Jemen, Syrien, Libanon – Im Nahen Osten verschärfen sich die Spannungen zwischen den regionalen Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran. Dieser Konflikt droht immer mehr, den Klassenkampf in der Region anzuheizen und zugleich beide Regionalmächte in eine revolutionäre Krise zu stürzen.

Die Attacke auf das saudische Ölfeld im September, eine mutmassliche Rache-Aktion der Houthis, muss vor dem Hintergrund des saudisch-iranischen Kräftemessens im Nahen Osten betrachtet werden. Seit 2015 führt Saudi-Arabien einen bestialischen Vernichtungskrieg gegen die pro-iranischen Houthi-Rebellen im südlichen Nachbarland. Der Krieg gegen die Houthis wird von Saudi-Arabien als Abwehrkampf gegen eine «iranische Aggression» im Jemen gedeutet.

Der Iran gehört zu den unbestrittenen Profiteuren des blutigen Chaos, in welchem der Nahe Osten seit dem US-Einmarsch im Irak und vor allem seit Ausbruch des Syrien-Kriegs versank. Mit den schiitischen Milizen, die de facto den Irak kontrollieren, dem verbündeten Assad-Regime in Syrien und der libanesischen Hisbollah, reicht die pro-iranische Achse jetzt beinahe nahtlos bis ans Mittelmeer. Dies erklärt die aggressive Strategie Saudi-Arabiens im Jemen, aber auch die anti-iranischen Drohgebärden ihrer Schutzmacht USA zur Zeit. Die Golfmonarchie unterstützte ausserdem die reaktionärsten sunnitisch-islamistischen Gruppen im Libanon, Syrien und dem Irak, um den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Damit nährten die Regionalmächte religiöses Sektierertum und ethnischen Hass.

Naher Osten in Flammen

Sowohl Saudi-Arabien als auch der Iran streben nach Macht und Einfluss in der Region. Durch ihre militärischen Interventionen zerstören sie aber zugleich das soziale Gleichgewicht im Innern dieser Länder. Die aktuellen Massenproteste im Irak und im Libanon sind ein Zeugnis davon. Der Iran setzte hier auf indirekte Kontrolle dieser Staaten durch die irakische PMF respektive die libanesische Hisbollah, beides pro-iranische schiitische Milizen. Im Libanon hat sich die Hisbollah gegen die Proteste und auf die Seite der Regierung geschlagen, wofür sie den gleichberechtigten Hass der Massen erntet. Im Irak richten sich die seit Anfang Oktober tobenden Proteste gegen die pro-iranische Regierung, wobei die Proteste gleichwohl von der sunnitischen wie auch der schiitischen Arbeiterklasse ausgehen. Die Strategie, die Bevölkerungen entlang der Konfessionen zu spalten, läuft ins Leere: in beiden Ländern stehen nun Sunniten und Schiiten geeint auf den Strassen und fordern ein Ende von Korruption, Sparmassnahmen und Kriegstreiberei. Der Klassenkampf durchbricht die Spaltung der Unterdrückten. Die Regimes am Golf zittern angesichts des Beispiels, welches die libanesischen und irakischen Massen für die saudische und iranische Bevölkerung setzen. Der Versuch der Golfmächte, ihre Kontrolle mit aggressiver Aussenpolitik zu festigen, droht, nach hinten loszugehen, nämlich diese Länder selbst in revolutionäre Krisen zu stürzen.

Die Mullahs wanken…

Sowohl der Iran als auch Saudi-Arabien sind innenpolitisch chronisch instabil und tickende soziale Zeitbomben. Beide Wirtschaften befinden sich schon seit Jahren in einer tiefen Krise, was stark mit dem seit 2014 sinkenden Ölpreis zusammenhängt. Der Barrel-Preis fiel von 100 auf 30 US-Dollar und hat sich seither kaum erholt. Der Iran leidet seit Mai 2018 zudem wieder unter den Sanktionen der USA, durch welche sich elementare Lebensmittel wie Fleisch oder Milchprodukte um bis zu 60% verteuerten. Die soziale Ungleichheit nimmt massiv zu und ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut. Die jüngste Welle von Massenprotesten 2017/2018 hinterlässt ihre Spuren bis heute im Bewusstsein der Massen. Im Gegensatz zu Protesten in vorhergegangenen Jahren erschütterten diese zum ersten Mal die ländlichen Regionen, in denen das Regime üblicherweise einen starken Rückhalt geniesst. Bis heute flackern im Monatsrhythmus immer wieder Massenstreiks und Proteste auf.

…und so auch die Scheichs

Saudi-Arabien wirkt, oberflächlich betrachtet, stabiler. Doch unter dieser Oberfläche spitzen sich krasse Widersprüche zu. Mit dem dramatischen Einbruch des Ölpreises 2014 verdünnte sich der wichtigste Geldstrom der Monarchie. Seither stieg die Neuverschuldung des Golfstaats kontinuierlich an – 2019 allein um 19%. Dies zwang die Monarchie zur Umsetzung von harten Sparmassnahmen: Kürzungen von Subventionen für Grundnahrungsmittel, Erhöhung der Benzinpreise, Entlassungen und Lohnkürzungen der Staatsangestellten, sowie Privatisierung von öffentlichem Wohnraum. 60% der saudischen Bevölkerung sind mittlerweile in Mietrückständen oder verschulden sich, um die Miete zu bezahlen. Auch den Scheichs fällt es immer schwerer, ihre Herrschaft mit religiösem Sektierertum zu festigen. Die Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen treffen nicht mehr länger nur die diskriminierte schiitische Minderheit oder die 11 Millionen GastarbeiterInnen, welche häufig sklaverei-ähnlichen Arbeitsverhältnissen ausgesetzt sind. Auch die bislang relativ privilegierte sunnitische Mehrheit wird zunehmend Opfer von Verschlechterungen ihres Lebensstandards. Mit dieser zunehmenden Generalisierung der Angriffe riskiert das Regime also einen generalisierten Gegenschlag der Unterdrückten.

Vom Krieg zur Revolution?

Die ausländischen Militäreinsätze bringen die angespannten Volkswirtschaften zusätzlich an den Rand des Kollapses. Die iranischen Militärausgaben haben seit 2014 um einen Drittel zugenommen. Saudi-Arabien ist mit fast 70 Milliarden US-Dollar der weltweit grösste Rüstungsimporteur. Insbesondere die Kosten des Jemen-Kriegs sind für die Monarchie ins Unermessliche gestiegen. Diese überdimensionierten Rüstungsausgaben verschärfen die brutalen Sparmassnahmen, welche auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden. Im Dezember 2017 erklang daher im Iran auch der Protestruf: «Raus aus Syrien, kümmert euch um uns!»

Gleichzeitig stehen an der Spitze dieser Gesellschaften eine immer kleinere, dafür umso mehr parasitäre Klasse: Im Iran die Mullahs, in Saudi-Arabien das Königshaus und der Klerus, welche in beiden Fällen aufs engste mit den Besitzenden, den Kapitalisten verbandelt sind. Durch ihren obszönen Reichtum und ihren dekadenten Lebensstil stossen sie auf immer offeneren Hass der unterdrückten Klassen. 

Die Zuspitzung der sozialen Widersprüche ist vor allem explosiv vor dem Hintergrund der jüngsten revolutionären Erschütterungen im Sudan und in Algerien, und nun auch im Libanon. Der Iran und Saudi-Arabien konnten sich 2011 noch gerade so knapp der Ansteckung durch die arabischen Revolutionen entziehen, doch heute befinden sich die beiden Staaten in einer weitaus fragileren Verfassung.

Eine erneute revolutionäre Welle im Nahen und Mittleren Osten wird kein Stein auf dem anderen mehr lassen. Nur das Aufbäumen der Arbeiterklasse in der ganzen Region kann diese barbarischen Regimes wegfegen.

Bild: Carlos Latuff