Im dritten und letzten Teil unserer Serie zur Weltwirtschaft seit 1945 beschäftigen wir uns mit der Entwicklung der Weltwirtschaft seit den 1990ern. Nur aus dieser Perspektive kann man die aktuellen Erschütterungen der internationalen Finanzwelt verstehen. Teil 1, Teil 2

Die japanische Krise 1990 – 2007

Japan erlebte in den 1990ern die wohl schwerste zeitgenössische Krise eines Industrielandes und verdient deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit. Tatsächlich manifestierte sich hier, trotz aller oberflächlichen Besonderheiten, nur die allgemeine Krisentendenz der Weltwirtschaft seit Anfang der 1970er Jahre. Wenn wir die japanische Krise der 1990er verstehen wollen, müssen wir in die 1970er Jahre zurückgehen.

Die riesenhafte Akkumulation von Kapital, die in Japan während der 1950er und 1960er Jahre stattfand, musste in unaufhaltsamer Logik ab einem gewissen Zeitpunkt zu einem Sinken der Profitrate führen. Der Auslöser war schlussendlich das Hereinbrechen der allgemeinen Weltwirtschaftskrise, das Zerbrechen des Abkommens von Bretton Woods und die damit verbundene Abwertung des Dollars 1971 und 1973. Das Scheitern von Bretton Woods verursachte jedoch die japanische Krise nicht, sondern machte sie nur offensichtlich. Das Sinken der japanischen Profitrate wurde vorher nur verdeckt durch die Subvention des japanischen Exportmotors – durch die USA, die ihren Wechselkurs künstlich hoch hielten.

Zwischen 1969 und 1975 fiel die japanische Profitrate um 60% (Brenner, 2003, S.131). 1973 kam die japanische Wirtschaft zum Stillstand. Nach einer kurzen Erholung, angetrieben durch die keynesianischen Konjunkturbelebungsversuche in den USA, schlitterte Japan bereits 1979 in die nächste Rezession.

Die US-amerikanische Hochzinspolitik der frühen 1980er Jahre ermöglichte der japanischen Wirtschaft eine weitere kurzlebige Erholung, durch die Aufwertung des Dollars und die damit verbundene Abwertung des Yen, aber als im sog. Plaza-Abkommen Japan von den USA zu einer Aufwertung gezwungen wurde, erlebte 1986 die japanische Wirtschaft die schwerste Krise der Nachkriegszeit. Der Yen wertete zwischen 1985 und 1988 um 93% gegenüber dem Dollar auf. (a.a.O., S.134)

Auf diese Situation reagierte Japan mit einem riesenhaften keynesianischen Konjunkturprogramm. Die Zinsen wurden 1987 massiv gesenkt und billige Kredite an Makler und Immobiliengesellschaften vergeben wobei es in Kauf genommen wurde, dass eine Blase am Aktienmarkt und am Immobilienmarkt entstand. Die Wohlstandseffekte dieser Blase sollten zu einer Gesundung der Wirtschaft beitragen. Zwischen 1986 und 1989 verdoppelten sich die Immobilienpreise, die japanische Börse hatte in zwei Jahren ihr Volumen verdoppelt, als sie 1989 ihren Höchststand erreichte. Diese Blase führte tatsächlich anfangs zu Vermögenseffekten, die Konsum und Investitionen ankurbelten.

An dieser Stelle muss betont werden, dass die Banken und Monopole Japans seit 1973 gezielt daran arbeiteten, die japanische Wirtschaft vom normalen Industrie- und Konsumgütersegment in Richtung Hochtechnologiesegment und Investitionsgütersegment umzuorientieren. Während der Blasenökonomie gelangen dieser Umstrukturierungspolitik sogar spektakuläre Erfolge. Die jährliche Arbeitsproduktivität wuchs 1985 bis 1991 mit einer jährlichen Rate von 5,4 %. Der Anteil der hochtechnologiehältigen Produkte stieg auf 85 %. Diese laufende planmäßige Umstrukturierung seit 1973 war immer wieder die Basis für die kurzlebigen Erholungen der japanischen Wirtschaft.

Gleichzeitig wuchs jedoch der Bruttokapitalstock 1985 bis 1991 mit einer Jahresrate von 6,7 % – also schneller als die Arbeitsproduktivität. Wie jeder andere Akkumulationsprozess führte auch dieser schlussendlich wieder zu einem Absinken der Profitrate. Wenn die Unternehmen in die Krise kommen, beginnen sie ihre Aktien und Immobilien in Geld zu verwandeln, was die Grundlage des Platzens der Blase bildet. Die Kreditklemme, herbeigeführt durch die verschlechterte Situation des verarbeitenden Gewerbes in Kombination mit einer bereits vorhandenen völlige Überdehnung des Kredits, führte zu einer Anhebung der Zinsen, was das Platzen der Immobilien und Aktienblase auslöste. Am Schluss dieser Entwicklung schlitterte Japan in eine Rezession, die von 1991 bis 1993 andauern sollte.

Die Krise der 1990er Jahre

Die Krise war besonders schwer, weil eine Krise des japanischen Bankensektors hinzukam, die wiederum eine Folge der Kapitalakkumulation der Vergangenheit war. Die Bankenkrise wurde unmittelbar dadurch ausgelöst, dass viele Aktien und Immobilien auf Basis von Krediten gekauft worden waren, die nach dem Platzen der Blase uneinbringlich wurden. Das tiefer liegende Problem lag jedoch darin, dass das gesamte japanische Akkumulationsmodell darauf basierte, dass Banken Billigst- bis Gratiskredite in den Kapitalstock des Produktionssektors jagten. Nachdem der Produktionssektor eben durch den steigenden Kapitalstock in eine Profitkrise schlitterte, waren auch viele dieser „industriellen“ Kredite uneinbringlich. Die sog. „bad loans“ verpufften einerseits durch das Platzen der Immobilienblase, andererseits war eine völlig überakkumulierte Industriestruktur unfähig sie zurückzuzahlen. Am meisten wird die unausweichliche Tragik der kapitalistischen Krise dadurch veranschaulicht, dass diese Überakkumulation zustande kam, obwohl die japanische Wirtschaf seit 1973 die ganze Zeit mit Erfolg daran arbeitete, sich zu restrukturieren. Die Hayek’sche These, dass Fehlinvestitionen in unproduktive Technologien die Ursache der Krisen seien, wird hier von einer Entwicklung konterkariert, die nur durch das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate erklärt werden kann.

Die Antwort der Regierung war das ehrgeizigste keynesianische Konjunkturprogramm, das es jemals in einem Industrieland gegeben hat. Die Zinsen wurden bis ins Negative gesenkt, das Budgetdefizit 1998 bis auf über 6 % ausgeweitet. Die Staatsausgaben flossen in ein immenses Programm öffentlicher Arbeiten zum Ausbau der Infrastruktur, welches von 17,7 % Anteil am Budget auf über 32 % im Jahr 1993 anstieg. Aufgrund der herrschenden Deflation, des allgemeinen Pessimismus und der Entlassungswellen in der Industrie stieg das Konsumvertrauen jedoch nicht an. Die Banken wollten den Kredit nicht ausweiten und die überakkumulierte Industrie weigerte sich zu investieren. „Die Pferde saufen nicht“, hätte Keynes dazu bemerkt. Nachdem die Wirtschaft mit einem mageren Wachstum von 1 % dahintümpelte, folgte 1998 wieder eine tiefe Rezession.

Der Staatsinterventionismus zeigte erst Wirkung, nachdem sich die Regierung dazu entschloss, durch massive Geldspritzen das Finanzsystem zu sanieren. Dazu muss noch bemerkt werden, dass ohne die Expansion des Budgetdefizits und ohne die niedrigen Zinsen, möglicherweise noch Schlimmeres passiert wäre, zum Beispiel eine Depression wie 1929 in den USA.

Auslöser der japanischen Rezession von 1998, nicht aber ihr Verursacher, war die Asienkrise. 2001 wurde wiederum eine Rezession durch den Konjunktureinbruch in den USA ausgelöst. Es sollte bis 2006 dauern, bis die japanische Wirtschaft wieder ernste Erholungszeichen von sich gibt, die jedoch äußerst prekär sind, da sich bereits 2006 eine Verlangsamung der US-Konjunktur abzeichnet, die seit jeher den Motor der japanischen Konjunktur gebildet hat.

2006 beträgt als Folge der Konjunkturprogramme der 1990er Jahre die Staatsverschuldung 176 % des BIP, die bei weiten höchste Staatsverschuldung der Welt (abgesehen vom Bürgerkriegsland Libanon). Bis 1993 blieb die Staatsverschuldung unter 80 % des BIP. Japan hat jetzt keinen finanziellen Spielraum mehr, ein keynesianisches Konjunkturprogramm zu starten. Im Gegenteil: Jeder Boom muss dazu benutzt werden, die Staatsverschuldung auf Kosten der KonsumentInnen wieder abzubauen, was dramatische Folgen für das Konsumvertrauen haben könnte.

Dieses Konsumvertrauen ist ohnehin erschüttert, da in den 1990er Jahren bis heute eine völlige Umstrukturierung der Arbeitsbeziehungen im Gange ist, die sich vom feudal geprägten System der lebenslangen Bindung an das Unternehmen besonders bei den jüngeren ArbeitnehmerInnen zu einer extremen Form der flexiblen Politik des „hire and fire“ transformieren. Eine weitere Folge der Umstrukturierung der japanischen Wirtschaft ist zudem das erste Mal das Auftreten von struktureller Massenarbeitslosigkeit.

Heute hat Japan alle neoliberalen und keynesianischen Methoden der Krisenbekämpfung ausgeschöpft. Trotzdem hat die Profitrate keinesfalls das Niveau der frühen 1970er Jahre erreicht. Alle Hoffnung liegt in einem prekären Boom, der bereits in seinem Anfang durch eine Verlangsamung der US-Wirtschaft erstickt zu werden droht.

Interessant ist die sehr treffende Analyse des CIA Factbook, die eindeutig die Theorie der Überakkumulation unterstützt, die als hier als „overinvestment“ bezeichnet wird:

„For three decades, overall real economic growth had been spectacular – a 10% average in the 1960s, a 5% average in the 1970s, and a 4% average in the 1980s. Growth slowed markedly in the 1990s, averaging just 1.7%, largely because of the after effects of overinvestment and an asset price bubble during the late 1980s that required a protracted period of time for firms to reduce excess debt, capital, and labor. From 2000 to 2001, government efforts to revive economic growth proved short-lived and were hampered by the slowing of the US, European, and Asian economies. In 2002-06, growth improved and the lingering fears of deflation in prices and economic activity lessened. Japan’s huge government debt, which totals 176% of GDP, and the aging of the population are two major long-run problems. Some fear that a rise in taxes could endanger the current economic recovery.“ (CIA Factbook)

Die Deutsche Krise 1990 – 2007

In Deutschland erlebte der Produktionssektor 1990 genauso eine schwere Krise wie in Japan, obwohl eine Blasenwirtschaft wie Japan in den 1980er Jahren nicht vorhanden war. Die Profitrate, die bereits zuvor niedriger als in Japan und den USA lag, fiel zwischen 1990 und 1994 um 75 % auf ein katastrophales Niveau (Brenner, 2003, S.154). In dieser Phase war eine keynesianische Politik, wie sie zum Beispiel Oskar Lafontaine für diese Phase vorschlug, ausgeschlossen. Jede weitere Akkumulation hätte die Profitrate noch weiter gesenkt. Der Produktionssektor hatte seinen Todespunkt bereits erreicht. Das BIP-Wachstum blieb zwischen 1990 und 1995 auf einer durchschnittlichen Wachstumsrate von nur 0,9 %. Die Regierung musste eine Hochzinspolitik fahren, um zu verhindern, dass Inflation – produziert durch die hohen Staatsausgaben zum Aufbau des Ostens – der exportorientierten Industrie am Weltmarkt das Genick brechen würde. Preissteigerungen in Zusammenhang mit Inflation würden die Konkurrenzfähigkeit des Produktionssektor am Weltmarkt vermindern, so die berechtigte Kalkulation.

Die Strategie, die eingeschlagen wurde, lief daraus hinaus, durch eine qualvolle Umstrukturierung die Exportindustrie wieder in die Offensive zu bringen und damit die Wirtschaft aus der Rezession zu reißen. 2001 zog die Rezession in den USA die Wirtschaft erneut nach unten, die Abwertung des Dollars in den Jahren darauf verhinderte wiederum eine Erholung. Erst 2006 zog die deutsche Konjunktur an, herbeigeführt durch eine partielle Wiederherstellung der Profitrate – genau in dem Jahr, indem sich bereits eine Abschwächung der US-Konjunktur abzuzeichnen begann.

Es ist ein neoliberaler Mythos, dass es in Deutschland in den 1990er Jahren eine allgemeine Politik des „schlanken Staates“ gab. Diese gab es nur in Hinblick auf Sozialleistungen. Durch die hohen Subventionen an Wirtschaftstreibende stieg die deutsche Staatsverschuldung von unter 600 Mrd. Euro im Jahr 1991 auf über 1300 Mrd. Euro im Jahr 2003 an (Wikipedia: „Staatsverschuldung“). Wie in Japan haben wir es mit einer Verdoppelung der Staatsschulden zu tun. Mittlerweile gibt es wie in Japan keinen Spielraum für deficit spending mehr. Gleichzeitig wurden mit einer Erhöhung des Pensionsalters auf 67 Jahre, dem Entstehen von Massenarbeitslosigkeit wie zur Zeit der Machtergreifung der Nazis 1933 und dem Zurückstutzen des Sozialstaates und des Gesundheitssystems nahezu alle Spielräume neoliberaler Krisenbekämpfung ausgeschöpft.

AnhängerInnen einer keynesianischen Wirtschaftstheorie sahen vor allem in der Periode zwischen 2003 und 2006, als die Profitraten explodierten und die Investitionen aber noch nicht anzogen, in einer Steigerung der Binnennachfrage die Lösung für die mangelnde Investitionsdynamik.

Aus der Logik des Kapitalismus ist das aber eine falsche Analyse. Das Herz der deutschen Wirtschaft und der Sektor, von dem alle anderen abhängig sind, war und ist – wie auch in Japan – der exportorientierte Produktionssektor. Interessant ist, dass im Laufe der Nachkriegszeit auch in den USA der exportorientierte Produktionssektor zum Herz der Wirtschaft wurde. Die Ursache dafür ist, dass auf Grund steigender Skalenerträge die Massenproduktion vor allem im Hochtechnologiebereich nur im Weltmaßstab genügend Absatz findet. Die einzelnen Länder spezialisieren sich auf gewisse Industrien und versuchen, dort den Weltmarkt zu bedienen. Wenn diese Industriezweige nicht prosperieren, dann kann die Wirtschaft keinen wirklichen Investitionsboom zustande bringen. Eine Steigerung der Binnennachfrage würde zwar vielleicht einige Jobs in der Dienstleistungsbranche schaffen, gleichzeitig durch höhere Löhne und auch durch Preissteigerungen die Situation im Produktionssektor verschlechtern.

Bereits Marx meinte, dass die Gesamtwirtschaft von einem oder mehreren Schlüsselsektoren abhängig sei. Diese Schlüsselsektoren sind heute in fast jedem Industrieland die exportorientierten Produktionsbereiche.

Das einzige keynesianische Argument, welches ins Feld geführt werden könnte, ist, dass in den Jahren 2004, 2005, 2006, 2007 die exportorientierten Herstellungsfirmen Deutschlands solche Rekordprofite machten, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit unschlagbar wären. (Vgl. Marterbauer, 2007)

Im Angesicht steigender weltweiter Ungleichgewichte und eines Abflauens der US- Konjunktur, einer allgemeine Verunsicherung über die Zukunft des Wachstums in China, ist das eine etwas kurzsichtige Sicht der Dinge, die vom Kapital jedenfalls aus guten Gründen der kapitalistischen Logik absolut nicht geteilt wird.

Die Weltwirtschaft in den 1990ern und die Weltwirtschaftskrise von 2001

Wenn man die Krisen einzelner großer Industriestaaten analysiert, ohne die Weltwirtschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten, verliert man leicht den Überblick für die Gesamtbewegung. Während ein Land in eine Krise schlittert, kann in einem anderen Land ein Boom stattfinden. Abkommen über Wechselkurse und Veränderungen der Wechselkurse erscheinen als die Verursacher von Krisen. Jedes Mal, wenn ein Land in einen Aufschwung kommt, ist die Rede vom Erfolgsmodell, während die Krisen des anderen Landes auf die spezifisch negativen Umstände, „bad gonvernance“ oder „crony capitalism“ zurückgeführt werden.

In den 1980er Jahren erscheint Japan als Erfolgsmodell, während in den 1990ern die US-Wirtschaft diesen Titel bekommt. Tatsächlich handelt es sich bei beiden nationalen Booms, nur um kurzfristige instabile Wachstumsphasen, die in schweren Krisen mündeten. Wenn wir die Wachstumsraten der OECD Länder betrachten, bekommen wir einen besseren Blick für die Wirtschaft der 1990er Jahre: Zwischen 1960 und 1973 betrug das Wachstum des BIP in den OECD Ländern 4,9 %, zwischen 1973 und 1979 2,8 %, zwischen 1979 und 1990 2,6 % und zwischen 1997 und 1997 2,4 %. (Brenner, 2003, S.80). Wir sehen hier die Verlangsamung des Wachstumspfades – und das, obwohl die Rezession 2001 gar nicht inkludiert ist.

In den 1990er Jahren ist die Situation in Wirklichkeit noch schlimmer als 1974. In Japan und Deutschland hat die Profitkrise erst jetzt die Talsohle erreicht. Die wirkliche Situation der Weltwirtschaft wird jetzt einzig und alleine verdeckt durch den Aufschwung in den USA und in Südostasien.

In Südostasien erlebte die Wirtschaft eine klassische Überakkumulationskrise, die durch zwei Phänomene zusätzlich angeheizt wurde: Erstens durch die Bindung der Währungen an den niedrigen Dollar, während der Yen einen Höhenflug erlebte. Zweitens durch massive Kapitalflüsse aus dem Ausland. Als der Dollar aufzuwerten begann, brachte dies in Zusammenhang mit der einbrechenden Profitrate der südostasiatischen Länder die Wirtschaften ins Trudeln, das Kapital flüchtete wieder ins Ausland und die Dollarschulden der Firmen wogen durch die Dollaraufwertung schwerer als in der Vergangenheit. Die Folge war die Asienkrise von 1997.

Auch die ernsthaftesten Wirtschaftswissenschafter wie Paul Krugman teilen die Analyse, dass die Finanzkrise der Tigerstaaten nur der Ausdruck einer Industriekrise war. Der einzige Unterschied ist der, dass Krugmann dabei die sinkende „total factor productivity“ der Industrie als Indikator heranzieht, während wir die sinkende Profitrate heranziehen. (Vg. Krugman, 1999)

In den USA gelang es durch die Hochzinspolitik der 1980er Jahre und eine massive Sparpolitik am Anfang der Clinton-Ära den Produktionssektor wieder fit zu machen, was jedoch mit einer totalen Verkleinerung des Produktionssektors gegenüber anderen Ländern einherging. 2006 macht der Industriesektor nur noch 20,4 % des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Explosion des Dienstleistungssektors drückt keinesfalls eine Reifung der Wirtschaft aus, da sie lediglich auf einer extrem unproduktiven Arbeitskräfteakkumulation beruht, herbeigeführt durch die Entwicklung eines für Industrieländer extremen Niedriglohnsektors.

Die Versorgung der Masse der Bevölkerung durch hochwertige Dienstleistungen, Ausdruck eines wirklichen Reifungsprozesses, wird tendenziell gleichzeitig sogar schlechter. Sogar das CIA Fact Book schreibt, dass die Einkommenszuwächse seit 1975 in den USA lediglich den obersten 20 % zugute gekommen sind. Die Akkumulation wurde massiv beschränkt, der Produktionssektor verkleinert und die Profitrate restauriert, was zum Aufschwung der 1990er Jahre führte und vor allem im Bereich der Informationstechnologie einen wirklichen Investitionsboom auslöste. Bereits 1996 erreichte die Profitrate aber schon ihre Spitze und begann wieder zu sinken. Jetzt führten Zinssenkungen, ähnlich wie in Japan in den 1980er Jahren, zur Bildung einer riesigen Aktienblase. Während die realen Profite sanken, erzeugte diese Blase einen Vermögenseffekt, der den Konsum und die Investitionen der Binnenwirtschaft weiter antrieb und den Boom am Leben hielt. Die US-Wirtschaft konnte auch die Asienkrise überstehen und den Boom weitertreiben. Akkumulation bedeutete aber weiter Senkung der Profitrate, die ab einem gewissen Moment zum Platzen der Aktienblase führen musste.

2001 zeigt sich dann der wahre Zustand der Weltwirtschaft: Die Profitrate der USA fällt auf das Niveau von 1974 zurück, rund 2 Mio. Jobs, die im Boom geschaffen wurden, werden vernichtet, der Lebensstandard der Masse der Bevölkerung ist niedriger als 1990. Gleichzeitig haben wir 2001 zeitgleich eine Rezession in Japan, Deutschland und den USA.

Das „Skandinavische Modell“

In der wirtschaftspolitischen Diskussion ist immer wieder die Rede vom „Neuen Skandinavischen Modell“. Dieser Begriff ist meiner Meinung irreführend, da sich alle skandinavischen Länder massiv von einander unterscheiden. Norwegen muss auf Grund seines Ölreichtums gesondert diskutiert werden. In Dänemark erleben wir zur Zeit einen der schärfsten neoliberalen Angriffe in Europa, wobei nicht klar ist, was nach diesem Angriff vom Wohlfahrtstaat noch übrig bleibt. Finnland und Schweden weisen mit ihrer Orientierung auf großindustrielle Exportcluster im Hochtechnologiebereich noch die meisten Ähnlichkeiten auf, wobei Finnland mit seiner Totalabhängigkeit von einem einzigen Unternehmen, dem Nokia-Konzern, wieder einen Sonderfall bildet. Ich möchte daher auf das schwedische Modell eingehen. Das ist gegenüber den Fans des „Skandinavischen Modells“ durchaus fair, da Schweden sicherlich (abgesehen vom Öl-Emirat Norwegen) am besten aufgestellt ist.

Die Krise des klassischen Schwedischen Modells 1970-1990

Das Schwedische Modell erlebte wie alle anderen keynesianischen Modelle in den 1970er Jahren eine Stagnationskrise. Von 1976 bis 1993 sank Schweden bezüglich des Pro-Kopf-Bruttosozialproduktes vom Platz zwei der Weltrangliste auf Platz 19. Zuerst versuchte die Regierung, ähnlich wie in Japan in den 1980er Jahren, die Wirtschaft durch niedrige Zinsen anzukurbeln. Die Folge war jedoch aufgrund der niedrigen Profitrate ein riesiges Anwachsen der Spekulation mit Immobilien, Aktien und Krediten.

Interessant ist, dass in den 1980er Jahren die außergewöhnlich hohen Forschungsausgaben und die Exportorientierung der schwedischen Wirtschaft die schlechte wirtschaftliche Situation nicht ändern konnten. Die OECD stellte 1986 fest, die Forschungsausgaben seien zwar hoch aber ineffizient. (Blomstrom/Kokko, 2002) Was hier zum Ausdruck kommt, ist dass selbst hohe Forschungsausgaben ab einem gewissen Zeitpunkt die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals und die damit verbundene fallende Profitrate nicht mehr aufhalten können.

Von 1991 bis 1994 stürzte Schweden in eine schwere Finanzkrise, in der die Arbeitslosigkeit von 1,1 % auf 9 % stieg. Drei von fünf Banken gingen Bankrott; das Budgetdefizit lag bei gigantischen 12 %. (ebenda)

Erst die Vernichtung von Kapital in dieser schweren Rezession in Verbindung mit der unterdurchschnittlichen Kapitalakkumulation der 1980er Jahre machten durch die damit einhergehende Bereinigung des Kapitalstocks das schwedische Wachstumswunder seit Mitte der 1990er Jahre möglich.

Noch tiefer war die Rezession in Finnland. Die Arbeitslosigkeit sank von 1990 bis 1994 von 3,4 % auf 20 %, und das BIP fiel zwischen 1991 und 1993 um 10,7 %. In Finnland hing die Rezession auch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zusammen. Dennoch sehen wir auch hier, dass die gute Performance von Finnland in den späten 1990er Jahren mit der radikalen Erneuerung des Kapitalstocks in der Rezession 1990 bis 1994 zusammenhängt. (Vgl. Blomström, Kokko, 2002)

Das Neue Schwedische Modell und seine Perspektiven

Das Schwedische Modell beruhte immer schon auf einem engen Bündnis zwischen dem Staat und der exportorientierten Großindustrie. Es ist kein Zufall, dass der Eigentümer von Ikea, Ingvar Kamprad, Bill Gates als reichsten Mann der Welt überholt hat. Neu war nur, dass man die schwedische Wirtschaft nach der Rezession noch stärker als bisher auf Export-Cluster im High Tech-Bereich der internationalen Arbeitsteilung aufbaute.

Der Staat unterstützte diesen Aufbau vor allem durch ein ausgezeichnetes Bildungssystem, hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie einer hohen Beschäftigungsquote – möglich gemacht durch gute öffentliche Altenpflege und Kinderbetreuung.

Nicht unwichtig für das Schwedische Modell, das vergangene wie das gegenwärtige, ist die eigenständige schwedische Rüstungsindustrie. Diese erlaubt es, staatliche Aufträge zu vergeben und eine eigenständige nationale High-Techforschung- und Entwicklung aufzubauen. Das Schwedische Modell entspricht mit seiner Monopol-Orientierung und seiner Abhängigkeit von einer starken Rüstungsindustrie ganz dem Leninschen Theoriekonzept des Sozialimperialismus.

Das Schwedische Wirtschaftsmodell zielt darauf ab, innerhalb der Weltproduktion eine High-Tech-Nische zu besetzen und seine ganze Produktion auf den Export in diesem Bereich auszurichten. Dadurch kann zum einen eine höhere Beschäftigungsquote erreicht werden und zum anderen eine höhere Quote an sehr gut ausgebildeten Arbeitskräften.

Die Schwedische Wirtschaftspolitik ist zudem immer schon auf eine Unterstützung der Großindustrie und eine vergleichsweise zu Österreich stärkere Belastung der Klein- und Mittelbetriebe ausgerichtet gewesen, was sich sowohl im Steuersystem, als auch im Lohnsystem widerspiegelt. Zum einen führt die Orientierung auf Lohngleichheit zu vergleichsweise niedrigen Löhnen in der Großindustrie, während in Klein- und Mittelbetrieben und dem untersten Einkommenssegment die Löhne vergleichsweise hoch sind. Die Unternehmenssteuern sind – verglichen etwa mit Österreich – relativ hoch, aber die Großindustrie bekommt durch Staatsaufträge, Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie das gute Bildungssystem diese Steuergelder mehrfach vom Staat zurück.

Man kann allerdings nicht behaupten, dass das Schwedische Modell ausschließlich dem Kapitalinteresse dient. Teile davon, wie die hohe Beschäftigungsquote, die hohe Qualität bei Bildung, Pflege und Kinderbetreuung sind sicherlich eine Errungenschaft der schwedischen ArbeiterInnenklasse.

Zwei Fragen ergeben sich aus der Betrachtung des Schwedischen Modells: Ist es übertragbar? Und wie lange wird es noch aufrecht zu halten sein? Die erste Frage muss tendenziell verneint werden. Ein großes Land kann das schwedische Modell nicht kopieren, weil es sich nicht ausschließlich auf ein Segment der Produktpalette spezialisieren kann. Aber selbst für ein kleines hochindustrialisiertes Land wie Österreich ist es nicht so einfach das Skandinavische Modell zu kopieren. Es gibt eine historisch gewachsene Industriestruktur, die beispielsweise in Österreich eher auf Klein- und Mittelbetriebe ausgerichtet ist. Das Herausstampfen neuer Export-Cluster aus dieser Industriestruktur erfordert nicht nur eine Rezession, sondern auch die Möglichkeit, in eine neue Nische des Weltmarkts vorzustoßen. Solche Nischen tun sich nicht jeden Tag auf. Der große Export-Cluster Österreichs ist der Banken und Versicherungssektor, der durch seinen parasitären Charakter keine Investitionen in Forschung und Entwicklung bzw. höhere Ausbildung braucht.

In Finnland ist das „Skandinavische Modell“ weit weniger erfolgreich als in Schweden. Die einseitige Orientierung auf die „New Economy“ und den Nokia-Konzern hat das Land 2001 nach dem Platzen der „Dot-com“-Blase erneut in eine krisenhafte Situation zurückgeworfen.
Eine Industriestruktur wie in Schweden, die sich auf mehrere äußerst erfolgreiche Export-Cluster verteilt ist, muss sich über mehrere Jahrzehnte hinweg unter sehr spezifischen Umständen entwickeln. Die historisch Situation von Schweden – mit seiner Neutralität im Zweiten Weltkrieg, den reichhaltigen Bodenschätzen und der eigenständigen Währungspolitik – ist fast ebenso einzigartig wie die historische Rolle der Schweiz als internationaler Finanzplatz.

Nachdem wir uns mit der Übertragbarkeit des Schwedischen Modells beschäftigt haben, bleibt die Frage nach seiner Lebensdauer. Eine These, die immer wieder in den Zeitungen zu lesen war, ist die, dass auch die konservativen Kräfte in Schweden das Konzept des Wohlfahrtsstaates akzeptiert haben. (Vgl. Marterbauer, 2007) Diese These ist mittlerweile durch die Ereignisse überholt worden: Die neue konservative Regierung in Schweden plant nicht nur eine Liberalisierung des Wohnungsmarktes, sondern auch die Privatisierung des Bildungs- und des Gesundheitssystems. Die Tatsache alleine, dass die sozialdemokratische Regierung abgewählt wurde, zeigt, dass ein Teil der SchwedInnen unzufrieden mit der Situation ist und das schwedische Modell seine Grenzen hat. Eine Seite ist sicherlich die, dass trotz hoher Beschäftigungsquote die Arbeitslosigkeit höher ist als in anderen vergleichbaren Ländern, eine andere, dass das Lohnniveau gemessen an Kaufkraftparitäten in Schweden niedriger ist als etwa in Österreich, Großbritannien, Dänemark oder Finnland. Die Arbeitslosigkeit in Schweden betrug im Jahr 2006 5,6 % – gegenüber 4,9 % in Österreich. Wenn die österreichische Statistik verschweigt, dass viele Menschen in Kursen des Arbeitsmarkservices versteckt oder in Frühpension geschickt werden, so unterschlagen die schwedischen Zahlen, dass viele arbeitslose Menschen als StudentInnen oder Langzeitkranke geführt werden. Die Jugendarbeitslosigkeit in Schweden beträgt 16,4 % – doppelt so hoch wie in Österreich (8,2 %). (Die Presse, 21.11.2007).
Ein hoher Staatsanteil wird von den Bürgerlichen traditionell als rotes Tuch gesehen, weil es sich der staatliche Sektor oft jenseits der Profitmacherei funktioniert.. Zudem kommt, dass Schweden sehr krisenanfällig ist, da ein Cluster im Fall einer Krise dieses Cluster einen überproportional großen Teil der Volkswirtschaft hinunterziehen kann. In der heutigen turbulenten Weltwirtschaft, ist keine Nischentechnologie-Industrie vor einer Krise gefeit. Dies hat sich beispielsweise bereits an Hand der japanischen Ökonomie gezeigt, der auch die Entwicklung ins absolute Hightech-Segment nicht half, die Krise zu vermeiden Auf diese Weise wurde Schweden viel härter als Österreich von der Krise der US-Ökonomie 2001 getroffen.

Der lange Boom in China und seine Rolle in der Weltwirtschaft

Der Aufschwung der chinesischen Wirtschaft 1979 bis 2007 findet im 20. Jahrhundert nur eine einzige Parallele in der Geschichte des Kapitalismus, nämlich den Aufschwung der japanischen Wirtschaft 1950 bis 1974. Bevor wir den chinesischen Aufschwung analysieren, müssen wir hervorheben, dass dieser Aufschwung auf einzigartigen Voraussetzungen beruht und nicht beliebig in anderen Entwicklungsländern wiederholt werden kann. Sowohl in Japan als auch in China wurden die feudalen Strukturen, sowie die Strukturen der Auslandsabhängigkeit beseitigt, die für beide das Haupthindernis der Entwicklung bildeten. In China vollzog sich dies durch eine soziale Revolution 1945-1948;. im Japan der Nachkriegszeit griff die US-Armee aus Angst vor einer Revolution in die sozialen Beziehungen ein und bereitete so den Boden für den kolossalen Wirtschaftsaufschwung.

Die chinesische stalinistische Elite war, als sie sich auf den Weg der kapitalistischen Transformation machte, klüger als die russische. Sie zog seit 1979 an einem Strang und arbeitete – relativ bewusst – an einer Wiederholung des japanischen Aufschwungs in China, an einer Kopie des japanischen Modells. Das japanische Modell kann als das Modell des Staatskapitalismus par excellence bezeichnet werden: Ein starker Staat, der gemeinsam mit den Banken planmäßig Exportindustrien aufbaut, um die Führungsrolle in der Weltwirtschaft zu erobern. Die Exportorientierung ist deshalb so wichtig, weil es für Hochtechnologieprodukte keine Inlandsnachfrage gibt. Gewisse Industriebranchen bekommen quasi zinslose Kredite und gelangen mit Hilfe des niedrigen Lohnniveaus in eine Pole Position am Weltmarkt: Das ist das Geheimnis des asiatischen Staatskapitalismus.

Genauso wie der japanische Aufschwung fast 20 Jahre nahezu den Konjunkturzyklus zum Verwinden brachte, sehen wir auch in China einen einzigen kontinuierlichen Aufschwung. Der Grund dafür ist der, dass beide Länder ausgehend von derart niedrigen Niveaus ihre Aufholjagd begannen und solch massive Wettbewerbsvorteile genossen, dass jeglicher Konjunkturzyklus oder jegliche Strukturschwäche der Weltwirtschaft durch ständiges Erobern von neuen Marktanteilen ausgeglichen wurde. In China funktioniert dieser Mechanismus bis heute.

Dennoch: Jeder Investitionsboom ist irgendwann zu Ende. Je massiver er war, desto tiefer die Krise, die zu erwarten ist. Die japanische Wirtschaft fiel 1974 in eine Krise, von der sie sich im Wesentlichen bis heute nicht mehr erholt hat. Der Grund dafür ist die massive Expansion des japanischen Kapitalstocks über 20 Jahre hinweg, der die Profitrate auf ein erbärmliches Niveau herabdrückte.

In China bereitet sich eine riesenhafte Überakkumulationskrise vor. Diese Überakkumulation wird sich kurzfristig in einer Überproduktionskrise äußern, wahrscheinlich verbunden mit einem Einbruch oder einer Verlangsamung des Exportwachstums, mittelfristig wird erst durch die Überproduktionskrise die chronische Verschlechterung der Profitsituation zu Tage treten, die sich ähnlich wie in Japan 30 Jahre zuvor unter der Oberfläche durch die massiv steigende Kapitalintensität der chinesischen Produktion vorbereitet. Interessant ist, dass auch der Economist die Situation heute mit der japanischen Situation in den 1980er Jahren vergleicht:

“In many ways China today looks ominously similar to Japan before its bubble burst at the start of the 1990s, resulting in a decade of stagnation. Like Japan, China has high rates of saving and investment, low real interest rates, soaring asset prices, a big current-account surplus and upward pressure on its currency. After the Plaza accord between the big industrial countries in 1985, the Japanese yen rose by 80% against the dollar in three years.
Many in China have concluded that the blame for Japan’s economic malaise in the 1990s lay largely with the appreciation of the yen. Beijing has therefore allowed the yuan to rise by only 10% since July 2005. But Japan’s real mistake was its loose monetary policy to offset the impact of the rising yen—which further inflated the bubble—and then its failure to ease policy once the bust had happened. By holding down the value of the yuan and allowing a consequent build-up of excess liquidity, China risks repeating the same error.” (The Economist, 27.9.2007))

Weniger klar ist, wer der unmittelbar größte Leidtragende der Überproduktionskrise in China sein wird. In einigen Sparten wie Zementproduktion könnte China innerhalb von kürzester Zeit vom weltgrößten Importeur zum weltgrößten Exporteur werden und die innerchinesischen Produktschwemme auf den Weltmarkt umlenken. Hinzu kommt, dass ein Abschwung in China zu einem massiven Abfluss von chinesischem Kapital aus den USA führen muss, was einen Zusammenbruch der US-Wirtschaft auslösen kann. Jedes Abflauen der Weltkonjunktur wird sich negativ auf das Wachstum in China auswirken. Und umgekehrt wird ein Einbruch die Welt mit sich nach unten reißen.

Die globalen Ungleichgewichte und die Perspektiven einer kommenden Krise

Nach 2001 schlug die US-Regierung einen Kurs der Zinssenkung, der Ausweitung des Budgetdefizits und der kontrollierten Abwertung des Dollars ein, um die Wirtschaft aus der Rezession zu führen. Auf diese Weise konnte die Rezession beendet und ein weiterer Einbruch im Produktionssektor verhindert werden, ein wirklicher Akkumulationsboom blieb jedoch aus. Die Jobs, die 2001 in der Informationstechnologie verloren gingen, wurden in Form von Billigjobs im Dienstleistungssektor neu geschaffen. Auf Grund der niedrigen Zinsen entwickelte sich neuerdings eine Blase, diesmal zusätzlich zum Aktienmarkt auch auf dem Immobilienmarkt. Die Umverteilung von unten nach oben ging nach der Rezession 2001 ungebremst weiter, was den Profitraten wieder Auftrieb verlieh. Der Boom, der sich ab 2004 wieder zu entwickeln begann, beruhte auf der expandierenden Verschuldung der privaten Haushalte.

Im Unterschied zum Anfang der 1990er Jahre erreichte er nicht den exportorientierten Produktionssektor, der auch in den USA das Herzstück der Ökonomie ausmacht. Die Verschuldung der privaten Haushalte beruht – ebenso wie die Investitionen im Dienstleistungssektor – auf dem Vermögenseffekt der Blasenwirtschaft. Schon 2006/2007 begann sich der Boom abzuschwächen und die Blase am Immobilienmarkt erreichte ihren Zenit. Die Profitrate begann wieder zu sinken.

Für die Masse der Bevölkerung unterschied sich dieser Boom, ähnlich auch wie in Deutschland und Japan zu selben Zeit, nicht mehr von einer Rezession. Interessant ist, dass auch während der so genannten Boomphase Prozesse die Wirtschaft dominieren, die normalerweise Rezessionen kennzeichnen – insbesondere Fusionen und Übernahmen in Kombination mit Private-Equity-Geschäften.

Die Tätigkeit der so genannten „Heuschrecken“, die mit Hilfe billiger Kredite Firmen aufkaufen und restrukturiert weiterverkaufen, um kurzfristige Profite herauszuschlagen, ging auch im Aufschwung ungebremst weiter. Es handelt sich dabei um eine Situation, in der auch bei hohen Gewinnen nicht oder wenig investiert wird.

Darin drückt sich die ungeheure Verlagerung des Kräfteverhältnis in Richtung Finanzkapital aus, das sich nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch in den Managementetagen niederschlägt. Durch die astronomischen Managergehälter, die direkt an den finanzmarkttechnischen Erfolg des Managements gebunden sind, wird der/die ManagerIn vom traditionellen Produktionsleiter zum/zur AgentIn des Finanzkapitals. Statt einen hohen Umsatz oder eine langfristige Erringung von Marktanteilen anzustreben, geht es beim zeitgenössischen Management hauptsächlich um eine kurzfristig hohe Profitrate.

Diese Verlagerung, die durch die Krise der industriellen Profitrate ab 1980 in den USA und ab 1990 in Deutschland und Japan aus kapitalistischer Sicht notwendig wurde, hat eine solche Eigendynamik entwickelt, dass auch eine Erholung der industriellen Profitrate nur sehr verzögert zu Investitionen führt.

Der Vorteil dieser Entwicklung aus kapitalistischer Sicht liegt darin, dass die Überakkumulation gebremst wird. Gleichzeitig wüten aber das Finanzkapital und die Prozesse der so genannten „schöpferischen Zerstörung“ dermaßen ungebremst, dass die-Industrialisierung und Kapitalvernichtung den Bestand der Industrie und der Wirtschaft gefährden und den Lebensstandard der Bevölkerung erodieren.

Die Dominanz der hochverschuldeten Hedgefonds wird vor allem dann zu einem Problem, wenn diese in Folge einer Kreditklemme ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können und Tausende ihnen gehörende Industriebetriebe mit sich in den Abgrund reißen. Hier wird zum Problem, dass Hedgefonds im Gegenzug zu Banken keinen nationalen Vorschriften unterstehen und der Staat keine Haftung übernimmt, da sie ihren Sitz meist in Steuerparadiesen haben.

Das eigentliche Problem der kapitalistischen Krise am Anfang des 21. Jahrhunderts ist aber nicht der kapitalistische Wirtschaftszyklus, sondern die globalen Ungleichgewichte, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten herausgebildet haben. Die USA wahren nur fähig ihre Rezession aufzuhalten indem sie eine riesenhafte private Haushaltsverschuldung und ein riesiges Außenhandelsdefizit zuließen.

Das Außenhandelsdefizit wird finanziert vor allem durch chinesisches, japanisches, deutsches und arabisches Kapital. Die beständigen Kapitalflüsse auf den amerikanischen Markt aus dem Ausland verbunden mit der Blase auf dem Immobilienmarkt und den niedrigen Zinsen in den USA 2001 bis 2006, sind die Grundlage für die Überliquidität, die alle Poren der Gesellschaft, private Haushalte, den Staat, die Hedgefonds und Unternehmen mit billigen Krediten überflutet. Wir wissen aber schon von Beispielen aus der Vergangenheit, dass so eine Kreditschwemme unter gewissen Umständen, wie im Fall der Asienkrise 1997 zu einer Kreditklemme werden kann. Kommt im Verlauf des Zyklus die Profitrate zum Sinken muss sich über kurz oder lang die Kreditschwemme sogar in eine Kreditklemme verwandeln, da sinkende Profite vermehrte Geldentnahmen notwendig machen.

Eigentlich müsste der Punkt, an dem das ökonomische Gleichgewicht der Welt zusammenbricht, schon längst erreicht sein, da der niedrige Dollarkurs die Kapitalbewegungen in die USA lange schon nicht mehr rechtfertigt. Der Grund, warum das fragile Gleichgewicht weiter existiert ist der, dass China, Japan, Deutschland und Erdöl exportierende Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate aus politischen und makroökonomischen Überlegungen das US-Außenhandels-Defizit künstlich finanzieren. Sie wissen, dass ein Zusammenbruch des US-Marktes ihre Exportchancen verringert und ihre eigenen Wirtschaften zum Zusammenbruch führen muss. Heute hängt das gesamte Wachstum der Weltwirtschaft von dem Boom in China und der privaten Haushaltsverschuldung der USA ab.

Welche Ereignisse können den Zusammenbruch der Gleichgewichte auslösen? Ein Platzen der Immobilienblase oder des Aktienmarktes in den USA könnte einen Zusammenbruch des Konsums und eine Kapitalflucht bewirken. Ein Crash in China, könnte zu einer Flucht von chinesischen Kapital aus den USA führen. Beides würde einen wirtschaftlichen Kollaps der USA ähnlich wie 1929 einleiten, der die gesamte Welt hineinreißen könnte. Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Kapitalismus in seiner größten Krise seit 1914 – 1945. Heute gibt es keine Volkswirtschaft, die ähnlich wie die USA nach dem Zweiten Weltkrieg das ökonomische Potential hat, die Weltwirtschaft auf eine stabile Grundlage zu stellen. Die USA, die nach dem zweiten Weltkrieg der größte Gläubiger der Welt waren, sind heute ihr größter Schuldner eines der schwächsten Glieder der Weltwirtschaft.

Jenseits von Hayek und Keynes: Perspektiven einer neuen sozialistischen Wirtschaftspolitik

Das unmittelbare Hauptziel sozialistischer Wirtschaftspolitik muss darin liegen, den Lebensstandard der Massen zu verteidigen und auszubauen: Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhungen, die sich am Produktivitätsfortschritt orientieren, Mindestlöhne, gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen, ein Ausbau von Gesundheits- und Bildungssystem, der Pflege, der Altersversorgung, Förderung von Forschung und Entwicklung, der Einstieg in neue umweltschonende und arbeitssparende Technologien. Das waren seit jeher die Ziele aller SozialistInnen. Hier braucht es keine Neudefinition. Spannend wird die Frage erst wie diese Reformen am Beginn des 21. Jahrhunderts durchsetzbar sind und in dieser Diskussion beginnt sich der Unterschied zwischen KeynesianerInnen, GlobalisierungskritikerInnen, ReformistInnen auf der einen Seite und MarxistInnen auf der anderen Seite herauszubilden. MarxistInnen verweisen darauf, dass heute diese Ziele der kapitalistischen Profitlogik unversöhnlich gegenüber stehen. Es ist unter den Bedingungen der Krise der industriellen Profitrate nicht mehr möglich durch Fiskalpolitik, Geldpolitik, oder einer Regulation der Kapitalströme die Kapitalakkumulation anzukurbeln, um damit die Sozialpolitik zu finanzieren. Jeder Versuch muss spätestens seit den 1970er Jahren dazu führen, dass das Kapital einen unversöhnlichen Kampf gegen eine solche Politik führen würde. Die KapitalistInnen würden alles unternehmen, diese Politik mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, Kapitalflucht, Preissteigerungen oder Investitionsstreik zu paralysieren.

Was heute notwendig ist, ist ein direkter Angriff auf die Profitlogik und ihre Ersetzung durch eine Produktion für die Bedürfnisse der Menschen. Das bedeutet, dass die Banken und großen Unternehmen unter der demokratischen Kontrolle der Bevölkerung verstaatlicht werden müssen. Nur unter diesen Bedingungen können Preissteigerungen, Kapitalflucht und Investitionsstreiks verhindert werden.

Nur unter diesen Bedingungen kann sich die industrielle Akkumulation über das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate hinwegsetzen, denn der Profit im Verhältnis zum eingesetzten Kapitalstock ist dann nicht mehr der Gradmesser der Investitionsentscheidung. Diese wird ausschließlich davon abhängig gemacht, ob der gesellschaftliche Nutzen der Investitionsentscheidung in Hinblick auf die Bedürfnisse der Bevölkerung, die Umwelt und die technologischen Effizienzen die gesellschaftlichen Kosten übersteigt oder nicht.

Im Kapitalismus besteht das Haupthemmnis der technologischen Entwicklung darin, dass viele Investitionen, die eine massive Produktivitätssteigerung für die gesamte Gesellschaft bringen, nicht durchgeführt werden können, weil die Profitrate des privaten Investors eine Durchführung der Investition nicht erlaubt.

Im Kapitalismus wird nicht jede Investition getätigt, die den gesamtgesellschaftlichen Einsatz der notwendigen Arbeit, der natürlichen Ressourcen und der Umweltschäden relativ zum Output verringert. Viele Investitionen, die diese „sozialistischen“ Investitionsbedingungen erfüllen würden, können im Kapitalismus nicht getätigt werden, weil die wichtigste „kapitalistische“ Investitionsbedingung nicht erfüllt ist: die Profitmaximierung des individuellen privaten Investors.

ArbeiterInnenkontrolle + IT = Sozialismus des 21. Jahrhunderts

Als der Chef der US-amerikanischen Notenbank Alan Greenspan Ende der 80er Jahre in Moskau dem Leiter der staatlichen Planungskommission GOSPLAN einen Besuch abstattete, war er überrascht über die Planlosigkeit und Anarchie der sowjetischen Wirtschaft. Die Planungskommission hätte zwar beeindruckende mathematische Modelle zur Verfügung, die Wirtschaftsdaten, die sie von den einzelnen BetriebsleiterInnen bekäme, seien aber alle falsch. Alan Greenspan behauptet, dass er als Chef der Fed mehr Einblick in die wirklichen Prozesse der US-Wirtschaft habe als seinerzeit der GOSPLAN in die sowjetische Wirtschaft.

Greenspan ist hier dem Kern des Problems der stalinistischen Wirtschaft auf der Spur. Die dezentralen BetriebsleiterInnen übergaben dem GOSPLAN falsche Daten, weil sie Nutzen daraus zogen. Sie schlugen Kosten zu hoch an, schätzten die Produktionskapazitäten zu niedrig ein und machten sich der Korruption schuldig. Gleichzeitig gab es in der sowjetischen Wirtschaft keine Qualitätskontrolle durch die KonsumentInnen und ProduzentInnen und keine demokratische Ermittlung der tatsächlichen Nachfrage der KonsumentInnen.

Der Markt als Vermittler von Angebot und Nachfrage und Koordinator der Bedürfnisse und Produktivkräfte wurde beseitigt. Er wurde jedoch nicht durch ein anderes Informationssystem ersetzt, sondern durch eine bürokratische Wirtschaftsdiktatur.

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss aus diesen Fehlern lernen. Die Betriebsleitungen müssen der demokratischen Kontrolle der beschäftigten und der KonsumentInnen unterworfen werden. Es müssen Informationssystem errichtet werden, die durch direkte Anbindung der KonsumentInnen und ProduzentInnen den wirklichen Bedarf ermitteln, Qualitätskontrolle möglich machen, und jede Korruption und jede Verbesserungsmöglichkeit transparent und sichtbar machen. Das Internet und die Open-Source-Technik der Produktion ist hierbei ein zentrales Instrument der Planung.

Frei nach Lenin können wir abschließen: ArbeiterInnenkontrolle plus Informations- und Kommunikationstechnologie ist Sozialismus des 21 Jahrhunderts.

Datenquellen:

– US National Accounts
– BRENNER, Robert (2006): Economics of Global turbulance; London; Verso
– BRENNER, Robert (2003):Boom & Bubble, Hamburg, VSA- Verlag
– BLOMSTRÖM, KOKKO (2002): Growth and Innovation Policies for a knowledge economy: Experiences from Finland, Sweden and Singapore. Working Paper 156.
– CIA Factbook
– MARTERBAUER, Markus (2007): Wem gehört der Wohlstand? Perspektiven einer neuen österreichischen Wirtschaftspolitik. Wien, Zsolnay
– KRUGMAN, PAUL (1999): Die große Rezession. Frankfurt/Main, Campus-Verlag
– THE ECONOMIST (27. Sept. 2007): How fit is the panda?