Die Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung ist reich an Kämpfen. Zum 1. Mai wollen wir einen Blick auf sie werfen und drei Lektionen daraus ziehen für heute.

Millionen von Franken an Dividenden – Kurzarbeit und Entlassungen. Gigantische Immobilienprofite – Familien die ihr Zuhause verlieren. Obwohl Corona und die Wirtschaftskrise die Klassengegensätze in unserer Gesellschaft ins Scheinwerferlicht rücken, erzählt uns die herrschende Klasse, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Das ist keine neue Lüge. In der bürgerlichen Geschichtsschreibung hat sie Tradition. Klassengegensätze und insbesondere die Kämpfe wurden schon immer verschwiegen. Doch: Geschichte ist Klassenkampf – auch in der Schweiz.

Für RevolutionärInnen ist es zentral, die Lüge der konfliktfreien Geschichte zu entlarven. Denn die vergangenen Kämpfe zeigen was möglich ist und enthalten wertvolle Lektionen. Wir sehen bereits heute, dass die ArbeiterInnnen in der Pflege, dem öffentlichen Dienst, an den Flughäfen und anderswo sich dagegen wehren, dass die Kosten der Krise auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Diese Kämpfe werden weiter zunehmen. Um darauf vorbereitet zu sein und damit sie erfolgreich sein können, müssen wir auf den besten Traditionen der Arbeiterklasse aufbauen.

Die Schweiz ist keine Insel

Die Schweiz ist gänzlich in die Weltwirtschaft integriert und vom Ausland abhängig. So erschütterten die Krisen 1929 und der 70er Jahre auch die angeblich so stabile Schweiz. Die sozialistischen Ideen kamen im 19. Jahrhundert vor allem durch die politischen Flüchtlinge aus Polen und Deutschland, später insbesondere durch die italienischen KommunistInnen in die Schweiz. Revolutionäre wie Lenin und Trotzki kamen während dem ersten Weltkrieg in die Schweiz und 1915, nach dem Verrat der sozialdemokratischen Parteien der Zweiten Internationale, versammelten sich im bernischen Zimmerwald Kriegsgegner um Lenin und legten den Grundstein für die Kommunistische Internationale. Die Revolution in Russland 1917 inspirierte auch RevolutionärInnen hierzulande und führte zur Gründung der Kommunistischen Partei.
Auch heute sind die Grundprobleme der Schweizer Arbeiterklasse und Jugend die Gleichen wie in anderen Ländern: das kapitalistische Ausbeutungssystem mit all seinen hässlichen Auswüchsen, wie Frauenunterdrückung, Rassismus, Klimakatastrophe. Gerade deshalb sehen wir seit einigen Jahren Bewegungen in der Schweiz, die ihren Ursprung in anderen Ländern haben. Der Klimastreik, die BLM-Proteste oder der Frauenstreik zeigen, dass die Jugend und die ArbeiterInnen auch heute sehr sensibel auf die Weltereignisse reagieren und sich davon inspirieren lassen. So wird es auch bei kommenden Ereignissen sein.

Gekämpft wurde immer in der Schweiz

Das Kampfniveau ist nicht immer gleich hoch. Nachfolgend deshalb ein grober Überblick über die Entwicklung der Streiktätigkeit.
– bis 1914: hohe Rate an Streiks und sonstigen Klassenkämpfen
– November 1918: Landesstreik
– 1930/40er Jahre: Streikwellen
– 50er und 60 Jahre: wenig Kämpfe
– 70er Jahre: Mässiges Wiederaufbäumen der Klassenkämpfe
– 80er bis Mitte der 90er Jahre: wenig Kämpfe
– 90er und frühe 2000er: Neue Welle an Kämpfen.

Wer nicht kämpft hat schon verloren

War der organisierte Widerstand gegen die Angriffe der Kapitalisten gering, wie in den 80er und der ersten Hälfte der 90er Jahre, resultierten logischerweise Rückschritte bei Lohn und Rechten. Doch die Geschichte zeigt uns auch: Wenn gekämpft wurde, dann wurde etwas erreicht. Im Landesstreik im November 1918 legten hunderttausende ArbeiterInnen drei Tage lang die Arbeit nieder. Zwar kapitulierte das Oltener Aktionskomitee gegenüber einem massiven Militäraufgebot bedingungslos. Doch ohne den heroischen Kampf der ArbeiterInnen wären die 48 Stunden-Woche oder das Proporzwahlrecht wohl noch länger nur Wunschträume geblieben. Oder der erfolgreiche Kampf der SBB-Cargo-ArbeiterInnen in Bellinzona 2008. Durch einen 33-tägigen Streik und eine Betriebsbesetzung konnten sie gemeinsam die Schliessung ihres Werks verhindern. Zentral war dabei, dass eine aktive Basis die Kontrolle über den Streik innehatte und vorbildliche Solidarität im ganzen Kanton Tessin organisierte.

Wenn wir kämpfen, können wir gewinnen. Die Arbeiterbewegung ist dann stark, wenn eine aktive Basis vorhanden ist. Aber die Erfahrungen vom Landesstreik und Bellinzona verdeutlichen auch, dass es für nachhaltige Erfolge neben der aktiven Beteiligung der ArbeiterInnen auch Organisationen braucht, die sich bedingungslos auf den Standpunkt der Arbeiterklasse stellen.

Die Organisationen der Arbeiterklasse

Es gibt zwei wichtige: SP und Gewerkschaften. Die Entwicklungen der beiden verliefen keineswegs linear, sondern waren von interner Opposition (linke wie auch rechte) geprägt. Konnte die linke Opposition eine Mehrheit hinter sich bringen und gab es entsprechende programmatische oder strategische Veränderungen, war die Arbeiterklasse besser für den Kampf gerüstet. Die SP konnte beispielsweise mit einem klassenkämpferischen Programm 1920 breite Teile der Bevölkerung gewinnen. In den 40er Jahren hingegen beschleunigten Veränderungen im globalen Kräfteverhältnis die Integration der SP in den Bundesrat. Indem die Bourgeoisie die Opposition einband, verhinderte sie tiefgreifende Reformen und lässt die SP heute gar Konterreformen umsetzen. Dadurch hat sich die Basis der SP und damit auch ihre Politik verändert. Der heutige SP-Reformismus kann der Arbeiterklasse in der Krise keine Antworten bieten. Schlimmer noch, die SP stellt durch ihre Politik und ihren Fokus auf Wahlen ein Hindernis im Kampf dar. Doch weiterhin blicken viele ArbeiterInnen für Rat zur SP. Deshalb fordern wir, dass die SP einen Klassenstandpunkt einnimmt – die Kampffähigkeit der Arbeiterklasse steigt, je klarer und kämpferischer die Position der SP ist.

Gewerkschaften sind die natürliche Organisationsform der ArbeiterInnen. Die ArbeiterInnen schliessen sich zusammen und überwinden die Konkurrenz unter ihnen. Auf diese Art waren sie stets ein wichtiger Faktor in der Organisierung der Schweizer Arbeiterklasse und in ihrer Bewusstseinsentwicklung. Doch allen voran der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat sich in den letzten 100 Jahren immer mehr mit dem bürgerlichen Staat arrangiert. Insbesondere durch die Einführung des verhängnisvollen Arbeitsfriedens 1937 und der finanziellen Abhängigkeit davon sind die Gewerkschaften heute ein Hemmnis in der Radikalisierung und damit eine Stütze des Systems.

Zwar begann mit der Gründung der UNIA 2004 eine neue Periode, in der sich in einigen Branchen eine Kampftradition etablieren konnte. Doch die lang andauernde Passivierung innerhalb der Gewerkschaftsstrukturen hat die interne Demokratie weitgehend erstickt. Mit dem Festhalten an der Sozialpartnerschaft werden die Gewerkschaften kein Mittel für den Kampf der ArbeiterInnen sein. Doch die aktuellen Kämpfe lassen Hoffnung entstehen. Es wird in der Schweiz unweigerlich zu mehr Kämpfen kommen. Dabei werden sich die ArbeiterInnen als erstes an die existierenden Gewerkschaften wenden. Durch einen massiven Zulauf neuer Schichten, können die bürokratische Verkrustung aufgebrochen und die Gewerkschaften zu echten Werkzeugen für den Kampf geformt werden.

Die Schweizer Geschichte ist geprägt vom Klassenkampf – egal was uns die Bürgerlichen erzählen wollen. Sie ist reich an Lektionen. Wir müssen sie studieren, um zu lernen, die gleichen Fehler nicht zu wiederholen und um im Kampf gegen den Kapitalismus erfolgreich zu sein!

Kevin Wolf
JUSO Stadt Bern
02.06.2021

Bildquelle: Climatestrike Switzerland Flickr

“Es ist unmöglich auf zwei Seiten eine Zusammenstellung aller Kämpfe zu liefern. Die Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung hat noch viel mehr zu bieten. In unserer Broschüre halten wir die wichtigsten Ereignisse und die Lektionen für die heutige Zeit fest. Du kannst “Eine kleine Geschichte der Arbeiterbewegung” bestellen, unter www.derfunke.ch/abo”