Spätestens seit Beginn der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise ist die Zunahme der psychischen Belastung deutlich sichtbar. Es ist eine Tendenz, der unter den Lohnabhängigen weit verbreitet ist, der aber besonders junge Menschen betrifft.

In der Schweiz hat sich die Zahl der Menschen mit depressiven Symptomen zwischen Frühjahr und Herbst 2020 verdoppelt. Gerade bei jungen Menschen sind die Zahlen noch erschreckender: Bei den 14- bis 24-Jährigen gibt jedeR Dritte an, Symptome einer schweren Depression zu haben. Die verschiedenen Formen von psychischen Störungen sind zahllos.

Verschlechterung der psychischen Gesundheit in der Schweiz

Im April sagte der Leiter der Abteilung für psychische Gesundheit des Kinderspitals in Zürich, dass innerhalb weniger Monate die Fälle von Essstörungen, vor allem bei jungen Mädchen, zugenommen haben und sich die Zahl der Selbstmordversuche im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt hat.

Auch die Nutzung von telefonischen Beratungsangeboten hat im Jahr 2020 stark zugenommen. So verzeichnete beispielsweise die Dargebotene Hand (143) einen Anstieg der Anrufe um 12 %.

Es zeigt sich, dass das chaotische Management der Pandemie durch die herrschende Klasse ein Beschleuniger der psychologischen Not war. Die Jugend litt unter der sozialen Isolation des Lockdowns,  der Verschlechterung der Studienbedingungen durch die Umstellung auf Online-Unterricht sowie den Schuldgefühlen, einfach auszugehen oder Freunde zu treffen. 

Prekarität ist eine grosse Quelle der Angst. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist doppelt so hoch wie bei den übrigen Lohnabhängigen. Die Minijobs, die durch den Lockdown schnell wegfielen, sind nicht ersetzt worden. Im Februar 2021 waren zum Beispiel 75 % der auf der Plattform der Universität Genf angebotenen Studentenjobs verschwunden.

Offensichtlich hat die Pandemie diese Probleme stark akzentuiert. Die Basis der psychischen Not und der Verschlechterung der Lebensbedingungen ist jedoch der Kapitalismus in einer tiefen und dauerhaften Krise.

Kapitalismus macht uns krank

Im Kapitalismus ist die grosse Mehrheit der Bevölkerung gezwungen, ihre Arbeitskraft täglich an die Bosse zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dies führt zu grossen Verunsicherungen und Abhängigkeiten und einem ständigen materiellen Druck.

Die diesem System innewohnenden Ungleichheiten schaffen einen permanenten Wettbewerb, der die sozialen Beziehungen zersetzt. Die Notwendigkeit, sich selbst zu fördern, sich durch seine Einzigartigkeit zu profilieren, die durch den harten Wettbewerb des Arbeitsmarktes auferlegt wird, erstreckt sich auf die Beziehungen zwischen Freunden und Kollegen und atomisiert die Jugend und die ArbeiterInnen. Dieser Wettbewerb bzw. die Reduktion der meisten sozialen Bindungen auf Marktinteraktionen isoliert uns, quält uns und macht uns krank. Kein Teil (psychisch oder physisch) unseres Wesens ist vor der Unterdrückung durch den Kapitalismus sicher.

Die herrschende Ideologie widerspricht der Realität, indem sie Ausbeutung und Unterdrückung „naturalisiert“. Das Klassensystem wird durch die individualisierende Rhetorik verdeckt, die „unabhängige und autonome Individuen“ als die zentralen Akteure in der Gesellschaft setzt. Erfolg und Misserfolg sollen dann nur noch vom persönlichen Willen abhängen, von der Fähigkeit, nach oben zu kommen.

Die verschiedenen Ideale von Erfolg, Schönheit usw., die von der herrschenden Klasse propagiert werden, können jedoch von der Mehrheit nicht verwirklicht werden. Der Grund dafür ist, dass der Kapitalismus sich seinen Fortbestand sichert, indem er bestimmte Teile der Bevölkerung in einer prekären Situation hält, was die gesamte lohnabhängige Bevölkerung unter Druck setzt. Diese Diskrepanz zwischen der gelebten Realität und der herrschenden Ideologie ist eine Quelle der Frustration und öffnet den Weg zu (selbst-) zerstörerischen Gedanken und Verhalten, zu psychischer Not im Allgemeinen. 

Kapitalistische Krise

Die zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus werden in Zeiten der Krise massiv verstärkt. Die Anforderungen werden noch unerreichbarer, der Wettbewerb noch härter. Ein besonders schädlicher Ausdruck der kapitalistischen Krise ist die Austerität: Das Interesse der herrschenden Klasse an der systematischen Vernachlässigung lebenswichtiger Bedürfnisse, die weniger profitabel sind, spiegelt sich in Budgetkürzungen bei öffentlichen Dienstleistungen wider. 

Bildungseinrichtungen sind von dieser Politik des Sozialabbaus besonders betroffen. In Genf zum Beispiel wird durch wiederkehrende Budgetkürzungen die Zahl der Stellen reduziert, obwohl die Zahl der Studierenden stark gestiegen ist. Die Folgen dieser Politik sind so gravierend, dass der deutschsprachige Lehrerdachverband (LCH) 2019 erklärte: „Die Schweizer Lehrerinnen und Lehrer haben die höchste Arbeitszeit aller OECD-Länder und leisten unbezahlte Überstunden für Hunderte von Millionen Franken“. 

Diese Logik wird durch die Corona-Krise verstärkt: Seit Beginn der Pandemie gab es keine überzeugende Massnahme des Bundesrates, um eine gute Qualität der Bildung zu gewährleisten und gleichzeitig für eine gute Gesundheitssicherheit und eine gute psychische Gesundheit zu sorgen. Die Folgen dieser schlechten Politik wurden auf die „individuelle Verantwortung“ eines jeden abgewälzt, insbesondere auf die sogenannten jungen „Partygänger“. Die zutiefst asoziale und inkohärente Art des Managements der Pandemie ist ein wichtiger Faktor für das Verständnis der Verschlechterung der psychischen Gesundheit.

Im aktuellen Kontext der tiefen Wirtschaftskrise ist die Unsicherheit der jungen Menschen über ihre Zukunftsaussichten enorm. Generell werden die Grundlagen des menschlichen Lebens durch die Klimakrise unsicher gemacht. Hinzu kommt, dass es immer schwieriger wird, Arbeit zu finden: Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz ist im Dezember 2020 im Vergleich zum Vorjahr um beinahe 40 %, die Jugendarbeitslosigkeit um fast 43%, gestiegen. Die Vervielfachung der Angriffe auf die Lebensbedingungen ist letztlich die einzige Perspektive, die der Kapitalismus den Studierenden, den Lehrlingen, den Lohnabhängigen für die nächsten Jahre bieten kann.  

Jugend ist ein Vektor der Radikalität!

Das Vertrauen in die bürgerliche Politik ist bei neuen Schichten der Bevölkerung erschüttert. Für diese wird die Notwendigkeit einer systemischen Veränderung offensichtlich. Das haben wir schon vor Beginn der Pandemie in den Massenbewegungen auf der ganzen Welt und auch in der Schweiz gesehen, wo die Jugendlichen eine führende Rolle in den Kämpfen gegen den Klimawandel, die Unterdrückung der Frauen und den Rassismus spielen. Dies alles sind Kämpfe, die notwendigerweise gegen das kapitalistische System als Ganzes geführt werden müssen.

Aber um Verbesserungen voranzutreiben, müssen die angewandten Kampfmethoden die soziale Isolation und die Abhängigkeit vom Wohlwollen des bürgerlichen Staates überwinden. Die Studierenden, die ArbeiterInnenklasse, müssen sich kollektiv um ein revolutionäres Programm herum organisieren, das sich an den Bedürfnissen der Mehrheit orientiert, nicht an den kurzfristigen Profitinteressen einer Minderheit. Die einzige Möglichkeit, wirklich gegen psychische Not und Atomisierung zu kämpfen, ist der Aufbau einer Organisation, die konkret auf eine demokratische und geplante Kontrolle der Verwaltung gesellschaftlicher Ressourcen hinarbeitet.

Johanna Didenko
Juso Waadt

Quellen:
https://www.rts.ch/decouverte/sante-et-medecine/maladies-et-traitements/sante-mentale/
https://www.rts.ch/info/suisse/11917222-covid19-le-cri-de-detresse-des-jeunes.html
https://www.rts.ch/info/suisse/11917222-covid19-le-cri-de-detresse-des-jeunes.html

Bild: Liza Summer (pexels)