[dropcap]D[/dropcap]ie 99%-Initiative verspricht eine spannende Kampagne der JUSO zu werden. Sie tritt kämpferisch auf und hat einen korrekten Inhalt. Als MarxistInnen sind wir uns aber auch bewusst, dass Initiativen alleine keine grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzungen bewirken.

Um über 60 Milliarden sind die Vermögen der 300 Reichsten der Schweiz im letzten Jahr angewachsen – um rund 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Es ist das grösste Wachstum seit dem Ausbruch der globalen Überproduktionskrise 2007. Zu verdanken haben sie dies allen voran der Börse. Denn wenn die Realwirtschaft keine anständigen Gewinne mehr abwerfen kann, wie dies in einer Phase der Überproduktion der Fall ist, dann müssen anderswo Investitionsmöglichkeiten gesucht werden. Dabei kommt der Spekulation eine entscheidende Rolle zu.

Die 99%-Initiative setzt bei den Kapitaleinkommen an – und dazu gehören eben auch diese spekulativen Gewinne. Kapitaleinkommen entspringen direkt oder indirekt der kapitalistischen Ausbeutung, also der Aneignung von Mehrwert. Das bedeutet, die Initiative greift direkt die Profite der KapitalistInnenklasse an. Denn dieses reichste Prozent, welches nur von seinen Kapitaleinkommen lebt, soll mehr Steuern bezahlen. Damit sollen die Wenigverdienenden etwas besser gestellt werden dank Steuererleichterungen oder einem stärkeren Sozialstaat. Die Initiative enthält deshalb einen brisanten, radikalen Kern: Sie setzt durch die Gegenüberstellung von Lohn und Kapitaleinkommen am wesentlichen Charakteristikum des Kapitalismus an. Daraus erklärt sich auch die heftige Reaktion der bürgerlichen Presse nach der Lancierung der Initiative.

Die Initiative rüttelt zwar nicht an den Produktionsverhältnissen, sondern stellt, wie die meisten linken Initiativen, lediglich die Frage der Verteilung des im Produktionsprozess abgeschöpften Mehrwerts. Wenn die Initiative aber richtig genutzt wird, das heisst, wenn anstelle der Gerechtigkeitsfrage jene nach dem Privateigentum an den Produktionsmitteln gestellt wird, dann kann diese Initiative einiges bewirken. Denn unser Ziel ist nicht ein Abstimmungssieg, sondern die Förderung des Klassenbewusstseins der arbeitenden Massen und damit verbunden der Aufbau und die Stärkung unserer Partei.

Initiative – und dann?

Um substantielle, langanhaltende Verbesserungen zu erkämpfen, brauchen wir eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Klassenkampf zugunsten der ArbeiterInnenklasse. Um dies zu erreichen, müssen wir direkt am Bewusstsein der Massen anknüpfen. Wir müssen dort sein, wo Kämpfe aufbrechen und die Menschen sich nach Alternativen umsehen. Isolierte Initiativen können diese Kämpfe nicht einfach ersetzen. Denn ohne Veränderung des Kräfteverhältnisses zu unseren Gunsten werden linke Initiativen entweder abgelehnt oder, im Fall eines Sieges, sabotiert oder wieder rückgängig gemacht, sobald die fallenden Profite der herrschenden Klasse dies notwendig machen. Der ständigen Umkehrbarkeit reformistischer Errungenschaften im bürgerlichen Staat müssen wir uns zu jedem Zeitpunkt bewusst sein! Um aber auf eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses hinzuwirken, kann eine Initiative von grossem Nutzen sein. Sie muss also als Mittel und nicht als Zweck aufgefasst werden.

Wenn dies nicht der Fall ist, sind Initiativen vor allem eins: langsam. Die Trägheit einer Initiative, der Prozess ihrer Entstehung, die Unterschriftensammlung und die anschliessende Beratung im Parlament nimmt mehrere Jahre in Anspruch. Die realen Kämpfe können hingegen innerhalb von Monaten, Wochen, teilweise gar Tagen komplett andere Formen annehmen und sich auf neue Schichten ausweiten.

Das hat für unsere Partei einen unvorteilhaften Effekt: Initiativen knüpfen selten am Bewusstsein der Massen an. Dadurch wird die Mehrheit der JUSO und SP- Initiativen zu Massnahmen, die von der Realität der Massen abgekoppelt sind.

Die Probleme, auf die wir mit unseren Initiativen hinweisen, können innerhalb des Kapitalismus nicht grundsätzlich gelöst werden. Deshalb muss jede Initiative helfen, unsere Organisation und Partei aufzubauen und das Klassenbewusstsein zu fördern. Nur so kann das Kräfteverhältnis grundsätzlich verschoben werden; nur so können wir nachhaltigere Reformen durchsetzen und auf die Überwindung des Kapitalismus hinarbeiten. Dies muss auch unser Anspruch an die 99%-Initiative sein.

Die JUSO Schweiz ist die Partei, an der sich die radikalisierten Jugendlichen in der Schweiz orientieren. Doch die Frage stellt sich in diesem Moment, welche Rolle unsere Partei einnehmen will. Wenn die JUSO zur Vertretung der 99% und allen voran der Jugend werden will, muss sie solche Initiativen nutzen, um radikale Forderungen zu präsentieren und Widersprüche im kapitalistischen System gnadenlos aufzudecken. Sie muss aufzeigen, dass die bürgerliche Parlamentsdemokratie kein Vertrauen verdient. Die Initiative kann uns – sofern sie bewusst und richtig eingesetzt wird – als Instrument im Kampf gegen den Kapitalismus dienen.

Die Initiative nutzen

Die 99%-Initiaitve beinhaltet, wie aufgezeigt, einen sehr progressiven Kern. Das wird an den Reaktionen aus der ArbeiterInnenklasse (sei dies beim Unterschriftensammeln, in Diskussionen etc.), aber auch jenen der Bürgerlichen ersichtlich. Um uns aber nachhaltig in der ArbeiterInnenklasse und der Jugend zu verankern, dürfen wir uns nicht auf Diskussionen über den formalen Charakter der Initiative einlassen und irgendwelche Illusionen in den Rechtsstaat schüren. Vielmehr müssen wir die klassenkämpferische Seite herausstreichen, die durchaus vorhanden ist.

Wollen wir die Interessen der 99% vertreten, müssen wir den Widerspruch zwischen Lohn und Kapitaleinkommen und damit die Ausbeutungsverhältnisse des Kapitalismus offen aufzeigen. Wir sollten nicht darüber diskutieren ob die Verteilung gerecht ist oder nicht! Vielmehr müssen wir den zweiten Slogan der Initiative verwenden: Geld arbeitet nicht, wir schon! Denn hierin liegt ein grosses Potential. Nicht zuletzt müssen die Erpressungsversuche der Bourgeoisie, welche sie zwangsläufig gegen die Initiative ins Feld führen werden (Abwanderung, Investitionsstopp etc.), genutzt werden, um die parasitäre Stellung und die wahre Macht der KapitalistInnen in der bürgerlichen Demokratie aufzuzeigen. Wenn wir die 99%-Initiative so nutzen, können wir eine kämpferische Partei aufbauen!