Im Klimastreik Schweiz wird die Maxime hochgehalten, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben sollen, «ihre Bedürfnisse und Standpunkte klar zum Ausdruck zu bringen». Wir waren auf dem dritten nationalen Treffen und haben dort erfahren, wie ernst es der Führung der Bewegung damit ist.

Das nationale Treffen vom 11.-12. Mai hätte zum Ziel gehabt, die nächsten Schritte der Bewegung zu definieren. Tausende von jungen AktivistInnen beschäftigen sich mit der Frage, wie aus der Bewegung ein Instrument gemacht wird, mit dem effektiv gegen den Klimawandel gekämpft werden kann. Doch am Treffen mit rund 250 Teilnehmenden zeigte sich, dass die undemokratischen Strukturen der Bewegung mit ihrer ungewählten Führungsriege diese notwendigen Diskussionen verunmöglichen. Das bremst den Elan der Bewegung und führt den Kampf gegen den Klimawandel direkt in die Sackgasse. Ein Kurswechsel ist dringend notwendig.

Der Konsens blockiert

Schon vor Beginn des zweitägigen Treffens wurde die bürokratische Vorbereitung deutlich sichtbar. Der Ablauf des nationalen Treffens, sowie die Themen, die diskutiert werden sollten, wurden im Vorfeld nie bekannt gegeben. Die Möglichkeit, dass alle Teilnehmende schriftliche Vorschläge für die Bewegung vorab einreichen können, wurde nicht klar kommuniziert.

Die wenigen verschriftlichen Vorschläge – so auch derjenige von der marxistischen Strömung – wurden während des gesamten Treffens nicht im Plenum thematisiert. Ohnehin, jede inhaltliche Diskussion im Plenum wäre schon durch die Struktur des Treffens verhindert worden. Thematische Auseinandersetzungen sollte es nur aufgeteilt in kleinen Arbeitsgruppen geben. Die Resultate dieser Arbeitsgruppen wurden vor das Plenum getragen. Wenn sie dort keinen Konsens fanden, also bei nur einer von über 200 anwesenden Personen (!) auf Ablehnung stiessen, dann begann der Prozess in der Arbeitsgruppe wieder von vorne, ohne dass im Plenum die inhaltliche Kritik diskutiert worden wäre.

Dieser Ablauf wiederholte sich über das gesamte Wochenende mehrere Male. Die inoffizielle Führung hatte grosse Mühe, die Basis von dieser Vorgehensweise zu überzeugen. Sie lehnte aber jeden alternativen Vorschlag ab. Immer wieder wurde beteuert, man habe sich bei der Vorbereitung Mühe gegeben und die Anwesenden sollen Verständnis für das Scheitern aufbringen.

Wer fällt politische Entscheide?

In einer notwendigerweise politischen Bewegung wie dem Klimastreik ist es offensichtlich, dass die Fragen über Strategie, Ziele, Mobilisierungen und Beziehungen zum Parlament etc. untrennbar miteinander verbunden sind. Doch im Arbeitsgruppenzwang wurde alles voneinander getrennt: die Strategie und Zukunft der Bewegung wurde von anderen 15-20 Menschen diskutiert als die Kommunikation und diese wiederum von anderen als die «institutionellen Beziehungen». Da alle diese Fragen politische Diskussionen hervorrufen, diese aber konsequent unterdrückt wurden, konnte jeweils über nicht viel mehr als abstrakte Formalitäten beraten werden. Demokratische politische Entscheide werden so verunmöglicht.

Ein Teilnehmender beklagte sich, dass es durchaus zu politischen Entscheiden gekommen sei. Aber erst am Schluss der Konferenztage, zwei Stunden nach dem geplanten Ende des zermürbend langen Treffens. Als nur noch etwa 20 von den 250 Teilnehmenden des Treffens anwesend waren, hat niemand mehr widersprechen wollen, alle Beschlüsse wurden durchgewinkt, alle seien müde gewesen und hätten sich nicht länger mit dem Thema auseinandersetzen können.

Schuld an der groben Überziehung der Sitzungszeit, der völligen Ineffizienz und der Unmöglichkeit verbindliche Entscheidungen zu fällen war eindeutig das Konsensprinzip, nach dem sich die Klimastreik Bewegung organisiert. Wir haben schon zuvor starke Kritik an diesem undemokratischen Konsensprinzip geübt, weil es die Bewegung ausbremst. Trotz einer ganz klaren Ablehnung dieses Prinzips durch eine immer größere Anzahl der Teilnehmenden und der unablässigen Versuche, Kritik daran zu üben, hält die informelle Führung dogmatisch daran fest. Aufforderungen nach einer demokratischen Abstimmung über den Erhalt des Konsensprinzips kamen sie nicht nach. Das gibt ihnen freie Hand, weil die Basis daran gehindert wird, bindende Entscheidungen zu treffen und die Führung zu kontrollieren.

Der Zwang zum Unpolitischen

Der Klimawandel kann innerhalb dieses zerstörerischen kapitalistischen Systems nicht aufgehalten werden. Will die Bewegung irgendetwas bewirken, braucht sie Klarheit über die Schritte zur Überwindung dieses System, das auf der Ausbeutung der Natur und des Menschen beruht. Wir von der marxistischen Strömung der Funke hatten für das Treffen deshalb einen Programmvorschlag für die Bewegung eingereicht. Er zeigt auf, wo man ansetzen muss, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen.

Die Diskussion über unseren Programmvorschlag wurde jedoch auch in den Arbeitsgruppen unterbunden. VertreterInnen des Funke, die darauf hingewiesen haben, dass wir gerne den Programmvorschlag diskutieren möchten, den wir eingereicht haben, wurde gesagt, wir würden die Bewegung «einvernehmen» und «Unwohlsein» verbreiten! Es hiess, die Konflikte, die durch das Abwägen verschiedener politischer Ideen gegeneinander entstehen, sorgten für schlechte Stimmung. Wir wurden abgewürgt, weil wir die Bewegung politisch vorwärts bringen wollen. Uns wurde klargemacht, dass wir entweder nicht mehr politisch diskutieren sollten oder gehen müssen.

Immer wieder wurde auf arrogante Art beteuert, die Basis der Bewegung würde überfordert, wenn sie sich mit politischen Inhalten auseinandersetzen müsste, oder die durchschnittliche arbeitende Person lasse sich am besten durch vage formulierte Ziele in die Bewegung einbinden. Diese verachtende Haltung spiegelt nur die Beschränktheit ihres eigenen Horizonts.

Ein sozialistisches Programm und demokratische Strukturen

Die Bewegung kann es sich nicht länger leisten, sich um jeden Preis künstlich unpolitisch zu halten und politischen Fragen systematisch auszuweichen, sie braucht Klarheit über die Ziele und den Weg dorthin. Das setzt inhaltliche Diskussionen und danach demokratische Entscheidungen (nach Mehrheitsprinzip!) voraus.

Es ist eine grobe Fehleinschätzung, dass politische Klarheit und radikale Positionen für eine Mehrheit der Bevölkerung unverständlich oder abschreckend seien. Überall wird die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung mit Sparprogrammen und Angriffen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen durch die Regierungen und Bosse konfrontiert. Der Kampf gegen den Klimawandel ist der gleiche Kampf wie derjenige gegen die kapitalistische Krise. Es ist der Kampf für die Kontrolle der ArbeiterInnen und der Jugend über ihre eigene Lebensgrundlage und ihre Zukunft.  

Wir werden nicht aufhören, darauf hinzuweisen, dass die Bewegung nur erfolgreich sein kann, wenn sie sich mit einem Programm, das mit dem Kapitalismus bricht, auf die ArbeiterInnenklasse stützt. Denn nur die ArbeiterInnenklasse hat die Macht, einerseits die kapitalistische Wirtschaft zum Erliegen bringen, und andererseits eine neue Produktionsweise zu erschaffen, die sich statt des blinden Profitstrebens an den Bedürfnissen der Menschen und ihrer Umwelt orientiert.

Dieses Wochenende hat jedoch klar gezeigt: Dass sich die Klimastreikbewegung ein solches Programm geben kann, setzt voraus, dass mit der informellen Führung der Bewegung gebrochen wird, die offensichtlich nicht gewillt ist, den Kampf gegen den Klimawandel konsequent zu führen. Es setzt voraus, dass sich die Bewegung auf allen Ebenen demokratische Strukturen gibt. Überall an den Schulen sollten Diskussionen über die politische Ausrichtung der Bewegung und ihr Programm geführt und Entscheide gefällt werden. Auf dieser Grundlage sollten Delegierte gewählt werden, die sich auch auf nationaler Ebene treffen. Sie müssen der Bewegung rechenschaftspflichtg sein und auch wieder abgewählt werden können, wenn sie dem Willen der Basis nicht nachkommen. Das ist der einzig mögliche Weg für die Klimastreikbewegung.

Noirin Rice
Klimastreik Zürich

Martin Kohler
Marxistischer Verein Unibe