Seit über 50 Tagen sind die Massen in Frankreich gegen die asoziale Rentenreform auf den Strassen. Um zu gewinnen, brauchen wir die Ausweitung des Kampfes und den Sturz der Regierung Macron.

Fast überall auf der Welt sind die Massen im Aufstand. Frankreich ist hier keinesfalls die Ausnahme. Die massive Streikwelle gegen die asoziale Rentenreform der Regierung Macron beweist das anschaulich, wie auch die Gilets-jaunes–Bewegung, die sich gegen ungerechte Besteuerung der Armen richtete und von einer erdrückenden Mehrheit der französischen ArbeiterInnen unterstützt wurde.
Diese Bewegungen sind nicht isoliert und entstehen nicht zufällig. Sie sind die Frucht jahrelanger Sparpolitik, sie sind der kristallisierte Hass auf stetige Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen.

Was läuft schief?

Seit der Krise 2008 haben Regierungen nur Sparrunden, Steuergeschenke an die Reichsten und Kürzungen der öffentlichen Dienstleistungen anzubieten. Für die französische Bourgeoisie sind diese «Reformen» bitter notwendig. Die Krise von 2008 hat die Konkurrenz zwischen verschiedenen Bourgeoisien befeuert – und in diesem Spiel ist der französische Kapitalismus eindeutig unterlegen. Angesichts der deutschen Konkurrenz war es absolut notwendig, die Profitabilität durch Angriffe auf die französischen Lohnabhängigen aggressiv wiederherzustellen. Macrons Politik ist hier vorbildhaft für das Kapital: Schwächung des Arbeitsgesetzes, Ausweitung der Kürzungen und Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen (insb. Gesundheits-, Bildungs-, Transportwesen), Abschaffung der Vermögenssteuer – und nun die brutale Reform des Rentensystems. Seit Beginn seiner Amtszeit war Macron bloss Instrument der Bourgeoisie und ihrer Interessen. Allerdings toleriert die französische ArbeiterInnenklasse keine Rentenreformen: Bereits 1995 zwang sie mittels massiver Streikaktionen den Premierminister Alain Juppé, der ähnliche Reformen geplant hatte, zum Rücktritt. Macron nimmt also ein enormes Risiko für seine politische Karriere in Kauf, wird aber gleichzeitig vom französischen Kapitalismus, mit grosser Dringlichkeit, dazu gezwungen.

Die Reaktion der Massen

Glücklicherweise sind wir nicht dazu gezwungen, den Gürtel enger zu schnallen und das Ende der Krise auszuharren. Es ist möglich – und notwendig! – der Sparpolitik Einhalt zu gebieten und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, nämlich mit Widerstand. Genau dies tun die französischen Massen, die nun bereits seit über 50 Tagen gegen die Rentenreform mobilisieren und punktuell in den Streik treten. Seit Dezember nehmen Millionen von Streikenden an der grössten Streikbewegung der letzten 20 Jahre teil. Die Radikalität ihrer Forderungen beweist, dass sie die Gilets-jaunes-Bewegung fortsetzen; «Macron, démission» ist nach wie vor die Hauptparole. Diese Kampfbereitschaft rührt von den Erfahrungen der letzten Jahre und der stetigen Radikalisierung her; die «Nuit debout»-Bewegung, der Erfolg der linken Partei «La France insoumise», die Kämpfe gegen das neue Arbeitsgesetz und natürlich den Gilets jaunes. All diese Erscheinungen zeugen von einer unterschwelligen Radikalisierung in der französischen Gesellschaft in den letzten Jahren. Dies drückt sich nun im Kampf gegen die Konterreform aus.
Die französischen ArbeiterInnen, insbesondere die Angestellten der SNCF und RATP (die öffentlichen Verkehrsmittel von Paris), haben einen heldenhaften, unbegrenzten Streik gegen die Regierung und ihre Konterreform geführt. Dennoch hat Macron seine Konterreform noch nicht zurückgezogen – warum?

Strategie und Siegesbedingungen

Wir verfügen über zahlreiche historische Beispiele dafür, dass die Bourgeoisie vor einfachen Bewegungen nicht zurückweicht, sondern erst in Panik gerät und Konzessionen macht, wenn sie in ihren Interessen angegriffen wird. Tatsächlich hat die dank der Streiks eingeschüchterte französische Regierung schon den Versuch gestartet, die Bewegung mit falschen Konzessionen zu spalten. Wie aber jeder, der schon mal an einem Streik teilgenommen hat, bezeugen kann, ist die Schlagkraft der ArbeiterInnenklasse dann am grössten, wenn sie am stärksten geeint ist. Die Grundbedingung für einen siegreichen Streik ist seine Ausweitung, erstens auf möglichst viele ArbeiterInnen im Betrieb, dann aber vor allem auch auf andere Sektoren der Wirtschaft. Die Bourgeoisie kann einen Streik tolerieren, solange er sich auf den öffentlichen Verkehr beschränkt. So wird sich die Bewegung langsam erschöpfen. Genau das geschieht nun in Frankreich: So lange sich der Streik nicht auf andere Sektoren ausbreitet und grössere Mengen von ArbeiterInnen anzieht, wird die Regierung im Sattel sitzen und alles versuchen, um die Bewegung zu spalten. Der Schlüssel zum Sieg ist also nicht die Dauer des Streiks, sondern seine rasche Ausbreitung. Diese Ausbreitung ist keine Wunschvorstellung, sondern hat riesiges Potential, wie uns einige spontane Streiks zeigen (die Hafenarbeiter von le Havre, die Öl-Arbeiter von Feyzin, die Tänzerinnen vom Pariser Theater). Vor allem aber besteht das Potential in den Kampferfahrungen, welche Millionen von Lohnabhängigen in den letzten Jahren gesammelt haben.

Die Rolle der Gewerkschaften

Diese unglaublich wichtige Aufgabe kommt den Gewerkschaften zu, in erster Linie der CGT. Sie haben die Verantwortung, die ArbeiterInnen in der Verteidigung ihrer Interessen zu organisieren. Ihre Priorität sollte heute sein, , den Kampf nach und nach auf möglichst viele Sektoren auszuweiten. Die Führung der CGT hat sich jedoch in den Kopf gesetzt, nur genug Kraft aufbauen zu müssen, um mit Macron verhandeln zu können – anstatt systematisch den ArbeiterInnen zu erklären, wie der Sieg eigentlich erreicht werden kann, der das Ende der Regierung Macron bedeuten würde! Sie bremst die Bewegung mit Verhandlungen aus und das spielt Macron in die Hände.  So verurteilt sie die Streikbewegung zu einem langsamen, doch sicheren Tod. Die Gewerkschaften müssen sich zwingend auf die ArbeiterInnen ausrichten, nicht mit den Bourgeois verhandeln!
Obwohl die Führung der CFDT, die grösste christliche Gewerkschaft, den Streik zugunsten Macrons «Konzessionen» abblasen wollte, streikt ihre Basis nach wie vor weiter. Dies unterstreicht noch einmal die Radikalität der Bewegung und ihr brachliegendes Potential.

Sieg gegen Macron

Die Vorlagen, welche das neugewählte Parlament beschäftigen, zeigen: Die Bourgeoisie drängt auf Angriffe auf die Lohnabhängigen. Wie muss die Linke diesen begegnen?Die Gewerkschaftsführungen wurden seit Beginn der Gilets-jaunes-Bewegung (mit der sie nichts zu tun haben wollten) von ihren Basismitgliedern förmlich überrollt. Und auch jetzt, da sie nichts anzubieten haben ausser einen sehr engen Fokus auf die aktuelle Rentenreform, bremsen die Führungen der Gewerkschaften und der «France Insoumise» die Bewegung enorm. Diese ist schon über die Reform hinausgegangen: An Demonstrationen werden Forderungen aufgestellt, die viel weiter gehen und gar den Sturz der «Regierung der Reichen» fordern. Eine logische Folgerung, ist der französische Kapitalismus doch in der Krise und kann die französische Regierung nichts anderes tun, als die ArbeiterInnen anzugreifen und die Interessen des Kapitals durchzusetzen. Eine solche Regierung wird es zu gegebener Zeit auch mit der Reform nochmals versuchen. Die einzige nachhaltige Alternative zur Rentenreform ist die Absetzung Macrons und seine Ersetzung durch eine ArbeiterInnenregierung. Das bedingt den Bruch mit dem Kapitalismus. Wollen die Gewerkschaften und La France Insoumise gewinnen, müssen sie einen konsequenten Kampf gegen die Regierungspolitik und für die Verbesserung der Lebensbedingungen in allen Bereichen führen. Nur mit dieser Einstellung und einem ambitionierten Programm können Siege errungen werden. Das bedarf einer revolutionären Perspektive und linker Organisationen, die dazu bereit sind, den Kampf bis zum Ende des Kapitalismus zu führen!

(Bild: Olivier Ortelpa)