Kritik am Vorschlag für ein neues Sprachenpapier in der Juso

Nachdem im Juni 2013 der erste Entwurf des Sprachenpapiers durch die Delegiertenversammlung der Juso zurückgewiesen wurde, ist die Arbeitsgruppe Sprachenpapier gegründet worden. Diese hat nun eine zweite Version des Sprachenpapiers herausgebracht, die an der nächsten Delegiertenversammlung diskutiert wird. Da wir mit der Stossrichtung des Papiers ganz und gar nicht einverstanden sind, möchten wir hier die wichtigsten Punkte aufzeigen und einer Kritik unterziehen.

In der Einleitung des Papiers stellen die Autoren fest, dass der Frieden im Land auf einem gegenseitigen „Verständnis zwischen den Sprachgebieten“ basiere. Friedliches Zusammenleben sei demzufolge „nur“ unter der Bedingung möglich, dass „die verschiedenen sprachlichen Familien untereinander kommunizieren und sich verstehen können, während sie ihre eigenen kulturellen Identitäten bewahren.“ Die historische Stärke der Schweiz sei die „Konfrontation von verschiedenen Ideen und Meinungen mit dem Ziel, eine gemeinsame Lösung zu finden“. Aber all dies sei nun in Gefahr, da die „Landessprachen zugunsten des Englischen geopfert“ würden.

Das erste Kapitel „Primat der Landessprachen gegenüber dem Englischen!“ beschreibt, wie das Gleichgewicht der Sprachen durch die Förderung des Englischen gestört werde, dies sei „utilitaristisch“. Es wird kritisiert, dass in der Romandie Deutsch gelehrt würde, aber in grossen Teilen der Deutschschweiz Englisch, was ein Zerfallsrisiko für das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl und den Zusammenhalt bedeute. Dieses nationale Zusammengehörigkeitsgefühl müsse zudem „hartnäckig“ verteidigt werden und wir sollen „unsere Wurzeln und die Notwendigkeit eines starken [nationalen] Zusammenhalts nicht […] vergessen.“ Es wird sogar impliziert, dass man die Bevölkerung im eigenen Land besser behandeln müsse als man das mit einem „internationalen Englisch“ mit „Portugies_innen, Russ_innen oder Chines_innen“ machen solle.

Das nächste Kapitel „Schweizerdeutschunterricht: nur für die andern!“ beschreibt, wie schweizerdeutscher Unterricht gehandhabt werden soll: Keinen in der Deutschschweiz (er sei für Migrantenkinder zu schwierig), aber welcher für „die andern“. Diese „andern“ sind hier Romands und Tessiner, sie sollen doch bitte Schweizerdeutsch in der Schule lernen. Wie begründen das die Autoren? Die Deutschschweizer sollen in der Kommunikation mit ihren Gesprächspartnern in ihrer „Spontanität“ nicht „begrenzt“ werden.

Im Kapitel „Für ein lebendiges Rätoromanisch“ schreibt die AG, dass das Rätoromanisch besonderen Schutzes und Unterstützung bedürfe. Gleichzeitig fordert es die Förderung Deutscher Sprache in der Schule. Sie will gegen den erklärten Willen der lokalen Bevölkerung die Förderung der Kunstsprache Rumantsch Grischun forcieren, die in letzter Instanz ein Sparpaket der Bündner Regierung auf Kosten der lokalen Bevölkerung ist.

Am Schluss des Papiers wird die sprachliche Vielfalt in der Bundesverwaltung gefordert, da die lateinische Schweiz in der Bundesverwaltung untervertreten sei, und die Hegemonie der Deutschsprachigen zur Bevorzugung von Deutschschweizer_innen führe. Deswegen brauche es Mindestquoten für lateinischsprachige Delegierte.

Die marxistische Position zur Sprachenfrage lässt sich in einer einfachen Formel zusammenfassen: Jeder Mensch soll das Recht haben, in der Sprache zu reden, unterrichtet zu werden und seine alltäglichen Geschäfte in der Sprache zu erledigen, die er wünscht.

Sprachentwicklung ist ein historischer Prozess. Man kann diesen nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen durch künstliche Gesetzen und Barrieren aufhalten oder forcieren: Sprachen leben, Sprachen sterben. Wir brauchen keiner Sprache hinterher zu trauern. Sprachen unterliegen, wie die Menschen, die sie sprechen, historischen Bewegungen und Gesetzmässigkeiten. In Graubünden werden Handel und Informationsaustausch meist auf Deutsch durchgeführt, weltweit wird auf Englisch gehandelt und kommuniziert. Weder Graubünden noch die Schweiz können sich dem entziehen. So ist es für Menschen aus Graubünden sinnvoll, sich und ihren Kindern Deutsch beizubringen. Es hat einen konkreten praktischen Nutzen für die jeweilige Person und deren Umwelt. Genau gleich verhält es sich auf nationaler Ebene mit dem Englischen. So ist das Aussterben des Rätoromanischen genau wie der globale Vormarsch des Englischen eine Folge der steigenden internationalen Arbeitsteilung und somit eine fortschrittliche Tendenz, die zudem die Völkerverständigung vereinfacht, und keine „kurzfristige Vision“, die wir ablehnen.

Andererseits ist es natürlich falsch, wenn der Italienischunterricht an Schulen und Hochschulen gestrichen wird. Aber die Streichung des Italienischunterrichts ist weniger eine Frage der Sprachenpolitik. Sie ist eine Frage der Sparpolitik. Hier müssen wir den Hebel ansetzen und das tun wir bereits sehr richtig. Genau wie die Streichung des Italienischunterrichts war die Weigerung des Kantons Graubünden, seit 2003 Schulbücher in anderen Idiomen als in Rumantsch Grischun zu drucken, ein Sparpaket an der Sprache. Gesetzt den Fall, man will das Rumantsch erhalten, ist die Einführung des Grischun korrekt. Ein in 6 Schriftsprachen zersplittertes Rätoromanisch ist kaum überlebensfähig. Aber gegen eine Sparpolitik an der Sprache wehrt sich die Bevölkerung. Und zwar zu Recht. Eine forcierte Einschränkung oder Steuerung der Sprache, wie sie in Graubünden versucht wurde, spaltet die arbeitende Klasse an kulturellen, ethnischen und sprachlichen Linien. Sie verschleiert die dahinter stehende soziale Frage. Die soziale Frage herauszuarbeiten ist aber genau unsere Aufgabe.

Damit kommen wir zum „Zusammengehörigkeitsgefühl der Nation“. Die Einheit der Nation ist kein Produkt des kulturellen und sprachlichen Gleichgewichts, wie es die Autoren behaupten. Die Nation wurde durch die Bürgerlichen geeinigt, sie war eine Notwendigkeit, um die Produktion auf dem Stand des neunzehnten Jahrhunderts weiterzuentwickeln. Heute beruht der Friede der Nation auf den gemeinsamen Interessen des Zürcher, Genfer und des Basler Kapitals, und diese Interessen sind heute rückschrittlich, reaktionär. Deswegen gibt es hier auch nichts, was „hartnäckig zu verteidigen“ wäre. Welchen Geist das vorliegende Papier atmet, können wir schon am Titel sehen – „Vereint in der Vielfalt: Die Landessprachen verteidigen, um den sozialen Zusammenhalt zu bewahren“. Die Vorstellung die Konflikte zwischen den sozialen Klassen, durch  die Bindung der Menschen an Kultur, Religion oder Sprache zu überwinden, ist nicht neu. Sie entspricht der Losung: Nationalstaat statt Klassenkampf.

Als Sozialisten stellen wir den Internationalismus der Arbeiter_innen gegen den bürgerlichen Nationalismus, der in diesem Papier propagiert wird. Wir sind gegen den Zusammenhalt der bürgerlichen Nation, wir sind für den der Klasse. Internationalismus ist auch nicht einfach eine fixe Idee: Er ist eine Notwendigkeit. Der bürgerliche Nationalismus hat seine Grundlage in der Art der Produktion, die im 19. Jahrhundert des Nationalstaats bedurfte, um sich vernünftig entfalten zu können. Er ist Ausdruck der kapitalistischen Produktionsweise. Die politische Position des Internationalismus findet ihre wissenschaftliche Grundlage in der Internationalisierung der Arbeitsteilung des 21. Jahrhunderts. Heute arbeiten an der Herstellung beinahe jedes Produkts Menschen rund um den Erdball objektiv eng zusammen, und es ist unsere Aufgabe diese Arbeitenden im Kampf gegen ihre Unterdrücker zu vereinen. Nationalstaaten sind diesem Zusammenhalt nur im Weg.

Zu guter Letzt kommen wir auf die Frage der „sprachlichen Vielfalt in der Bundesverwaltung“ zu sprechen. Die Vorschläge der Autoren laufen darauf hinaus, den zynischen Eliten der lateinischen Schweiz einen Vorteil gegenüber den zynischen Eliten der Deutschschweiz zu geben. Für die arbeitende Bevölkerung keiner Sprachregion ist mit dieser Regelung auch nur das Geringste gewonnen. Es ist nicht unsere Aufgabe, das intransparente und zunehmend korrupte Postengeschacher (man denke nur an all die Informatikskandale der letzten Zeit) um ein paar bürokratische Regeln zu erweitern. Wir fordern die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Beamten in einem Staat der Arbeitenden, der von den Massen getragen wird.

Der wichtigste Kritikpunkt am Papier besteht in der Annahme, man könne oder müsse die Entwicklung der Sprache durch Projekte, Forcierungen und positive Diskriminierung bewusst steuern. Diese Annahme ist jedoch in der derzeitigen Situation in der Schweiz weder entscheidend, noch richtig. Sie führt sogar mehr zum Auseinanderklaffen der Regionen und somit zur Spaltung der arbeitenden Klasse. Die in dem Papier bezogene Position ist konservativ, sie fusst auf einer nationalistischen Denkweise. Somit ist das Papier für die Klärung unserer Positionen, für die Schärfung des Klassenbewusstseins der Parteimitglieder nicht geeignet. Wir empfehlen daher das Papier abzulehnen.