Die blutige Kampagne in den kurdischen Regionen der Türkei wird intensiviert. Erdogan bereitet eine Welle von massiven Angriffen auf kurdische Städte vor. Die linke DBP (die wichtigste Teilorganisation der HDP) ruft zu Massenwiderstand auf.  


Mindestens acht Menschen (davon zwei am Montag) wurden bisher durch gezielte Polizeigewalt in ausgewählten Stadtvierteln von Diyarbakir getötet und der Staatsapparat bereitet sich auf Angriffe auf die Städte Cizre und Silopi vor.

Tausende Menschen widersetzen sich nach einem Aufruf der HDP der Ausgangsperre in Diyarbakir und bevölkern die Straßen in massiven Protestdemonstrationen, die das Ziel verfolgen, die militärische Belagerung des Bezirkes Sur zu durchbrechen. DemonstrantInnen durchbrachen Polizeiabsperrungen und konnten auch mit Tränengas, Wasserwerfern und Plastikgeschossen nicht zurückgedrängt werden. Es gibt Berichte vom Einsatz scharfer Munition. Trotz dieses heftigen Polizeieinsatzes blieben die Menschenmassen auf den Straßen.

Am Nachmittag vom 15. Dezember beteiligten sich Zehntausende am Begräbnis von zwei getöteten Aktivisten. Die Hauptslogans waren: „Die PKK ist das Volk, und das Volk sind wir“ und „Märtyrer sind unsterblich“. Am Grab wurde eine Trauerminute abgehalten und die Hymne der Guerilla „Çerxa Sorese” gesungen.

Der türkische Staatapparat bereitet mittlerweile eine massive Offensive gegen die Städte Silopi und Cizre vor. Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und schwere Artillerie werden zusammengezogen, um die widerständigen kurdischen Städte zurückzuerobern. Ständig landen neue Transportmaschinen mit Soldaten, Polizei, Spezialeinheiten und islamistischen Banditen.

Alle Spitäler in der Region wurden angewiesen, sich auf eine große Anzahl an Verletzten vorzubereiten. Alle LeherInnen wurden angewiesen, die Region zu sofort zu verlassen. Die Schulen in Solipoi (Bezirk Sirnak) wurden am Montag geschlossen, um Kommandostäbe der Repression einzurichten.

Bereits seit Beginn der Woche terrorisieren Spezialkräfte die Stadt und schießen wahllos auf die BewohnerInnen, dies ist wahrscheinlich die Vorkampagne zum Generalangriff. Die Stromversorgung wurde durch die Zerstörung von Transformatoren unterbrochen, die Stadt ist dunkel. Auch die Wasserversorgung wurde unterbrochen, auf hohen Gebäuden wurden Scharfschützenposten eingerichtet. Die türkische Regierung hat sich entschlossen, aufständische kurdische Städte und Bezirke menschenleer zu machen.

Die progressive Lehrergewerkschaft Egitim-Sen hat beschlossen, sich der Aufforderung, ihre SchülerInnen zu verlassen und aus der Stadt zu fliehen, zu widersetzen. Der Co-Vorsitzende von Egitim-Sen, Serhat Ugur, bestätigt die Militarisierung der Stadt vor dem erwarteten Generalangriff des türkischen Staates. Gegenüber Sendika.org sagt er: „Ich kenne die Situation der 1990iger aus Erzählungen (damals riegelte der türkische Staat ganz Kurdistan ab und ermordete mehr als 40.000 Menschen), doch heute ist es schlimmer als damals. Die Gewalt ist heute um vieles heftiger. Ich gehe jedoch jeden Tag in die Schule und widerstehe allen Hindernissen. Aber das Ausmaß des Hasses, die Art der militärischen Vorbereitung ist mir unerklärlich. Was werden sie der Bevölkerung nach all dem sagen? Sie wiederholen ständig, dass diese Angriffe notwendig sind um das Land zu verteidigen, alles andere seien ‚Details‘. Noch nie haben wir eine derartige militärische Aufrüstung in der Region gesehen.

Es ist als ob wir Kriegsgebiet wären. Sie treten auf, als ob sie unsere ganze Stadt zerstören und sie in Schutt legen wollen. Wie kann man so was rechtfertigen? Wenn das in Palästina passieren würde, würden alle zu den Waffen greifen. Wir aber werden totgeschwiegen, uns droht die totale Auslöschung. (…)

Ich bin seit mehr als 10 Jahren Lehrer und habe so etwas noch nie erlebt. Die Aufforderung, die Stadt zu verlassen empfinden wir wie die Drohungen von ISIS, Köpfe abzuschneiden bevor diese eine Stadt erobern. Wir fragen uns, ob die Esedullah (eine rassistische Untergrundorganisation in der türkischen Polizei) auf uns losgelassen wird. Unsere Anwälte haben das Bildungsministerium kontaktiert, dies wollte oder konnte uns die Evakuierungsaufforderung aber nicht bestätigen. Wir sind im Zweifel darüber, was das alles soll. Werden sie uns die schriftliche Aufforderung erst schicken, nachdem es passiert ist? Die Mehrheit der Lehrer hat die Stadt verlassen, aber einige bleiben zurück. Ich werde nicht gehen. (…) Wir sind Lehrer aus dem ganzen Land und weigern uns, unsere Schüler im Stich zu lassen.“

Abdulkadir Selvi, ein Kolumnist der pro-Regierungszeitung Yeni Safak, interpretiert die jüngsten Aussagen von Ministerpräsident Davutoglu als Ankündigung, den Krieg gegen die PKK zu intensivieren:

“Diesmal werden die Operationen starker vom Militär getragen werden. Der Ministerpräsident hat recht entscheiden gesprochen, und angekündigt, dass alle Bezirke von terroristischen Elementen gesäubert werden. Jede Straße, wenn notwendig jedes Haus wird durchkämmt werden.“

Der syrische Bürgerkrieg ist ein wichtiges Element in Erdogans Plan, ein moderner ottomanischer Sultan des Nahen Ostens zu werden. Daher unterstützt er dschihadistische Kräfte wie ISIS und Jabhat alNusra, den offiziellen alQuaida-Ableger in Syrien. Er nutzt diese Kräfte auch um innerhalb der Türkei KurdInnen und linke AktivistInnen, besonders AnhängerInnen der HDP, zu attackieren. Die HDP, eine linke pro-kurdische Partei, ist bei den Parlamentswahlen im Juni mit 13,5 % der Stimmen auf Basis der Polarisierung des Landes und der Radikalisierung der Arbeiterbewegung und der kurdischen Befreiungsbewegung ins Parlament gekommen. Dies hat Erdogans Pläne einer ihn stärkenden Verfassungsreform verunmöglicht. Das ist der Hauptgrund für das Schüren anti-kurdischer Ressentiments. Erdogan spaltet bewusst die Arbeiterbewegung in der Türkei entlang nationaler Linien und stützt sich dabei selbst auf den rechten Flügel des türkischen Nationalismus.

All diese Faktoren verdichten sich zu einem syrischen Szenario innerhalb der Türkei. In Syrien, wie auch in der Türkei ist es die kurdische Bewegung, geführt von der PKK-Schwesterorganisation YPG, die die stärkste Kampfkraft gegen Erdogans islamistische Marionetten darstellt. Die YPG kontrolliert heute große Territorien, und insbesondere einen Großteil der syrisch-türkischen Grenze. Dieser Umstand macht die YPG zur bevorzugten militärischen Partnerin der USA. Der Erfolg der KurdInnen in Syrien hat wiederum positive Auswirkungen auf den Erfolg der HDP und der kurdischen Bewegung in der Türkei. Die radikale kurdische Bewegung ist die größte Bedrohung für Erdogans Großmachtpläne. Daher will er diese Bewegung völlig zerschlagen. Damit glaubt er mit einem Zug gleichzeitig die türkische Arbeiterbewegung besiegen zu können.

Dies wird jedoch nicht ohne große Auseinandersetzungen durchzusetzen sein. An der Basis finden weitläufige Organisierungsprozesse statt und die Bewegung organisiert auch die militärische Verteidigung der kurdischen Aufstandsgebiete in der Türkei. Die Führung der DBP (Partei der demokratischen Regionen, der Hauptbestandteil der HDP) hat alle ihre UnterstützerInnen aufgerufen, eine permanente Massenmobilisierung gegen den Krieg der AKP-Regierung aufrecht zu erhalten.

„Die türkische Regierung hat das Land ins dunkle Chaos gestürzt, indem sie den kurdischen Südosten unter Belagerungszustand stellt. Besonders betroffen sind derzeit die Städte Sur, Nusaybin, Kerboran, Cizre, Silopi und Idil. Als Antwort auf diese Praxis der Leugnung, Vernichtung und des systematischen Mordes durch die AKP-Regierung, sollten alle unsere Vertreter und Organisationen zusammen stehen und auf der Basis eines disziplinierten, demokratischen Aktionsplans sofort Maßnahmen ergreifen, um diesem Kriegskonzept entgegenzutreten. Unsere Provinz- Kreis- und Stadtorganisationen sollten sofort ununterbrochene demokratische Aktionen initiieren und gegen die Massaker in allen Gebieten eintreten“, so das Statement der Partei.

Wenn Erdogan denkt, er könnte die kurdische Bewegung so einfach zerschlagen, irrt er sich gewaltig. Die Bewegung ist in der vergangenen Periode gestärkt worden. Die Industrialisierung und Urbanisierung türkisch-Kurdistans haben dazu ebenso beigetagen wie der Aufstieg der HDP, die eine landesweise Partei ist, statt eine reine „Kurdenpartei“. Gleichzeitig hat der Krieg in Syrien die Bewegung gestärkt und befähigt, einen breiten Widerstand zu organisieren. Das hebt die Bewegung auf eine qualitativ neue Stufe. Dennoch, der Kampf kann nicht durch Waffen allein gewonnen werden. Nur durch die Vorbereitung eines regionalen Aufstandes, kombiniert mit einer nationalen Streikbewegung gegen den Krieg und das Regime, die alle ArbeiterInnen der Türkei erfasst, kann die Bewegung die herrschende Klasse schlagen.

Die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) unterstützt die kurdischen ArbeiterInnen und die Jugend in ihrem Recht, sich Erdogans Aggressionen zu widersetzen. Wir stellen uns allen Versuchen entgegen die KurdInnen für den Krieg verantwortlich zu machen und sie als Provokateure darzustellen. Im Gegenteil, die kurdischen Massen haben sich als extrem widerstandsfähig gegen den Angriff einer der stärksten Armeen der Welt gezeigt. Wir rufen alle unsere GenossInnen und LeserInnen auf, die Frage des einseitigen Bürgerkriegs der AKP-Regierung gegen die kurdische Bewegung in ihren Schulen, Gewerkschaften und Parteigruppen zu thematisieren und Solidaritätsresolutionen zu beschließen.

 

  • Stoppt den Krieg gegen die KurdInnen!
  • Nieder mit der Regierung aus Mördern und Dieben!
  • Für eine Bewegung der Arbeiterklasse zum Sturz des Erdogan-Regimes in der ganzen Türkei!


Hamid Alizadeh
www.marxist.com