Die vierte Welle ist da und die Impfquoten stagnieren. Bürgerliche und Kapitalisten nutzen die Impffrage, um die Arbeiterklasse zu spalten und ihre «Profite vor Gesundheit»-Politik weiterzuziehen. Für einen unabhängigen Klassenstandpunkt.

Seit eineinhalb Jahren opfern die Schweizer Bourgeoisie und ihre Regierung die Gesundheit der Massen zugunsten der Profite der Kapitalisten. Während vier Coronawellen wurde die Industrie immer offengelassen, gleichzeitig gab es kaum Schutzbestimmungen am Arbeitsplatz. Lockdowns kamen immer zu spät, zögerlich, inkonsequent und asozial. Vorbereitungen auf vorhersehbare nächste Wellen gab es kaum. Die Delegitimierung der Regierung hat für Schweizer Verhältnisse historische Ausmasse angenommen. Mit der Lockerung der Coronasituation in den letzten Monaten hat sich der Unmut gegenüber der Regierung entschärft. Der Bundesrat ist mit einem blauem Auge davongekommen. Aber die Hammerschläge aufs Bewusstsein der Arbeiterklasse wird diese nicht einfach vergessen. Vor diesem Hintergrund steigen die Fallzahlen wieder steil an.

Vierte Welle

Glaubt man Gesundheitsminister Berset, dann «ist es jetzt» mit der Impfung «aber eine völlig andere Situation». Wir Marxisten sagen klar: Die Impfung ist absolut notwendig für einen Ausweg aus der Pandemie! Aber sie ist nicht der Passepartout, für den sie Berset ausgibt. Sie schmälert schwere Erkrankungen, aber verhindert nicht gänzlich die Zirkulation des Virus, zudem stagniert die Impfquote. Infektiologe Karrer schreibt: «Wenn ein Grossteil der ungeimpften Personen über 50 in kurzer Zeit angesteckt wird, müssen wir in den Spitälern mit einer Belastung rechnen, die grösser ist als alles, was wir bisher erlebt haben.» Ein Drittel der SchweizerInnen, die älter als 50 sind, ist nicht doppelt geimpft. Die Pandemie läuft weiter. Nächste aggressivere Mutationen sind wahrscheinlich, solange die Pandemie nicht international bekämpft wird.

Regierung, Kapitalisten und Bürgerliche nutzen alle die Impffrage, um dieselbe Politik wie seit eineinhalb Jahren weiterzuführen: die Profite fliessen lassen, indem sie Verantwortung, Krise und Krankheit auf die Arbeiterklasse abschieben.

Profit

Überall in Europa greifen die Bürgerlichen zum Impfzwang. Teile der Schweizer Bourgeoisie gehen in die Richtung eines de facto-Impfzwangs. Die FDP will über Preise fürs Testen die Impfquote heben. Die Ausweitung des Covid-Zertifikats auf immer notwendigere Bereiche des öffentlichen Lebens steht im Raum. Der Arbeitgeberverband will die Arbeiter zum Impfen zwingen und Verweigerer entlassen. Ein erstes Spital stellt nur noch Geimpfte ein. Die Genfer Regierung droht mit strafrechtlichen Konsequenzen, wenn sich Pflegende nicht impfen oder testen lassen. Einige Bürgerliche wollen ungeimpfte Pflegende mit einem Sticker brandmarken. 

Ihre Scheinheiligkeit ist offensichtlich: Dieselben Bürgerlichen, dieselben Kapitalisten, die eineinhalb Jahre die Gesundheit der Arbeiter den Profiten geopfert haben, wollen jetzt plötzlich mit Formen von Impfzwang die «Gesundheit sicherstellen» und das «Virus bekämpfen». In Wahrheit geht es ihnen weiter nur um den Profit. Zahlen soll wie immer die Arbeiterklasse: mit Entlassungen und Repression im Betrieb, mit Kosten fürs Testen, mit Unterdrückung und Repression durch Staat und Kapitalisten. Ihre Anti-Arbeiter-Politik ist der Grund für die tiefe Impfbereitschaft. Ihr Zwang wird die Probleme nicht lösen.

Die Strategie von Teilen der SVP ist die Kehrseite derselben Medaille. Sie stellen sich gegen den «Impfzwang durch die Hintertüre», gegen die «Diskriminierung» der Ungeimpften. Zynismus und Ziel sind identisch mit jenen der «Liberalen»: die Wirtschaft laufen lassen und die Arbeiterklasse dafür dafür zahlen lassen, einfach in anderer Währung, mit Ansteckungen – und unter dem Deckmantel der «individuellen Freiheit».

Teile und herrsche

Mit ungleichem Vorzeichen betreiben sie alle dieselbe Sündenbockpolitik. Sie spalten die Arbeiterklasse entlang der Impffrage, spielen verschiedene Teile der Klasse gegeneinander aus und machen sie gegenseitig zum Sündenbock. Die einen stützen sich auf die berechtigte Hoffnung auf ein endliches Ende der Pandemie. Sie spielen die «Verantwortungsvollen» gegen die «Dummen», die «Egoisten» aus. Teile der SVP stützen sich auf die verbreitete Skepsis mit der Impfung und spielt diesen Teil gegen die «unterdrückerische» Mehrheit der Arbeiterklasse aus.

Ein Viertel der Bevölkerung will sich nicht impfen lassen. Das sind nicht alles obskure Impfskeptiker der Corona-Demos. Impfskepsis ist in der Arbeiterklasse, insbesondere ärmeren Teilen, weit verbreitet (je etwa ein Drittel in Industrie, Dienstleistung und im Gesundheitsbereich). Die fehlende Impfbereitschaft in der Arbeiterklasse reflektiert berechtigte Skepsis gegenüber dem Establishment. Im Gesundheitsbereich kommt das am Klarsten zum Vorschein. Die Bürgerlichen haben das Gesundheitswesen über Jahrzehnte zusammengespart und privatisiert. Während Corona wurde kein zusätzlicher Franken reingesteckt. Die GesundheitsarbeiterInnen wurden von Kapital und Staat ohne mit der Wimper zu zucken wie Kanonfutter dem Virus ausgesetzt. Pflegende mussten mit Ansteckung arbeiten. Sie erfahren den parasitären Charakter der Pharmaindustrie täglich. Es bedeutet nicht Egoismus oder Dummheit, wenn Teile der Pflegenden der Regierung und der Pharma nicht vertrauen, wenn diese über die Impfung reden – sondern es drückt Unmut mit den Herrschenden aus.

Unabhängiger Klassenstandpunkt

Die Arbeiterklasse braucht absolute Klarheit. Alle Bourgeoisiefraktionen handeln im Interesse des Profits; alle spalten die Arbeiterklasse entlang der Impffrage; und alle laden Kosten, Krise und Krankheit auf die Arbeiterklasse ab. Es gibt keine Allianzen mit Teilen der Bourgeoisie im Interesse der Arbeiterklasse – auch nicht, wenn sie sich «liberal» nennen oder mit «Freiheit» oder «Gesundheit» bemäntelt daherkommen. Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen die Probleme von einem unabhängigen Klassenstandpunkt angehen. Nur so  können die Pandemie bekämpft werden und der Unmut mit dem Establishment in fortschrittliche Bahnen gelenkt werden. 

  • Gegen die Sündenbockpolitik der Bürgerlichen! Gegen jede Form von Diskriminierung, Zwang und Stigmatisierung von Teilen der Arbeiterklasse durch Kapitalisten und Bürgerliche (Impfen, Ausweitung des Covid-Zertifikats, Entlassungen von Ungeimpften, «Impf-Sticker» usw. usf.)!
  • Wenn sie die Kosten fürs Testen auf uns abladen, lassen sie uns für die Krise zahlen, für die sie verantwortlich sind. Es würgt auch die Testkampagne ab. Für Gratis-Tests in allen Betrieben, Schulen, im öffentlichen Raum usw.!
  • Zwang und Repression im Betrieb bedeuten Angriffe auf die Arbeitsbedingungen. Sie werden keine Corona-sicheren Arbeitsbedingungen bringen. Das können nur die ArbeiterInnen selbst. Sie müssen selbst über die Sicherheitsbedingungen im Betrieb entscheiden, einschliesslich der Aufgaben für Nichtgeimpfte. Alles notwendige Material muss ihnen gratis zur Verfügung gestellt werden. Volle Lohnfortzahlungen, falls (Teil-)Schliessung u.ä. notwendig sind.
  • Die Regierung der Kapitalisten hat berechtigterweise Vertrauen verloren. Nur die Arbeiterklasse selbst kann eine legitime Informationskampagne zur Notwendigkeit der Impfung organisieren. Für eine Regierung von und für die ArbeiterInnen, die diese entscheidende Aufgabe im Kampf gegen die Pandemie entschieden durchführen kann!
  • Für öffentliche Investitionen in die Schulen (mehr Klassenräume, Klassen mit weniger Schülern, Einstellung von Personal), ins Verkehrs- und Gesundheitssystems und für ein staatliches Vollbeschäftigungsprogramm!
  • Kapital ist genug da, um all das zu finanzieren. Es fliesst nur nicht dorthin, wo wir es brauchen, sondern dorthin, wo die meisten Profite locken. Für die Zusammenfassung und Verstaatlichung der Banken unter Kontrolle der Arbeiterklasse!
Sozialismus

In armen Ländern ohne Impfstoffe und unter den abenteuerlichsten bürgerlichen Regierungen, die das Virus ungehemmt zirkulieren lassen, mutiert das Virus am schnellsten. Es kennt keine nationalen Grenzen und zirkuliert weltweit. Es ist alles andere als unwahrscheinlich, dass die nächste Mutation von den bestehenden Impfungen noch weniger gebremst wird als die aktuelle Delta-Variante. Die Lösung der Pandemie ist eine internationale Frage. Es braucht eine global koordinierte Impfkampagne. Die Pfeiler der kapitalistischen Gesellschaft stehen dem im Weg: das Profitmotiv und der Nationalstaat.

Die Produktionskapazitäten der Pharmaindustrie könnten schnell raufgefahren werden für die notwendige schnelle globale Durchimpfung. Aber Konkurrenz und Monopolprofite verlangen Patente, was die Impfung für ärmere Länder unzugänglich macht. Es ist das Profitmotiv der Einzelkapitalisten, das verhindert, dass sich alle Pharmaunternehmen – Forschung und Produktion – zusammentun und alles mögliche tun, um sofort das Maximum zu produzieren, das international gebraucht wird. Kapitalistische Profitwirtschaft bedeutet: lieber eine lange brutale Pandemie, also anhaltende Nachfrage nach Impfstoffen, als ein Ende der Pandemie und überschüssige Produktionskapazitäten, die die keine Profite mehr abwerfen. Sie freuen sich über die steigende Nachfrage durch die Booster-shots und entsprechend – steigende Preise. Das Leid der Massen ist eine Goldgrube für die Kapitalisten.

Die Schweizer Pharma ist keinen Deut besser. Zuerst sind sie raus aus der Impfstoffproduktion, weil das zu wenig profitabel war. Dann haben sie einen Kampf gegen die Aufhebung der Patente geführt. Jetzt sagen sie, wir müssen uns damit abfinden, dass «das Virus unter uns bleibt» – und machen ein Milliardengeschäft mit teuren Medis für eine endlose Pandemie. Roche machte im letzten Semester 3,2 Mrd. Fr. Umsatz damit. Um dem die Krone aufzusetzen, feiert Roche im Herbst sein 125-Jahre-Jubiläum unter dem Motto «Celebrate Life – Feier des Lebens».

Die Aufspaltung der Welt in antagonistische Nationalstaaten verhindert die notwendige globale Koordination, Verteilung und Planung. Während die imperialistischen Zentren Impfstoffe horten, wütet das Virus in abhängigen Ländern ungehemmt. Der Schweizer Imperialismus ist nicht weniger brutal als die anderen – nur zynischer. Der Staat schickt 600 Sauerstoffflaschen nach Indonesien und die ganze bürgerliche Presse schwafelt von «humanitärer Hilfe». Hintendurch verteidigt er die Interessen der Monopolkapitalisten, ihre für arme Länder unbezahlbaren Monopolpreise und die Überausbeutung der dritten Welt und kämpft für die Patente. 

Der kapitalistische Profit und der bürgerliche Nationalstaat sind die grössten Hemmnisse auf dem Weg zur Lösung der Pandemie. Diese bedeutet einen Kampf mit revolutionären Methoden gegen die herrschende Klasse und ihr System – ein Kampf dafür, dass die Arbeiterklasse die Produktionsmittel und das öffentliche Leben unter ihre Kontrolle bringt und der Vernunft und den Bedürfnissen der Massen unterordnet.