Am 2. September 2016 fand der, bis zu diesem Zeitpunkt, grösste Streik der Menschheitsgeschichte statt. In Indien legten um die 180 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Arbeit im Protest nieder. Das sind rund 30 Millionen mehr als am Streik ein Jahr zuvor teilnahmen, der bis dahin der grösste Streik der Menschheitsgeschichte war.

Dieses historische Ereignis wurde von den Medien in aller Welt totgeschwiegen. In Indien selbst wurde starke Propaganda gegen den Streik betrieben. Alle Versuche, den Streik zu sabotieren, sind allerdings fehlgeschlagen. Das zeigt den enormen Erfolg der Mobilisierung.
Viele Linke hielten für lange Zeit derart grosse landesweite Bewegungen in Indien für unmöglich. Sie verwiesen dabei auf verschiedenste Unterschiede, wie Sprache, Religion, Kasten, etc., die ihnen unüberwindbar schienen. Diese Ansicht schien sich mit den Wahlen von 2014 zu bestätigen, als die meisten nationalen Parteien gegenüber den regionalen an Stimmen verloren.

Das Klassenbewusstsein
Während die Führung der indischen ArbeiterInnenbewegung vor sich hin dümpelt, lassen sich in der ArbeiterInnenklasse selbst massive Bewusstseinssprünge beobachten. Während zum Beispiel 2011 insgesamt 734’763 Arbeitende an Streiks teilnahmen, gab es 2012 einen Generalstreik mit 100 Millionen Teilnehmenden. Ausserdem lässt sich feststellen, dass regionale Bewegungen durch den Generalstreik zu einem landesweiten Kampf verbunden wurden. Zum Beispiel die Arbeitenden der Kohleminen, von denen bereits letztes Jahr eine halbe Million gegen Privatisierung streikten, die Arbeitenden in den Autofabriken von Nodia, die seit längerem gegen Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen kämpfen oder die Angestellten des Gesundheitssektors, die seit mehr als 9 Monaten für bessere Löhne kämpfen. Sie alle streikten gemeinsam.
Die Arbeitenden haben begriffen, dass trotz der Differenzen, nach denen sie seit der Unabhängigkeit gespalten wurden, die Probleme überall dieselben sind. Die Armut in Indien ist extrem. Hunderte Millionen leben von unter 1.9$ PPP (Vergleichswert Kaufkraft in USA) am Tag. Über 100 Millionen wohnen in Slums. Auf dem Land ist die Situation noch prekärer. Da leben bis zu 75% (ca. 700 Mio.) unter der Armutsgrenze von 1.9$ PPP. Durch die Krise hat sich die Situation der indischen Wirtschaft, die zuvor massives Wachstum vorweisen konnte, verändert. Um mit Bangladesch, Sri Lanka und China konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Arbeitskosten gesenkt werden. Trotz der prekären Situation der Arbeitenden, plant die Regierung deshalb weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen. Diese Massnahmen stehen jedoch im direkten Widerspruch mit den Forderungen der Streikenden, für die die Situation schon heute unerträglich ist.

Der Streik
Die erste Forderung der Streikenden verlangt sofortige Massnahmen gegen die steigenden Preise, die teilweise durch künstliche Verknappung aber auch durch andere Faktoren bedingt sind. Die zweite Forderung betrifft die Arbeitslosigkeit. Die Regierung soll mittels Schaffung von Arbeitsplätzen sicherstellen, dass die Arbeitslosigkeit nicht steigt. In Indien setzt dies mindestens eine Million neue Arbeitsplätze pro Monat voraus, was in der Krise unmöglich ist. Auch die Einhaltung der Arbeitsgesetze, sowie die Einführung der Organisationsfreiheit und des kollektiven Verhandlungsrechts wird gefordert. Weitere Forderungen sind Mindestlöhne von 18’000 Rs. (1’026.79 USD PPP pro Monat), ein besseres Rentensystem und umfassende Sozialwerke für alle sowie ein Ende der Privatisierungen, keine Leiharbeit auf permanenter Basis und gleiche Löhne für Leiharbeitende.
Um diese Forderungen konnte ein beträchtlicher Teil der indischen ArbeiterInnenklasse mobilisiert werden. Arbeitende aus allen Sektoren und allen Teilen des Landes nahmen an diesem Streik teil. In vielen Städten öffnete keine Bank, öffnete kein Laden, fuhr kein Bus, kein Taxi und keine Rikscha. Organisierte und unorganisierte sowie private und öffentliche Angestellte, aus der Industrie und dem Dienstleistungssektor führten den Kampf.
Der Streik war insgesamt ein riesiger Erfolg. Nichts konnte die Streikenden stoppen. Sie haben ihre massive Stärke gezeigt. Wie und ob die Forderungen umsetzt werden, hängt weitgehend von einer entschlossenen Führung ab. Die Massenbasis hat zweimal gezeigt, dass sie bereit ist zu kämpfen.

Cyrill Schenkel
JUSO Stadt Zürich