Die Resultat der Umfrage des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) zu umgesetzten und geplanten Sparmassnahmen der Kantone in der Bildung belegen es deutlich: Der bereits anhaltende Kahlschlag reicht nicht aus, verbrannte Erde muss zurückbleiben. Doch nicht nur auf kantonaler, sondern auch auf Bundes- und Gemeindeebene wird bei den Budgets der Rotstiftbei der Bildung angesetzt.

 

Beschlossene und geplante Abbaumassnahmen laut LCH nach Kategorien, in Mio. Fr. (Total: mind. 637 Mio.)

Beschlossene und geplante Abbaumassnahmen laut LCH nach Kategorien,
in Mio. Fr. (Total: mind. 637 Mio.)

Die Ende November erschienen Resultate der LCH-Umfrage brachten zutage, was eigentlich die meisten Lehrpersonen längst vermutet hatten: der Bildung wird gegenwärtig schweizweit der Bankrott erklärt. Seit 2013 wurden bereits mindestens Kürzungen von 265 Mio. Fr. vorgenommen, bis 2018 sollen weitere 535 Mio. Fr. sein! Dies Zahlen betreffen nur die Einschnitte bei den kantonalen Budgets. Die Gemeinden en ebenfalls im Millionenbereich, sodass laut LCH im Zeitraum von 2013 bis 2018 insgesamt mehr als eine Milliarde Fr. eingespart werden. Der Bund will zusätzlich bis 2019 555,4 Mio. Fr. bei Bildung, Forschung und Innovation einsparen.

Dass es sich nicht im eigentlichen Sinne um Sparen, sondern Abbau handelt, zeigten wir in der letzten Ausgabe im Artikel „Sparpakete konsequent bekämpfen“ auf. Durch die Umfrage werden erstmals die Gesamtheit und die konkrete Umsetzung des Abbaus offensichtlich.

 

Abbauwahn auf kantonaler Ebene

Die Auswirkungen der Abbaumassnahmen auf die Bildungs- und Unterrichtsqualität sind vielseitig, eine Radikalkur bei einzelnen Kategorien ist geplant.

Bei den Anstellungsbedingungen, welche Löhne, Weiterbildung, Pflichtpensen, Altersentlastung und Pensionskassen fassen, wurde und wird mit über 300 Mio. am meisten zusammengestrichen. Den alltäglichen Unterricht selbst betrifft die Kategorie Unterrichtsbedingungen mit den Indikatoren Klassengrösse, Unterrichtsabbau, Klassenentlastung, Förderangebote, Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und Spezialklassen (Berufswahlvorbereitungsklassen, Kleinklassen etc.) und Schulschliessungen.  Hier werden über 281 Mio. eingespart. Unter Gebühren sind Lager, Exkursionen Musikunterricht, Lehrmittel zusammengefasst. Unschwer zu erkennen ist, dass bei den Anstellungs- und Unterrichtsbedingungen erbarmungslos gespart wird. Konkrete Abbaumassnahmen einzelner Kantone veranschaulichen den Kurzblick des Abbauwahnsinns.

 

Konkrete Ausgestaltung des Abbaus

Der Kanton Aargau veranstaltet Wortspielereien: Halbklassenlektionen werden „ungebundene Lektionen“ genannt. Diese will er auf der Primarschule fast gänzlich „wegrationalisieren“: Kostenpunkt 2.2 Mio. Fr. für 2016, danach soll die Sparschraube noch weiter auf jährlich 5.3 Mio. Fr. angezogen werden.

Das Budget für das Förderangebot DaZ (Deutsch als Zweitsprache), das von Kindern mit Migrationshintergrund dringend benötigt wird, soll in fast allen Kantonen weiterhin massiv gekürzt werden. Auch hier will der Aargau nächstes Jahr eine weiteren Million, in den darauffolgenden Jahren bis zu 3.7 Mio. jährlich streichen. Wie bereits hier lebenden MigrantInnen und ankommende Flüchtlinge zu Sprachkenntnissen kommen, scheint irrelevant zu sein. Dies obwohl das Beherrschen der Sprache, wie allgemeinhin bekannt, die grundlegende Voraussetzung für schulischen Erfolg ist.

Der Thurgau geht bezüglich Sprachförderung noch weiter. Neu ist in dessen Schulgesetz (§39, 2) zu lesen: „In besonderen Fällen können SchülerInnen zum Besuch von Sprachkursen verpflichtet werden, den Erziehungsberechtigten kann dafür und für allenfalls beizuziehende Dolmetscherdienste eine Kostenbeteiligung auferlegt werden.“ Denkt man konsequent, würde da bedeuten, dass die Eltern von Kindern, die in einem Bereich ein Defizit haben, an dessen Kosten beteiligt werden.

Luzern findet andere Mittel. Gespart wird im Hochschulwesen, die Fachklasse Grafik soll geschlossen werden, Musikschullehrpersonen wird bei gleichzeitiger Lektionenzahlerhöhung der Lohn gekürzt, Halbklassenunterricht wird umbenannt in Gruppenunterricht, satt 12 SchülerInnen, wie bis anhin, werden Kinder aus mehreren Klassen zusammengezogen bis die Gruppengrösse 16 Kinder erreicht.

Die Klassengrösse zu erhöhen ist in mehreren Kantonen ein beliebtes Mittel (z.B. Bern, Freiburg, Thurgau). Im Wallis sind Einsparungen von 20 Mio. auf allen Schulstufen geplant. Zudem sind auch hier, wie in den Kantonen Freiburg und Zug, Pensenerhöhungen bei gleichbleibendem Lohn, was nichts anderes als eine Lohnreduktion bedeutet, vorgesehen. Baselland hat bereits eine Lohnsenkung von 1% bei allen Staatsangestellten durchgeführt.

Bei manchen Kantonen, wie etwa Zürich, ist bereits die Höhe der Einsparungen bekannt – so sollen zwischen 2016 und 2019 jährlich 49 Mio., davon 20 Mio. in der Volksschule, 18 Mio. in den Mittelschulen und 11 Mio. in der Berufsbildung eingespart werden – nicht bekannt ist jedoch die konkrete Ausgestaltung zur Umsetzung der angekündigten Sparmassnahmen.

 

Sinkende Qualität in allen Bildungsbereichen

Trotz der hier vorliegenden Unvollständigkeit der vom LCH publizierten Zahlen ist ersichtlich, dass diese Einschnitte flächendeckend, vom Bund über die Kantone bis hin zu den Gemeinden, und über alle Bereiche hinweg, stattfinden. Ebenfalls klar ist, dass sie enorme Auswirkungen auf die Qualität der Bildung in der Schweiz, wie auch auf die vielgelobte Chancengleichheit haben werden. Die Frage der Klassengrösse wird beispielsweise direkten Einfluss darauf haben, wie der Unterricht gestaltet ist: Frontalunterricht, stille Einzelarbeiten etc. werden wieder Programm werden. Kinder, die sich nicht in solchen Situationen zurechtfinden, die zusätzliche Unterstützung brauchen, werden noch stärker pathologisiert und medikamentös behandelt werden. Die Chancengleichheit wird weiter den Bach runtergehen.

Neben den direkten Auswirkungen auf die Lernenden werden wir in den kommenden Jahren eine allgemeine Abnahme der Qualität in allen Bereichen, angefangen bei den Volksschulen, über die Mittelschulen bis hin zu den Hochschulen und Universitäten erleben. Dies öffnet Tür und Tor für Privatisierungen im öffentlichen Dienst, welche vom TISA-Abkommen vorgesehen sind. Laut diesem hinter verschlossenen Türen in Verhandlung stehenden Abkommen sollen sämtliche Dienstleistungen, es geht hier vor allem um die staatlichen Dienste, für den Markt geöffnet werden. Es gibt unzählige Beispiele dafür, welch katastrophale Auswirkungen Privatisierungen haben.

 

Auswirkungen auf LehrerInnen

Mit der zunehmenden Belastung wird die Unzufriedenheit des Bildungspersonals weiterhin ansteigen, was zum einen die Unterrichtsqualität negativ beeinflusst; die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendlichen. Zum anderen wird auch der Druck auf die Lehrpersonen weiter zunehmen. Schon heute gilt es als nachgewiesen, dass die Arbeitsbelastung so hoch ist, dass ein 100% Pensum kaum mehr erfüllbar ist und die Lehrpersonen sich gezwungen sehen über Teilpensen selbst Massnahmen gegen diese zu ergreifen. Trotzdem ist heute jedeR dritte LehrerIn Burnout gefährdet. Das Argument, der Lehrberuf sei v.a. eine Berufung und zeichne sich grossteils durch Engagement aus, ist definitiv an seine zumutbaren Grenzen gestossen.

Es stimmt, dass die Mehrzahl der Lehrpersonen sich durch ein sehr grosses Engagement auszeichnet und es ist genau dieses Engagement, welches bei den LehrerInnen Kürzungen im Bereich Unterricht sauer aufstossen lässt. Für viele sind Lohnnullrunden, Kürzungen bei den Pensionen etc. die eine Sache, die leider oftmals toleriert wird. Etwas ganz anderes sind direkte Angriffe auf die Qualität des Unterrichts, sei dies über die Klassengrösse, die Streichung von Fördermassnahmen oder von Halbklassenunterricht. Hier geht es direkt um die Lernenden, um deren Perspektive und um Chancengleichheit. Und dies sind die Gründe, für welche LehrerInnen bereit sein werden, Kampfmassnahmen zu ergreifen.

 

Es braucht eine gemeinsame Antwort der Lehrerschaft, der SchülerInnen und der Studierenden

In verschiedenen Kantonen gibt es bereits Massnahmen gegen die Sparpakete seitens der Lehrerschaft, in anderen werden solche angekündigt. Wie diese aussehen, hängt von der Stärke und Kampfbereitschaft der LehrerInnen und ihren Organisationen ab. So wird beispielweise im Kanton Aargau versucht, über Briefe an das Gewissen der Grossräte zu appellieren. Dass solche Aktionen meist kaum Resultate bringen, haben wir im Kanton Zürich immer wieder erlebt. Auch angesichts der Entwicklungen in Europa, welche der Schweiz den Weg weisen, zeigt sich, dass radikalere Massnahmen notwendig sind. Leider sind momentan die LehrerInnen vielerorts noch schlecht organisiert. Dies zu ändern ist dringende Aufgabe der Verbände.

Im Kanton Luzern, wo 68 Mio. in der Bildung eingespart werden sollen, gab es in den vergangenen Wochen zahlreiche Protestaktionen, sowohl von GymnasialschülerInnen, wie auch von VolksschullehrerInnen, welche beispielsweise Transparente an die Schulhausfassaden gehängt haben. Zudem hat die „Luzerner Allianz für Lebensqualität“, ein Zusammenschluss diverser Parteien, Organisationen, wie auch von Lehrerverbänden, drei Initiativen zum Erhalt des Service Public in der Bildung, der Gesundheit und im ÖV lanciert.

Im Kanton Zürich haben zahlreiche Verbände und Organisationen, unter ihnen der vpod, ein Manifest verfasst, welches gegen die Sparmassnahmen gerichtet ist und es konnten bereits über 4000 Unterschriften dafür gesammelt werden (www.tagderbildung.ch). Zudem kämpft der vpod gegen die Kürzungen bei der Pensionskasse (BVK). Auf den Tag der Bildung am 13.1.2016 soll aller Wahrscheinlichkeit nach ein Protest organisiert werden.

Vorreiter im Widerstand gegen die Sparmassnahmen sind sicherlich die Angestellten des öffentlichen Dienstes, wie auch die StundentInnen und SchülerInnen in Genf, die vom 11. – 13. November, unter der Führung diverser Verbände (u.a. vpod), in den Streik getreten sind. Mit an die 11‘000 Streikenden am letzten Tag ist dies sicherlich einer der grössten Streiks in der jüngeren Geschichte der Schweiz. Für den Dezember sind weitere Streiks geplant.

Dass die bürgerlichen Medien den Mantel des Schweigens über solche Kampfmassnahmen hängen ist klar – so las man bei uns in der Deutschschweiz kaum etwas über Genf. Hier ist es Aufgabe der Gewerkschaften, allen voran des vpods, die gemachten Erfahrungen in der Deutschschweiz nicht nur publik zu machen, sondern selbst auf eine Mobilisierungsfähigkeit und damit auch Kampffähigkeit hinzuarbeiten. Der Föderalismus trennt die Angestellten des öffentlichen Dienstes, werden ja in jedem Kanton einzeln Budgets verabschiedet und je nach Stärke und Bereitschaft der Verbände Widerstand organisiert. Es braucht hier eine nationale Verbindung, welche die Erfahrungen generalisiert und zu gemeinsamen Aktionen aufruft. Die Veröffentlichung des LCH zu den Abbaumassnahmen ist ein erster wichtiger Schritt zur Vereinigung des kantonal isolierten und sehr unterschiedlich gestalteten Widerstands.

Auch muss aufgezeigt werden, dass diese Sparmassnahmen nicht nur die Lehrerschaft, sondern auch die SchülerInnen und StudentInnen betreffen. In zahlreichen Städten sind sich diese nun am organisieren. Wie in Genf geschehen, müssen die LehrerInnen, die SchülerInnen und StudentInnen im Kampf gegen die Budgets Seite an Seite stehen.

 

Für eine qualitativ hochstehende und kostenlose Bildung!

Für starke und kampfbereite Gewerkschaften und Verbände im öffentlichen Dienst!

Gegen alle Sparpakete und jeglichen Leistungsabbau in der Bildung!

 

 

Aline Waitschies und Anna Meister
vpod Zürich, Sektion Lehrberufe