[dropcap]B[/dropcap]ereits am 12. Februar kommt die Unternehmenssteuerreform III (USR III) zur Abstimmung. Als Marxistinnen und Marxisten müssen wir uns mit diesem Angriff auf die Lohnabhängigen intensiv auseinandersetzen und uns die Frage stellen, wie man am wirksamsten dagegen ankämpft.

Und plötzlich geht es ganz schnell: Obschon die USR III erst ab 2019 in Kraft treten würde, wird bereits am nächstmöglichen Termin, dem 12. Februar 2017, über die USR III abgestimmt. Dass das Abstimmungsdatum so früh wie möglich angesetzt wurde, ist kein Zufall. Ganz sicher kein Grund dafür ist die angebliche Dringlichkeit der Abschaffung der Sonderbesteuerung. Einerseits ist die allfällige Umsetzung 2019 noch eine Weile hin. Andererseits mutet es bizarr an, dass die Damen und Herren Bürgerliche, welche sich seit Jahren erfolgreich gegen eine gerechtere Besteuerung wehren, auf einmal Verfechter der Steuergerechtigkeit sein sollen. Der Grund für die Hast der Bürgerlichen, die Reform schnellstmöglich vors Volk zu bringen, ist vielmehr, dass sie um die Zustimmung der Bevölkerung bangen. Sie versuchen auszunutzen, dass der Mangel an Zeit, um sich über die Einzelheiten der Vorlage ausreichend zu informieren, zu einer ausgeprägteren Informationsasymmetrie führt. Schon die Ausdrucksweise im Text ist bewusst kompliziert, um den Anschein zu erwecken, nur wer ein ausgebildeter Wirtschaftsexperte sei, könne beurteilen was das Beste für die Bevölkerung sei. Ausdrücke wie Step-Up und NID scheinen zwar kompliziert, sind im Endeffekt aber nichts Anderes als Synonyme für Steuererleichterungen für multinationale Konzerne und die daraus resultierenden Abbaumassnahmen für den Rest der Bevölkerung.

Es wird also versucht, diese dreiste Steuersenkung von KapitalistInnen für KapitalistInnen zu vertuschen. Trotz der Gegenvorschläge von Bundesrat und anderer ParlamentarierInnen wurde eine Vielzahl an sogenannten „Steueroptimierungs“-Optionen eingebaut. Diese Überheblichkeit hat für die Verfechter der Vorlage einen ganz entscheidenden Vorteil: Selbst im Falle eines Neins müssen im bürgerlichen Parlament an der Reform nur wenige Abstriche gemacht werden, um eine nur leicht abgeänderte Version als „ausgewogenen Kompromiss“ anzupreisen.

Wieso diese Reform?
Warum wir uns als MarxistInnen gegen diese Reform wehren, wird schnell ersichtlich, wenn man die wahre Absicht der Vorlage erkennt. Die USR II generierte für einige Kantone und damit verbunden für den Bund tatsächlich zusätzliche Steuereinnahmen, doch seit 2007 nimmt die Zahl der zugewanderten Firmen und die von diesen „geschaffenen Arbeitsplätze“ in der Schweiz ab. Trotz der im internationalen Vergleich sehr tiefen Besteuerung scheint also eine Sättigung erreicht zu sein. Dies bedeutet, dass durch die USR III keine zusätzlichen Einnahmen erwirtschaftet werden können und ermöglicht es uns, eine wichtige Schlussfolgerungen zu ziehen: Neue Steuerschlupflöcher werden einzig und allein zu tieferen Steuern für die grossen Unternehmen führen. Damit offenbart sich uns der wahre Charakter dieser Reform und der Grund, weshalb die Bürgerlichen Millionenbeträge in ihre Kampagnen stecken. Doch wieso erfolgt dieser Schritt genau jetzt?

Der Schweizer Staat als der schweizerische „ideelle Gesamtkapitalist“ (Engels) will im internationalen Steuerwettbewerb weiterhin zu den Spitzenreitern gehören; nicht zuletzt darum, weil für Wirtschaftsanwälte und Beratungsfirmen die professionelle Steuerhinterziehung ein Milliardengeschäft darstellt. Dafür muss nun ein legaler Rahmen geschaffen werden, denn nicht erst seit der Veröffentlichung der Panama Papers beginnt sich in der Bevölkerung Widerstand gegen die Tricksereien der Mächtigen zu formieren.

In einer heiklen Wirtschaftslage, wie der aktuellen Krisenzeit, bedeutet jede neue Steuererleichterung für die inländischen Grosskapitalisten eine willkommene – und notabene von diesen auch geforderte – Unterstützung bei der Profitmaximierung. Nicht umsonst hat Magdalena Martullo-Blocher damit gedroht, sie müsse sich mit der EMS-Chemie im Falle einer Ablehnung der USR III eventuell nach einem neuen Standort umsehen, da „andere Länder, wie etwa Singapur, sich sehr um sie bemühen“.

Die altbekannten Drohgebärden
Sie ist mit ihren Drohungen natürlich nicht allein. Auch von anderen wirtschaftlichen Schwergewichten wurde und wird im Verlauf der Kampagne immer wieder das Risiko der Kapitalflucht thematisiert. Es stimmt natürlich, dass durch eine Abwanderung von Unternehmen ein Loch in der Staatskasse entstehen würde. Diese Abwanderung scheint aber aufgrund der im internationalen Vergleich bereits sehr tiefen Steuern und der attraktiven Standortfaktoren (wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die stabile politische Situation) sehr unwahrscheinlich. Diese ideologische Argumentationsweise ist allerdings nicht vereinbar mit den tatsächlichen Problemen und Ängsten der Arbeiterinnen und Arbeiter, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Darum ist es wichtiger, aufzuzeigen, dass die Negativspirale von Steuersenkungen und Abbau bei den Sozialleistungen durchbrochen werden muss. Denn wie jeder Erpresser werden auch die KapitalistInnen immer mehr verlangen, solange sie das erpresserische Mittel zur Ausbeutung, die Produktionsmittel, in ihren Händen halten. Der einzige Weg, dies zu beenden, ist die Enteignung dieser Erpresser und damit die demokratische Kontrolle der Unternehmen.

Wogegen kämpfen wir?
Den Preis für diese Steuerrabatte werden die Lohnabhängigen bezahlen. Wir müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass wenn Geld in den Staats-, Kantons- und Gemeindekassen fehlt, die Unterdrückten zur Kasse gebeten werden. Die jüngsten Beispiele aus Luzern und Genf, wo massive Abbaumassnahmen in der Bildung vorgenommen wurden, zeigen, wer darunter leidet. Sozialabbau auf der ganzen Linie wird uns von bürgerlicher Seite als die einzige und unausweichliche Lösung präsentiert und weiterhin präsentiert werden. Es ist von grosser Bedeutung, den Zusammenhang zwischen der USR III und den herrschenden Budgetdebatten aufzuzeigen: Seit Jahren wird uns gepredigt, wir müssten mit den Finanzen sorgfältig umgehen, und bei jeder Gelegenheit wird bei der Bildung gekürzt. Und in solch einem Klima sollen nun weitere Steuergeschenke an die grössten Unternehmer verteilt werden? Nicht mit uns!

Schliesslich muss uns als InternationalistInnen aber bewusst sein, dass jeder Franken, den die ausländischen Unternehmen hier an Tiefsteuern bezahlen, ein Franken ist, der dem jeweiligen Staat und damit den dortigen Lohnabhängigen fehlt. Was wir an interkantonalem Steuerwettbewerb erleben, ist auf viel grösserer Skala international zu beobachten und gilt es mit jedem Mittel, insbesondere der internationalen Solidarität, zu bekämpfen.

Ein Nein als Erfolg?
Aus den obengenannten Gründen ergibt sich auch die Strategie, wie am besten gegen diese Reform zu kämpfen ist. Wir haben bereits ausgeführt (‘USR 3: Wenn sich GrosskapitalistInnen selber Steuerrabatte geben’), dass solche Steuergeschenke unumgänglich sind, ein Muss für einen bürgerlichen Staat, wenn dieser die Wettbewerbsfähigkeit seines Standortes aufrechterhalten will, insbesondere in einer Weltwirtschaft im Zustand der globalen Überproduktionskrise. Im Falle einer Ablehnung der Reform dürfen wir uns deshalb von einer parlamentarischen Überarbeitung nicht mehr versprechen, als eventuell etwas weniger schwerwiegende Konsequenzen für die Lohnabhängigen. Die Bevölkerung wird davon überzeugt sein, ein starkes Signal gesendet zu haben und wird dem Parlament vertrauen, nun eine ausgewogenere Lösung auszuarbeiten. Daraus folgt unweigerlich, dass ein Abstimmungserfolg nur ein kurzzeitiger Erfolg ist und der Kampf gegen die USR III auf langfristige Ziele ausgelegt sein muss.

Die SP könnte dabei eine entscheidende Rolle einnehmen, hat sie sich doch die Oppositionspolitik auf die Fahne geschrieben. Doch nun vergibt man jedoch in der sogenannten wichtigsten Abstimmung der Legislatur eine grosse Chance: Man müsste sich rund um diesen Abstimmungskampf darauf konzentrieren, das Klassenbewusstsein der ArbeiterInnen zu stärken. Stattdessen konzentriert man sich aber auf den „Mittelstand“ – ein Begriff lediglich geschaffen, um klassekämpferische Tendenzen zu bändigen. Dadurch wird ein weiterer Keil in die Arbeiterklasse, zu welcher der sogenannte „Mittelstand“ ebenfalls gehört, getrieben. Der Fokus in der Opposition sollte sich nicht auf Teilsiege versteifen, sondern auf dem nachhaltigen Aufbau einer aktiven, kämpferischen, klassenbewussten Basis liegen, auch wenn dies kurzfristig den Verlust einiger Wählerstimmen bedeutet. Ansonsten bleibt man in einem opportunistischen Teufelskreis gefangen.

Wie also sieht konsequente Oppositionspolitik aus?
Natürlich ist eine konkrete Kritik an der USR III und den Erpressungsversuchen des internationalen Kapitals zwingend notwendig und wenn eine weniger schädliche Lösung erkämpft werden kann, dann soll dies auch angestrebt werden. Doch wer Oppositionspolitik betreiben will, soll sich auf seine Grundwerte besinnen, anstatt krampfhaft zu versuchen, mehrheitsfähig zu sein. Wir müssen die Kritik an der USR III mit einer grundlegenden Kritik an der Steuerpolitik der Schweiz, dem Steuerwettbewerb weltweit und dem Kapitalismus als Ganzem verbinden. Ausserdem ist es absolut notwendig, die Kritik an der USR III auch als Kritik an der Abbaupolitik der herrschenden bürgerlichen Praxis bezüglich Budgetdiskussionen zu formulieren, denn diese hängen stark zusammen. Wir können nicht tolerieren, dass jedes Jahr in essentiellen Bereichen wie der Bildung Millionen gestrichen werden und gleichzeitig Milliardengeschenke an GrosskapitalistInnen verteilt werden. Wir müssen rund um die Ablehnung gegenüber der USR III aufzeigen, weshalb das System von dieser Reform abhängt und dabei den kurzfristigen Kampf gegen die Steuerreform mit dem langfristigen Kampf für die sozialistische Revolution verbinden. Nur durch eine marxistische Analyse und einen revolutionären Abstimmungskampf können wir, rund um die an sich wichtige Nein-Kampagne, das Klassenbewusstsein vorwärtstreiben. So kann die SP in der Zukunft wieder zu einer schlagkräftigen Partei werden, welche die wahren Interessen der ArbeiterInnen vertritt. Dies sollte auch die JUSO für ihre nächste Initiative berücksichtigen: Das Klassenbewusstsein der Lohnabhängigen muss dadurch vorwärts gebracht werden, dass die Ungleichheit in der Besteuerung von ArbeiterInnen und KapitalistInnen und deren gegensätzliche Interessen herausgestrichen werden.

Kevin Wolf
Bern