Komplizierte Konzepte, grosse Worte: ich versteh nur Bahnhof. Was ist eigentlich … ? In jeder Ausgabe erklären wir hier mit verständlichen Worten ein Konzept aus der marxistischen Theorie.

„In Wirklichkeit war es die einzige Regierungsform in einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte.“ (Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich).

Wenn Marxist*innen von Bonapartismus sprechen, dann ist damit ein Begriff gemeint, mit dem wir Formen der Staatsführung verstehen können, die einen scheinbar widersprüchlichen Klassencharakter haben. Seinen Namen verdankt der Begriff Louis Bonaparte, der sich 1852 als Napoleon III. zum französischen Kaiser ausrufen liess. Hingegen im bürgerlichen Kontext ist mit Bonapartismus eine Herrschaftsform gemeint, bei der eine charismatische Führungsfigur mithilfe von Gewalt und getragen von den Massen die Macht ergreift. Zentral ist dabei, dass der Einzelherrscher sich über die Verfassung erhebt. Dort ist er Mittel zum Zweck der Errichtung einer Diktatur. Mit dieser Definition verkommt „Bonapartismus“ aber zum politischen Schmähbegriff. Im Marxismus erhält der Begriff eine weitere Bedeutung und soll eine bestimmte Art und Weise darstellen, wie Herrschaft in Bezug auf die Klassengesellschaft ausgeübt wird. Karl Marx beschrieb ihn in seinem Werk Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte als ein Phänomen, das sich auf die Massen stützt. Damals hatte die französische Bourgeoisie Napoleon III. dabei unterstützt, das Parlament aufzulösen. Marx musste also erklären, warum das Bürgertum Rechte abtrat, die es im Zuge der bürgerlichen Revolutionen erst kurz zuvor erkämpft hatte. Der Bonapartismus kommt dort zum Zug, wo ein Gleichgewicht im Klassenkampf besteht.

Aus marxistischer Sicht ist der bürgerliche Staat Ausdruck der Gegensätze zwischen den Klassen. Er soll gewährleisten, dass die Ausbeutung und damit die Herrschaft der Kapitalist*innen weiter bestehen kann. Kommt es aber zu einem Kräftegleichgewicht, so ist es möglich, dass die Bourgeoisie erkämpfte Rechte (Presse-& Versammlungsfreiheit, usw.) aufgibt, um ihre soziale Vormachtstellung zu halten. Kurz: Sie gibt ihre politische zugunsten ihrer wirtschaftlichen Vorherrschaft auf. Als scheinbare Vermittlerin zwischen den Klassen erhält die Staatsgewalt grössere Macht. Obwohl sich ein bonapartistisches Regime auf die Massen stützt, bleibt es bürgerlich: Die kapitalistische Produktionsweise bleibt erhalten oder wird sogar ausgebaut. Um den scheinbar arbeiter*innenfreundlichen Charakter zu unterstreichen, ist die Bedeutung von Volksentscheiden zentral. Mit diesen soll vorgetäuscht werden, dass die Massen direkten Einfluss auf die Politik des Staats nehmen können.

Bonapartistische Herrschende sind auf die Massen angewiesen, um ihre Macht zu halten. Deshalb sind sie zu Zugeständnissen und Kompromissen gegenüber jenen Schichten gezwungen, auf denen ihre Macht gründet. Der Bonapartismus nutzt die gegensätzlichen Interessen von Arbeiter*innen und Kapitalist*innen für sich, weswegen er nicht unendlich stabil bleiben kann. Der unversöhnliche Widerspruch zwischen den Interessen der Klassen ist im Bonapartismus nicht gelöst. Seine Machtstellung ist nicht nur unbeständig, sondern direkte Folge des Konflikts zwischen den Klassen. Da er diesen Widerspruch und damit den Klassenkampf nicht nur nicht erkennt, sondern verneint, führt sich der Bonapartismus, wie Lenin schrieb, selbst zum Grabe.

In seiner Schrift Arbeiterstaat, Thermidor und Bonapartismus beschrieb Trotzki den bonapartistischen Charakter der Sowjetunion unter Stalin: „Stalin schützt die Errungenschaften der Oktoberrevolution nicht nur vor der feudal-bürgerlichen Konterrevolution, sondern auch vor den Ansprüchen der Arbeiter, vor ihrer Ungeduld und Unzufriedenheit.“ Stalins Bonapartismus ist damit ein Abwägen zwischen den Interessen der sowjetischen Werktätigen und der Bauernschaft, den Interessen der Führungsriege und dem imperialistischen Kapital. Auch den Hitlerfaschismus beschrieb Trotzki als bonapartistisch, da er sich in den Jahren nach der Machtergreifung immer weniger auf seine soziale Basis – das Kleinbürgertum (selbstständige Handwerker, Kleinunternehmer, usw.) – und stärker auf die Staatsgewalt zur Herrschaftsausübung verliess.

Durch das Bonapartismuskonzept erkennen wir die Gefahren, die in der Vereinnahmung der Arbeiter*innenklasse im Rahmen bonapartistischer Herrschaft liegen. Wir erkennen dadurch aber auch das wirksamste Mittel, um solcher Vereinnahmung entgegenzutreten: den Aufbau einer revolutionär-marxistischen Klassenpartei der Arbeiter*innen aller Länder.

Elisa Nowak