Der Krieg in der Ukraine ist ein grässlicher, menschgemachter Konflikt. Dass die ganze Welt ihn nicht verhindern konnte zeigt, wie sehr diese Gesellschaft in einer Sackgasse steckt. Die Arbeiterklasse darf sich nicht auf eine der Konfliktseiten schlagen. Wir lehnen Sanktionen ab und verteidigen einen konsequenten Internationalismus.

MarxistInnen lehnen die russische Intervention in der Ukraine vollumfänglich ab. Aber wir tun dies von einem Standpunkt aus, der von den verschiedenen herrschenden Klassen unabhängig ist: vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse aus. Dafür müssen wir durch den Vorhang an Lügen, Propaganda und scheinbar linken Abkürzungen hindurchsehen.

Um was geht es in diesem Krieg? Die Ukraine ist seit den Neunzigern umkämpftes Terrain zwischen den westlichen Mächten und dem russischen Einfluss. Seit 2014 dominieren die USA und EU. Die «Verteidigung der ukrainischen Souveränität» ist ein Vorwand. In Wirklichkeit ist der jetzige Krieg zu einem Grossteil ein Konflikt zwischen Russland und den USA, der auf dem Territorium der Ukraine ausgetragen wird.

Zentral für die jetzige Eskalation ist die konsequente und anhaltende Weigerung der USA, irgendwelche Konzession an Russland zu machen, und gleichzeitig auch keine eigenen Truppen als Unterstützung in die Ukraine zu schicken. Und auf der anderen Seite der feste Wille Putins, die relative Schwäche und Zerstrittenheit seiner Rivalen, also den USA und der EU, militärisch auszunutzen.

Der Krieg in der Ukraine ist ein Konflikt zwischen zwei imperialistischen Blöcken, welche beide ihr Einflussgebiet ausbauen wollen. Deshalb dürfen wir uns nicht auf eine dieser Seiten schlagen. Denn dieser Krieg ist auf beiden Seiten reaktionär. 

Weder eine der beiden Seiten, noch irgendeine westliche Regierung, verteidigt auch nur im entferntesten die Interessen der ukrainischen oder russischen Lohnabhängigen. Sie alle nutzen den Konflikt, um die Lohnabhängigen hinter den Regierungen der Kapitalisten zu vereinen. Doch die Lohnabhängigen haben kein Vaterland! Die herrschende Klasse, die für Krieg, Krise und Kapitalismus verantwortlich ist, ist ihr Feind. Sie muss zuallererst im eigenen Land bekämpft werden.

Mit bürgerlicher Kriegspolitik gegen Putin?

Putin ist ein Feind der russischen Arbeiterklasse und es ist die Aufgabe der russischen Lohnabhängigen, ihn zu stürzen. Können Sanktionen von westlichen Regierungen dabei nützlich sein? Der westliche Druck auf Selenskyj, bei den Verhandlungen hart zu bleiben, führt zum Fall tausender russischer Soldaten. Die meisten Sanktionen verschlechtern in erster Linie das Leben normaler RussInnen. Beides soll die russische Bevölkerung gegen Putin aufbringen. Die Sanktionen gegen die Oligarchen zielen darauf ab, Putin von der russischen herrschenden Klasse zu isolieren. Aktuell hilft jedoch beides Putin, die Nation hinter sich zu vereinen und sie gegen den Westen zu lenken. Doch egal wen der Westen gegen Putin aufzubringen erhofft, sein Ziel ist immer, Putin durch einen anderen rechten Abenteurer, wie zum Beispiel Nawalny, zu ersetzen. Das würde die Bedingungen der russischen Lohnabhängigen keinen Millimeter verbessern. 

«Unsere» Regierungen können der russischen Arbeiterklasse nicht helfen. Die russischen ArbeiterInnen müssen Putin selber stürzen. In diesem Prozess müssen sie die politischen Schlussfolgerungen ziehen, die sie davor schützen, eine neue Oligarchenregierung an die Macht zu bringen. Nämlich dass sie eine Arbeiterregierung brauchen.

Welche Interessen vertreten die westlichen Regierungen?

Frankreichs Präsident Macron ist das groteskeste Beispiel dafür, was wirklich hinter bürgerlicher Diplomatie und pazifistischen Utopien steckt. Zuerst inszenierte sich Macron mit den Normandie-Verhandlungen als grosser Demokrat. Nachdem diese wie erwartet gescheitert waren, verkleidete sich Macron als Selenskyj, inklusive 3-Tage-Bart und Militärpullover. Was zeigt uns das ganze Theater? Neben der Irrelevanz Frankreichs auf dem internationalen Parkett, beweist es, wie weit liberale Politiker darin gehen, das Leid der ukrainischen Bevölkerung für ihre eigenen Wahlkampf zu missbrauchen! Was tut er, einmal wiedergewählt? Er setzt die notwendigen Konterreformen für die Kapitalisten der «Grande Nation» durch. Wir dürfen Null Illusionen in diese Witzfiguren und ihre ach so demokratische Symbolik haben. Ihre Klasseninteressen laufen den unsrigen diametral entgegen.

Was interessiert die deutsche Bourgeoisie? Einerseits bangen sie um russische Gaslieferungen. Sie beziehen über die Hälfte ihres Gases aus Russland. Deshalb schrecken sie vor militärischer Provokation, also dem Senden von Truppen, zurück. Andererseits müssen sie so aussehen, als würden sie die Ukraine unterstützen. Doch viel mehr als verrostete Stahlhelme und alte DDR-Panzer liefern auch sie nicht. Ihnen ist völlig bewusst, wie aussichtslos die militärische Situation für die ukrainische Regierung ist. Doch sie haben ein Interesse daran, den Krieg und das Sterben hinauszuzögern, weil sie sich aus der   Kriegsmüdigkeit der russischen Bevölkerung eine Schwächung Putins erhoffen.

Innenpolitisch nutzt der deutsche Imperialismus den Kriegsausbruch für die militärische Aufrüstung aus. Das hat wenig mit der Ukraine und viel mit der Notwendigkeit der militärischen Verteidigung der deutschen Investitionen in Osteuropa zu tun. Die Bundesregierung redet von Demokratie, doch in Wahrheit nutzt sie auf zynische Weise das Blutvergiessen, um knallhart die aussenpolitischen Interessen der deutschen Kapitalisten zu verteidigen.

Die Liste an zynischen Taten der westlichen Regierungen kann beliebig fortgesetzt werden. Wir streichen sie nicht heraus, um die Taten Putins zu entschuldigen. Wir tun dies, um aufzuzeigen, dass keine dieser schäbigen Regierungen auch nur ein Gramm der Interessen der Lohnabhängigen im Sinn hat. Deshalb können wir niemals diese Regierungen oder ihre Politik unterstützen. Die Arbeiterklasse braucht einen eigenen, von den Bürgerlichen unabhängigen Klassenstandpunkt.

Die Heuchelei der Schweizer herrschenden Klasse

Welche Interessen verteidigt der Bundesrat in der Frage des Ukraine-Kriegs? Erstens die Interessen des Schweizer Finanzplatzes. Die Verwaltung der Oligarchengelder aus Russland und der Ukraine ist ein profitables Geschäftsfeld. Zweitens die Interessen der Rohstoffhändler in Genf und Zug. 80% der russischen Rohstoffe gehen über den Schweizer Handels- und Bankenplatz. Drittens die Interessen der Schweizer Kapitalisten, die in Russland und der Ukraine investieren und die tiefen Lohnkosten ausnutzen. Die Schweiz gehört in beiden Ländern zu den zehn grössten Investoren. 

Und die ukrainische Bevölkerung? Die humanitäre Tradition? Die offizielle Schweiz war eine führende Kraft in den aggressiven Konterreformen in der Ukraine nach 2014. Sie unterstützte Privatisierungen und die Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Also eine Politik der Angriffe auf die ukrainischen Lohnabhängigen! 

Eigentlich würde man lieber mit allen Seiten weiter geschäften. Dass viele Sanktionen erst ab Juni gelten, dass die Banker die sanktionierten Oligarchen hätten freiwillig anzeigen müssen, und dass sich der Anwaltsverband weigert, die Sanktionen umzusetzen, zeigt, dass hier der propagandistische Wert im Vordergrund steht. Doch der Druck von Seiten der USA und der EU war zu gross. Das erklärt das zögerliche Umschwenken des Bundesrates hin zu den EU-Sanktionen. Doch das verändert nicht die Interessen, die er verteidigt. Sanktionen sind Kriegsmassnahmen. Einseitige Sanktionen unterstützen den Kriegseffort einer Seite, der NATO. Das gilt auch für finanzielle Sanktionen. Heute unterstützt der Bundesrat offiziell den Kriegseffort der NATO.

Beispielhaft für den Opportunismus der Kapitalisten, die hinter dem Kurs des Bundesrates steckt, ist Peter Spuhler, der CEO von Stadler Rail. Sein Unternehmen betreibt zwei Werke in Weissrussland. Weil dieses Land ebenfalls von den Sanktionen betroffen ist, werden die Werke temporär geschlossen. Dazu interviewt, erklärt Spuhler, dass er die Sanktionen natürlich mitträgt. Dass er gerade noch die Hände von Putins Verbündeten Lukaschenkos geschüttelt hatte, kommentiert er damit, dass Unternehmer wie er nicht die Weltpolizei spielen könnten und dass, wenn man alle Despotien ausschliesse, es bald keine Länder mehr gäbe, in denen man kostengünstig produzieren könne. Für Kapitalisten sind solche Länder profitabel – ob Weissrussland oder Ukraine – weil die dortige Arbeiterklasse hoch profitabel ausgebeutet werden kann. Die Aufgabe des Bundesrates ist es, Ihnen dieses Recht auf Ausbeutung international zu garantieren. Doch die weltweite Krise erschwert es einem kleinen Land wie der Schweiz, zwischen den Blöcken geeignete Nischen zu finden. 

Die Schweizer Regierung ist ein Feind der ukrainischen Arbeiterklasse. Und sie ist der Feind der Arbeiterklasse in der Schweiz! Es sind die gleichen Kapitalisten, welche die Konterreformen in der Ukraine vorwärts preschen und die uns zur Verteidigung ihrer Profitinteressen auch hier frontal angreifen: Sie kürzen im Sozialbereich und der Gesundheit, sie privatisieren, erhöhen das Rentenalter, etc. Wir haben kein gemeinsames Interesse mit ihnen. Unser Kampf muss gegen die hiesigen Kapitalisten und ihre Regierung gehen, nicht mit ihnen gegen die russische herrschende Klasse. Unsere Verbündeten sind die ArbeiterInnen aller Länder.

Der Hauptfeind steht im eigenen Land – auch in der Schweiz!

Die Sanktionen erfüllen eine zentrale innenpolitische Funktion. Sie sollen die nationale Einheit stützen. Also genau die klassenübergreifende Einheit hinter der Regierung, welche für die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen verantwortlich ist. Bereits am Anfang der Corona-Pandemie wurde dieser nationale Schulterschluss hochstilisiert, gegen den gemeinsamen Feind Corona. Jener hat sich dann in den meisten Ländern spektakulär in eine nie dagewesene Polarisierung aufgelöst. Nun soll der böse Feind Putin helfen, diese trügerische Einheit wieder herzustellen. Die Aufgabe von Marxistinnen und Marxisten ist es aufzuzeigen, dass die Arbeiterklasse in jedem imperialistischen Land zuerst gegen die eigene Regierung kämpfen muss!

Ist es die Aufgabe der Arbeiterklasse, die Sanktionen effektiver zu gestalten – wie es die Führung der SP fordert? Wenn der Finanzplatz von den russischen Oligarchen gesäubert würde, wäre er dann weniger dreckig? Ganz und gar nicht, er würde weiterhin die Vermögen von Kapitalisten und Gangstern aus der ganzen Welt verwalten. In einem Konflikt zwischen zwei reaktionären Mächten sind wir konsequent gegen einseitige Sanktionen. Nicht aus Mitleid mit den Oligarchen. Sondern weil diese Position Illusionen in gemeinsame Interessen mit dieser Regierung schürt.

Die Forderung einseitiger Sanktionen ist eine Pro-Kriegs-Position. An einer offiziellen Kundgebung in Bern erklärte der linksgrüne Stadtpräsident von Graffenried, er hoffe, dass die Ukraine den Krieg gewinne. Der live zugeschaltete Selenskij rief zu härteren Sanktionen auf. Bundesrat Cassis zeigte sich beeindruckt «wie Ihr [Ukrainer] Grundwerte der freien Welt verteidigt, die auch unsere Grundwerte sind». Es muss klar ausgesprochen werden: Wir teilen keine Grundwerte mit dieser Klasse. Sie organisieren staatliche Kriegspropaganda unter dem Motto von Frieden und Solidarität. Für einen Krieg, der direkt ihre imperialistischen Interessen verteidigt.

Eine konsequente internationalistische Position nimmt keine neutrale Haltung ein. Wir verstehen die Bedeutung von Karl Liebknechts Slogan aus dem ersten Weltkrieg: «Der Hauptfeind steht im eigenen Land». Die Lohnabhängigen auf der ganzen Welt haben kein Vaterland. Sie teilen die gleichen Klasseninteressen. Unsere Position kann ohne Scham mit der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse diskutiert werden.

Revolutionäre denken nicht wie Staatsmänner, denn wir haben eine andere Aufgabe. Diese besteht darin, den Kampf der Arbeiterklasse gegen «unsere» Regierung, den Bundesrat und die hiesigen Kapitalisten anzuführen. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Bankenplatz weiss zu waschen. Ein System, dessen Wirtschaft von privaten Banken dominiert wird, wird immer Kriege führen, weil diese der unüberwindbaren Konkurrenz zwischen den Kapitalisten und den Nationalstaaten entspringen. 

Die Arbeiterklasse jedoch hat kein Interesse an Krieg, Krise und Klimakatastrophen. Noch werden die gemeinsamen Interessen überdeckt von den Illusionen in reformistische Abkürzungen, in die Sanktionen bürgerlicher Regierungen, sowie von pazifistischen und diplomatischen Scheinlösungen. Doch die Zuspitzung der Bedingungen entblösst die Nutzlosigkeit all dieser «Lösungen». Linke Organisationen, welche sie verteidigen, bremsen die Erkenntnis der Lohnabhängigen – die Erkenntnis ihrer eigenen Interessen. Unsere Aufgabe ist es, der Arbeiterklasse durch die Verteidigung einer klaren Klassenposition zu helfen, ihre Illusionen abzulegen.

Die einzige Kraft, welche Kriege für immer beenden kann, ist die Arbeiterklasse, die eine sozialistische Revolution erkämpft. Unsere Aufgabe ist es, die hiesige Arbeiterklasse in der Enteignung der Banken anzuführen, um dieses Kapital demokratisch zu verwalten und für den Aufbau einer solidarischen Welt einzusetzen. Doch um dies umzusetzen braucht es eine von allen kriegstreiberischen Interessen unabhängige Politik. Die einzige Position, die dies erlaubt, ist die marxistische Position des proletarischen Internationalismus.

Die Redaktion Der Funke,
15.04.2022