Die schnelle Lockerung des Lockdowns und die Samstagsproteste stellen erneut die Frage nach der Legitimität von Einschnitten in die Grundrechte und dem repressiven Charakter ihrer Durchsetzung. Welche Massnahmen sind nötig? Und vor allem: Wie werden sie durchgesetzt?

Vorweg: Die Krankheit, welche durch SARS-CoV-2 ausgelöst wird, ist gefährlich und macht macht gewisse Einschnitte in die Grundrechte zum Schutz der Bevölkerung notwendig. Der Krisenpolitik des Bundesrates stehen wir jedoch kritisch gegenüber, weil der Staat schlussendlich die Interessen der Kapitalisten verteidigt. Nichtsdestotrotz verteidigen wir gewisse Massnahmen. Generell gilt: Die zielgerichtete Reduktion der Übertragung war und ist eine dringende Notwendigkeit.

Im Kapitalismus treten solche ausserordentlichen Massnahmen gleich in mehrere Widersprüche. Die zwei wichtigsten betreffen ihren Zweck und die Art  der Durchsetzung. 

Wieso überhaupt Massnahmen?
Die Pandemie versetzte die herrschende Klasse in ein Dilemma. Einerseits hätte eine unkontrollierte Durchseuchung zu astronomischen Todeszahlen und damit einem Backlash gegen die Regierungen und einem Vertrauensverlust der herrschenden Institutionen geführt. Das ist der Hauptgrund, wieso die Regierungen überhaupt zu drastischen Massnahmen gegriffen haben. Andererseits ist für die Herrschenden die Aufrechterhaltung der Profite das höchste Gut, auch wenn es Tote gibt. Das Hin und Her zwischen diesen beiden Zielen erklärt den Zickzackkurs der Regierungen und die Absurdität und Widersprüchlichkeit der Massnahmen. 

Wer kontrolliert was?
Der zweite Widerspruch betrifft die Anwendung der Massnahmen. Seit Beginn des Lockdowns ist die Maxime, dass wir uns in der Freizeit völlig isolieren sollen, damit die zahlreichen Ansteckungen am Arbeitsplatz die Quote nicht hochschiessen lassen. Zahlreiche Indizien deuten jedoch darauf hin, dass ein Grossteil der Ansteckungen bei der Arbeit passieren. Laut einer Angestellten infizieren sich beim Waadtländer Verteilcenter von LeShop täglich zwei Personen. 

Trifft der Staat solche Massnahmen, haben sie immer repressive Züge. Gerade in ausserordentlichen Perioden offenbart sich die Natur dieses Staates. Er dient schlussendlich der herrschenden Klasse, um ihre Interessen der Arbeiterklasse aufzuzwingen.

Eine Auflistung der Polizeischikanen gegen QuartierbewohnerInnen würde die Seite hier sprengen. Alle erklären sich aus der repressiven Funktion der Polizei und der Absurdität eines «Lockdowns», während ein Grossteil der Wirtschaft weiterarbeitet: Anstecken im Verteilcenter ja, Biertrinken im Park nein.  

Nicht keine, sondern unsere Massnahmen
Als SozialistInnen verteidigen wir eine von den Lohnabhängigen kontrollierte, verwaltete und geplante Wirtschaft. Liefe diese nach unseren Interessen, würde ein solches Naturphänomen weder zu einer Wirtschafts- noch zu einer Gesundheitskrise führen. Eine geplante Wirtschaft könnte nach rationalen Kriterien heruntergefahren werden. Das Kriterium der Senkung der Übertragungen wäre leitend und würde nicht rücksichtslos dem Profit geopfert. Der Schutz von Risikogruppen könnte konsequent umgesetzt werden. 

Natürlich gäbe es auch Regeln für die Freizeit. Im Sozialismus hätten Massnahmen zur sozialen Verträglichkeit der Krise erste Priorität (nicht die Rettung von Fluggesellschaften). Der kapitalistische Staat ignorierte die Existenz von Hilfsbedürftigen. Nur dank den spontanen, solidarischen selbstorganisierten Quartierenhilfen kamen diese Menschen durch den Lockdown. Unsere Krisenpolitik gäbe nicht der Polizei, sondern solchen Komitees die Aufgabe, für die Senkung der Übertragungsrate in den Quartieren zu sorgen!

Nur eine solche Selbstkontrolle, durch demokratisch gewählte Quartierräte, ermöglicht eine verhältnismässige und nachsichtige Reduktion der Ansteckungen. 

Proteste gegen Lockdown
Bei der himmelschreienden Widersprüchlichkeit der offiziellen Massnahmen ist es keine Überraschung, dass die Leute dahinter Verschwörungen und verdeckte Machenschaften suchen. Dass die nun hörbare Kritik der Samstagsdemonstranten die Massnahmen in Absurdität noch übertrifft, ist schlussendlich die Schuld der Organisationen der Lohnabhängigen (in erster Linie der SP). Weil sie keine unabhängige Kritik an der kapitalistischen Krisenpolitik formulieren, ist die Kritik der SamstagsdemonstrantInnen die einzig hörbare. 

Diese schadet jedoch den Interessen der Lohnabhängingen. Die bürgerlichen Medien bauschen die Proteste deshalb auch auf. Diese ermöglichen es der herrschenden Klasse, jegliche Kritik an der Krisenpolitik als Verschwörung abzutun. Andererseits fordern die DemonstrantInnen, indem sie gar keine Massnahemn fordern, genau das Gleiche wie der rücksichtsloseste Teil der Bourgeoisie: ungehinderte Profitakkumulation und Survival of the fittest. 

Ob rückständige Kleinbürger, Verschwörer oder schlecht verdeckte Rechtsextreme, klar ist dass die DemonstrantInnen dem Kapital als nützliche Idioten dienen.

Caspar Oertli
Redaktion

Dieser Artikel ist Teil der Ausgabe 91 des Funke, welche am 26. Mai erscheint. Wenn du sie willst:

Hier kannst du das Editorial #92 «Ihre Krise und unsere» lesen.

Bild: CC (CC BY 2.0) Flickr: Becker1999