«Im Jahr 1917 ging Russland durch die grösste soziale Krise. Auf der Basis all der Lektionen der Geschichte kann man jedoch mit Gewissheit sagen: Wäre keine bolschewistische Partei dagewesen, dann wäre die unermessliche revolutionäre Energie der Massen in sporadischen Explosionen verpufft, und die grossen Erhebungen wären in der schwersten konterrevolutionären Diktatur geendet. Der Klassenkampf ist die treibende Kraft der Geschichte. Er braucht ein richtiges Programm, eine entschiedene Partei, eine vertrauenswürdige und mutige Führung – keine Helden des Salons und der parlamentarischen Phrasen, sondern Revolutionäre, die bereit sind, bis zum Ende zu gehen. Das ist die wichtigste Lehre aus der Oktoberrevolution.» (Trotzki, Lessons of October, marxists.org, unsere Übersetzung)

Eine Revolution stellt per Definition einen Wendepunkt dar, an dem der Prozess der menschlichen Entwicklung einen mächtigen neuen Anstoss erhält. Was auch immer man von der russischen Oktoberrevolution 1917 halten mag, an ihrer kolossalen historischen Bedeutung kann kein Zweifel bestehen. Mehr als drei Viertel des 20. Jahrhundert wurden von ihr beherrscht. Und auch heute, zu Beginn des neuen Jahrtausends, ist die Welt noch immer grundlegend von ihrem Nachhall betroffen. Die Untersuchung der Russischen Revolution bedarf daher weder einer Erklärung noch einer Entschuldigung. Sie gehört zu jener Kategorie grosser historischer Umwälzungen, die uns zwingt, von einem Vorher und einem Nachher zu sprechen, wie die Revolution von Cromwell in England oder die grosse französische Revolution von 1789-93.

Zwischen der Oktoberrevolution in Russland und den grossen bürgerlichen Revolutionen der Vergangenheit gibt es viele Gemeinsamkeiten. Manchmal erscheinen diese Parallelen fast unheimlich und erstrecken sich sogar auf die Persönlichkeiten der wichtigsten dramatis personnae, wie etwa die Ähnlichkeit zwischen Karl I. von England, Ludwig XVI. von Frankreich und Zar Nikolaus sowie ihren ausländischen Ehefrauen. Doch trotz aller Ähnlichkeiten gibt es aber einen grundlegenden Unterschied zwischen der bolschewistischen Revolution und den bürgerlichen Revolutionen der Vergangenheit. Der Kapitalismus kann, anders als der Sozialismus, spontan aus der Entwicklung der Produktivkräfte entstehen und tut dies auch. Als Produktionssystem erfordert der Kapitalismus kein bewusstes Eingreifen von Männern und Frauen. Der Markt funktioniert wie ein Ameisenhaufen oder eine andere selbstorganisierende Gemeinschaft der Tierwelt, also blind und automatisch. Die Tatsache, dass dies auf anarchische, krampfhafte und chaotische Weise geschieht, dass es unendlich verschwenderisch und ineffizient ist und das ungeheuerlichste menschliche Leid erzeugt, ist für diese Überlegung irrelevant. Der Kapitalismus «funktioniert» und funktioniert seit etwa zweihundert Jahren – ohne jegliche menschliche Kontrolle oder Planung. Um ein solches System ins Leben zu rufen, bedarf es keiner besonderen Einsicht oder eines besonderen Verständnisses. Diese Tatsache hat einen Einfluss auf den grundlegenden Unterschied zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Revolution.

Der Sozialismus unterscheidet sich vom Kapitalismus, weil er im Gegensatz zu letzterem die bewusste Kontrolle und Verwaltung des Produktionsprozesses durch die Arbeiterklasse erfordert. Er funktioniert nicht und kann nicht funktionieren ohne das bewusste Eingreifen von Männern und Frauen. Die sozialistische Revolution unterscheidet sich qualitativ von der bürgerlichen Revolution, weil sie nur durch die bewusste Bewegung der Arbeiterklasse herbeigeführt werden kann. Der Sozialismus ist demokratisch oder er ist nichts. Von Anfang an, in der Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Sozialismus, muss die Leitung der Industrie, der Gesellschaft und des Staates fest in den Händen der Werktätigen liegen. Es muss ein Höchstmass an Beteiligung der Massen an der Verwaltung und Kontrolle geben. Nur so ist es möglich, die Entstehung einer Bürokratie zu verhindern und die materiellen Voraussetzungen für die Bewegung in Richtung Sozialismus zu schaffen – einer höheren Gesellschaftsform, die durch die völlige Abwesenheit von Ausbeutung, Unterdrückung und Zwang gekennzeichnet ist, und somit durch das allmähliche Absterben dieses monströsen Relikts der Barbarei, des Staates.

Es gibt noch einen weiteren Unterschied. Um die Macht zu erobern, musste die Bourgeoisie die Massen gegen die alte Ordnung mobilisieren. Dies wäre undenkbar gewesen auf der Grundlage des erklärten Ziels, die Bedingungen für die Herrschaft von Rente, Zins und Profit zu erschaffen. Stattdessen stellte sich die Bourgeoisie als Vertreterin der gesamten leidenden Menschheit hin. Im England des 17. Jahrhunderts sollte sie für die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden kämpfen. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts bewarb sie sich als Vertreterin der Herrschaft der Vernunft. Zweifellos glaubten viele derjenigen, die unter diesen Bannern kämpften, aufrichtig daran, dass sie wahr sind. Männer und Frauen kämpfen nicht gegen alle Widrigkeiten und setzen alles aufs Spiel, ohne die besondere Motivation, die aus der brennenden Überzeugung von der Richtigkeit ihrer Sache erwächst. Die erklärten Ziele entpuppten sich in jedem Fall als reine Illusion. Der wahre Inhalt der englischen und der französischen Revolution war bürgerlich und konnte in der gegebenen historischen Epoche nichts anderes sein. Und da das kapitalistische System so funktioniert, wie wir es bereits beschrieben haben, machte es keinen grossen Unterschied, ob die Menschen verstanden, wie es funktioniert oder sie es nicht verstanden.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Arbeiten zu diesem Thema geht die vorliegende Arbeit nicht von der Auffassung aus, dass Revolutionen nur der Vergangenheit angehören. Im Gegenteil. Die gegenwärtige Weltsituation liefert immer mehr Beweise dafür, dass sich die fortschrittliche Rolle des Kapitalismus nun völlig erschöpft hat. Die materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus sind im Weltmassstab längst reif. Es besteht die Möglichkeit, eine Welt von ungeahntem Überfluss zu schaffen. Dennoch leben zahllose Millionen in bitterem Elend. Wenn man sich heute in der Welt umschaut, dann findet man in Lenins Buch Imperialismus: Die höchste Stufe des Kapitalismus einen besonders modernen Klang. Die Macht der Grossbanken, Monopole und multinationalen Unternehmen war noch nie so gross wie heute. Und sie haben ebenso wenig die Absicht, sie kampflos abzugeben wie die degenerierten absoluten Monarchen der Vergangenheit. Die erste Voraussetzung für den menschlichen Fortschritt besteht darin, die Macht dieser modernen Herrscher zu brechen. Um dies zu erreichen, muss zunächst der Widerstand der Klasse, die in der heutigen Gesellschaft die Macht innehat, besiegt und gestürzt werden: die Bankiers und Monopolisten, die nicht nur durch ihre wirtschaftliche Macht, sondern auch durch ihre Kontrolle über den Staat und ihr Kulturmonopol herrschen.

Um diese Aufgaben zu bewältigen, braucht die Arbeiterklasse Partei und eine Führung, die dieser Aufgabe angemessen sind. Anders als die französischen und englischen Revolutionäre des 17. und 18. Jahrhunderts kann die moderne Arbeiterklasse die Gesellschaft nur auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Verständnisses der Welt, in der sie lebt, verändern. Dies liefert der Marxismus, die einzige wirklich konsequente und wissenschaftliche Form des Sozialismus. Die Geschichte des Bolschewismus liefert uns ein Modell dafür, wie dies erreicht werden kann. In den Annalen der Geschichte dürfte es schwierig sein, ein anderes Beispiel für ein so erstaunliches Wachstum zu finden wie das der bolschewistischen Partei im Jahr 1917, als sie innerhalb von neun Monaten von 8’000 auf mehr als eine Viertelmillion Mitglieder anwuchs. Diese Leistung war das Ergebnis jahrzehntelanger geduldiger Arbeit, die in kleinen Kreisen begann und eine ganze Reihe von Etappen durchlief, in denen auf spektakuläre Fortschritte bittere Niederlagen, Enttäuschungen und Verzweiflung folgten. Das Leben eines jeden Mannes und einer jeden Frau kennt ähnliche Momente. Die Summe solcher Erfahrungen ist das Leben selbst, und die Art und Weise, wie ein Individuum die Probleme des Lebens überwindet und die Lehren aus den verschiedensten Umständen aufnimmt, ermöglicht ihm, zu wachsen und sich zu entwickeln. Genauso ist es mit der Partei. Aber der Einzelne lernt auch wertvolle Lektionen aus den Erfahrungen und dem Wissen anderer. Wie schwierig wäre das Leben, wenn wir darauf bestehen würden, das akkumulierte Wissen der Menschen um uns herum zu ignorieren! Und genauso ist es notwendig, die kollektiven Erfahrungen der Arbeiterklasse in verschiedenen Ländern zu studieren und so Fehler zu vermeiden, die bereits gemacht wurden; denn, wie George Santayana einmal sagte, wer nicht aus der Geschichte lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

Braucht es eine Partei?

Die gesamte Geschichte des Klassenkampfes der letzten hundert Jahre liefert die Antwort auf diese Frage. Der Marxismus leugnet keineswegs die Bedeutung der Rolle des Individuums in der Geschichte, sondern erklärt nur, dass die Rolle, die Individuen oder Parteien spielen, durch den gegebenen Stand der historischen Entwicklung, durch das objektive gesellschaftliche Umfeld, das letztlich durch die Entwicklung der Produktivkräfte bestimmt wird, begrenzt ist. Dies bedeutet nicht – wie von den Kritikern des Marxismus behauptet – dass Männer und Frauen lediglich Marionetten des blinden Wirkens des «ökonomischen Determinismus» sind. Marx und Engels erklärten, dass Männer und Frauen ihre eigene Geschichte machen, aber sie tun dies nicht als völlig freie Akteure, sondern sie müssen auf der Grundlage der Gesellschaftsform arbeiten, die sie vorfinden. Die persönlichen Qualitäten politischer Persönlichkeiten – ihre theoretische Vorbereitung, ihr Geschick, ihr Mut und ihre Entschlossenheit – können das Ergebnis in einer bestimmten Situation bestimmen. Es gibt kritische Momente in der Geschichte der Menschheit, in denen die Qualität der Führung der entscheidende Faktor sein kann, der das Gleichgewicht in die eine oder andere Richtung lenkt. Solche Phasen sind nicht die Regel, sondern treten nur dann auf, wenn alle verborgenen Widersprüche über einen langen Zeitraum hinweg langsam gereift sind, bis zu dem Punkt, an dem – in der Sprache der Dialektik – Quantität in Qualität umgewandelt wird. Obwohl der Einzelne die Entwicklung der Gesellschaft nicht allein durch die Kraft seines Willens bestimmen kann, ist die Rolle des subjektiven Faktors in der menschlichen Geschichte letztlich entscheidend.

Das Vorhandensein einer revolutionären Partei und Führung ist für den Ausgang des Klassenkampfes nicht weniger entscheidend als die Qualität der Armee und ihres Generalstabs in den Kriegen zwischen den Nationen. Die revolutionäre Partei kann nicht spontan improvisiert werden, genauso wenig wie ein Generalstab bei Kriegsausbruch improvisiert werden kann. Er muss über Jahre und Jahrzehnte systematisch vorbereitet werden. Diese Lektion hat die gesamte Geschichte gezeigt, insbesondere die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Rosa Luxemburg, die grosse Revolutionärin und Märtyrerin der Arbeiterklasse, hat immer die revolutionäre Initiative der Massen als Motor der Revolution betont. Damit hatte sie absolut Recht. Im Verlauf einer Revolution lernen die Massen schnell. Aber eine revolutionäre Situation kann ihrem Wesen nach nicht lange andauern. Die Gesellschaft kann nicht in einem permanenten Zustand der Gärung gehalten werden, und die Arbeiterklasse nicht in einem Zustand des glühenden Aktivismus. Entweder wird rechtzeitig ein Ausweg aufgezeigt, oder der Moment ist verloren. Es gibt nicht genug Zeit zum Experimentieren oder für die Arbeiter, durch trial and error zu lernen. In einer Situation, in der es um Leben und Tod geht, werden Fehler sehr teuer bezahlt! Deshalb ist es notwendig, die «spontane» Bewegung der Massen mit Organisation, Programm, Perspektiven, Strategie und Taktik zu verbinden – mit einem Wort, mit einer revolutionären Partei, die von erfahrenen Kadern geführt wird.

Eine Partei ist nicht nur eine Organisationsform, ein Name, ein Banner, eine Ansammlung von Personen oder ein Apparat. Eine revolutionäre Partei bedeutet für einen Marxisten in erster Linie Programm, Methoden, Ideen und Traditionen, und erst in zweiter Linie eine Organisation und ein Apparat (so wichtig diese zweifellos sind), um diese Ideen zu den breitesten Schichten der Werktätigen zu tragen. Die marxistische Partei muss sich von Anfang an auf eine Theorie und ein Programm stützen, das die Zusammenfassung der allgemeinen historischen Erfahrung des Proletariats darstellt. Ohne dies ist sie nichts. Der Aufbau einer revolutionären Partei beginnt immer mit der langsamen und mühsamen Arbeit des Aufbaus und der Ausbildung der Kader, die das Rückgrat der Partei während ihres gesamten Lebens bilden. Das ist die erste Hälfte des Problems. Aber nur die erste Hälfte. Die zweite Hälfte ist komplizierter: Wie erreichen wir die Masse der Arbeiter mit unseren Ideen und unserem Programm? Dies ist keineswegs eine einfache Frage.

Marx erklärte, dass die Emanzipation der Arbeiterklasse die Aufgabe der Arbeiterklasse selbst ist. Die Masse der Arbeiterklasse lernt aus Erfahrung. Sie lernen nicht aus Büchern; nicht weil es ihnen an Intelligenz mangelt, wie sich bürgerliche Snobs einbilden, sondern weil ihnen die Zeit fehlt, der Zugang zur Kultur und die Gewohnheit des Lesens, die nicht etwas Automatisches ist, sondern erworben wird. Ein Arbeiter, der nach acht, neun oder zehn Stunden Arbeit auf einer Baustelle oder an einem Fliessband nach Hause kommt, ist nicht nur körperlich, sondern auch geistig müde. Das Letzte, was er oder sie tun möchte, ist, zu lernen oder zu einer Sitzung zu gehen. Solche Dinge überlässt man besser «denen, die Bescheid wissen». Aber wenn es zu einem Streik kommt, ändert sich die gesamte Psychologie. Und eine Revolution ist wie ein grosser Streik der gesamten Gesellschaft. Die Massen wollen verstehen, was vor sich geht, sie wollen lernen, denken und handeln. Natürlich sind die Aktionen der Massen – denen es an Erfahrung und Wissen über Taktik, Strategie und Perspektiven fehlt – gegenüber der herrschenden Klasse im Nachteil, die durch ihre politischen und militärischen Vertreter über eine lange Erfahrung verfügt und auf solche Situationen viel besser vorbereitet ist. Sie verfügt über ein ganzes Arsenal an Waffen: die Kontrolle über den Staat, die Armee, die Polizei und die Justiz, die Presse und die anderen Massenmedien – mächtige Instrumente zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und für Verleumdung, Lüge und Rufmord. Sie verfügt über viele weitere Waffen und Hilfskräfte: die Kontrolle über die Schulen und Universitäten, ein Heer von «Experten», Professoren, Wirtschaftswissenschaftlern, Philosophen, Anwälten, Priestern und anderen, die bereit sind, ihre moralischen Skrupel zu überwinden und sich zur Verteidigung der «Zivilisation» (d.h. ihrer eigenen Privilegien und der ihrer Herren) gegen «Chaos» und «Pöbel» zusammenzuschliessen.

Die Arbeiterklasse kommt nicht so leicht zu revolutionären Schlussfolgerungen. Wenn das so wäre, wäre die Aufgabe des Parteiaufbaus überflüssig. Die Aufgabe, die Gesellschaft zu verändern, wäre einfach, wenn die Bewegung der Arbeiterklasse geradlinig verlaufen würde. Aber das ist nicht der Fall. Im Laufe einer langen historischen Periode erkennt die Arbeiterklasse die Notwendigkeit der Organisation. Durch die Gründung von Organisationen, sowohl gewerkschaftlicher als auch – auf höherer Ebene – politischer Art, beginnt die Arbeiterklasse, sich als Klasse mit einer unabhängigen Identität auszudrücken. In der Sprache von Marx geht sie von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich über. Diese Entwicklung vollzieht sich im Laufe einer langen historischen Periode durch alle Arten von Kämpfen, an denen nicht nur eine Minderheit von mehr oder weniger bewussten Aktivisten teilnimmt, sondern auch die «politisch ungebildeten Massen», die im Allgemeinen erst durch grosse Ereignisse zur aktiven Teilnahme am politischen (oder auch gewerkschaftlichen) Leben erweckt werden. Auf der Grundlage grosser historischer Ereignisse beginnt die Arbeiterklasse, Massenorganisationen zu schaffen, um ihre Interessen zu verteidigen. Diese historisch gewachsenen Organisationen – die Gewerkschaften, Genossenschaften und Arbeiterparteien – stellen den Keim einer neuen Gesellschaft innerhalb der alten dar. Sie dienen dazu, die Klasse zu mobilisieren, zu organisieren, zu schulen und zu erziehen.

Die zum politischen Leben erwachten Massen müssen sich die politische Partei suchen, die am besten in der Lage ist, ihre Interessen zu verteidigen; die Partei, die am entschlossensten und kühnsten ist, die sich aber auch am weitsichtigsten zeigt, die in jeder Phase den Weg nach vorn aufzeigen kann und zeitgemässe, der realen Situation entsprechende Parolen ausgibt. Aber wie soll man entscheiden, welche Partei und welches Programm das richtige ist? Es gibt so viele! Die Massen müssen die Parteien und Führer in der Praxis testen, denn es gibt keinen anderen Weg. Dieser Prozess der sukzessiven Annäherung ist verschwenderisch und zeitraubend, aber er ist der einzig mögliche. In jeder Revolution – nicht nur in Russland 1917, sondern auch in Frankreich im 18. und in England im 17. Jahrhundert – ist ein ähnlicher Prozess zu beobachten, bei dem die revolutionären Massen durch die Erfahrung in einem Prozess der sukzessiven Annäherung zu dem konsequentesten revolutionären Flügel finden. Die Geschichte jeder Revolution ist also durch den Aufstieg und Fall von Parteien und Führern gekennzeichnet, ein Prozess, in dem die extremeren Tendenzen immer die gemässigteren ablösen, bis die Bewegung ihre Bewegung abgeschlossen hat.

In der gesamten umfangreichen Geschichte der internationalen Bewegung der Arbeiterklasse ist es unmöglich, eine Geschichte zu finden, die so reich und vielfältig ist wie die der bolschewistischen Partei vor 1917. Eine Geschichte, die sich über drei Jahrzehnte erstreckte und alle Entwicklungsstufen, von kleinen Zirkeln bis zu einer Massenpartei umfasste; die alle Stadien des legalen und illegalen Kampfes, drei Revolutionen und zwei Kriege durchlief und die mit einer Vielzahl komplexer theoretischer Probleme konfrontiert war, nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis: Individualterrorismus, die nationale Frage, die Agrarfrage, Imperialismus und der Staat. Und nirgendwo sonst findet sich ein so umfangreicher und reicher Schatz an marxistischer Literatur, der die ganze Bandbreite der Probleme von A bis Z mit so erstaunlicher Tiefe behandelt wie in den Schriften der beiden grössten Revolutionäre des 20. Jahrhunderts – Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Dawidowitsch Trotzki. Doch der moderne Leser, der sich mit dieser Materie vertraut machen will, steht vor einem unüberwindlichen Problem. Nahezu die gesamte Literatur über die Geschichte des Bolschewismus wurde von eingefleischten Gegnern des Bolschewismus verfasst. Abgesehen von einigen wenigen ehrenwerten Ausnahmen, wie den Arbeiten der französischen marxistischen Historiker Pierre Broué und Marcel Liebman, ist es unmöglich, eine Geschichte der bolschewistischen Partei zu finden, die es wert ist, gelesen zu werden. Aber sowohl Broués als auch Liebmans Thema unterscheidet sich etwas von dem des vorliegenden Werkes, und obwohl ihre Werke empfehlenswert sind, behandeln sie das Thema, mit dem wir uns hier befassen – nämlich wie sich die Bolschewiki auf die Machtübernahme im Jahr 1917 vorbereiteten – nur teilweise.

Über das vorliegende Werk

Das vorliegende Werk (Anm.: Alan Woods, Bolshevism, Wellred Verlag 1999) wurde von einem überzeugten Marxisten geschrieben, der sein ganzes Erwachsenenleben dem Kampf für die Ideen von Marx, Engels, Lenin und Trotzki gewidmet hat. Dass ich damit ein Interesse bekunde, sehe ich nicht als Nachteil an, ganz im Gegenteil. Ich stehe auf einem Standpunkt, der die Geschichte des Bolschewismus nicht als rein akademisches Interesse betrachtet, sondern als etwas Lebendiges und Relevantes für die Gegenwart. Meine Kenntnis der Geschichte des Bolschewismus beschränkt sich nicht auf Buchwissen. Vierzig Jahre aktiver Teilnahme an der marxistischen Bewegung verschaffen einem viele Einsichten, die einem Schriftsteller, dessen Interesse rein akademisch ist, nicht zugänglich sind. Karl Kautsky hat in den Tagen, als er noch Marxist war, ein Buch geschrieben, das sicherlich eines der besten Beispiele für die Methode des historischen Materialismus ist: Der Ursprung des Christentums. In diesem Buch beschreibt er die frühe christliche Bewegung in einer Weise, die nur jemandem möglich war, der die deutsche Sozialdemokratie in ihrer heroischen Frühzeit aus erster Hand kannte, als sie unter harten Bedingungen im Untergrund gegen das sogenannte Sozialistengesetz in Deutschland kämpfte. Es stimmt, der soziale Inhalt beider Bewegungen war radikal unterschiedlich, ebenso wie der historische Moment, in dem sie sich entwickelten. Dennoch sind die Parallelen zwischen diesen revolutionären Bewegungen der Enteigneten gegen den Staat der Reichen und Mächtigen ebenso markant wie die Unterschiede.

Viele der Situationen, mit denen sich die Pioniere des russischen Marxismus konfrontiert sahen, sind mir aus persönlicher Erfahrung sehr vertraut: nicht nur die Arbeit im Kampf für die Ideen des Marxismus in der britischen Arbeiterbewegung, sondern auch die Erfahrung mit der revolutionären Bewegung in Frankreich 1968, in Portugal 1975 und in Spanien während der letzten Jahre der Franco-Diktatur und der Untergrundbewegung gegen die Pinochet-Diktatur in Chile – all dies gab mir reichlich Gelegenheit, aus erster Hand genau die Art von Situationen zu beobachten, mit denen die Bolschewiki in ihrem langen Kampf gegen das zaristische Regime konfrontiert waren. Darüber hinaus habe ich über viele Jahre hinweg persönliche Erfahrungen mit der Arbeit von Revolutionären in Ländern der Dritten Welt in Lateinamerika und Asien gemacht – insbesondere in Pakistan, das die Merkmale einer halbfeudalen Gesellschaft aufweist, die dem zaristischen Russland verblüffend ähnlich sind. Darüber hinaus hatte ich vor dreissig Jahren als Student in der UdSSR, wo ich viel Material erhielt, das ich beim Schreiben dieses Buches verwendete, die Möglichkeit, Menschen zu treffen und mit ihnen zu sprechen, die in der bolschewistischen Partei mitgewirkt hatten, darunter einmal zwei alte Damen, die nach der Revolution als Sekretärinnen für Lenin im Kreml gearbeitet hatten. Ich glaube, dass diese Erfahrungen mir viele Einblicke in das wahre Wesen des Bolschewismus verschafft haben.

Schliesslich verdanke ich Ted Grant, meinem Kameraden, Freund und Lehrer der letzten vierzig Jahre, sehr viel. Ich betrachte Ted nicht nur als den grössten lebenden Vertreter des Marxismus, sondern auch als eine direkte Verbindung – eine der letzten überlebenden Verbindungen – zu den grossen revolutionären Traditionen der Vergangenheit: Die Linke Opposition und die bolschewistische Partei selbst. Dank seiner Arbeit in den letzten sechzig Jahren konnten die Ideen von Lenin und Trotzki – den theoretischen und praktischen Führern des Oktobers – lebendig gehalten, erweitert und weiterentwickelt werden. Das vorliegende Werk ist als Begleitband zu Russia: From Revolution to Counter-Revolution, in dem Ted die Prozesse nachzeichnet, die in Russland nach der Oktoberrevolution stattgefunden haben. Ich glaube, dass diese beiden Bände zusammen eine umfassende Geschichte und Analyse des Bolschewismus und der Russischen Revolution von ihren frühesten Anfängen bis zur Gegenwart bieten.

Ich bin mir bewusst, dass es bei akademischen Historikern des Bolschewismus nicht üblich ist, «ein Interesse zu erklären», wie ich es hier getan habe. Das ist bedauerlich, da die überwiegende Mehrheit von ihnen trotz eines oberflächlichen Anscheins von Unparteilichkeit in Wirklichkeit eindeutig von Vorurteilen oder sogar offener Feindseligkeit gegenüber dem Bolschewismus und der Revolution im Allgemeinen motiviert ist. Ausserdem schliesst das Engagement für einen bestimmten Standpunkt Objektivität keineswegs aus. Ein Chirurg mag leidenschaftlich bemüht sein, das Leben seines Patienten zu retten, wird aber gerade deshalb mit äusserster Sorgfalt zwischen den verschiedenen Schichten des Organismus unterscheiden. Ich habe versucht, das hier behandelte Thema objektiv zu behandeln. Da der Zweck dieses Buches darin besteht, der neuen Generation die Möglichkeit zu geben, alle Lehren aus der historischen Erfahrung mit dem Bolschewismus zu ziehen, wäre es sowohl dumm als auch kontraproduktiv, die Probleme, Schwierigkeiten und Fehler zu beschönigen.

Als Oliver Cromwell sein Porträt malen liess, ermahnte er den Künstler streng, ihn so zu malen, wie er ist – «warts and all!», mit allen Fehlern und Schwächen. Die gleiche wahrheitsgetreue Haltung, der gleiche unverblümte Realismus kennzeichnete stets das Denken von Lenin und Trotzki. Wenn sie Fehler machten, nahmen sie kein Blatt vor den Mund und gaben sie zu. Nach der Revolution sagte Lenin bei einer Gelegenheit, dass sie viele Dummheiten begangen hätten. Das ist weit entfernt von den Geschichten der Stalinisten, die ein falsches Bild der bolschewistischen Partei zeichnen, die immer Recht hatte und nie falsch lag. Das vorliegende Werk zeigt die starken Seiten des Bolschewismus auf, verschweigt aber nicht die Probleme. Dies würde der Sache des Leninismus schweren Schaden zufügen, nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart und in der Zukunft. Damit die neue Generation aus der Geschichte des Bolschewismus lernt, ist es notwendig, ihn so zu malen, wie er war – «warts and all».

Ich habe bewusst so viele nicht-bolschewistische Quellen wie möglich verwendet, insbesondere menschewistische Autoren wie Dan, Axelrod und Martow sowie den Ökonomen Akimow. Zumindest einige bürgerliche Autoren, die dem Bolschewismus kritisch gegenüberstehen, haben sich die Mühe gemacht, viel relevantes Material zu zitieren. Bücher wie David Lanes Werk über die frühe Geschichte der russischen Sozialdemokratie oder Robert McKeans St. Petersburg Between the Revolutions enthalten eine Fülle von Material, das anderswo nicht so leicht zu finden ist. McKeans Buch ist zweifellos als Gegenmittel gegen das übertriebene Bild von der Stärke der Bolschewiki in den Jahren vor 1917 gedacht und wäre weitaus wertvoller, wenn der Autor nicht von seiner Feindschaft zum Bolschewismus beeinflusst worden wäre. Die meisten der anderen Bücher sind weitaus schlechter.

Nachdem ich dieses Material mehr als dreissig Jahre lang studiert habe, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Die beste Quelle für die Wiederentdeckung der Geschichte des Bolschewismus sind die Schriften von Lenin und Trotzki. Sie sind eine unerschöpfliche Fundgrube an Informationen und Ideen, die zusammengenommen eine detaillierte Geschichte Russlands und der Welt für den gesamten betrachteten Zeitraum ergeben. Das Problem ist, dass es sich um eine riesige Menge an Material handelt – 45 Bände von Lenin auf Englisch und etwa zehn weitere auf Russisch. Trotzki hat wahrscheinlich noch mehr geschrieben, aber die Veröffentlichung seiner Werke ist noch verstreuter. Seine brillante Autobiografie Mein Leben, die monumentale Geschichte der Russischen Revolution und sein unterschätztes letztes Meisterwerk Stalin bieten eine Fülle von Material zur Geschichte des Bolschewismus. Das Problem ist, dass der angehende Student des Bolschewismus, der versucht, all dieses Material zu lesen, dafür enorm viel Zeit benötigen würde. Ich habe daher absichtlich eine grosse Zahl recht ausführlicher Zitate aus diesen Quellen aufgenommen, obwohl dies den Text sowohl länger als auch umständlicher gemacht hat. Trotz dieser Einwände erschien mir dies aus zwei Gründen notwendig: 1) um jeglichen Anschein von Ungenauigkeit beim Zitieren zu vermeiden und 2) um das Interesse des Lesers am Lesen der Originale zu wecken. Denn schliesslich ist die Lektüre der Werke von Marx, Engels, Lenin und Trotzki durch nichts zu ersetzen.

Ohne die bolschewistische Partei, ohne die Führung von Lenin und Trotzki hätten die russischen Arbeiter trotz all ihres Heldentums 1917 niemals die Macht übernommen. Das ist die zentrale Lehre des vorliegenden Werkes. Betrachtet man die Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung, so sieht man eine ganze Reihe von blutigen und tragischen Niederlagen. Hier gelang es der Arbeiterklasse zum ersten Mal, wenn man von der kurzen, aber heroischen Episode der Pariser Kommune absieht, ihre Unterdrücker zu stürzen und mit der Aufgabe der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft zu beginnen. Wie Rosa Luxemburg es ausdrückte: Nur sie haben es gewagt. Und es gelang ihnen glänzend. Das ist das «Verbrechen», das die Bourgeoisie und ihre angeheuerten Apologeten den Bolschewiki nie verzeihen können. Bis heute lebt die herrschende Klasse in Todesangst vor der Revolution und wendet nicht wenige Mittel zu ihrer Bekämpfung auf. Die Verbrechen des russischen Stalinismus haben ihr diese Aufgabe sehr erleichtert. Der Verrat an den Ideen Lenins durch die stalinistische Bürokratie in Russland führte schliesslich zu seiner logischen Schlussfolgerung – dem grössten Verrat in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung – der Zerstörung der UdSSR und dem Versuch der herrschenden bürokratischen Kaste, sich in Richtung Kapitalismus zu bewegen. Jetzt, 80 Jahre nach der Revolution, werden alle Errungenschaften des Oktobers zerstört und durch die Barbarei des «freien Marktes» ersetzt. Aber es reicht der herrschenden Klasse niemals aus, eine Revolution zu stürzen. Sie müssen die Erinnerung an sie auslöschen, sie mit Schmutz und Lügen zudecken. Um dieses Kunststück zu vollbringen, benötigen sie die Dienste von treuen Akademikern, die sich gerne in den Dienst der Aufrechterhaltung der «freien Marktwirtschaft» (sprich: der Herrschaft der Grossbanken und Monopole) stellen. Dies erklärt den blinden Hass auf Lenin und Trotzki, der noch immer die Schriften aller bürgerlichen Historiker der Russischen Revolution kennzeichnet, die sich hinter einer Maske falscher Unparteilichkeit verbergen.

Wie die Bourgeoisie den Oktober «erklärt»

Als der schottische Historiker Thomas Carlyle über den grossen englischen Revolutionär Oliver Cromwell schrieb, beklagte er sich darüber, dass er Cromwell erst unter einem Berg von Schutt ausgraben musste, bevor er die Feder zu Papier bringen konnte. Die Geschichtsschreibung ist im Allgemeinen ist nicht unparteiisch, und diejenige der Revolutionen schon gar nicht. Seit der Oktoberrevolution sind die bolschewistische Partei und ihre Führer das Objekt des besonderen Hasses aller der Revolution feindlich gesinnten Kräfte. Dazu gehören nicht nur die Bourgeoisie und die Sozialdemokraten, sondern auch alle Arten von kleinbürgerlichen anarchistischen und halbanarchistischen Elementen und nicht zuletzt die Stalinisten, die über die Leiche von Lenins Partei an die Macht gekommen sind. Es ist unmöglich, eine einzige anständige Geschichte der bolschewistischen Partei in irgendeiner dieser Quellen zu finden. Obwohl die westlichen Universitäten weiterhin einen nicht enden wollenden Strom von Büchern über diesen oder jenen Aspekt der russischen revolutionären Bewegung herausbringen, sind die Feindseligkeit gegenüber dem Bolschewismus und eine giftige Haltung gegenüber Lenin und Trotzki von Anfang bis Ende präsent.

Die gängigste Erklärung für die Oktoberrevolution, die in den westlichen Geschichtsbüchern zu finden ist, lautet, dass es sich nicht um eine Revolution, sondern nur um einen von einer Minderheit durchgeführten Staatsstreich handelte. Aber diese «Erklärung» erklärt genau gar nichts. Wie ist es zu erklären, dass eine winzige Handvoll «Verschwörer», die im März nicht mehr als 8’000 Menschen zählte, nur neun Monate später die Arbeiterklasse zur Machtergreifung führen konnte? Dies impliziert, dass Lenin und Trotzki über wundersame Kräfte verfügten. Aber der Rückgriff auf die angeblich wundersamen Kräfte einzelner Personen zur Erklärung historischer Ereignisse liefert uns wiederum keine Erklärung, sondern verweist den Fragesteller nur auf den einzigen Ort, an dem übermenschliche (d.h. übernatürliche) Eigenschaften entstehen können – nämlich das Reich der Religion und des Mystizismus. Wir sind weit davon entfernt, die entscheidende Bedeutung des Individuums im historischen Prozess zu leugnen. Die Ereignisse von 1917 sind vielleicht die eindrucksvollste Bestätigung der Tatsache, dass die Rolle des Einzelnen unter bestimmten Umständen absolut entscheidend ist. Ohne Lenin und Trotzki hätte die Oktoberrevolution nie stattgefunden. Aber das zu sagen, ist nicht genug. Derselbe Lenin und derselbe Trotzki waren fast zwei Jahrzehnte vor der Revolution in der revolutionären Bewegung aktiv, und doch waren sie die meiste Zeit nicht in der Lage, eine Revolution durchzuführen, und waren über lange Zeiträume ohne jeglichen Einfluss auf die Massen. Den Sieg im Oktober allein dem Genie (wohlwollend oder böswillig, je nach Klassenstandpunkt) von Lenin und Trotzki zuzuschreiben, ist eindeutig Unsinn.

Die Beweise dafür, dass die Russische Revolution mit einem in der Geschichte praktisch beispiellosen Aufstand der Massen einherging, sind zu umfangreich, um sie hier anzuführen. Vor dreissig Jahren, als ich als Doktorand in Moskau war, erinnere ich mich an ein Gespräch, das ich mit einer Frau führte, die damals in fortgeschrittenem Alter war und als Mitglied der bolschewistischen Partei an der Revolution irgendwo in der Wolgaregion teilgenommen hatte. Ich kann mich weder an den genauen Ort noch an ihren Namen erinnern, aber ich weiss noch, dass sie 17 Jahre in einem von Stalins Arbeitslagern verbracht hatte, zusammen mit so vielen anderen Bolschewiki. Und ich erinnere mich noch an etwas anderes. Als ich sie nach der Oktoberrevolution fragte, antwortete sie mit zwei Worten, die sich nicht angemessen übersetzen lassen: «Kakoi pod’yom!» Das russische Wort «pod’yom» hat keine Entsprechung im Englischen, bedeutet aber so viel wie «geistiger Aufschwung». «Was für ein Aufschwung!» wäre eine lahme Wiedergabe dieses Satzes, der mehr als ein Berg von Statistiken die Intensität ausdrückt, mit der die Masse der Bevölkerung die Revolution begrüssten  – nicht nur die Arbeiter, armen Bauern und Soldaten, sondern auch die besten Vertreter der Intelligenz (diese Frau war Lehrerin). Die Oktoberrevolution zog alles an, was in der russischen Gesellschaft lebendig, fortschrittlich und pulsierend war. Und ich erinnere mich, wie die Augen dieser Frau leuchteten, als sie die Freude und die Hoffnung jener Jahre in Gedanken noch einmal durchlebte. Heute, wo sich die übliche Bande professioneller Zyniker anstellt, um die Erinnerung an die Oktoberrevolution in den Schmutz zu ziehen, erinnere ich mich noch immer an das Gesicht dieser alten Frau, das von den langen Jahren des Leidens schwer gezeichnet war, aber trotz allem, was später über sie und ihre Generation hereinbrach, strahlte.

Ein Strang der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der letzten Periode bestand darin, den Bolschewismus anzugreifen, indem man seine politischen Feinde wieder auferstehen liess: den Ökonomismus und insbesondere den Menschewismus. Einer der wichtigsten «Wiederaufersteher» ist Salomon Schwarz. Seine Grundthese lautet: «im Grunde betonte der Bolschewismus die Initiative einer aktiven Minderheit, der Menschewismus die Aktivierung der Massen». Aus dieser zunächst falschen Behauptung leitet der Autor ganz selbstverständlich seine Schlussfolgerung ab: «Der Bolschewismus entwickelte diktatorische Vorstellungen und Praktiken; der Menschewismus blieb durch und durch demokratisch» (S. S. Schwarz, The Russian Revolution of 1905, the Workers’ Movement and the Formation of Bolshevism and Menshevism, S. 29, unsere Übersetzung). Die vorliegende Arbeit wird zeigen, dass diese Behauptung unbegründet ist. Sie wird zeigen, dass die bolschewistische Partei während ihrer gesamten Geschichte durch die grösstmögliche interne Demokratie gekennzeichnet war. Es ist eine Geschichte des Kampfes der Ideen und Tendenzen, in der jeder seine Meinung frei äussert. Die interne Demokratie lieferte den notwendigen Sauerstoff für die Entwicklung der Ideen, die schliesslich den Sieg garantierten. Dies ist ein grosser Unterschied zu den totalitären und bürokratischen Regimen der «kommunistischen» Parteien unter Stalin.

Das neueste Werk aus der Schule der antibolschewistischen Geschichtsschreibung ist Orlando Figes‘ Buch A People’s Tragedy: The Russian Revolution 1891-1924 (London 1996) Hier wird uns eine Sicht der Revolution präsentiert, die direkt aus Dantes Inferno stammt. Dieser objektive und wissenschaftliche Akademiker beschreibt die Oktoberrevolution als eine «Verschwörung», einen «Putsch», einen «betrunkenen Amoklauf». Sie war «mehr das Ergebnis der Degeneration der städtischen Revolution (?), und insbesondere der Arbeiterbewegung, als eine organisierte und konstruktive Kraft, mit Vandalismus, Kriminalität, allgemeiner Gewalt und betrunkenen Plünderungen als Hauptausdruck dieses sozialen Zusammenbruchs» (S. 495, unsere Übersetzung). Figes weiss sehr wohl, dass die Ausbrüche von Unruhen und Trunkenheit, die von rückständigen Elementen verübt wurden, von den Bolschewiki schnell unterdrückt wurden. Es handelte sich um episodische Vorfälle ohne Bedeutung, aber hier wird das Zufällige als das Wesentliche der Revolution dargestellt. Für einen «wissenschaftlichen» Verteidiger der bestehenden Gesellschaftsordnung muss das Wesen jeder Revolution natürlich Unordnung, Wahnsinn und Chaos sein. Was kann man sonst von den Massen erwarten? Sie sind zu ungebildet und rückständig, um zu verstehen – geschweige denn, zu herrschen. Nein, eine solch verantwortungsvolle Aufgabe sollte man denen überlassen, die intelligent sind. Lasst die Holzfäller usw. sich um ihre Arbeit kümmern und überlasst die Leitung der Gesellschaft den Absolventen der Universität Cambridge.

Sind wir ungerecht gegenüber Herr Figes? Vielleicht verstehen wir die Botschaft seines sehr dicken Buches falsch? Lassen wir den Autor für sich selbst sprechen. Auf dem Sowjetkongress stimmte eine entscheidende Mehrheit für die Übertragung der Macht an die Sowjets. Das ist ein kleines Problem für die zentrale These von Figes (die sich nicht durch übermässige Originalität auszeichnet): dass die Oktoberrevolution nur ein Putsch war. Aber keine Sorge! Orlando hat die Antwort auf jedes Rätsel. Der Grund, warum die Massen für die Sowjetmacht stimmten, war, dass sie zu ungebildet waren: «Die Masse der Delegierten», schreibt Herr Figes, «war wahrscheinlich zu ungebildet, um die politische Bedeutung dessen, was sie taten, zu begreifen, und hob die Hand zur Unterstützung (waren sie nicht für die Sowjetmacht?).“ (Ebd., S. 491, unsere Hervorhebung und Übersetzung)

Am Rande sei bemerkt, dass das Argument, dass die Mehrheit der Menschen, die an Wahlen teilnehmen, «wahrscheinlich zu ungebildet» sind, um die damit verbundenen politischen Fragen zu verstehen, ein Argument gegen die Demokratie im Allgemeinen ist. Was will Figes damit sagen? Dass die Arbeiter und Soldaten bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Bolschewiki und ihre Verbündeten die Mehrheit in den Sowjets erlangten, voll und ganz wussten, was von ihnen verlangt wurde, dass sie aber im Oktober plötzlich «wahrscheinlich zu ungebildet» waren, um zu wissen, was sie taten? Mit einem solchen Argument kann man niemanden täuschen. Dass die Delegierten des Sowjetkongresses nicht in den Genuss einer Cambridge-Ausbildung gekommen sind, muss leider zugegeben werden. Dafür hatten sie im Laufe eines blutigen Krieges und einer neunmonatigen Revolution ein paar Dinge gelernt. Sie wussten ganz genau, was sie wollten: Frieden, Brot und Land. Und sie wussten, dass die Provisorische Regierung und ihre menschewistischen und sozialrevolutionären Unterstützer ihnen nicht geben würden, was sie wollten. Aus Erfahrung wussten sie auch, dass die einzige Partei, die ihnen diese Dinge geben würde, die Bolschewiki waren. All das haben sie ziemlich gut verstanden, ohne irgendwelche Prüfungen zu bestehen.

Natürlich hat jeder das Recht, Geschichte von einem antirevolutionären Standpunkt aus zu schreiben. Aber dann wäre es viel besser, von vornherein zu erklären, dass die eigentliche Absicht darin besteht, zu zeigen, dass sich Revolutionen nicht lohnen; und dass der Leser folglich viel besser dran wäre, das kapitalistische System zu akzeptieren, aus Angst, das Schlimmeres kommt. Leider scheint ein solches Eingeständnis angesichts der menschlichen Schwäche mehr zu sein, als diese Historiker verkraften können.

Stalins Schule der Verfälschung

Die andere wichtige Quelle für die Geschichte des Bolschewismus ist die umfangreiche Literatur zu diesem Thema, die über Jahrzehnte in der UdSSR veröffentlicht und in der Vergangenheit von den stalinisierten kommunistischen Parteien im Ausland weit verbreitet wurde. Aus all dem lässt sich ebenfalls kein wahrheitsgetreues Bild der Geschichte des Bolschewismus gewinnen. Nachdem die Bürokratie die Macht unter rückständigen Bedingungen an sich gerissen hatte, wo sich eine erschöpfte Arbeiterklasse als unfähig erwies, die Kontrolle in ihren Händen zu halten, war sie gezwungen, Lippenbekenntnisse zum Bolschewismus und zum Oktober abzulegen. Genauso wie die Bürokratie der Zweiten Internationale ein Lippenbekenntnis zum «Sozialismus» ablegte, während sie eine bürgerliche Politik betrieb, so legt auch der Papst von Rom ein Lippenbekenntnis zu den Lehren der frühen christlichen Kirche ab. Die herrschende Bürokratie in der UdSSR hat, während sie Lenins Leichnam in ein Mausoleum legte, alle grundlegenden Ideen Lenins und der Oktoberrevolution verraten und das makellose Banner des Bolschewismus mit Schmutz und Blut besudelt. Um ihre Usurpation zu festigen, war die herrschende Kaste gezwungen, die alten Bolschewiki auszurotten. Wie alle Verbrecher wollte auch Stalin keine Zeugen, die gegen ihn aussagen konnten. Diese Tatsache hat das Schicksal der Geschichtsbücher in der UdSSR im Voraus bestimmt.

Häufig wird behauptet, Stalinismus und Bolschewismus seien im Grunde dasselbe. Das ist in der Tat das, was hinter allen Verleumdungen der bürgerlichen Historiker des Bolschewismus steckt. Aber der demokratische Arbeiterstaat, den Lenin und Trotzki im Oktober 1917 errichteten, hatte absolut nichts mit der bürokratisch-totalitären Monstrosität gemein, die von Stalin und seinen Nachfolgern geführt wird. Der Sieg Stalins und der Bürokratie – das Ergebnis der Isolierung der Revolution unter Bedingungen erdrückender Rückständigkeit, Armut und Analphabetentum – bedeutete die völlige Abkehr von den Ideen, Traditionen und Methoden Lenins und die Umwandlung der Dritten Internationale als Träger der Weltrevolution in ein blosses Instrument der Aussenpolitik der Moskauer Bürokratie. Nachdem sie von Stalin zynisch als Instrument der Moskauer Aussenpolitik missbraucht worden war, wurde die Kommunistische Internationale 1943 schändlich begraben, ohne auch nur einen Kongress einzuberufen. Das politische und organisatorische Erbe Lenins erhielt einen schweren Schlag für eine ganze historische Periode. Diese Tatsache hat das Bild, das viele Menschen von der Geschichte des Bolschewismus haben, stark gefärbt. Selbst wohlmeinende Schriftsteller (ganz zu schweigen von den böswilligen) können nicht umhin, in die Vergangenheit alle möglichen Elemente aus den Schrecken des späteren stalinistischen Regimes hineinzulesen, die den demokratischen Traditionen des Bolschewismus völlig fremd sind.

Um zu triumphieren, war der Stalinismus gezwungen, jedes letzte Überbleibsel des im Oktober errichteten demokratischen Regimes zu zerstören. Die bolschewistische Partei schrieb 1919 in ihrem Programm die berühmten vier Bedingungen für die Sowjetmacht fest:

  1. Freie und demokratische Wahlen mit dem Recht auf Abberufung aller Beamten.
  2. Kein Beamter darf ein höheres Gehalt als das eines Facharbeiters erhalten.
  3. Kein stehendes Heer, sondern das bewaffnete Volk.
  4. Allmählich sollten alle Aufgaben der Staatsführung von allen nacheinander wahrgenommen werden. Wenn jeder ein Bürokrat ist, kann niemand ein Bürokrat sein.

Diese Bedingungen, die in Lenins Staat und Revolution dargelegt sind, beruhen auf dem Programm der Pariser Kommune. Wie Engels erläuterte, handelte es sich dabei nicht mehr um einen Staat im alten Sinne des Wortes, sondern um einen Halbstaat, ein Übergangsregime, das den Übergang zum Sozialismus vorbereiten sollte. Dies war das demokratische Ideal, das Lenin und Trotzki nach dem Oktoberumsturz in die Praxis umsetzten. Mit der bürokratischen und totalitären Ungeheuerlichkeit, die unter Stalin und seinen Nachfolgern an seine Stelle trat, hatte es absolut nichts gemein. Ausserdem konnte dieses Regime nur auf der Grundlage einer politischen Konterrevolution herbeigeführt werden, die die physische Vernichtung der Partei Lenins in dem einseitigen Bürgerkrieg gegen den Bolschewismus – den Säuberungsprozessen der 1930er Jahre – beinhaltete. Wir wollen nur eine Zahl nennen, um dies zu belegen. 1939 waren von Lenins Zentralkomitee von 1917 nur noch drei Mitglieder am Leben: Stalin, Trotzki und Alexandra Kollontai. Die übrigen, abgesehen von Lenin und Sverdlov, die eines natürlichen Todes starben, wurden entweder ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Kamenew und Sinowjew wurden 1936 hingerichtet. Bucharin, den Lenin als «Liebling der Partei» bezeichnete, wurde 1938 hingerichtet. Das gleiche Schicksal erwartete Zehntausende von Bolschewiki unter Stalin. Es blieb eine einzige Stimme, die Stalins Verbrechen anprangerte und das wahre Erbe des Bolschewismus verteidigte. Diese Stimme verstummte 1940, als Leo Trotzki, lebenslanger Revolutionär, Anführer des Oktoberaufstands und Gründer der Roten Armee, schliesslich in Mexiko von einem von Stalins Agenten ermordet wurde.

Denjenigen, die darauf beharren, den Stalinismus mit dem Leninismus zu identifizieren, dürfen wir folgende Frage stellen: Wenn die Regime von Lenin und Stalin wirklich dieselben waren, wie kam es dann, dass Stalin nur durch die physische Vernichtung der bolschewistischen Partei an die Macht kommen konnte?

Unter Stalin und seinen Nachfolgern wurde alles, was mit der Oktoberrevolution und der Geschichte des Bolschewismus zu tun hatte, entstellt durch die offizielle Mythologie, die in der UdSSR nach Lenins Tod als Geschichte galt. Die wahren Traditionen des Bolschewismus wurden unter einer dicken Schicht von Lügen, Verleumdungen und Verzerrungen begraben. Das Verhältnis zwischen der Partei und der Klasse und vor allem zwischen der Partei und der Führung wurde in Form einer bürokratischen Karikatur dargestellt. Die offiziellen sowjetischen Geschichtswerke zeichnen ein zu stark vereinfachtes und einseitiges Bild des Verhältnisses zwischen der bolschewistischen Partei und der Bewegung der Massen. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Bolschewiki bei jedem Schritt der Befehlshaber der Streitkräfte waren – eine Kraft, die die Revolution mit der Leichtigkeit eines Dirigenten anführte und leitete, der seinen Taktstock vor einem gehorsamen und disziplinierten Orchester schwingt. Aus solchen Versionen kann man weder etwas über die bolschewistische Partei noch über die Russische Revolution oder die Dynamik der Revolution im Allgemeinen lernen. Das ist natürlich kein Zufall, denn der Zweck der Geschichte unter der Herrschaft der stalinistischen Bürokratie bestand nicht darin, den Menschen beizubringen, wie man Revolutionen macht, sondern darin, die herrschende Kaste zu verherrlichen und den Mythos einer unfehlbaren Führung an der Spitze einer unfehlbaren Partei aufrechtzuerhalten – eine Partei, die mit der Partei Lenins nichts gemein hatte, ausser einem usurpierten Namen. In gleicher Weise versuchen alle Monarchien, aber insbesondere eine Dynastie, die den Thron usurpiert hat, die Geschichte umzuschreiben, um ihre Vorgänger in einem übermenschlichen und ehrfurchtgebietenden Licht darzustellen. Es versteht sich von selbst, dass jede Ähnlichkeit mit der Wahrheit hier rein zufällig ist.Die alten stalinistischen Geschichtsbücher sind als Quellen praktisch wertlos. Die Geschichte des Bolschewismus so darzustellen, wie diese Leute es taten – d.h. als eine vollkommen geradlinig aufsteigende Linie, die unwiderstehlich zur Machtergreifung führt – bedeutet, den Bereich der seriösen Geschichte zu verlassen und denjenigen der Hagiographie zu betreten. Ich habe hier nur eine sowjetische Geschichte herangezogen: die mehrbändige Istoriya KPSS (Geschichte der KPdSU), die in der UdSSR unter dem relativ «liberalen» Regime von Nikita Chruschtschow in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren veröffentlicht wurde. Dies ist wahrscheinlich die ausführlichste Geschichte der Partei, die in der Sowjetunion veröffentlicht wurde. Sie ist nützlich wegen der Fülle des darin enthaltenen Materials, das grösstenteils aus unveröffentlichten Parteiarchiven stammt. Aber im Grunde ist sie genauso einseitig wie alle anderen stalinistischen Darstellungen, und selbst die sachlichen Informationen sollten mit Vorsicht genossen werden.

Neue Lügen für alte!

Dies ist nicht der richtige Ort, um sich mit den Ereignissen in Russland vom Tod Lenins bis zur Gegenwart zu befassen. Dieses Thema ist Gegenstand des Begleitbandes zum vorliegenden Werk, Russia: From Revolution to Counter-Revolution, auf den bereits verwiesen wurde. Es genügt zu sagen, dass die Isolierung der Russischen Revolution unter Bedingungen erschreckender wirtschaftlicher und kultureller Rückständigkeit unweigerlich zum Aufstieg einer privilegierten bürokratischen herrschenden Kaste führte, die die Traditionen des Bolschewismus vollständig auslöschte, die bolschewistische Partei physisch vernichtete und schliesslich die einzigen verbliebenen fortschrittlichen Errungenschaften des Oktobers – Verstaatlichung und Planung der Wirtschaft – zunichte machte. Das Ergebnis war, wie von Trotzki 1936 vorausgesagt, der schrecklichste Zusammenbruch der Produktivkräfte und der Kultur. Das russische Volk hat einen entsetzlichen Preis für den Versuch der Bürokratie gezahlt, sich in eine herrschende Klasse zu verwandeln und ihre Macht und Privilegien durch eine Entwicklung in Richtung Kapitalismus zu stärken.

Wie wir von Anfang an vorausgesagt haben, würde dies in einer bestimmten Phase unweigerlich auf den Widerstand der Arbeiterklasse stossen. Es stimmt, dass dieser Prozess verzögert worden ist. Wie könnte es anders sein? Die lange Periode totalitärer Herrschaft, die teilweise Diskreditierung der Idee des Sozialismus und des Kommunismus als Folge davon; die immense Verwirrung und Desorientierung, die durch den Zusammenbruch der UdSSR verursacht wurde; und dann der beispiellose Zusammenbruch der Produktivkräfte, der die Arbeiter eine Zeit lang betäubte; schliesslich und hauptsächlich das Fehlen einer wirklichen kommunistischen Partei, die sich auf das Programm, die Methoden und die Traditionen von Lenin und Trotzki stützt; – all dies hat die Bewegung zurückgeworfen. Aber jetzt ändern sich die Dinge in Russland. Trotz des Mangels an Führung zieht die Arbeiterklasse allmählich die notwendigen Schlüsse aus der Erfahrung. Früher oder später wird die Arbeiterbewegung das Bedürfnis nach einem genuin leninistischen Programm, Politik und Führung auf die Tagesordnung setzen.

Mit dem Zusammenbruch des Stalinismus sind die alten Geschichten in die wohlverdiente Vergessenheit geraten. Doch an ihre Stelle ist eine neue und noch abscheulichere Form der antibolschewistischen Verfälschung getreten. Die Entwicklung hin zum Kapitalismus in Russland hat eine neue Generation von «Historikern» hervorgebracht, die darauf bedacht sind, die Wünsche ihrer neuen Herren zu erfüllen, indem sie alle möglichen angeblichen «Enthüllungen» über die Vergangenheit veröffentlichen. Die Tatsache, dass das, was sie jetzt schreiben, völlig im Widerspruch zu dem steht, was sie gestern geschrieben haben, scheint sie nicht im Geringsten zu stören, denn das Ziel ist nicht (und war nie), die Wahrheit herauszufinden, sondern nur, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und dem Boss zu gefallen (was hier so ziemlich das Gleiche ist). Jahrzehntelang produzierten diese Kreaturen gefälschte Geschichten über den Bolschewismus und die Russische Revolution, wobei sie Lenin so darstellten, wie die orthodoxe Kirche das Leben der Heiligen: alles voll mit Wundern, und mit ebenso viel wissenschaftlicher Gültigkeit. Sie schmeichelten der stalinistischen Bürokratie, die sie für die Produktion dieses Mülls auf Bestellung gut bezahlte, und verhielten sich im Allgemeinen wie vorbildliche Diener des totalitären Regimes. Jetzt, da der Meister gewechselt hat, sind sie mit der Freudigkeit eines Hundes im Zirkus aufgesprungen. Von der Lobeshymne auf Stalin, Breschnew und Gorbatschow sind sie nun dazu übergegangen, den «Markt» zu preisen.

Diese modernen russischen Schriftsteller teilen die Moral und die Werte aller anderen «neuen Russen» – die Werte des Marktes, d. h. des Dschungels. Um den neuen Reichtum zu sichern, der durch die einfache Ausplünderung des russischen Volkes erlangt wurde, ist es notwendig, die revolutionäre Vergangenheit Russlands in den Schmutz zu ziehen, aus Angst, dass sie auch die Zukunft Russlands darstellen könnte. So wie es in Russland einen guten Markt für Mercedes Benz und Pornografie gibt, so lässt sich auch mit der Verleumdung Lenins und der Oktoberrevolution Geld verdienen. Und wenn es um Geld geht, sind die «neuen russischen» Intellektuellen nicht weniger enthusiastisch als die verschiedenen Diebe, Spekulanten und Gauner, die jetzt in Moskau das Sagen haben. Es hat sich ein ganz neues literarisches Genre entwickelt, das Folgendes beinhaltet: Ein ehemaliger Partei- oder KGB-Mitarbeiter «entdeckt» in den Archiven eine «verblüffende neue Enthüllung» in Bezug auf Lenin. Diese werden dann der Öffentlichkeit in Form einer «gelehrten» Studie präsentiert, die von irgendeinem Akademiker unterzeichnet ist, der die «neuen» Informationen mit einem falschen Heiligenschein der «wissenschaftlichen Objektivität» versieht. Nach ein paar Monaten werden die «verblüffenden Enthüllungen» im Westen veröffentlicht, unter zustimmendem Beifall. Dann werden die Kommentare der westlichen Medien in der russischen Presse veröffentlicht, aber nicht bevor sie durch alle möglichen reisserischen und frei erfundenen Zusätze verschönert wurden. In der Tat ist praktisch nichts von diesen «Enthüllungen» neu, und absolut nichts ist verblüffend.

Unter anderem wird Lenin vorgeworfen, die Anwendung von Gewalt befürwortet zu haben – während des Bürgerkriegs! Aber was ist der Krieg anderes als die Anwendung von Gewalt zu irgendeinem Zweck – die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie Clausewitz in seinem berühmten Ausspruch sagt? Die Bibel sagt uns zwar, dass es eine Todsünde ist, einem anderen das Leben zu nehmen. Aber diese Maxime hat christliche Monarchen und Politiker nie davon abgehalten, die gewaltsamsten Mittel einzusetzen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Diejenigen, die Krokodilstränen über das Schicksal von Zar Nikolaus weinen, ignorieren bequemerweise die blutige Grausamkeit, die vom ersten Tag an das Markenzeichen seiner Herrschaft war. Vielleicht wird das vorliegende Werk ihr Gedächtnis auffrischen. Und vielleicht werden sie überrascht sein zu erfahren, dass die Oktoberrevolution eine relativ friedliche Angelegenheit war und dass das schreckliche Blutvergiessen nur eine Folge des vom Weltimperialismus unterstützten Sklavenhalteraufstandes der Weissen Garde war. In den drei Jahren nach der Oktoberrevolution wurde die Sowjetrepublik von nicht weniger als 21 ausländischen Armeen überfallen: britischen, französischen, deutschen, amerikanischen, polnischen, tschechischen, japanischen und anderen. Wie immer, wenn es darum ging, einen Sklavenaufstand niederzuschlagen, handelte die herrschende Klasse mit der entsetzlichsten Grausamkeit. Doch dieses Mal war es anders. Die ehemaligen Sklaven fügten sich nicht kleinlaut, sondern wehrten sich und siegten.

Die Gewalt der Grossgrundbesitzer und Kapitalisten wurde mit der Gewalt der unterdrückten Arbeiter und Bauern beantwortet. Und das ist es, was sie nicht verzeihen können. Trotzki organisierte die Arbeiterklasse in der Roten Armee und schaffte es durch die Kombination von militärischem Geschick und Mut mit einer revolutionären und internationalistischen Politik, alle Kräfte der Konterrevolution zu besiegen. Dazu gehörte zweifellos auch die Anwendung von Gewalt, die nicht unbedingt mit der Bergpredigt übereinstimmte. Die Feinde der Revolution geben vor, entsetzt zu sein. Aber ihre Ablehnung von Gewalt ist keineswegs absolut. Dieselben Leute, die das Andenken an Lenin und Trotzki verleumden, zucken nicht mit der Wimper, wenn sie einen amerikanischen Präsidenten erwähnen, der den Abwurf der Atombombe auf die Zivilbevölkerung von Hiroshima und Nagasaki befahl, oder einen britischen Premierminister, der die Verbrennung von Männern, Frauen und Kindern Flächenbombardement Dresdens anordnete. Solche Aktionen sind nicht nur akzeptabel, sondern sogar lobenswert («sie verkürzten den Krieg und verringerten die Verluste der Alliierten…»). Die Organisatoren der Kampagne gegen Lenin und die Bolschewiki sind sich sehr wohl bewusst, dass die Oktoberrevolution einen verzweifelten Krieg zur Selbstverteidigung geführt hat. Sie wissen, dass die Weissen, wenn sie gewonnen hätten, eine grausame Diktatur in Russland errichtet hätten und die Arbeiter und Bauern einen schrecklichen Preis dafür gezahlt hätten. Deshalb muss das Getöse um Lenins angebliche Gewalttätigkeit als das gesehen werden, was es ist: Zynismus und Heuchelei auf niedrigstem Niveau.

Die nächste Verleumdung ist nicht nur unbegründet, sondern auch dumm. Wenn Lenin wirklich ein Agent des deutschen Imperialismus war, dann ist es unmöglich, das Verhalten sowohl von Lenin als auch der deutschen Armee in der Zeit nach dem Oktober zu erklären. In der Tat waren es nicht Lenin und die Bolschewiki, sondern es war die russische Bourgeoisie, die 1917 die Intervention der deutschen Armee herbeisehnte. Es gibt genügend Zeugen, die belegen, dass die besitzenden Klassen in Russland Petrograd lieber den Deutschen überlassen hätten, als es in die Hände der Bolschewiki fallen zu sehen.

Zwar hoffte der deutsche Generalstab, dass die Rückkehr Lenins nach Russland dazu beitragen würde, den Zarismus zu destabilisieren und militärisch zu schwächen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass imperialistische Mächte in inneren Unruhen ein Mittel zur Schwächung eines Feindes sehen. Ebenso ist es die Pflicht der Revolutionäre, alle Widersprüche zwischen den Imperialisten zur Förderung der Revolution auszunutzen. Lenin war sich des Berliner Kalküls bewusst. Als er von England und Frankreich daran gehindert wurde, über alliiertes Territorium nach Russland zurückzukehren, so dass er gezwungen war, über Deutschland zurückzukehren, stellte er deshalb die strengsten Bedingungen, indem er vorschrieb, dass niemand seinen Zug unterwegs betreten oder verlassen durfte. Er wusste, dass die Feinde des Bolschewismus ihn als «deutschen Agenten» brandmarken würden. Aber er unternahm die notwendigen Schritte, um dieser Verleumdung im Voraus zu begegnen.

Wie Trotzki Jahre später vor der Dewey-Kommission erklärte: «Er erklärte offen vor den Arbeitern, dem ersten Sowjet in Petrograd: ‘Meine Lage war so und so. Der einzig mögliche Weg war, durch Deutschland zu gehen. Die Hoffnungen Ludendorffs sind seine Hoffnungen, und meine sind ganz anders. Wir werden sehen, wer den Sieg davontragen wird.’ Er hat alles erklärt. Er hat nichts verheimlicht. Er hat es vor der ganzen Welt gesagt. Er war ein ehrlicher Revolutionär. Natürlich beschuldigten ihn die Chauvinisten und Patrioten, ein deutscher Spion zu sein, aber in seinem Verhältnis zur Arbeiterklasse war er absolut makellos.» (The Case of Leon Trotsky, S. 316, unsere Übersetzung)

Während des gesamten Ersten Weltkriegs setzten nicht nur die Deutschen, sondern auch die Alliierten ihre Handlanger in der Arbeiterbewegung ein, um sich die Unterstützung linker Gruppen in anderen Ländern zu erkaufen. Aber zu behaupten, dass die Deutschen die Bolschewiki mit Gold gekauft hätten und dass es einen tatsächlichen Block zwischen den Bolschewiki und dem deutschen Imperialismus gegeben habe, ist nicht nur ungeheuerlich, sondern auch äusserst dumm. Diese Behauptung widerspricht allen bekannten Tatsachen über das politische Verhalten der Bolschewiki sowohl während des Krieges als auch danach. So versucht Wolkogonow zu zeigen, dass deutsches Geld über Schweden an die Bolschewiki geflossen sei, obwohl leicht nachgewiesen werden kann, dass Schljapnikow, der Vertreter der Bolschewiki in Schweden, die Aktivitäten des prodeutschen Flügels der schwedischen Sozialdemokratie öffentlich anprangerte und nichts mit dem deutschen Agenten Troelstra zu tun haben wollte, während Lenins Haltung zu Parvus während des Krieges in dem entsprechenden Kapitel des vorliegenden Werkes dokumentiert ist. Man könnte noch viel mehr zu den Lügen und Verdrehungen von Herrn Volkogonov sagen, aber wie ein russisches Sprichwort sagt: Ein Narr kann mehr Fragen stellen als hundert Weise beantworten können. Und diese Feststellung gilt nicht nur für Dummköpfe, sondern auch für weit weniger wohlmeinende Menschen.

Der Leninismus und die Zukunft

Nach dem Fall der Berliner Mauer jubelten die bürgerlichen Kritiker des Marxismus eine kurze Zeit lang. Doch all ihre Euphorie hat sich schnell in Asche verwandelt. Die Krise des Kapitalismus spiegelt sich in diesem Stadium im Pessimismus der Strategen des Kapitals wider. Aber im weiteren Verlauf der Krise wird sie sich auch in der Krise der Massenorganisationen der Arbeiterschaft widerspiegeln, die in den letzten Jahrzehnten einen reformistischen und bürokratischen Degenerationsprozess erlebt haben, der weitaus schlimmer ist als der, den die Zweite Internationale in der Zeit vor 1914 durchgemacht hat. Lange Zeit behandelten die Gewerkschaftsführer den Marxismus wie einen toten Hund. Sie haben sich mit ganzem Herzen dem Markt und all den neuesten wirtschaftlichen Konzepte der Bourgeoisie verschrieben. Die scheinbare Vitalität des rechten Reformismus in der Nachkriegszeit – zumindest in den fortgeschrittenen Ländern des Kapitalismus – war lediglich Ausdruck der Tatsache, dass der Kapitalismus eine längere Expansionsphase durchlief, ähnlich wie in den etwa zwanzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Aber diese Periode ist nun zu Ende. Während ich das letzte Kapitel beende, hört man überall von einer sich entwickelnden Krise des Weltkapitalismus.

Noch nie seit 1945 war die Welt in einem solchen Zustand der Gärung. Vor langer Zeit haben Marx und Engels vorausgesagt, dass sich der Kapitalismus zu einem globalen System entwickeln würde. Nun hat sich diese Vorhersage unter fast laborartigen Bedingungen erfüllt. Die erdrückende Vorherrschaft des Weltmarktes ist die auffälligste Tatsache unserer Epoche. Der Triumph der Globalisierung wurde als der endgültige Sieg der Marktwirtschaft verkündet. Doch dieser Sieg trug den Keim einer Katastrophe in sich. Weit davon entfernt, die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus zu überwinden, schafft die Globalisierung lediglich eine neue und weitaus grössere Bühne, auf der sich die Widersprüche ausdrücken. Der tiefe Einbruch in Asien manifestiert sich in einer noch nie dagewesenen Anhäufung unverkaufter Waren (Überproduktion oder «Überkapazitäten») und geht einher mit einer Lähmung der einstigen Hauptantriebskraft des Weltwirtschaftswachstums, Japan. Auf der anderen Seite der Welt schürt die unkontrollierte Aufwärtsbewegung an der Börse die Angst vor einem finanziellen Zusammenbruch in den USA. Die Nervosität der Bourgeoisie findet ihren Ausdruck in ständigen Alarmmeldungen an den Börsen der Welt.

Das alte Argument von der angeblichen Überlegenheit der «freien Marktwirtschaft» klingt für Millionen von Menschen inzwischen wie ein schlechter Scherz. Unter dem Banner der «Privatisierung» betreiben die Grossbanken und Monopole die Ausplünderung des Staates; unter dem Banner der «Liberalisierung» zwingen sie die schwache Bourgeoisie der ehemaligen Kolonialländer in Asien, Afrika und Lateinamerika, ihre Märkte für die Exporte aus dem Westen zu öffnen, mit denen sie nicht konkurrieren können. Dies ist der wahre Grund für die chronische Verschuldung der Dritten Welt und die Dauerkrise, von der zwei Drittel der Weltbevölkerung betroffen sind. Überall gibt es Kriege und Konflikte um Märkte und sinnlose Grenzen. Die Völker müssen einen schrecklichen Preis für die weltweite Krise des Kapitalismus zahlen. Diese Situation ähnelt der Welt von vor hundert Jahren weitaus mehr als die Zeit der relativen Stabilität nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Erschütterungen in Asien, Afrika und Lateinamerika sind nicht so weit entfernt, wie sie in Europa und Nordamerika erscheinen. Die Katastrophe, die aus dem Zerfall Jugoslawiens resultierte, zeigt, dass die gleichen Prozesse auch die angeblich zivilisierten Völker des Westens treffen können, wenn die Dschungellogik des Kapitalismus nicht beseitigt und durch ein rationales und harmonisches System im Weltmassstab ersetzt wird.

Ironischerweise war der Hauptauslöser der gegenwärtigen Krise der spektakuläre Zusammenbruch der Politik des «freien Marktes» in Russland. Dies stellt einen wichtigen Wendepunkt nicht nur für Russland, sondern für die ganze Welt dar. Die vorübergehende Jubelstimmung, die nach dem Fall der Berliner Mauer unter den Strategen des Kapitals herrschte, hat sich verflüchtigt wie ein Wassertropfen auf einem heissen Ofen. Anstelle des alten Liedes vom angeblichen Tod des Marxismus, des Sozialismus und des Kommunismus singen sie nun einen ganz anderen Refrain. Die Schriften der bürgerlichen Ökonomen und Politiker sind voll von Vorahnungen und düsteren Warnungen, dass die Uhr zurückgestellt wird. In Russland wird eine soziale Explosion vorbereitet, die eine Rückkehr zu den Traditionen von 1917 auf die Tagesordnung setzen wird. Weltweit tritt die Krise des Kapitalismus in ein neues, erschütterndes Stadium ein. Die Revolution in Indonesien ist nur der erste Akt eines Dramas, das sich in den kommenden Monaten und Jahren entfalten und nicht nur in Asien, Afrika und Lateinamerika, sondern auch in Europa und Nordamerika seinen Ausdruck finden wird.

In diesem revolutionären Aufbruch wird Russland nicht den letzten Platz einnehmen. Lenin liebte ein russisches Sprichwort: «Das Leben lehrt.» Die Lektion des Versuchs, in Russland zum Kapitalismus überzugehen, war brutal. Doch nun beginnt das Pendel in die entgegengesetzte Richtung zu schwingen. Die Besorgnis der Kapitalisten und ihrer westlichen Unterstützer ist wohlbegründet. Wenn die Führer der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) echte Leninisten wären, stünden die russischen Arbeiter jetzt kurz vor der Machtübernahme. Die Arbeiterklasse ist tausendmal stärker als im Jahr 1917. Wenn sie sich einmal in Bewegung gesetzt hat, kann sie nichts mehr aufhalten. Das Problem ist, wie im Februar 1917, das Fehlen einer Führung. Die Rolle, die Sjuganow spielt, ist noch schlimmer als die der Menschewiki im Jahr 1917. In allen Reden und Artikeln der Führer der KPRF findet sich kein einziges Wort über die Ideen Lenins und der bolschewistischen Partei. Es ist so, als ob es sie nie gegeben hätte. Das ist ein Indiz dafür, wie weit die stalinistische Reaktion gegen den Oktober die Bewegung zurückgeworfen hat. Die Regeneration der russischen Arbeiterbewegung kann nur durch eine Rückbesinnung auf die echten Traditionen des Bolschewismus erreicht werden. Die Geschichte des Bolschewismus ist nach wie vor das klassische Modell für die Theorie und Praxis des Marxismus in seinem Kampf um die Gewinnung der Massen. Es ist notwendig, zu Lenin zurückzukehren, und auch zu den Ideen des Mannes, der zusammen mit Lenin an der Spitze der Oktoberrevolution stand und ihren Erfolg garantierte, Leo Trotzki.

Das Verhalten der Führer kann die Bewegung nicht ewig aufhalten. Die Arbeiter streben danach, durch ihre eigene Klassenaktion einen Ausweg aus der Krise zu finden. Dabei besinnen sie sich auf die revolutionären Traditionen der Vergangenheit – die Traditionen von 1905 und 1917. Das Wiederauftauchen der Sowjets, auch wenn sie unterschiedliche Bezeichnungen tragen: Aktionskomitees, Streikkomitees, Komitees zur Rettung, ist ein klarer Beweis dafür, dass das russische Proletariat sein revolutionäres Erbe nicht vergessen hat. Die Bewegung wird weitergehen und wachsen, trotz Sjuganow und Co. – mit dem unvermeidlichen Auf und Ab. War dies nicht schon immer der Fall? Genau das ist die wichtigste Lehre des vorliegenden Werkes. Und es gibt noch eine weitere Lehre, die wir nie vergessen dürfen. Nichts kann den unbewussten Willen der Arbeiterklasse brechen, die Gesellschaft zu verändern. Der Bolschewismus ist lediglich der bewusste Ausdruck der unbewussten oder halbbewussten Bestrebungen des Proletariats, die grundlegenden Bedingungen seiner Existenz zu verändern. Keine Macht der Welt kann die unvermeidliche Bewegung der russischen Arbeiter verhindern. Im Laufe der Zeit wird die neue Generation durch Erfahrung den Weg zurück zum Bolschewismus wiederentdecken. Die Traditionen sind noch da, und die Revolution wird einen Weg finden.