Der chinesische Fast-Fashion Konzern Shein ist mittlerweile eines der erfolgreichsten Modeunternehmen der Welt. Hinter der stylischen Fassade: miserable Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung. Was können wir dagegen tun?

Wer kennt das nicht? Während Corona-Zeiten kann man nicht wirklich raus, also liegt man deprimiert rum und chillt auf Social Media. Auf Instagram wird einem nach drei Stories Werbung angezeigt. Besonders oft: Onlineshops. Ehe man sich versieht ist man auf der Seite von Shein gelandet, wo unfassbar stylische Kleider zu verrückt tiefen Preisen angeboten werden. Das Marketing und der Aufbau von Shein ist so gut konzipiert, dass man abgesehen von den schleichenden Kopfschmerzen gar nicht merkt, dass während der Schnäppchenjagd plötzlich Stunden vergehen. 

Shein ist der meistbesuchte Mode-Onlineshop der Welt. In der Schweiz belegt die Shein-App unter den gratis Apps Platz sieben. Während dem ersten Corona Jahr hat die Modefirma ihren Umsatz auf 8,21 Milliarden Euro vervierfacht. Die «chinesische Dampfwalze» hat mittlerweile bekannte Marken wie Nike, H&M und Zara überholt. Täglich kommen tausende von neuen Designs in den Shop. Mit gezielten Marketingstrategien wie krassen Algorithmen, personalisierter Werbung, Influencern und einem Hagel an Rabattcodes erreichen sie erfolgreich ihr Zielpublikum «Frauen und Jugendliche».

Inklusive Ausbeuter

Aber die glitzernde Welt von Shein, die in ihren Werbevideos auch immer strahlende «Inklusion» zelebriert, hat natürlich eine schreckliche Kehrseite. Die NGO Public Eye hat zusammen mit einer chinesischen Organisation einen Bericht über die geheimen Werkstätten von Shein erstellt. In der Multimillionenstadt Guangzhou konnten sie im «Shein Village» 17 kleine Werkstätten mit je 200 ArbeiterInnen lokalisieren. Das Fazit des Berichts ist grässlich, aber für Fast-Fashion durchaus normal. Keine Sicherheitsvorkehrungen in den Werkstätten, 12-14 Stunden Schichten die selbst für China illegal sind. Alle Beschäftigten sind alle WanderarbeiterInnen, sie kommen aus den Provinzen und sind nur für kurze Zeit in der Stadt. Sie zeigten sich aber relativ zufrieden mit den Arbeitsbedingungen. Denn in den Provinzen herrscht Elend und die Löhne sind noch miserabler. Diese Umstände nutzen Firmen wie Shein schamlos aus. Ausserdem werden die ArbeiterInnen nach Stückzahl entlohnt. Heisst: Der Ansporn zur Arbeit ist gross. So können sie für ihre Verhältnisse viel Geld verdienen. Dies ist jedoch keine Rechtfertigung für Shein. Der Stücklohn ist einer der ältester Tricks der Kapitalisten, um die ArbeiterInnen dazu zu bewegen, auf «freiwilliger» Basis möglichst viel und lange zu arbeiten, wie Marx schon im Kapital untersuchte. 

Die Sünden der Jugend

Die liberalen Medien beklagen sich über die «ignorante» Jugend, welche trotz sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen und Belastung der Umwelt Fast-Fashion konsumiert. Sie behaupten, ihr Konsumverhalten sei schuld  an der Zerstörung des Planeten und am Elend der chinesischen Arbeiterklasse. Doch diese Darstellung ist falsch und verlogen. Denn es sind dieselben Medien, welche den Kapitalismus verteidigen und so mit den Kapitalisten die Ausbeutung und Umweltverschmutzung aufrechterhalten. 

Fast-Fashion ist nicht einfach ein Problem der Jugendlichen. Es ist allumfassend. Es zeugt von einer zutiefst kranken Gesellschaft. Pandemie und Wirtschaftskrise lasten auf den Menschen, insbesondere den Jugendlichen. Ein Ausweg aus der Krise lässt sich nicht erkennen. Ablenkung geben Socialmedia, Netflix und eben Fast-Fashion. Die Möglichkeit, trotz weniger Ressourcen blendend auszusehen, gibt einem das Gefühl von einem guten Leben, Status und Bedeutung zurück. 

«Weniger Konsum wäre zwingend» sagen die liberalen «Linken». Aber der Kapitalismus ist ein System, das auf der Produktion von Waren basiert. Die Forderung nach weniger Konsum ist deshalb irreführend. Gerade in der Krise ist der Kampf um den Profit, welcher die Warenproduktion abwirft, besonders brutal. Die Einkommen der ArbeiterInnen und der Jugend sinken. Aber die gesellschaftlichen und sozialen Ansprüche werden härter. Das Marketing der Firmen wird verbessert, noch personalisierter. Schätzungen zufolge belaufen sich die weltweiten Ausgaben nur für Online-Video-Werbung momentan auf 62 Milliarden US-Dollar. Bis 2024 wird geschätzt, dass sie auf 91 Milliarden ansteigen werden. Es wird alles dafür getan, dass die günstigen Produkte ihren Weg zum Konsumenten mit kleinem Budget finden. Dass Unternehmen wie Shein unter den heutigen Umständen durch die Decke gehen, ist also keine Überraschung. Es ergibt sich aus der tiefen gesellschaftlichen Krise welche wir heute erleben. Die Top-Strategen Sheins nutzen die schwierige Lage der ArbeiterInnen und Jugend aus und machen damit Profit. Jugendliche zu verurteilen und weniger Konsum zu fordern, löst keines dieser tiefen Probleme. 

Keine Opfer

Der Schlüssel, um die Bedingungen in China zu verändern, ist die chinesische Arbeiterklasse. Die liberalen NGOs stellen die chinesischen ArbeiterInnen als hilflose Opfer des autoritären chinesischen Staates dar. Dies ist ein falsches Bild. Sie ist gigantisch, zählt über 900 Millionen Menschen. Aufgrund der Rolle Chinas auf dem Weltmarkt, hat sie eine besondere Stellung. Wenn die chinesische Arbeiterklasse will, steht die ganze Welt still. Die aktuelle Krise frisst sich auch durch China und bringt die Werktätigen zunehmend in Bedrängnis. Seit 2011 haben über 13’000 grössere Streiks stattgefunden, Tendenz steigend. Online-Kampagnen von Jugendlichen wie die «Lie Flat» Bewegung und die Ereignisse in Hong Kong 2019 bringen die steigende Radikalisierung zum Ausdruck. Das soziale Gleichgewicht gerät zunehmend aus den Fugen. Das erklärt auch die heftige Repression des chinesischen Staates, die nur von seiner Schwäche und berechtigten Angst vor den Massen zeugt. 

Nur die chinesische Arbeiterklasse kann durch ihren Kampf gegen die Kapitalisten und ihren Staat ihre Situation verändern. Dafür braucht sie eine revolutionäre Organisation, welche ihr hilft, diesen Kampf zu führen. Diese Aufgabe hat sich die International Marxist Tendency gestellt. In China, wie in der Schweiz und über 30 anderen Ländern. 

Kann der Boykott helfen?

Die Frage, wie wir von Europa aus den Kampf der chinesischen ArbeiterInnen unterstützen können, ist mit der Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Organisation aber noch nicht abschliessend beantwortet. Der Kampf der südafrikanischen Arbeiterklasse gegen das Apartheidregime in den 70er Jahren gibt darüber Aufschluss. 1985 brachte die gigantische Arbeiterbewegung und die drohende Revolution in Südafrika die Apartheid zu Fall. Die europäische Arbeiterklasse unterstützte den Kampf ihrer südafrikanischen KollegInnen durch Aktionen der Solidarität, die auch den von ArbeiterInnen und Gewerkschaften organisierten Boykott beinhaltete. Die Dubliner Ladenangestellten weigerten sich zum Beispiel Früchte aus Südafrika zu verkaufen und gingen in den Streik. Die irische Regierung war aufgrund dieser Streiks gezwungen, Importe aus Apartheids-Südafrika einzustellen. Aber auch die Jugend spielte eine grosse Rolle. Die britische Studentenbewegung schaffte es, die Barclay Bank dazu zu bewegen, sich aus Südafrika zurückzuziehen. Diese solidarischen Kämpfe der europäischen ArbeiterInnen zeigt, dass ein grossflächiger Boykott, der kollektiv von den ArbeiterInnen organisiert ist, tatsächlich weiteren Druck auf ein anderes Regime ausüben kann. Die europäischen ArbeiterInnen konnten aber die gleichzeitigen Kämpfe der südafrikanischen Arbeiterklasse nur ergänzen. Der tatsächliche Kampf fand in den Werkstätten und auf den Strassen Südafrikas statt. 

Das Beispiel aus Südafrika zeigt uns auf, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Taten einzelner Individuen und den Taten der organisierten Arbeiterklasse. Die Taten von vereinzelten Individuen bleiben wirkungslos, sie verpuffen. Aber der gemeinsame Kampf der Arbeiterklasse ist mächtig und kann Druck ausüben. Alleine mit unserem Konsumverhalten können wir nicht das gleiche erreichen wie die Dubliner Ladenangestellten. Aber in Irland hätten auch sie nicht das Apartheitsregime stürzen können. Das konnten nur die südafrikanischen Werktätigen. Diese Lehren müssen wir nutzen, wenn wir Fast-Fashion, Shein und den chinesischen Arbeitsbedingungen die Stirn bieten wollen. Wir dürfen keine Zeit verlieren mit Vorwürfen an 16-Jährige Lehrtöchter. Sondern wir müssen diese Jugendlichen organisieren, sie in den Erfahrungen der Arbeiterbewegungen schulen und gemeinsam mit ihnen eine revolutionäre Organisation aufbauen welche fähig ist, die chinesische Arbeiterklasse wirkungsvoll zu unterstützen. 

S. Varela
JUSO Stadt Bern