Für die KapitalistInnen sind die Ausgaben für die Gesundheit der ArbeiterInnen unnötig. Der Klassenkampf um die Ausgestaltung unseres Gesundheitssystems wird rücksichtsloser.  

Die Coronakrise hat den geschwächten Zustand des Gesundheitssystems offenbart. Die zusätzliche Belastung in den Spitälern wurde brutal auf das Gesundheitspersonal abgewälzt. Ihre geringe Entlöhnung und unmenschlicher Stress gefährden die Gesundheit von Angestellten und PatientInnen. Die Ursachen hierfür sind die staatliche Sparpolitik und das kapitalistische Profitstreben.

Jetzt planen die KapitalistInnen weitere Angriffe auf unsere Gesundheit. Avenir Suisse fordert zusätzliche Einsparungen von einer Milliarde pro Jahr, die «nur mit strenger finanzpolitischer Disziplin und dem Willen zu Reformen insbesondere im Sozialbereich zu erreichen ist». (Avenir Suisse, 2020) So soll ihre barbarische Politik weitergeführt werden. Dagegen müssen wir Widerstand vorbereiten.

Dazu gilt es die Klassenlinen im Gesundheitsbereich zu verstehen. Die Probleme privatisierter Kliniken haben wir im Artikel «Klassenkampf in der Klinik» (Funke 91) thematisiert. Ergänzend geht es hier um die staatliche Regulierung und Finanzierung des Gesundheitssystems. Während die ArbeiterInnen seit 150 Jahren für ein solidarisches System kämpfen, untergräbt die herrschende Klasse die erreichten Fortschritte.

Wieviel Gesundheit darf es sein?

Die medizinische Versorgung in der Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr gut. Etwa 12% des BIP wird dafür ausgegeben. Den KapitalistInnen ist das Schweizer Gesundheitssystem aber zu teuer. Doch wer bezahlt schlussendlich die Rechnung?

Die Lohnabhängigen erschaffen allen Wert durch ihre Arbeit. Davon erhalten sie lediglich einen Bruchteil in Form des Lohns. Das entspricht dem Wert, der nötig ist, um die ArbeiterInnen zu reproduzieren: zu ernähren, kleiden, unterzubringen und auch medizinisch zu versorgen. Die Differenz zwischen Lohn und dem geschaffenen Wert ist der Mehrwert, den zuerst einmal der «Arbeitgeber» in Form von Profiten einsteckt. 

Die exakte Lohnhöhe wird im Kampf zwischen Arbeitenden und KapitalistInnen bestimmt. Erstere versuchen ihren Lebensstandard zu erhalten oder sogar anzuheben. Um medizinische Leistungen einzukaufen, verlangen sie mehr vom erarbeiteten Wert, einen höheren Lohn. Die Kapitalisten wollen aber nichts abgeben und streben danach, die Lebenskosten der ArbeiterInnen und den Lohn tief zu halten. Das ist Klassenkampf. Es ist ein ständiges Ringen um unsere Gesundheit.  

Die Lohnabhängigen mussten sich das heutige Gesundheitssystem erkämpfen. Im 19. Jahrhundert konnte sich kaum jemand professionelle Pflege leisten. Die ArbeiterInnen gründeten Gewerkschaften, um mehr Lohn zu erkämpfen, und Hilfskassen, um Geld für die Kranken zusammenzulegen. Durch Streiks, Demonstrationen und die Drohung einer sozialen Revolution wurden die KapitalistInnen zu gesundheitspolitischen Zugeständnissen gezwungen.

Eine Folge des Landesstreiks von 1918 war, dass Krankenversicherungen in einigen Kantonen obligatorisch wurden. Der Anteil der Versicherten stieg in der Zwischenkriegszeit von 10% auf 50%. Die Krankenkassen wurden staatlich subventioniert und verschmolzen zu grossen und einflussreichen Institutionen. 

Während des aussergewöhnlichen Wirtschaftsaufschwungs 1945-1975 war ein starker Ausbau des Gesundheitssystems möglich. Die Kantone bauten mit Steuergeldern die grossen Spitäler, die wir heute kennen. Organisiert und vermittelt wurden die kollektiven Zugeständnisse der herrschenden Klasse durch den bürgerlichen Staat. Der Klassenkampf wird damit durch eine neue Front auf der politischen Ebene ergänzt. 

Die KapitalistInnen wurden also auf zwei Arten gezwungen, einen Teil des Wertes an die ArbeiterInnen zurückzugeben. Dank höheren Löhnen können sich mehr ArbeiterInnen versichern. Über die Steuern mussten sich die KapitalistInnen an den staatlichen Subventionen für die Krankenkassen beteiligen. 

Diese Zugeständnisse hatten für die herrschende Klasse auch Vorteile. Denn ArbeiterInnen, die erkrankten und die richtig behandelt wurden, konnten schneller wieder produzieren. Das setzt aber voraus, dass die herrschende Klasse genug Profite macht. Nur dann haben sie Spielraum für Zugeständnisse. 

Die ArbeiterInnen erkämpften international vielerorts noch mehr. In Grossbritannien wurde mit dem National Health Service eine umfassende staatlich finanzierte Versorgung aufgebaut. Die Lohnabhängigen in der Schweiz hingegen bezahlen noch heute die Hälfte der Gesundheitsleistungen direkt, etwa durch die Krankenkassenprämien und die Selbstbehalte. Auch öffentliche Krankenkassen wurden praktisch nirgends in der Schweiz eingeführt.

Destruktive Sparpolitik

Die Weltwirtschaftskrise von 1974/75 zwang die herrschende Klasse zum Kurswechsel. Denn die Profitraten waren zu tief (Mehr Informationen). Viele soziale Errungenschaften wurden ihnen zu teuer und sie leiteten Konterreformen ein. Ihre Politik, heute als Neoliberalismus bekannt, hatte zum Ziel, die Profite der KapitalistInnen auf Kosten der ArbeiterInnen wieder zu steigern. Im Visier war auch das Gesundheitssystem. 

1975 kürzte der Bund die Subventionen an die Krankenkassen und die Kantone, damit begannen die Sparmassnahmen. Diese hatten das Ziel, den Unternehmen Steuersenkungen zu gewähren. Das war gut für die Profite, allerdings nicht für die Gesundheitsversorgung. Spitäler wurden fusioniert und geschlossen. Diese Privatisierungen waren für das Kapital doppelt günstig: Nicht nur konnten die Steuern gesenkt werden, die privaten Kliniken boten auch neue profitable Investitionsmöglichkeiten. 

Das neue Krankenkassengesetz von 1996 war der nächste grosse Schritt und verankerte die Abbaupolitik im Gesundheitswesen unter dem Titel der«Ökonomisierung». Folge: Die ArbeiterInnen mussten immer mehr Gesundheitsausgaben selber bezahlen. Die Selbstbehalte und die Krankenkassenprämien nahmen zu. Die Kostenbeteiligung des Staates am Gesundheitssystem sank zwischen 1980 und 2000 von 19% auf 15%. Individuelle Prämienverbilligungen ersetzten ab 1996 die Krankenkassen-Subventionen. Seither werden auch die Verbilligungen regelmässig gekürzt. Heute ist ein Viertel aller Versicherten auf die Verbilligung angewiesen. Dennoch geben diese Personen durchschnittlich 14% ihres Einkommens für Prämien aus.

Die Reform von 1996 stärkte auch die Krankenkassen. Ursprünglich sollten sie das Risiko einer Krankheit solidarisch tragen. Heute sind sie gewinnorientierte Unternehmen. Im Gegensatz zu den Gesundheitsdienstleistern haben sie aber keine produktive Funktion. Sie sind Parasiten auf der Tasche der ArbeiterInnen mit einer fetten Lobby. Seit 1996 ist die Grundversicherung obligatorisch und die Vertragsbedingungen sind staatlich festgelegt. Es ist auch gesetzlich fixiert, welche Gesundheitsleistungen die Krankenkassen finanzieren müssen. Kassen machen Gewinn, indem sie weniger für die Gesundheit ausgeben. Durch bürokratische Schikane suchen sie teure PatientInnen abzuwimmeln und sich vor Arztrechnungen zu drücken. Sie sind aktive Treiber der Sparpolitik und verursachen zeitraubenden Papierkram in den Spitälern.

Die Weltwirtschaftskrise von 2008 hat die Schweizer KapitalistInnen weiter angespornt. 2012 wurde die Spitalfinanzierung umgestellt, um den Spardruck in den Spitälern zu erhöhen. Kliniken wurden in Aktiengesellschaften umgewandelt und privatisiert. Die Profitinteressen der privaten Eigentümer und die staatliche Politik ergänzten sich: Bei der Qualität und den Arbeitsbedingungen wird gespart. Die Bürgerlichen nennen das «Effizienz». Das Resultat, das bis heute sichtbar ist: Die Angestellten sind am Anschlag, und die medizinische Versorgung leidet. Der Rest der ArbeiterInnen wird von den horrenden Krankenkassenprämien erdrückt, insbesondere weil die Prämienverbilligungen zunehmend gekürzt werden und die Löhne stagnieren.

Gegen das ungesunde System

Diese kleine Geschichte des Schweizer Gesundheitssystems enthält drei strategische Schlussfolgerungen für KämpferInnen für eine menschenwürdige Gesundheitsversorung.

Gesundheit ist Klassenkampf! Die ArbeiterInnen brauchen medizinische Versorgung. Um die Gesundheitskosten zu finanzieren, müssen zwingend kapitalistischen Profite geschmälert werden. Die KapitalistInnen werden uns deshalb auf allen Fronten bekämpfen. Moralische Appelle an die herrschende Klasse und ihre PolitikerInnen sind dementsprechend sinnlos. Klassenkampf tobt auch innerhalb des Spitals. Das Gesundheitspersonal wird direkt vom Kapital ausgepresst und von den Krankenkassen schikaniert.

Der Kapitalismus in der Krise hat keinen Platz für unsere Gesundheit! Die herrschende Klasse will ihre ökonomische Stellung sichern. Deshalb kürzt sie Löhne, privatisiert Spitäler und spart in den Pflegeheimen. In der aktuellen tiefgreifenden Systemkrise kannibalisieren die KapitalistInnen unsere Gesundheit. Die Coronakrise hat es  überdeutlich entlarvt: Bosse nehmen die Ansteckung ihrer Angestellten mit dem Virus in Kauf, um die Profite zu sichern.

Wir können uns das ungesunde System nicht mehr leisten! «Ökonomisierung» und Ressourcenmangel haben keinen Platz in unserer Gesundheitsversorgung. Medizinisches Fachwissen und nicht Profitlogik sollte die Spitäler dominieren. Die bestmögliche Versorgung von PatientInnen benötigt genügend Zeit und Personal. Privatisierte Kliniken müssen wieder verstaatlicht und von den Angestellten geleitet werden. Die Krankenkassen sollen zu einer öffentlichen Kasse zusammengeschlossen und demokratisch kontrolliert werden. Alle Sparmassnahmen müssen rückgängig gemacht werden und die Gesundheitsversorgung muss über Steuern auf die Gewinne der Kapitalisten finanziert werden. Das reduziert auch bürokratischen Aufwand. Davon profitieren alle ArbeiterInnen. Der Kampf für eine qualitativ hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung hat das Potential, die ganze Klasse solidarisch zu vereinen. Wir nehmen den Kampf auf gegen dieses ungesunde System. 

Lukas Nyffeler

JUSO Stadt Bern

Bild: flickr.com

Lektüreliste

Artikel zur Lage des Gesundheitssystems: 

Berichte von ArbeiterInnen im Gesundheitssektor:

Artikel über die Pharmaindustrie:

Artikel zur psychischen Gesundheit

Informationen zum Gesundheitssystem