Durch die Rettung der Credit-Suisse sind zehntausende Arbeitsplätze bedroht. Der Streik der Zürcher Bankangestellten von 1918 enthält lehrreiche Erfahrungen für die heutigen Angriffe.

Am 20. Oktober 1918 schrieb die NZZ von einer «Diktatur unverantwortlicher Arbeiterführer», die über die Macht des Staates triumphiert habe, und von der Generalprobe des Versuchs «nach bolschewistischen Rezepten unsern Staat aus den Angeln zu heben». Der damalige Generalstabschef schrieb an General Wille: «Was am 1. Okt. in Zürich geschehen ist, ist nichts mehr und nichts weniger als die Kapitulation der bürgerlichen Gewalt vor der revolutionären Masse». Der Anlass war der zweitägige Streik der Zürcher Bankangestellten.

Wie konnte ein scheinbar gewöhnlicher Lohnkonflikt der Bankangestellten bei der herrschenden Klasse eine solche Panik auslösen? 

Die Angst der herrschenden Klasse sollte sich nicht als unbegründet herausstellen. Denn dieser kurze, lokale Generalstreik mündete schliesslich in den Schweizer Landesstreik und führte zu einem härteren und gewaltsameren Vorgehen gegen die organisierte Arbeiterklasse.

Soziale Lage

Zur Zeit des Ersten Weltkrieges herrschte in der Schweiz starke Inflation. Ein Sechstel der Bevölkerung war auf Notstandsunterstützung angewiesen und der Reallohnverlust belief sich auf 25-30 %. Aufgrund der Lebensmittelknappheit kam es vermehrt zu Protestaktionen. Radikalere Teile der Arbeiterbewegung bereiteten sich auf einen Generalstreik vor. Die Oktoberrevolution in Russland war erst ein Jahr her und war eine grosse Inspiration.

Die tiefsten Löhne der Bankangestellten deckten zum Teil nicht einmal das Existenzminimum. Das Lohnniveau der weiblichen Angestellten war noch tiefer. Besonders hart traf es die jungen Bankangestellten, welche nach abgeschlossener Lehre ein weiteres Jahr voll zu einem Lehrlingslohn arbeiten mussten. Nur ca. 8 % hatten hohe Löhne.

Gleichzeitig machten die Banken in dieser Zeit grosse Gewinne, die die Taschen der Kapitalisten füllten. Die Lage der Bankangestellten führte dazu, dass sie sich organisierten, den  «Bankenpersonalverband Zürich BPVZ» gründeten und sich der kampferprobten Zürcher Arbeiterunion annäherten.

Organisation und Kampf

Der Organisationsgrad war sehr hoch. Im BPVZ waren drei Viertel der Bankangestellten organisiert. Die Hauptforderungen drehten sich um die Anerkennung des BPVZ als Gewerkschaft und Lohnforderungen. Sie drohten mit Streik und als die Banken den Forderungen nicht nachkamen, machten sie ernst.

So begann am Morgen des 30. September 1918 der Streik der Bankangestellten. Dieser erfuhr grosse Solidarität der Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften zogen auch das dienstfreie Personal der Strassenbahner zur Unterstützung herbei. Zudem beteiligten sich Angestellte der Nationalbank und den Kantonalbanken (letztere waren eigentlich schon zu Einigungen gekommen) aus Solidarität am Streik.

Am zweiten Tag war der ganze Bankenplatz lahmgelegt worden. Am selben Nachmittag kam es zum Generalstreik in Zürich, den die Arbeiterunion angedroht hatte. Die Strassenbahner brachten den öffentlichen Verkehr zum Erliegen und Geschäfte wurden ebenfalls geschlossen. Schliesslich mussten die Bankenvertreter einlenken und den Forderungen zusagen, worauf das Ende des Streiks beschlossen wurde.

Vorbild für heute

Diese historische Erfahrung beweist, dass die Arbeiterklasse eine enorme Macht besitzt, wenn sie sich organisiert und kämpft. Die Bankangestellten hatten bis dahin praktisch keine Streikerfahrung. Durch die Gewerkschaften konnten dann noch andere Sektoren mobilisiert werden, um die Bankangestellten zu unterstützen.

Der Kollaps der Credit-Suisse, welcher tausende Arbeitsplätze bedroht, verleiht den Lektionen dieser Epoche eine brennende Aktualität.

Diesen historischen Streik müssen wir studieren und daraus lernen. Wenn die Kapitalisten uns sagen, es gehe um nationale Interessen, um den Schutz des Schweizer Finanzplatz, bedeutet das immer: WIR müssen für IHRE Krise bezahlen. Das sind Lügen! Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern und Verbesserungen zu erkämpfen, ist es, den Interessensgegensatz zwischen Kapital und Arbeit anzugreifen. Das hat 1918 zum Erfolg geführt.

Es ist ein Vorurteil, dass die Arbeiterklasse nicht kämpfen möchte. Die Arbeiterklasse tritt in den Kampf, wenn Forderungen vorhanden sind, für die es sich zu kämpfen lohnt und ein Programm vorliegt, das die gemeinsamen Interessen aufzeigt. 

Die Streikerfahrung der Zürcher Bankangestellten zeigt nicht nur, dass auch vermeintlich besser gestellte Schichten der Arbeiterklasse in den Kampf gezogen werden. Sie zeigt, dass wenn die Arbeiterklasse sich organisiert und von ihrem mächtigsten Kampfmittel Gebrauch macht, dem Streik, sie ihre Forderungen gegen die Bosse durchsetzen kann. Von diesen Erfahrungen müssen wir uns angesichts der heutigen Angriffe, der Inflation und schliesslich den unerhörten Profiten, eine dicke Scheibe abschneiden.

Felix Looby, der Funke, Basel