Der Kapitalismus raubt der Jugend ihre Gegenwart und Zukunft. Die Jugend zieht revolutionäre Schlussfolgerungen. Sie braucht einen klaren Schlachtplan: ein sozialistisches Programm, um die ganze Arbeiterklasse zum Sieg zu führen.

Die Jugend kennt den Kapitalismus nur in todkranker Form. Sie erlebt nur Kriege, Flucht, Armut, Regierungs-, Klima-, Wirtschafts- und Gesundheitskrisen. Lenin hat gesagt, Kapitalismus ist Horror ohne Ende. Nur so kennt die Jugend diese Gesellschaft. Es trifft sie zunehmend am eigenen Leib, auch in den reichsten kapitalistischen Ländern.

Keine Zukunft im Kapitalismus

Mit Einbruch der Krise 2008 ist die Jugendarbeitslosigkeit explodiert. Nirgends in der EU hat bis Corona das Beschäftigungslevel der Jugend das Vorkrisenniveau erreicht. Die Coronakrise traf diese Jugend, die sich nach 08 nicht erholen konnte, brutal. Die Hälfte aller Jugendlichen in der Eurozone ist befristet angestellt. Die Coronakrise traf die prekär Arbeitenden besonders. Die Jugendlichen in den OECD-Ländern verloren 2.5 Mal häufiger ihre Jobs als der Rest der Arbeiterklasse. Die Jugend kann nur zwischen Pech und Schwefel entscheiden: prekäre, unsichere, schlecht bezahlte Arbeit oder gar keine Arbeit. Das drückt sich im Lebensstandard aus. Die «Babyboomer»-Generation besass 1990 21% vom Total aller Haushaltseinkommen, dreissig Jahre später 57%. Der Anteil der «Millennials» stagniert bei 3%.

Der Kapitalismus steckt in seiner tiefsten und breitesten Krise aller Zeiten. Die jetzige Erholung in den imperialistischen Zentren ist blutleer und spekulativ. Sie wird kaum zu einer Verbesserung des Lebens der Arbeiterklasse und der Jugend führen. Die Jugend sieht dieses System mit klaren Augen. Nur noch jeder zweite Jugendliche in der Schweiz sieht seine Zukunft «eher zuversichtlich». Der Anteil nimmt seit Jahren ab. Die Psyche der Jugend leidet darunter. Vor Corona bestand bei 15% eine «Gefahr von Depression» (OECD); heute liegt dieser Wert bei grausamen zwei Dritteln. In der Schweiz sieht es nicht besser aus.

Jugend: Krisenbaromenter

Das Bewusstsein der Menschen ist ein konservatives Element im Geschichtsprozess. Die subjektive Entwicklung hinkt der objektiven hinterher. Der Kapitalismus hat sich längst überlebt. Die Produktivkräfte sind da für eine höhere, sozialistische Gesellschaft. Sie beginnen bereits zu verfaulen innerhalb der kapitalistischen Zwangsjacke. Das drückt auf die Lebensbedingungen der unterdrückten Massen. Das zwingt diese, die herrschenden Verhältnisse und Ideen zu hinterfragen – Ideen, die dieses System rechtfertigen und Unterdrückung und Ausbeutung verschleiern. Die lohnabhängige Jugend nimmt eine Sonderrolle ein in diesem Bewusstseinsprozess.

Das Erwachsenenleben im Kapitalismus zwingt uns, uns den herrschenden Verhältnissen unterzuordnen und anzupassen. Man muss Geld verdienen, Kinder ernähren und den Haushalt schmeissen, um sich zu erhalten. Ältere ArbeiterInnen haben Erinnerungen an die «guten alten Zeiten». Sie haben teils Kämpfe geführt und Niederlagen einstecken müssen. Damit gehen Illusionen einher: dass es «ist wie es ist» und Veränderungen nicht möglich sind. Diese Elemente fördern Konservatismus, Pessimismus und Passivität in den älteren Teilen der Arbeiterklasse. Die Jugend hingegen steht mitten im Prozess, sich von den Eltern zu emanzipieren und ein selbständiges Leben aufzubauen. Sie hat das ganze Leben noch vor sich. Das fördert eine Psychologie mit mehr Gestaltungswille und weniger Passivität und Konservatismus. Die Jugend ist die sensibelste Schicht der Lohnabhängigen. Sie ist die erste Schicht, die sich an den Widersprüchen des Systems empört, in den Kampf dagegen tritt, Illusionen in die Reformierbarkeit des Kapitalismus verliert und revolutionäre Schlussfolgerungen zieht.

Revolutionäre Jugend

Die Jugend war die erste Schicht, die nach dem 2008-Einbruch in Bewegung trat. Nach der anfänglichen allgemeinen Schockstarre führte sie die erste Bewegungswelle an mit der arabischen Revolution als Höhepunkt. Sie war der Treiber der zweiten Kampfwelle, wo die Radikalisierung sich in neuen linken Phänomenen ausdrückte und zum Beispiel 300’000 Jugendliche die verrostete Labour-Partei in Grossbritannien stürmten. Auch die globale revolutionäre Welle 2019 wurde von der Jugend entzündet und angeführt. In Chile stand die Mehrheit der Bevölkerung auf der Strasse im Kampf gegen das Regime. Es waren GymnasiastInnen, die diese aufständische Bewegung entzündeten.

Die Institutionen der bürgerlichen Demokratie haben ihre Basis in einer mehr oder weniger florierenden kapitalistischen Wirtschaft. Ihr Funktionieren setzt eine relative Harmonie zwischen den Klassen voraus. Sie sind das Versprechen an die ausgebeutete Klasse, dass man zusammenarbeiten kann und dass zumindest einige Brotkrümel für sie runterfallen. Die Jugend erkennt am Klarsten, dass dieses Versprechen Tag für Tag gebrochen wird. Das Vertrauen in die bürgerliche Demokratie nahm bei den «Millennials» seit 2016 krass ab, viel mehr als bei den «Babyboomern» – in den OECD-Ländern, die sich für ihre funktionierenden Demokratien rühmen, z.B. in Frankreich. Bei den Regionalwahlen Ende Juni enthielten sich drei Viertel aller FranzosInnen – und schlagende 84% aller unter-35-Jährigen. Das sind Zahlen wie in den «Bananenrepubliken», auf welche die Bürgerlichen der imperialistischen Länder verächtlich hinunterschauen – Länder, die sich in Wahrheit aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus nie wirklich den Puffer bürgerlicher Demokratie leisten konnten.

Die Bürgerlichen und ganz besonders ihre kleinbürgerlichen Anhängsel, die ReformistInnen, können sich keine Politik denken ausserhalb der bürgerlichen Parlamente. Nur logisch, dass sie den Vertrauensverlust der Jugend in Parlamentarismus und etablierte Parteien damit gleichsetzen, dass die Jugend apolitisch sei. Nichts ist falscher als das, auch in der Schweiz: Nur ein Viertel aller Jugendlichen konnte sich 2019 vorstellen, teil einer etablierten politischen Partei zu sein – aber 40% wollten demonstrieren.

Programm des Sozialismus

Die Jugend hat bereits heroische Kämpfe geführt. Aber Beschönigungen bringen nichts. Im Gegenteil, es ist unsere Aufgabe, schonungslos die Wahrheit zu sagen: Keiner der grossen Kämpfe hat seine Ziele erreicht. Die Black Lives Matter-Bewegung hat das Bewusstsein der ganzen US-amerikanischen Arbeiterklasse verändert und eine internationale Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt losgetreten. Biden hat den Druck durch die Bewegung in sichere Bahnen zu lenken versucht und ein «diverses» Kabinett zusammengestellt. Vize-Präsidentin Kamala Harris hält derweil weiter rassistisch die Grenze zu – genauso wie jeder weisse Vertreter der Kapitalisten. Auch die Verurteilung des mordenden Polizisten geschah auf Druck von unten. Strukturelle Veränderungen des Polizeiapparats gab es keine und kann es im Kapitalismus keine geben. Rassistische Polizeigewalt geht unverändert weiter. Die Klimastreikbewegung drückte die Klimafrage aufs politische Parkett. Das Parlament in der Schweiz erarbeitete das CO2-Gesetz. Und rief damit der Jugend zurück: «Zahlt diese Klimapolitik, die kein Klimaproblem lösen wird, selber!». Die Klimakrise bahnt sich weiter und kaum gebremst ihren Weg.

Mit dem Kämpfen aufzuhören wäre der falsche Schluss aus dieser Erfolglosigkeit. Der Schluss muss sein, den Kampf aufs nächste höhere Niveau zu heben. Die Jugend muss einen glasklaren Ausweg vor Augen haben. Die Klimabewegung stellt mit der «System Change»-Forderung die Systemfrage. Der bürgerliche Nationalstaat auf der einen Seite, das kapitalistische Privateigentum auf der anderen Seite (zusammengenommen das politische und ökonomische Fundament der Herrschaft der Kapitalisten) müssen gestürzt werden. Nur eine globale Planwirtschaft und eine globale Föderation von sozialistischen Arbeiterstaaten kann die drohende Katastrophe abwenden. Die arbeitenden Massen müssen die vorhandenen Produktivkräfte (Technologie, Wissenschaft, Produktionsmittel) unter die eigene demokratische Kontrolle und Leitung bringen. Dann sind der Ausstieg aus fossilen Energieträgern und die nötigen Investitionen, also eine nachhaltige Produktion, möglich. Das ist das Programm des Sozialismus. Es ist unter dem Strich die Antwort auf all die gesellschaftlichen Probleme im Kapitalismus.

«Wer die Jugend hat, hat die Zukunft»

Die Jugend kann dieses Programm nicht selbst verwirklichen. Nur die Arbeiterklasse als Ganze hat die Macht dazu. Wir, die International Marxist Tendency, stehen in der Tradition des Bolschewismus. Nicht aus nostalgischen oder dogmatischen Gründen. Sondern weil die Bolschewiki um Lenin und Trotzki uns zeigen, dass und wie der Kampf für den Sozialismus heute erfolgreich sein kann. Als 1905 die erste Russische Revolution ausbrach, schrieb Lenin: «Es ist Kriegszeit. Die Jugend wird den Ausgang des ganzen Kampfes entscheiden, die Studentenjugend und noch mehr die Arbeiterjugend.» Er behielt Recht. 1917, beim zweiten Anlauf, zog diese Jugend die reiferen Schichten der Arbeiterklasse in den Kampf hinein. Die Bolschewiki hatten über Jahre und Jahrzehnte geduldig die besten Elemente der lohnabhängigen Jugend für das Programm des Sozialismus gewonnen und in den Ideen und Methoden des Marxismus ausgebildet – und konnten mit ihnen «im Gepäck» die ganze Arbeiterklasse zur Machteroberung im Oktober 1917 führen.

Bei allen Unterschieden: In diesem Weg zur Russischen Revolution 1917 sehen wir den Weg zur sozialistischen Weltrevolution heute. Das ist ein steiniger Weg. Aber wir brauchen Vertrauen in die Arbeiterklasse – kein blindes Vertrauen, sondern ein Vertrauen, das auf der Erkenntnis basiert, dass die Arbeiterklasse in der Krise und insbesondere in Kämpfen lernt.

Schule der Revolution

Es sind die brutalen Hammerschläge der Krisenrealität, die das verhärtete Bewusstsein in Flüssigkeit bringen. Die Coronakrise war so ein Hammerschlag. Der Umgang der Herrschenden mit der Pandemie entlarvte, dass sie den Profit über alles stellen. Das bedeutete einen Schub im Radikalisierungsprozess. Eine Umfrage zeigt, dass der Anteil der «Generation Z», die dem Sozialismus positiv gegenüberstehen, im Corona-Jahr 2020 um 9% zugenommen hat (von 40 auf 49%). Nochmals: Die Jugend zieht als erste revolutionäre Schlussfolgerungen. Aber die restlichen Teile der Arbeiterklasse ziehen nach: Auch beim Total der US-Bevölkerung stieg der Prozentsatz von 36% auf 40%.

Es ist der Kampf selbst, in dem die Lernprozesse am Schnellsten vor sich gehen. Die Aufstände gegen die israelische Besetzung in Palästina dauern seit Jahren an. Erfolge blieben aus. In den letzten Jahre verschärfte Netanjahu vor dem Hintergrund der Krise des israelischen Kapitalismus und dem Unmut innerhalb der israelischen Arbeiterklasse die Angriffe auf die PalästinenserInnen, um von den «hausgemachten» Problemen abzulenken. Das letzte Manöver von Netanjahu rief erstmals eine vereinte palästinensische Bewegung hervor, die mit den kontraproduktiven Kampfmethoden ihrer Führungen (Fatah und Hamas) brach, den Mitteln des kleinbürgerlichen Terrors. Es wurde ein Generalstreik organisiert, ein effektives Kampfmittel und vor allem das Kampfmittel, das die israelische Arbeiterklasse nicht entfremdet vom Befreiungskampf der PalästinenserInnen, sondern sie dafür gewinnen kann. Das sind klare Schritte vorwärts: Der vereinte Kampf der palästinensischen und der israelischen Arbeiterklasse gegen den israelischen Imperialismus (unter dem beide leiden) für eine sozialistische Föderation (von der beide profitieren) ist der Weg vorwärts. Die KämpferInnen lernten. Nochmals: Die Jugend stand durchgehend an der Spitze des Kampfs, zog als erste die weitergehenden Schlüsse. Aber sie zog viel breitere Teile der Arbeiterklasse hinter sich her.

Diese Schule ist brutal hart, langwierig und alles andere als geradlinig – ganz besonders, solange keine revolutionäre Organisation mit einer gewissen Verankerung in der Arbeiterklasse da ist, die einen klaren Ausweg aufzeigt. Nicht alle Schichten der Klasse sind gleich kampfbereit und lernen gleich schnell. Aber immer mehr Schichten der Arbeiterklasse werden in den Kampf gezogen und lernen, wer Freund und wer Feind ist und welche Kampfmittel Erfolg bringen und welche nicht. Der Kapitalismus in seiner tiefsten Krise schafft und schult, auf brutalste Weise, seine eigenen Totengräber. Das ist der Nährboden, auf dem ein revolutionäres Programm in immer breiteren Teilen der Arbeiterklasse verankert werden kann – ein Programm, das dem unbewussten Willen der Ausgebeuteten den notwendigen klaren und bewussten Ausdruck verleiht.

Werde Teil der IMT!

Es gibt keine Abkürzungen auf dem Weg zur Revolution. Abkürzungen suchen heisst vom Weg abkommen. Dann suchen wir entweder Hilfe bei den herrschenden Mächten, die unsere Probleme abstrakt-theoretisch heute umsetzen könnten. Aber kein Parlament, keine bürgerliche Regierung und kein Patron wird das tun. Oder wir wenden uns ab von der Arbeiterklasse, weil sie «nicht revolutionär genug» ist. Aber dann wenden wir uns ab von der Klasse, die als einzige dieses Programm umsetzen könnte. Der einzige Weg besteht darin, geduldig die Arbeiterklasse von der Notwendigkeit des und dem Weg zum Sozialismus überzeugen – angefangen mit ihrer radikalsten Schicht, der Jugend.

Das ist der Weg der MarxistInnen der International Marxist Tendency. Unterstütze uns: trete mit uns in Kontakt, diskutiere mit uns und werde Teil der marxistischen Internationale.

Jannick Hayoz, die Redaktion
05.07.2021