Am 18. März 1871 ergriffen die ArbeiterInnen von Paris die Regierungsgewalt. Nach 72 Tagen an der Macht wurde die Pariser Kommune in der letzten Maiwoche blutig niedergeschlagen.

20 Jahre zuvor ergriff Louis Bonaparte, später bekannt als Napoléon III., die Macht. Dieser Staatsstreich von 1851 folgte auf die blutige Niederschlagung der Pariser Arbeiterschaft im Juni 1848, die die reaktionäre Konterrevolution in ganz Europa einleitete. Am Anfang schien das bonapartistische System stabil, aber in den späten 1860er Jahren war das Regime – mit dem Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs, dem Wiederaufleben der politischen Organisationen der Arbeiterklasse und infolge einer Reihe von Kriegen – geschwächt. Wie so oft in der Geschichte konnte nur ein schneller militärischer Sieg das Regime stabilisieren. Louis Bonaparte erklärte daher den Preußen unter Bismarck im Juli 1870 den Krieg. Er versprach, dass der Krieg territoriale Gewinne bringen und die Finanz- und Wirtschaftskrise beenden würde.

Karl Marx verurteilte die Kriegserklärung. In einem Manifest schrieb er, dass die letzte Stunde des Zweiten Kaiserreichs geschlagen habe, egal welche Seite den Krieg gewinnen würde. Und tatsächlich wurde die französische Armee sechs Wochen später, am 2. September 1870, bei Sedan geschlagen, Napoleon III. gefangengenommen und zwei Tage darauf in Paris die Republik ausgerufen.

Die neugebildete bürgerliche Regierung, die „Regierung der nationalen Verteidigung“, setzte den Krieg gegen Preußen fort. Das entsprach auch der patriotischen Stimmung im Land und in Paris, weshalb die Regierung zunächst auf die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung zählen konnte.

Über den gesamten Winter wurde Paris von deutschen Truppen belagert. Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten. In der Folge stiegen die Preise, sodass sich lange Schlangen vor den Essensausgabestellen bildeten, wo Frauen buchstäblich um das graue Kleiebrot kämpfen mussten. Diese Situation legte das Fundament für die Militanz der Frauen, die in der Kommune in vielerlei Hinsicht führend in Erscheinung treten sollten. Die Lebensbedingungen insbesondere der Arbeiterinnen waren schon vor der Belagerung katastrophal: Frauen arbeiteten 13 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche. Trotzdem reichte der Lohn nicht aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken – selbst wenn der Lohn des Mannes dazugezählt wurde. Die Armut trieb viele Frauen in die Prostitution.

Die „Regierung der nationalen Verteidigung“ trat schon im Herbst 1870 in Geheimverhandlungen mit Bismarck ein. Als diese Kapitulationsabsichten an die Öffentlichkeit kamen, wurde die Regierung – deren einziger Existenzzweck in den Augen der Bevölkerung die nationale Verteidigung war – als „Regierung des nationalen Verrats“ bezeichnet. Ende Januar 1871 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, der die Wahl einer Nationalversammlung Anfang Februar vorsah.

Die Wahl erbrachte eine Mehrheit der monarchistischen und bürgerlich-konservativen Kräfte, vor allem wegen den Stimmen der Bauernschaft, die insgesamt eine konservative Rolle spielte und sich nach Ruhe und Ordnung sehnte, um das Land wieder bestellen zu können, welches sie in der französischen Revolution gewonnen hatte.

Regierungschef wurde Adolphe Thiers, der es sich sogleich zur Aufgabe machte, „Frieden zu schließen und Paris zu zügeln“, da er zu Recht befürchtete, dass sich die ArbeiterInnen nicht auf den Pakt mit den Deutschen einlassen würden. Am 1. März unterzeichnete Thiers den Vorfrieden, in dem neben einer astronomischen Reparationszahlung die Abtretung Elsass-Lothringens an Deutschland besiegelt wurde.

Außerdem war bekannt geworden, dass die Regierung plante, Schulden einzutreiben und Delogierungen vorzunehmen, wenn die Mieten nicht bezahlt würden. Damit wären 40.000 PariserInnen Bankrott gegangen und die Hälfte der Pariser Bevölkerung auf der Straße gelandet. Außerdem hatte die Regierung die Besoldung der Nationalgarde eingestellt. Diese Bürgermiliz war bereits im September 1870 zur Verteidigung von Paris gegen die deutschen Truppen reorganisiert worden. Bis dahin stand sie nur Mitgliedern aus den Reihen des wohlhabenden Bürgertums offen – jetzt wurden zum ersten Mal Arbeiter und Arbeitslose in ihre Regimenter eingegliedert.

Die Nationalgardisten hatten wenig später ihre Offiziere abgesetzt, aus ihren Reihen neue Kommandanten gewählt und sich mit dem Zentralkomitee der Nationalgarde auch ein politisches Leitungsgremium geschaffen. Damit war die Grundform einer Volksarmee entstanden und mit ihr eine faktische Doppelherrschaft: auf der einen Seite die französische Regierung und auf der anderen Seite die Nationalgarde.

Die Nationalgarde umfasste 150.000 Mann, war fest in der Arbeiterschaft verankert, demokratisch organisiert und bis an die Zähne bewaffnet. Sie war die Triebfeder der revolutionären Bewegung.

Revolution in Paris

Deshalb versuchte Thiers, die Nationalgarde zu entwaffnen. In den frühen Morgenstunden des 18. März marschierten Regierungstruppen im Arbeiterbezirk Montmartre auf, um die Kanonen aus der Stadt zu bringen. Aber die Frauen, die frühmorgens die ersten auf der Straße waren, umringten die Geschütze und machten den Soldaten deutlich, dass sie nicht gegen ihre eigenen Leute handeln sollten. Ein Beteiligter gibt uns einen lebendigen Eindruck der Ereignisse:

„Gegen 7:45 formte die Menge eine richtige menschliche Blockade, zwischen den Soldaten und der bewaffneten Nationalgarde. Die Frauen schrien: Werdet ihr auf uns schießen? Auf unsere Brüder, auf unsere Männer, auf unsere Kinder!“

Daraufhin wechselten viele Soldaten die Seite. Als zwei Generäle den Soldaten befahlen, in die Menge zu schießen, wurden sie verhaftet und wenig später von ihren eigenen Leuten erschossen.
Ein Korrespondent der Londoner Times soll angesichts der Radikalität der Frauen nach dem 18. März geschrieben haben: „Wenn die französische Nation nur aus Frauen bestünde, was wäre das für eine schreckliche Nation.“ Der Schreck saß tief.

Aber auch das Pariser Proletariat war förmlich erschrocken, als es plötzlich alle Macht in den Händen hielt. „Niemals hat eine Revolution die Revolutionäre so überrascht“, konstatierte auch der Kommunarde Benoît Malon. Die Machtübernahme am 18. März war keine bewusste Aktion, sondern die „Folge des Rückzuges der Gegner aus Paris“ (Leo Trotzki, Die Lehren der Pariser Kommune, 1921).

Die hohen Beamten, der Klerus und das Großbürgertum flohen ungehindert aus der Stadt, um ihre Kräfte in Versailles zu konzentrieren. Als sich am Abend die Nachricht verbreitete, dass das Stadthaus und die Polizeipräfektur geräumt waren, zog die Nationalgarde in das Stadthaus ein. Polizeiposten und Ministerien wurden besetzt.

Drei Tage nach der Machtergreifung proklamierte die Nationalgarde:

„Die Proletarier der Hauptstadt haben, inmitten der Niederlagen und des Verrats der herrschenden Klassen, begriffen, dass die Stunde geschlagen hatte, wo sie die Lage retten müssen, dadurch, dass sie die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in ihre eigenen Hände nehmen… Sie haben begriffen, dass es ihre höchste Pflicht und ihr absolutes Recht war, ihr eignes Geschick in ihre eignen Hände zu nehmen und die politische Macht zu ergreifen.“

Der erste Arbeiterstaat

In den folgenden Tagen und Wochen ersetzte die revolutionäre Bewegung den bürgerlichen Staatsapparat durch ihre eigenen Organe. An die Stelle des bürgerlichen Staates, den Lenin später als eine „besondere Gewalt zur Unterdrückung einer bestimmten Klasse“ charakterisierte, trat die Selbstregierung der Pariser Arbeiterschaft.

„Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. […] Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.“ (Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871.)

Die Trennung von Legislative und Exekutive wurde aufgehoben, das stehende Heer und die monarchistische Polizei abgeschafft und durch die vollständige Volksbewaffnung und die Nationalgarde ersetzt. Alle Organe und Funktionsträger der Kommune waren gewählt, verantwortlich und jederzeit abwählbar; der öffentliche Dienst musste für den Lohn eines qualifizierten Arbeiters besorgt werden. Das sind die wichtigsten Merkmale eines sozialistischen Arbeiterstaates, die Marx nach den Erfahrungen der Kommune zum ersten Mal verallgemeinern konnte.

Die neue Macht schritt auf dieser Grundlage sogleich daran, eine in der Geschichte bis dahin beispiellose Reihe von Reformen umzusetzen, die das Leben der ArbeiterInnen grundlegend verbessern würden. Zu den ökonomischen Reformen der Kommune zählten etwa die Kontrolle der Löhne und die Übergabe der verlassenen Werkstätten und Fabriken an Arbeitergenossenschaften. Die Kommune verteilte außerdem eine Million Francs an die Ärmsten zur Linderung der Not. Leerstehende Wohnungen wurden beschlagnahmt und Bedürftigen zugewiesen. Die Nachtarbeit für Bäcker wurde abgeschafft – eine Reform, die im Kapitalismus bis heute nicht umgesetzt werden konnte.

Auch im Bereich der Bildungs- und Aufklärungsarbeit wurden Maßnahmen ergriffen. Die Schulen wurden dem Einfluss der Kirche entzogen; alle Kinder sollten kostenlosen Zugang zu säkularer Schulbildung erhalten. Kirchen wurden aufgelöst und enteignet, soweit sie besitzende Körperschaften waren.

Darüber hinaus zog die Kommune mit zwei Maßnahmen, die Marx als „meisterhafte Schläge“ bezeichnete, auch das Kleinbürgertum auf ihre Seite, das von der monarchistischen Politik an den Rand des Ruins getrieben worden war: Leihhäusern wurde die Versteigerung nicht eingelöster Pfandgegenstände (wie z. B. Arbeitsgeräte) untersagt; diese wurden unentgeltlich zurückgegeben. Und Zahlungspflichten wie fällige Zinsen, Schuldverschreibungen und Wohnungsmieten wurden ausgesetzt.

Im Mai wurde die Vendôme-Säule gestürzt, ein monarchistisches Kriegerdenkmal und Symbol des Militarismus. Für die Demolierung hatte sich auch der Sozialist und Maler Gustave Courbet eingesetzt. Derselbe Courbet führte den Vorsitz einer Versammlung, an der 400 KünstlerInnen und KunsthandwerkerInnen aus ganz Paris teilnahmen.

Sie forderten die Entprivatisierung der Kunst, die bis dahin – und bis heute – in privaten Salons versteckt wurde und den Wohlhabenden vorbehalten war. Alle sollten das Recht haben, inmitten von Schönheit zu arbeiten und zu leben. Bei dieser Versammlung wurde ein Komitee nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht gewählt, das heißt KünstlerInnen beiderlei Geschlechts durften wählen. Die Mitglieder des Komitees waren jederzeit abwählbar.

Die Frauen der Kommune

Schritte, die für die Emanzipation der Frau gesetzt wurden, umfassten etwa das Recht auf Scheidung und Unterhaltszahlung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit oder die Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern. Eine der ersten Maßnahmen der Kommune war die Abschaffung der Prostitution.

Diese Maßnahmen waren revolutionär. Die französische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts – aber auch die junge französische Arbeiterbewegung – war durchsetzt mit frauenfeindlichen Ideen. Proudhon, der die Arbeiterbewegung wesentlich beeinflusste und einer der wichtigsten Ideengeber für den Anarchismus war, klassifizierte Frauen schlicht als „Hausfrauen oder Huren“.

Die Frauen wurden aktiv, organisierten sich und bauten an einer neuen Gesellschaft mit. Die Lehrerin Louise Michel (die später zu einer Vordenkerin des Anarchismus werden sollte), Paule Mink und weitere Frauen waren im „Comité de Vigilance de Montmartre“ (Wachsamkeitskomitee von Montmartre) aktiv. Sie organisierten Volksküchen, beteiligten sich an der Schulreform und rekrutierten Marketenderinnen und Krankenpflegerinnen zur Versorgung der Kämpfer.

Diese Frauen waren einfallsreich, wenn es darum ging, notwendige Maßnahmen umzusetzen. Louise Michel ging gemeinsam mit einer Freundin daran, eine neue Krankenstation in Montmartre aufzubauen. Um die Finanzierung sicherzustellen, gingen sie mit finsteren Gesichtern und selbstgemachten Börsen mit roten Schleifen in die Kirche. Sie nahmen einen großgewachsenen Nationalgardisten mit, der mit aufgestecktem Bajonett voranschritt und sein Gewehr auf dem Boden aufschlug. Michel erinnerte sich:

„Die frommen Frauen schütteten, blass vor Angst, zitternd ihr Kleingeld in unsere Spendenbüchsen, manche allerdings gern; alle Pfarrer gaben. […] Die Ambulanz war gegründet.“ (Louise Michel, Die Pariser Kommune, 2020 [1898].)

Viele Frauen traten in den politischen Clubs hervor, wo diskutiert und agitiert wurde. Eine dieser Frauen war die Buchbinderin Nathalie Lemel, die führende Frau der Pariser Sektion der I. Internationale[1], die sich als Vertrauensperson der Buchbindergewerkschaft und Mitglied des Streikkomitees schon wenige Jahre zuvor einen Namen gemacht hat. Eine andere war die russische Sozialistin Elisabeth Dmitrieff, die gerade einmal 20 Jahre alt war, als sie Anfang April nach Paris kam. Zuvor hatte sie mehrere Monate in London verbracht, wo sie mit Karl Marx und dessen Frau Jenny in ständigem Austausch war.

Die „Union de Femmes“

Unmittelbar nach ihrer Ankunft stampfte Dmitrieff die „Union des femmes pour la défense de Paris et les soins aux blessés“ (Union der Frauen für die Verteidigung von Paris und die Pflege der Verwundeten) aus dem Boden.

Das erste Treffen fand Anfang April statt, nachdem überall in der Stadt Wandzeitungen ausgehängt und in Pariser Zeitungen ein Appell veröffentlicht worden war, in dem die Pariserinnen aufgefordert wurden, den militärischen Kampf ihrer Männer und Brüder vorbehaltlos zu unterstützen: „Und wenn wir auch keine Gewehre und keine Bajonette haben, so bleiben uns doch die Pflastersteine, um die Verräter zu zermalmen“.

Die Union, deren Mitglieder zugleich der I. Internationale angehörten, unterstützte die Kommissionen (vergleichbar mit Ministerien) bei der Bereitstellung von Lebensmitteln und dem Aufbau von Ambulanzen und Barrikaden. Sie organisierte viele öffentliche Versammlungen, bei denen bis zu 4.000 Arbeiterinnen anwesend waren. In den Bezirken entstanden Unterkomitees mit festen Öffnungszeiten. Dort wurden Freiwillige registriert und eingeteilt.

Bald bildete sich ein weiterer Arbeitsschwerpunkt heraus: Die Organisation der Frauenarbeit. Die Union organisierte die Produktion in den Werkstätten und Fabriken zur Herstellung von lebensnotwendigen Gütern: Nahrungsmittel, Kleidung, militärische Ausrüstung usw. Tausende Frauen arbeiteten in der Herstellung von Patronen, produzierten Säcke für den Barrikadenbau oder Militäruniformen. Auf diese Weise wurde die Union zur größten Frauenorganisation der Kommune. Bald waren zigtausende Arbeiterinnen in ihr organisiert.

Wahlen zum Rat der Kommune

Der erste Schritt der Nationalgarde, die provisorisch mit allen Vollmachten ausgestattet wurde, war der Aufruf zu den Wahlen zum Rat der Kommune am 26. März – allerdings waren Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Nach der Wahl übergab das Zentralkomitee der Nationalgarde seine Macht dem Kommunerat, blieb aber daneben bestehen und behielt sich die Entscheidungsmacht in militärischen Angelegenheiten.

Gewählt wurden Arbeiter und Angehörige des radikalen Kleinbürgertums, darunter auch der Maler Gustave Courbet, Eugéne Pottier (der Textdichter der Internationale), der ungarische Sozialist Leo Frankel (der die Kommission für Arbeit und Handel leitete und damit der erste „Arbeitsminister“ eines Arbeiterstaates war) und Eugène Varlin. Die beiden Letzteren waren Mitglieder der I. Internationale und in ständigem Austausch mit Marx.

Der Kommunerat setzte sich aus Vertretern unterschiedlicher politischer Strömungen zusammen, wobei die radikaldemokratischen Neojakobiner und Blanquisten die Mehrheit, Proudhonisten die Minderheit stellten. Mitglieder der I. Internationale (unter diesen wiederum überzeugte Anhänger der Ansichten von Marx) bildeten eine Minorität. Insgesamt waren von 86 Männern, die in den Rat gewählt wurden, nur 17 Mitglieder der Internationale.

Die „blutige Maiwoche“

Durch ihre ungehinderte Flucht nach Versailles konnte die Reaktion ihre Kräfte sammeln. Die Klassensolidarität der Herrschenden zeigte sich, als Bismarck bereitwillig tausende französische Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft entließ. Die freigelassenen Soldaten sollten die französischen Regierungstruppen verstärken, um Paris zurückzuerobern.

Am 21. Mai gelang der Vorstoß nach Paris und der Vernichtungsfeldzug erreichte seinen Höhepunkt. Nach wochenlangem schwerem Artilleriebeschuss waren die Befestigungsanlagen der Stadt nicht mehr besetzt. Die Kämpfenden verbarrikadierten sich in ihren Stadtvierteln und leisteten über eine Woche lang erbitterten Widerstand. Auch Nathalie Lemel, Elisabeth Dmitrieff, Louise Michel und andere Frauen kämpften auf den Barrikaden und versorgten Verletzte.

Doch die Niederlage war nicht mehr aufzuhalten. Erschießungskommandos aus Versailles richteten ein Blutbad an. Am 29. Mai erklärte Adolphe Thiers, die Ordnung in Paris sei wiederhergestellt. Die Bilanz der „blutigen Maiwoche“: 30-40.000 Tote und 50.000 Gefangene, wovon viele zur Zwangsarbeit in entfernte Häftlingskolonien geschickt wurden. Im Zuge der späteren Kriegsgerichte wurden weitere 20.000 KommunardInnen zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Zu den Deportierten zählten auch Louise Michel und Nathalie Lemel. Beide wurden wie viele andere nach Neukaledonien verschifft, eine zu Frankreich gehörende Inselgruppe im Südpazifik. Diese Häftlingskolonie, in der es tropisch heiß war, erhielt bald den vielsagenden Beinamen „trockene Guillotine“. Louise Michel und Nathalie Lemel kehrten Jahre später nach Frankreich zurück. Paule Mink, Elisabeth Dmitrieff und anderen gelang die Flucht in die Schweiz.

Warum ist die Kommune gescheitert?

Marx hatte die Pariser Arbeiterschaft einige Monate vor der Kommune, im Herbst 1870, vor einem verfrühten Umsturz, der eine „verzweifelte Torheit“ gewesen wäre, gewarnt. Allerdings wurde den ArbeiterInnen im März 1871 der Entscheidungskampf aufgezwungen – und sie nahmen ihn auf. Marx unternahm trotz seiner ursprünglichen Skepsis alles ihm Mögliche, um die „Himmelstürmer“, wie er die Kommunarden nannte, mit Rat und Tat zu unterstützen.

Den KämpferInnen von 1871 mangelte es jedenfalls nicht an Mut. Was ihnen fehlte, war „Klarheit in der Methode und eine zentralisierte führende Organisation.“ (Leo Trotzki, a.a.O.) Mangels vorheriger Organisation fiel den Menschen plötzlich eine Rolle zu, die ihre Kräfte überstieg. Die mangelnde Vorbereitung war der theoretischen Unklarheit und politischen Perspektivlosigkeit unter den sozialistischen Gruppen geschuldet, die ein entschiedenes und geschlossenes Vorgehen verhinderten.

Der schwerwiegendste Fehler der Kommune war, dass sie das Privateigentum der Großbanken und Versicherungsgesellschaften nicht angegriffen und es damit verabsäumt hat, den Dreh- und Angelpunkt des Kapitals – die Banque de France – unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine konsequente Sozialisierung wurde durch die Meinungsverschiedenheiten im Kommunerat verhindert.

Außerdem konnten die Feinde nach der Ausrufung der Kommune ungehindert nach Versailles fliehen. Man hätte in diesem Augenblick die gesamte Regierung verhaften können. Aber man unterließ es. Die Kommune hat uns die verhängnisvolle Neigung von Bewegungen gezeigt, nach dem ersten Erfolg Halt zu machen, wodurch dem Gegner die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kräfte wieder zu sammeln.

Die Staatsmaschine zerbrechen!

Trotzdem hat sich die Pariser Kommune in die Geschichtsbücher der internationalen Arbeiterbewegung eingeschrieben. Nach den konkreten Erfahrungen der Pariser Kommune konnten Marx und Engels ihre Staats- und Revolutionstheorie weiterentwickeln.

Die Kommune nahm die Hauptmerkmale nicht nur eines künftigen sozialistischen Arbeiterstaates, sondern auch künftiger proletarischer Revolutionen vorweg. Zwei Tage nach der Niederwerfung der Pariser Kommune verlas Karl Marx in einer Sitzung des Generalrats der Internationale seine Adresse „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, wo er diese Lehren ausführte.

Für Marx lieferte die Kommune die praktische Bestätigung für die von ihm bereits 1852 in „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ gezogene Schlussfolgerung von der Notwendigkeit des revolutionären Proletariats, die alte Staatsmaschine der Bourgeoisie zu zerbrechen (Siehe: Karl Marx, Brief an Kugelmann, 12. April 1871.).

Dieses Fazit stellte, so Lenin, „die Hauptlehre des Marxismus von den Aufgaben des Proletariats in der Revolution gegenüber dem Staat“ dar. Und diese Lehre war so wesentlich, dass sie die einzige Korrektur wurde, die Marx am Kommunistischen Manifest vorzunehmen für notwendig erachtete (Vorwort zur 2. Aufl. des Manifests der Kommunistischen Partei, 1872.). Mit der reformistischen Praxis in der Arbeiterbewegung in späteren Jahrzehnten wurde diese wichtige Lehre trotzdem begraben, weswegen es eine wesentliche Aufgabe in der heutigen Zeit ist, sie wieder fest zu verankern.

Denn die Kommune hat zum ersten Mal eine praktische Antwort auf die Frage gegeben, wodurch die arbeitenden Menschen den bürgerlichen Staat ersetzen können. Sie ist bis heute beispielgebend für einen künftigen Arbeiterstaat. Marx und Engels haben daher nach ihrer Niederschlagung das Augenmerk auf die Notwendigkeit der Schaffung selbständiger, revolutionärer, von bürgerlichen Einflüssen unabhängiger Arbeiterparteien gelegt, damit dieser Staat auch Wirklichkeit würde.

In einem Beschluss heißt es, dass die „Konstituierung der Arbeiterklasse als politische Partei unerlässlich ist für den Triumph der sozialen Revolution und ihres Endziels – Abschaffung der Klassen“. (Beschlüsse der Delegiertenkonferenz der Internationalen Arbeiterassoziation, abgehalten zu London vom 17. bis 23. September 1871.)

Julia Brandstätter
Der Funke Österreich
17.03.2021