundesrat alle nicht existenziellen Industrien und Sektoren am Laufen hält, ist ein enormes gesundheitliches Risiko. Pendelnde Büroangestellte, schwitzende Bauarbeiter und Verkäuferinnen im dicht gedrängten Lebensmittelladen erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung des Virus. Sie verbreiten es und stecken ihre Familien an. Mit dieser Gefahr sind Millionen Lohnabhängige konfrontiert.

Der Bundesrat fordert die Unternehmen auf, Distanz- und Hygieneregeln einzuhalten. Ohne klare Vorgaben, Kontrollmechanismen oder Konsequenzen. Wenig überraschend werden sie nirgends respektiert.

Es hat nicht 24 Stunden gedauert und die Gewerkschaften wurden mit Beschwerden überhäuft. Die Unia Genf gibt Beispiele von 80 Bauarbeitern auf einer Baustelle mit nur einem Toitoi-WC ohne Händedesinfizierer. Beim Uhren-Zulieferer Fiedler arbeitete die gesamte Belegschaft unverändert auf engstem Raum weiter. 30 cm trennen ihre Ellenbogen. Auf einer Baustelle am Flughafen Genf kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Der Bundesrat hat sich bewusst entschieden, die Interessen der Kapitalisten über diejenigen der Mehrheit der Bevölkerung zu stellen. Diese scheren sich keinen Deut um die Gesundheit ihrer Angestellten – und damit der Bekämpfung der Pandemie – wenn ihre Profite in Gefahr sind. Der Bundesrat gibt ihnen Rückendeckung.

Das ist keine Überraschung, denn genau das ist seine Hauptaufgabe. Der Staat ist keine neutrale Instanz, die im Interesse der Allgemeinheit handelt. Es ist der Staat der herrschenden Klassen, der Kapitalisten, der grossen Unternehmen und der Banken. Deren Interessen verteidigt er: Er muss dafür  sorgen, dass die Profite fliessen. Es ist und war nie seine Hauptaufgabe, für das Wohl und die Gesundheit der Mehrheit zu sorgen. 

Was wir brauchen ist also nicht eine «nationale Einheit», hinter der sich nur die Profitinteressen der Kapitalisten verstecken. Wir brauchen eine unabhängige Politik der Arbeiterklasse! Unsere Rolle in dieser Situation ist es, diese Scheinheiligkeit zu entblössen. Der nationale Schulterschluss mit den bürgerlichen Parteien und hinter dem Bundesrat blockiert die SP, genau in dem Moment, wo ihre Rolle als Arbeiterpartei am wichtigsten wäre. Wer sich hinter den Bundesrat einreiht, trägt eine  Mitverantwortung für dessen Politik. So kann keine unabhängige Klassenpolitik verteidigt werden. Unsere Rolle ist es, die spontanen Kämpfen, die rohen Versuche zum Selbstschutz, zu einen und ihnen ein kohärentes politisches Programm zu geben, mit dem sie effizient gegen die Angriffe der Kapitalisten und die tödliche Politik des Bundesrates kämpfen können. Diese ist heute notwendiger denn je. Wir, die Arbeiterklasse, brauchen unser eigenes Programm, ein Programm das den Schutz der grossen Mehrheit der Bevölkerung über ihre Profitinteressen stellt!  

Wir können nur auf uns selber zählen!

Wir unterstützen jede Massnahme zum Schutz der Lohnabhängigen. Doch wenn Staat und  Kapitalisten nicht weit genug gehen, können wir nicht abwarten. Es ist die Wut der Bauarbeiter und der Unia Genf, welche dazu führte, dass die Baustellen im ganzen Kanton schliessen (wenn auch erst am Freitag). Das zeigt uns den Weg! Wenn unsere Gesundheit dem Zwang des Kapitals untergeordnet wird, müssen wir uns gemeinsam und selbstständig verteidigen. Wir rufen deshalb alle Lohnabhängigen auf, gemeinsam aktiv zu werden, sich zu organisieren und für den Schutz der Belegschaft und für die Stilllegung der Betriebe zu kämpfen, welche nicht existenzielle Arbeiten vollbringen. 

Verteidigen wir gemeinsam die Interessen aller Lohnabhängigen! 

Wir fordern:

  • Sofortige Stilllegung aller nicht existenziellen wirtschaftlichen Tätigkeiten.
  • Drastische Hygienemassnahmen für alle, welche weiterarbeiten müssen. 
  • Wir appellieren an die Beschäftigten in Labors, Apotheken, universitären Einrichtungen und in allen Produktionsbetrieben, dass sie die Produktion auf gesellschaftliche notwendige Produkte umstellen!
  • Preistreiber in Produktions- und Grosshandel sollen durch die Beschäftigten öffentlich angeprangert werden. Solche Betriebe sind unter der Kontrolle der Beschäftigten entschädigungslos zu verstaatlichen.
  • Für die Einrichtung von zusätzlichen Unterbringungs- und Krankenhauskapazitäten müssen alle bestehenden Leerkapazitäten in Hotels und am Wohnungsmarkt zentral erfasst und bei öffentlichem Bedarf verstaatlicht werden. Dabei müssen die Bedürfnisse sozial und psychisch verwundbarer Gruppen in der Gesellschaft besonders beachtet werden.

Zur wirtschaftlichen und sozialen Krise:

  • Ein gesetzliches Entlassungs- und Kündigungsverbot, rückwirkend ab 9. März.
  • Volle Lohnfortzahlung auch bei Kurzarbeit! Auch für alle in prekärer Beschäftigung und alle Selbstständigen, die ihre Einkommensgrundlage durch diese Krise verlieren;
  • Abwechselnder, unbeschränkter Pflegeurlaub für Eltern mit Kindern unter 14 Jahren und Kindern mit besonderen Bedürfnissen;
  • Keine weiteren Gelder zur Bankenrettung. Banken, die pleitegehen, müssen verstaatlicht werden. Entschädigt sollen nur KleinanlegerInnen werden.
  • Betriebe, die Massenentlassungen vornehmen, und Standorte, die geschlossen werden, sollen verstaatlicht und die Produktion unter Kontrolle der Belegschaft fortgeführt und ggf. umgestellt werden
  • Keinen Schulterschluss mit Bundesrat und Kapital: für eine unabhängige Klassenpolitik!