In Chur trafen die Delegierten der JUSO zusammen, um die Frage zu klären: EU-Beitritt „Ja“ oder „Nein“. Insgesamt standen drei Papiere zur Auswahl, die von zwei Arbeitsgruppen und der Geschäftsleitung stammen. Nach hitzigen Diskussionen setzte sich das Papier der Führung durch. Was nun aber das genaue Verhältnis der JUSO zur EU ist, bleibt weiterhin umstritten.

Am 1. September trafen über hundert JUSOs in einem Churer Kirchgemeindehaus zusammen um über den EU-Beitritt der Schweiz zu debattieren. Im Vorfeld war eine Arbeitsgruppe entstanden, welche ein JUSO-Positionspapier zur EU hätte erarbeiten müssen, sich aber sehr schnell in dieser Frage spaltete. Es wurden somit zwei Papiere von einer Pro-EU- und einer Anti-EU-Gruppe geschrieben, Das sozialliberale EU-Papier der Befürworter schaffte es dabei nicht, die in der JUSO stattfindenden Diskussionen aufzufangen und wäre bei einer Gegenüberstellung chancenlos geblieben. Die Geschäftsleitung (GL) schaltete sich deshalb ein und publizierte unter dem Titel „Für ein Europa der Menschen, gegen ein Europa der Finanzmärkte“ ein zweites Pro-Papier. Die Delegierten durften also zwischen drei Papieren auswählen.

Nach zwei Gastrednern – dem Bündner SP-Präsidenten und dem SGB-Gewerkschafter Vasco Pedrina, die sich beide für einen EU-Beitritt aussprachen – wurden die Papiere bereinigt. Einzig das GL-Papier hatte zwei Anträge: Einer der Bündner Sektion, welches einen bedingungslosen Beitritt zur EU forderte und einer der Zürcher Sektion. Der Zürcher-Antrag betraf den Schlussabschnitt. Dort wurde, entgegen des GL-Gegenvorschlages, als Bedingung für einen EU-Beitritt gefordert, dass in „der Schweiz keine sozialen und demokratischen Errungenschaften aufgegeben werden müssten.“ Der Erste wurde mit einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt, der Zweite wurde klar angenommen. Dies bedeutet faktisch, dass ein EU-Beitritt der Schweiz momentan von der JUSO Schweiz abgelehnt wird. Nach rund einer Stunde Diskussion setzte sich das Pro-Papier der GL gegen das Anti-EU-Papier mit 61:41 Stimmen relativ knapp durch. Das ursprüngliche Papier der Befürworter blieb wie erwartet chancenlos.

Mit einer geeinten Linken zu einer starken, sozialen EU

Die Essenz des von der Versammlung verabschiedeten Papiers lautet, dass die EU ursprünglich ein Projekt zur Einigung Europas und somit der Überwindung des Nationalstaates war, heute von den Neoliberalen und Nationalisten geentert wurden. Sie kann deshalb die ihr zugedachte Rolle, den globalisierten Grosskonzernen Paroli zu bieten, nicht mehr spielen und dient stattdessen als „Karren der KapitalbesitzerInnen“. Die exportorientierten Länder dominieren das Konstrukt und die Kommissionen entmachten das Parlament. Die Schweiz habe kein Mitspracherecht, müsse aber die Mehrzahl der neuen EU-Gesetze übernehmen. Es liege nun an der Schweizer Sozialdemokratie Verantwortung zu übernehmen, in die EU zu gehen und dort für linke Mehrheitsverhältnisse zu kämpfen. Es gäbe keine Alternative, denn sie wäre das einzige „Gebilde, welches ein sozialistisches Europa ermöglichen kann und wird.“

Nein zur EU – Für ein sozialistisches Europa der Lohnabhängigen

Das von uns mitredigierte EU-kritische Papier versuchte die Geschichte der EU nachzuzeichnen und deren Charakter als Ausbeutungsinstrument der Besitzenden zu entlarven. Die in die EU projizierten Hoffnungen vieler Linken hat sich als Illusion herausgestellt. In der von den Bürgerlichen angefachten EU-Diskussion müsse man einen konsequenten Klassenstandpunkt vertreten – die Arbeiterklasse kämpft für ihre Interessen und nicht für die von einzelnen Ausbeutergruppen. Die Schweizer Arbeiterschaft aber könne durch einen EU-Beitritt nur verlieren: Sie verlöre direktdemokratische Instrumente und übernähme Gesetze, welche Einschnitte in den Lebensstandard bedeuteten. Gerade heute, wo die EU als eines der wichtigsten Unterdrückungsinstrumente von Arbeitskämpfen fungiert, wären Alternativen nötiger denn je. Würde eine sozialistische Partei mit einem wirklich linken Programm in einem EU-Land an die Macht kommen, würde das nicht zu einem Linksrutsch in Brüssel führen, sondern zu massiven Angriffe von Seite der EU bis hin zu einem Ausschluss des betreffenden Landes. Sozialistische Forderungen werden deshalb innerhalb der EU chancenlos bleiben, Reformen nur dann toleriert, wenn sie die herrschenden Besitzverhältnisse nicht in Frage stellen. Die einzige Möglichkeit besteht darin, dass die linken Kräfte in Europa sich neu formieren, sich organisieren und ihre eigenen Strukturen aufbauen. Das Papier endet darum auch mit der Forderung nach einer wirklichen sozialistischen Internationalen in Europa.

Zum Vorwurf des „linken Nationalismus“

Die EU steckt in ihrer schwersten Krise seit Bestehen, Zehntausende stehen kurz vor der Rückkehr in die Barbarei, die Strassen brennen und die Kassen klingeln. Die EU ist ein politisch und emotional aufgeladenes Thema, deshalb verwunderte es auch nicht, dass die Diskussionen an der Delegiertenversammlung hitzig bis polemisch wurden. Die Argumentationslinie ähnelte der um die Frage der Regierungsbeteiligung. Dort standen die Frage des bürgerlichen Staates und seine Reformierbarkeit im Zentrum. Neu wurde uns jedoch auch wiederholt „linker Nationalismus“ vorgeworfen, was nicht wenige unserer Genossen irritierte, die sich trotz EU-Ablehnung (noch) nicht mit der SVP in einem Boot sehen. Dieses Argument basierte hauptsächlich darauf, dass die Befürworter die EU als einzige Möglichkeit sehen „Internationalismus“ zu praktizieren und dass eines unserer Argumente gegen einen Beitritt zur EU war, dass dieser mit Abbau von wirtschaftlichen und demokratischen Rechten der Schweizer Lohnabhängigen verbunden ist.

Dieses Argument lässt sich leicht entkräften wenn man bedenkt, dass „Internationalismus“ auch (und vor allem) aussenparlamentarisch betrieben wird. Einem französischen Genossen läge nichts ferner als von einem Schweizer Arbeiter zu verlangen, er solle soziale und gewerkschaftliche Einbussen in Kauf nehmen, die er sich in mühsamen Arbeitskämpfen erstritten hat, nur um gefälligst Abgeordnete ins Europaparlament zu schicken. Völlig absurd wird der Vorwurf letztendlich, wenn man bedenkt, dass unsere zentrale Aussage, dass ein EU-Beitritt nicht zu einem Abbau von sozialen Errungenschaften führen darf, durch Annahme des Zürcher Antrags ja bereits im GL-Papier stand.

Kritik

Der Vorwurf des „Nationalismus“ kann aber leicht gegen seinen Vorbringer verwendet werden, denn wer derart unbedarft mit Begriffen umgeht, hat sie womöglich falsch verstanden. Auch die GL scheint Mühe mit dem Begriff Nation zu haben. Die Staatenlosigkeit erreichen will man durch „eine Politik, welche die emanzipatorische Errungenschaft des Nationalstaates weiterdenkt und ihn in diesem Geiste überwindet.“ Der Staat erscheint hier als blosses Gedankenkonstrukt ohne jegliche sozioökonomische Grundlage. Dass Nationalstaaten auch Klassenstaaten sind, die verschiedene Gesellschaftsschichten beinhalten, wird völlig ausgeblendet. Nicht nur, dass der Gegensatz zwischen Lohnabhängigen und Besitzenden ausgeblendet wird und man stattdessen von Neoliberalen spricht, die „Staaten in ihre Geiselhaft zu nehmen und ganze Völker gegeneinander ausspielen“, man vergisst auch, dass Internationalismus ohne Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsverhältnissen immer zum Scheitern verurteilt sein wird. So zieht man im Papier den Schluss, dass die Macht unter den verschiedenen Ländern innerhalb der EU ungleich verteilt ist. Nicht die Besitzenden herrschen über die Lohnabhängigen, sondern starke Nationen über schwache. Ganz im Sinne der Bürgerlichen wird suggeriert, es gäbe gar keine nationalen Besitzenden mehr, nur noch Mächtige, welche die Länder und Menschen bedrohen. Die Nationalstaaten wurden im Papier schon derart „überwunden“, dass man „im Geiste“ auch die Ausbeuterklasse mit überwunden hat. So handelt es sich bei der EU nicht mehr um eine zerstrittene Union der Besitzenden, sondern um den Zusammenschluss verschiedener Nationalstaaten mit homogenen Interessen.

Jein zur EU

Abschliessend kann man sagen, dass die JUSO mit Verabschiedung dieses Papiers eine sehr widersprüchliche Position angenommen hat. Das Papier lässt kein gutes Haar an der EU, ringt sich dennoch durch, zum Beitritt aufzurufen – aber nur unter Bedingungen, die diesen zurzeit komplett ausschliessen. Es bleibt nach dieser Debatte so einiges unklar. Wann sollen nun die Bedingungen, welche für die Unterstützung des EU-Beitritts gestellt werden, überprüft werden. Heisst dies nun, dass die JUSO sich nun gegen eine Mitgliedschaft ausspricht? Tut sie dies auch in den Debatten in der SP? Dass von JUSO-Seite keine Kritik an der Forderung des bedingungslosen EU-Beitritts im neuen SP-Kurzprogramm gekommen ist, zeigt, dass die Debatte leider wenige Konsequenzen gehabt hat. Man hat die Chance verpasst, die für praktisch jedermann unverständliche EU-Position der Sozialdemokratie zu korrigieren. Nach der Verabschiedung des Papiers ist die darin vertretene Position der JUSO in der Basis umstritten. So reagierten einige Mitglieder mit ziemlichem Unmut auf einen Artikel im Tagesanzeiger, welcher über ein „Ja“ der JUSO zu einem EU-Beitritt berichtete. Andere verstehen die beschlossenen Positionen hingegen sehr wohl als Aufruf, sich ab sofort für eine sofortige Mitgliedschaft stark zu machen. David Roth fasste dann auch die gesamte Diskussion in seiner Schlussrede mit den Worten zusammen: „Niemand will die EU so, wie sie ist“.