[dropcap]D[/dropcap]ie Frühgeschichte der III. Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Deutschlands ist sehr lehrreich. Um die Massen zu gewinnen, wurde in den frühen 20er Jahren gemeinsam und sehr demokratisch die Taktik der Einheitsfront entwickelt.

Der Erste Weltkrieg stürzte Millionen von Menschen ins Elend und löste eine Welle revolutionärer Massenbewegungen in unzähligen Ländern aus. In Russland übernahm 1917 das Proletariat die Macht. Das revolutionäre, aber rückständige Russland war verloren ohne den Sieg der deutschen ArbeiterInnen und die Produktivkräfte des deutschen Kapitalismus, die damit in den Dienst des Sozialismus hätten gestellt werden können. So standen die deutschen Entwicklungen im vollen Interesse der jungen Kommunistischen Internationalen (Komintern).

Erste Schritte des deutschen Kommunismus

Die Deutsche Novemberrevolution, die den Krieg beendete und den Kaiser stürzte, setzte einen fünfjährigen Prozess von Revolution und Konterrevolution in Gang. Anfangs vertrauten grosse Teile des revolutionären Proletariats noch der traditionellen SPD-Führung. Diese schaffte es geschickt, im Wort die Revolution zu propagandieren, in der Tat aber das bürgerliche Regime zu retten. Dieser Widerspruch musste den Arbeitern, die noch zur SPD aufschauten, aufgezeigt werden, um sie für die KommunistInnen zu gewinnen.

Die KPD-Führung, angewidert von der verräterischen SPD-Führung, distanzierte sich nicht nur von deren politischen Ideen, sondern auch von jeglicher gemeinsamen Aktion. Die junge KPD verweigerte die Arbeit in den reformistischen Massengewerkschaften und an Parlamentswahlen. So blieb sie über längere Zeit isoliert.

Kinderkrankheiten der KPD

1921 stand man vor einer Situation, in der sich die wirtschaftliche Lage stabilisierte und das Proletariat nach zwei Jahren der Kämpfe auf dem Rückzug war. Die KPD beging einen Fehler und versuchte die erschöpften Massen für einen spontanen Aufstand zu gewinnen. Die «März-Aktion» endete in einem Schlamassel. Weder sektiererisches Abseits-Stehen, noch linksradikale Aufstandsinszenierungen konnte die notwendige geduldige Überzeugungsarbeit ersetzen. Die Frage lag auf der Hand: Wie lassen sich die Massen der Arbeitenden, die noch Illusionen in die SPD haben, für ein revolutionäres Programm gewinnen?

Aufarbeitung und Weiterentwicklung

Sowohl in der KPD, als auch im Exekutivkomitee der Komintern (EKKI), wurde diese Frage diskutiert. Im EKKI verteidigten Sinowjew und Bucharin die linksradikale Linie der KPD, Lenin und Trotzki pochten auf die Korrektur des Kurses. Der III. Kongress der Komintern im Sommer 1921 beauftragte das EKKI zur Ausarbeitung einer Resolution. Trotzki erklärt darin: „Der Dritte Kongress […] hat den deutschen Genossen gesagt: ‘Eure Aufgabe besteht nicht im direkten Kampf um die Macht, sondern im Kampf, das Vertrauen der Arbeiterklasse zu erobern.’ ” Die Resolution zur “Einheitsfront” wurde in den verschiedenen Ländern diskutiert und am IV. Kongress der Komintern 1922 verabschiedet. Schlussendlich konnten sich Lenins und Trotzkis Argumente und die Taktik der Einheitsfront durchsetzen.

Einheit in der Aktion, frei in der Agitation

Die Einheitsfronttaktik ergibt sich aus dem Problem, dass die Arbeiterklasse gespalten ist in verschiedene politische Parteien und weite Teile der Klasse noch einer reformistischen Führung folgen. Die revolutionäre Partei, die in der Minderheit ist, bietet dabei allen Arbeiterorganisationen die vereinte Aktion an, basierend auf einem Katalog von gemeinsamen Forderungen zur Erkämpfung von Verbesserungen oder zum Widerstand  gegen bürgerliche Angriffe. Mit dieser Vorgehensweise wird dem Proletariat ermöglicht, eine einheitliche Kampffront gegenüber einem gemeinsamen Feind, der herrschenden Klasse, zu bilden. In solchen Kämpfen können grosse Teile der Klasse, die noch den ReformistInnen folgen, gewonnen werden. Die meisten Menschen lernen nämlich nicht durch eine abstrakte Kritik am Reformismus, sondern durch konkrete Erfahrungen. Sobald ernste Zusammenstösse mit dem Kapital entstehen, zeigt sich, welche Führung und welche Partei wirklich die Interessen der Lohnabhängigen vertritt — dazu muss jedoch die revolutionäre Organisation “vor Ort” sein und darf keinen Meter abseits der Kämpfe stehen. So kann die KP konkret beweisen, dass die reformistische Führung regelmässig unter Druck einknickt und den Kompromiss mit der Bourgeoisie dem wirklichen Kampf vorzieht. So können die Illusionen in die reformistische Führung zerschlagen und beträchtlich Teile der Massen von der Richtigkeit und Konsequenz der KP überzeugt werden. Das ist Sinn und Zweck der Einheitsfront.

Die verpasste Revolution

Die Einheitsfronttaktik führte zu grossen Erfolgen: die KPD wurde in 250 Städten zur stärksten Partei und zur grössten KP Westeuropas. 1923 änderte sich die Situation erneut. Die Hyperinflation ruinierte nicht nur das Proletariat, sondern auch die Mittelschichten. Beide wandten sich an die KPD. Die Welle der Radikalisierung fand ihren Höhepunkt im Sommer 1923, als die ArbeiterInnen vielerorts Rote Hundertschaften bildeten und in Streikwellen die Betriebe übernahmen.

Die KPD wurde vermittels der Einheitsfronttaktik zur Massenpartei, zu der die Massen aufschauten. Die KPD hatte den «Kampf um die Massen» für sich entschieden. Jetzt hätte sie den Kampf um die Macht führen können. Die Führung der KPD, noch traumatisiert vom voreiligen Vorgehen der Märztage und den Ernst der Lage verkennend, zögerte, wartete ab — bis der Sturm vorüber war. Sie verpasste so die wohl aussichtsreichste Situation für die proletarische Revolution in Deutschland – und international!

Die Entwicklung der Einheitsfronttaktik war so wichtig und wertvoll, weil sie die eigene Schwäche der Revolutionäre benannte und gleichzeitig aufzeigte, dass (und wie) der Kampf um die Massen geduldig geführt werden muss, um sie hinter den revolutionären Positionen zu vereinen und reformistische Illusionen aufzulösen.

Heute ist die Menschheit wieder mit ähnlichen Krisen konfrontiert und die marxistischen Kräfte wieder in der Minderheit. Doch die Aufgaben, die sich uns stellen, sind dieselben, auch wenn die Situation eine andere ist  – ein Blick auf dieses Kapitel der ArbeiterInnenbewegung lohnt sich darum allemal!

Jonas
Marxistischer Verein Winterthur

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