Der Beginn des Schuljahres 21/22 war für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Seitdem versuche ich als Teilzeit-Musiklehrer im Grossbecken des Schulbetriebs nicht unterzugehen. Ein Seklehrer berichtet.

Ich hatte bereits Erfahrungen im Bereich Musikpädagogik gemacht, doch bin ich davor noch nie als Lehrer vor einer Schulklasse gestanden. Schon gar nicht während der letzten Stunde vor dem Wochenende in einer globalen Pandemie. Ich habe seitdem viele schöne Seiten des Lehrberufes entdeckt, dennoch bleiben einem die vielen Probleme meist länger im Gedächtnis.

Das Schulsystem ist ein wichtiges Glied des kapitalistischen Staatsapparates, deshalb ist es auch für seine Krisen anfällig. Das zeigt sich in der Pandemie klar. Während die Durchseuchung der gesamten Schweizer Bevölkerung erst jetzt beschlossen wurde, waren bei uns schon vor Weihnachten die Hälfte aller Klassen positiv. Ein manchmal schwer zu durchschauendes Testregime sowie die Maskenpflicht wurden eingeführt, Prüfungen verschoben oder online gemacht. Der Stress vor Weihnachten, bei all den Ausfällen genügend Noten zusammen zu bekommen, war enorm. Es herrschte grosse Verwirrung und Unverständnis bei Schülern und Lehrern für viele der beschlossenen Massnahmen. Für mich bedeutet das, dass meine KollegInnen nur wenig Zeit und Geduld haben, meine Fragen zu organisatorischen Dingen – geschweige denn pädagogischen Grundsätzen oder methodischen Tricks – zu klären.

Doch nicht nur die Pandemie ist schuld an der schlechten Stimmung im Schulhaus. Bei den meisten Gesprächen im Lehrezimmer spüre ich einen latenten Zynismus gegenüber unserem Beruf. Viele sind eigentlich motiviert, den Schülern ein gutes Lernumfeld zu ermöglichen. Dies wird aber von verschiedenen Aspekten des Schulsystems verhindert. Ich habe schon öfter gehört, dass wir gerade für die A-Klassen (die leistungsschwächsten Klassen auf der Sekundarstufe) mehr Aufsichts- als Lehrpersonen seien. Das gilt besonders für «unwichtige» Fächer wie Musik. Da spielt es keine Rolle, wenn sie nichts lernen; solange sie keine Probleme machen. Hier wird der Auftrag des Schulsystems im Kapitalismus klar: die Arbeitskräfte der Zukunft angemessen auszubilden, ohne dass sie aufmüpfig werden, und das ganze natürlich zu einem möglichst günstigen Preis.

In den letzten Jahrzehnten wurde im öffentlichen Sektor heftig gespart. Davon ist auch die Bildung betroffen. Ein etwas älterer Kollege sagte mir mal, als er angefangen habe, hätte man als Lehrer sogar noch günstiger getankt. So gut waren die Arbeitsbedingungen damals. Mein Lohn ist, auch wegen meines fehlenden PH-Diploms, sehr bescheiden, rechnet man die Vorbereitung und die hohe Verantwortung mit ein. Doch nicht nur in den Löhnen schlägt sich die Sparpolitik nieder. Besonders bei den sekundären Fächern (Musik, Werken, Handarbeit etc.) wurden viele Förderprogramme gestrichen.

Die Schüler leiden am meisten unter diesen Umständen. Viele wissen gar nicht, dass Schulfeiern, Chor- und Tanzperformances, Sporttage sowie Skilager früher fester Bestandteil des Schuljahres waren. Ohne solche Lichtblicke im Schulalltag ist die bei vielen sowieso schon tiefe Motivation weiter abgesunken. Die meisten SchülerInnen haben die Sek vor der Pandemie gar nicht miterlebt. Ich beobachte, dass viele (vor allem der A-SchülerInnen) die Freude am Lernen verloren haben. Fragen wie «wozu brauchen wir das?» fallen oft im Unterricht.

Nach einer Lektion, in der diese Frage mal wieder gefallen ist, wird mir klar, dass die Schule im Kapitalismus keine gute Antwort darauf hat. Ich kann höchstens antworten: «Weil die Note in Musik gleich zählt, wie Mathe und du eine Lehrstelle finden musst». Letzten Endes geht es um Konkurrenz und Leistung wie in der ganzen kapitalistischen Gesellschaft, da hat es wenig Platz für Neugier und künstlerischen Ausdruck. Viele der hehren Ziele im Lehrplan sind im Kontext unserer Gesellschaft heuchlerisch. Die Wenigsten haben die Möglichkeit sich im Berufsleben zu entfalten. Wichtigere Fähigkeiten sind Gehorsam und Stressmanagement. Der Befreiungsschlag der sozialistischen Revolution ist überfällig. Das ist gerade in der Schule täglich spürbar.

Anonym

24.03.2022