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n der Jahresversammlung der JUSO Schweiz (9.-10. Februar 2019) wird ein Positionspapier der Geschäftsleitung zur Care-Arbeit diskutiert. Die marxistische Strömung möchte mit dem nachfolgenden Gegenpapier Grundlagenpapier Soziale Reproduktion: Wie wir den Kampf gegen die Frauenunterdrückung führen einen Beitrag zu dieser wichtigen Debatte leisten. Wir sind der Meinung, dass bei solchen theoretischen Grundsatzdebatten die verschiedenen Positionen innerhalb der Partei auf den Tisch kommen und debattiert werden sollen. Auf diese Weise können wir uns selber weiterbilden, theoretische Klarheit für unsere Politik schaffen und das Niveau der ganzen Partei heben. Deshalb fordern wir alle Sektionen und GenossInnen dazu auf, sich mit den Papieren auseinanderzusetzen und freuen uns auf eine hochstehende Debatte!

Grundlagenpapier Soziale Reproduktion: Wie wir den Kampf gegen die Frauenunterdrückung führen

Die herrschende Klasse wälzt die kapitalistische Krise nun schon seit einem Jahrzehnt mit voller Wucht auf die arbeitende Klasse ab. Besonders hart trifft es dabei die Frauen. Dies sehen wir einerseits anhand der Kämpfe, welche als Reaktion auf die bourgeoisen Strategien zur Krisenbewältigung (Sozialabbau) ausbrechen. Beispiele dafür sind Streiks von Pflegepersonal und Lehrpersonen oder die weltweiten Frauenstreikbewegungen. Andererseits stützen sich die reaktionärsten Teile der Bourgeoisie, verkörpert etwa durch Trump, Bolsonaro und Konsorten, verstärkt auf reaktionäre und frauenverachtende Argumente. Sie ihrerseits werden von Kämpfen für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper oder der #metoo-Bewegung gekontert.

Diese Kämpfe brechen nicht zufällig aus. Es wird immer deutlicher, dass der Kapitalismus unfähig ist, die freie Entfaltung der Menschen zu ermöglichen – zu sehr wird sie von diskriminierenden Geschlechterrollen eingeschränkt. Das sehen wir auch anhand konkreter Mechanismen wie Lohndiskriminierung und Sexismus, die wiederum die Lohnabhängigen entlang der Geschlechter spalten und so den Kampf gegen den Kapitalismus lähmen. Die Frauenunterdrückung ist ein integraler Bestandteil des Kapitalismus. Deswegen brauchen wir auch ein fundiertes Verständnis davon, wie die Unterdrückung der Frau im Kapitalismus aufrechterhalten wird und wie sie zu überwinden ist. Klar ist: Nur der gemeinsame Kampf für den Sozialismus wird zur Befreiung der Frauen und aller Menschen führen.

In manchen Kreisen der Linken wird diese Frage unter dem Übernamen der «Care-Debatte» diskutiert. Damit wird auf einen zentralen Aspekt der Frauenunterdrückung aufmerksam gemacht: Die besondere Arbeitslast, die bis heute in allen kapitalistischen Ländern vor allem Frauen aufgebürdet wird. Doch der Care-Begriff liefert für die Analyse dieses Problems nicht das richtige Instrument: In erster Linie vermischt er die unbezahlte und bezahlte Reproduktionsarbeit.[1]  Die überwiegende Zuständigkeit von Frauen für die unbezahlte Reproduktionsarbeit ist der Schlüssel, um Frauenunterdrückung im Kapitalismus zu verstehen. Ignoriert man diesen Punkt, führt das zu Illusionen in einen Staatsapparat, der im aktuellen Gesellschaftssystem weder fähig noch gewillt ist, die Unterdrückung der Frau aufzuheben. Die Frage, wie die Reproduktionsarbeit gesellschaftlich organisiert wird, ist keine moralische Frage. Hier prallen die eiskalten Profitinteressen des Kapitals auf das Interesse der Lohnabhängigen für ein menschenwürdiges Leben. Im Kapitalismus ist Reproduktionsarbeit schlicht weniger «wert» – das müssen wir aufzeigen und zugleich einfordern, dass die ganze Gesellschaft für die Reproduktionsarbeit verantwortlich gemacht werden soll. Doch dies ist gemäss der kapitalistischen Profitlogik nicht möglich.  Es reicht daher nicht aus, (unbezahlte) Care-Arbeit «sichtbar» zu machen. Vielmehr muss die gesellschaftlich geleistete Reproduktionsarbeit grundlegend anders organisiert werden – und zwar im Interesse der Lohnabhängigen!

Dazu müssen wir die Gesellschaft als Ganzes verstehen und analysieren. Es gibt nicht mehrere parallele Unterdrückungssysteme – die verschiedenen Formen der Unterdrückung sind Teil des gleichen Systems. Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus oder Sexismus. Die Befreiung der Frauen und aller Menschen kann nicht vom Kampf gegen den Kapitalismus getrennt werden. Dafür gibt uns die marxistische Methode, wie wir im Folgenden zeigen möchten, das richtige Werkzeug in die Hand.

These 1: Die historisch gewachsene geschlechtliche Arbeitsteilung bildet die Grundlage der Frauenunterdrückung, die einen zentralen Teil aller Klassengesellschaften darstellt.

Die Produktion von Lebensmitteln und die Reproduktion menschlichen Lebens selbst sind für das Bestehen jeder Gesellschaft zentral und bedingen sich gegenseitig. Entsprechend finden sie in jeder Gesellschaft statt – nur werden sie entsprechend der Gesellschaftsform unterschiedlich organisiert. Klassengesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass die unterdrückte Klasse durch die herrschende Klasse im Produktionsprozess[2] ausgebeutet wird. Um diese Ausbeutung längerfristig zu garantieren, ist die herrschende Klasse darauf angewiesen, dass die unterdrückte Klasse jeden Tag zur Ausbeutung bereitsteht, das heisst, sich reproduzieren kann.

Vor rund 3000 Jahren führte ein Jahrtausende anhaltender Entwicklungsprozess zur erstmaligen Erwirtschaftung eines gesellschaftlichen Mehrprodukts[3] und der Unterwerfung der Frau.[4] Das Mehrprodukt fiel in die Sphäre und in den Besitz des Mannes. Begründet wird dies durch die damals bereits bestehende herrschende Arbeitsteilung, welche auf die Gebärfähigkeit von Frauen zurückzuführen ist: In der entstehenden monogamen Familie wurde die Frau zunehmend in die reproduktive Sphäre verdrängt und hatte dadurch keinen Zugang mehr zu denjenigen Wirtschaftszweigen, in welchen Eigentum angehäuft wurde (z.B. Viehzucht). Somit liefert die historisch unterschiedliche Stellung von Männern und Frauen im (Re-)Produktionsprozess die Grundlage für die Unterdrückung der Frau.

Geschlechterunterschiede können nicht getrennt von dem gesellschaftlichen System, in dem sie auftreten, betrachtet werden. Zwar spielten biologische Unterschiede schon immer eine Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Reproduktion. Erst im Zusammenspiel mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln wurden die Geschlechterverhältnisse aber unterdrückerisch. Die geschlechtliche Arbeitsteilung wird seit Jahrtausenden den Bedürfnissen der herrschenden Klasse angepasst, in verschiedenen Formen weitergegeben und ideologisch geschützt. Heute bietet der gewaltige materielle Überfluss das Potential, die Gesellschaft so zu organisieren, dass Geschlechterunterschiede keinerlei Rollen mehr für die soziale Position spielen müssten. Die geschlechtliche Arbeitsteilung und somit die Unterdrückung der Frau werden heute nur noch künstlich durch den Kapitalismus aufrechterhalten.

Für uns sind hier zwei Schlussfolgerungen zentral. Erstens: Die Rolle der Frau im Reproduktionsprozess bestimmt ihre Position in der Klassengesellschaft und somit die allgemeine Frauenunterdrückung. Zweitens: Die Reproduktion ist im Interesse der herrschenden Klasse organisiert.

Frauenunterdrückung und Reproduktionsarbeit im Kapitalismus
These 2: Die Reproduktionsarbeit wird im Kapitalismus in die proletarische Familie verlagert.

An sich gibt es keine feste Form, wie die Reproduktion der ArbeiterInnenklasse im Kapitalismus organisiert wird. Aber für die KapitalistInnen ist eines klar: Diese Arbeit soll sie möglichst wenig kosten. Dazu greift der Kapitalismus primär auf die Institution der Kernfamilie zurück. Es gibt nicht die Familie – je nach Klassenzugehörigkeit der Familie hat sie eine andere Aufgabe in der Gesellschaft. So ist die Familie der Bourgeoisie verantwortlich für das Weitervererben von Kapital und Eigentum, im Gegensatz zur proletarischen Familie, welche für den Erhalt der ArbeiterInnenklasse zuständig ist.

Die proletarische Familie ist ein Produkt des Kapitalismus. Der Kapitalismus förderte die Trennung von der produktiven Arbeit im Betrieb und der reproduktiven Arbeit in den eigenen vier Wänden. So führte die Industrialisierung zum Absterben von mehrgenerationalen Familienwirtschaften und der Heimindustrie. Produktion und Reproduktionsarbeit finden nicht mehr beide innerhalb der Familie, sondern räumlich und zeitlich getrennt statt. Im Kapitalismus gehen die ArbeiterInnen nach getaner Arbeit nach Hause, müssen sich Lebensmittel besorgen und sie zu Essen verarbeiten.

These 3: Weder der bürgerliche Staat noch der Markt können die Gratisarbeit in den Familien ersetzen.

Natürlich könnte die Reproduktionsarbeit theoretisch auch durch öffentliche Kitas, Kantinen, Altersheime und Tagesstätten verrichtet werden. Doch dies müsste über Steuern finanziert werden, was unweigerlich auf die Profitraten des Kapitals drücken würde. Es sind rund 2/3 des Bruttoinlandprodukts,[5] das aufgewendet werden müsste, um diese Arbeiten durch die öffentliche Hand anzubieten. Deswegen haben die KapitalistInnenen ein grosses Interesse daran, diese Arbeit in den Privathaushalten zu belassen. So deckt das Kinderkrippen-Angebot 11%, die Mittagstische 10% und die Tagesschulen nur 6% der Kinder in der Schweiz ab.[6] Zwar wurden in einigen Ländern, v.a. in Skandinavien, in der Nachkriegszeit gewisse Errungenschaften in diesem Bereich erkämpft. Das wurde aber erstens nur durch die organisierte ArbeiterInnenbewegung ermöglicht, und zweitens stehen diese Einrichtungen permanent unter Spardruck, besonders seit Krisenausbruch 2007/2008. Denn der bürgerliche Staat richtet sich nach den Profitinteressen der KapitalistInnen und kann daher die Gratisarbeit in den Familien nicht ersetzen.

Zwar hat der Kapitalismus einige Bereiche der Reproduktionsarbeiten obsolet gemacht oder vereinfacht, indem er sie zur Ware gemacht hat. Dazu gehören etwa die Lebensmittelproduktion oder Waschmaschinen. Doch gerade Pflege- und Betreuungsarbeiten (von Kinder, Alten und Invaliden/Kranken) können nur schwer zur Ware gemacht werden. Denn in diesen Bereichen sind Produktivitätssteigerungen nur schwer möglich. Deswegen sind solche Dienstleistungen, wenn sie von privaten Firmen angeboten werden, sehr teuer (ein 100%-Kita-Platz kostet in der Regel über 2000 Fr.) und sind für den grössten Teil der Lohnabhängigen nicht bezahlbar. Private kapitalistische Unternehmen, welche solche Dienstleistungen anbieten, überleben in der Regel nur, weil sie einerseits häufig subventioniert werden (z.B. Kitas, Spitex, Alters- und Pflegeheime) und andererseits die Angestellten sich mit miserabelsten Löhnen und Arbeitsbedingungen zufrieden geben müssen (am härtesten trifft es hier in der Regel Migrantinnen). Wir sehen also: Der Kapitalismus ist darauf angewiesen, dass die Reproduktionsarbeit grösstenteils unbezahlt in der Familie verrichtet wird.

These 4: Trotz Unterdrückungsmechanismen und Rollenbildern – Die proletarische Familie wird als Ganzes vom Kapital ausgebeutet.

Innerhalb der proletarischen Familie gibt es eine ausgeprägte geschlechtliche Arbeitsteilung. Frauen verrichten heute nach wie vor den Grossteil der Haus- und Betreuungsarbeit – in der Schweiz fast doppelt soviel wie die Männer. Dem Mann wird auf der anderen Seite die Rolle des Hauptverdieners zugewiesen. In mehr als der Hälfte aller Paarhaushalte in der Schweiz arbeitet der Mann Vollzeit, die Frau Teilzeit. Obwohl heute 71% der Frauen erwerbstätig sind,[7] bleibt doch der Mann nach wie vor mehrheitlich der «Hauptverdiener». Diese Arbeitsteilung wird durch ökonomische Mechanismen Tag für Tag von Neuem reproduziert. Frauen verdienen weniger und werden auf viele andere Arten auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und dadurch in die Hausarbeit gedrängt. Die geschlechtliche Arbeitsteilung mit “traditioneller” Rollenverteilung ist für die meisten proletarischen Familien also schon nur rein ökonomisch sinnvoll.

Somit bleiben die Frauen in den meisten Fällen ökonomisch vom Mann abhängig. Dies zeigt sich etwa an der prekären Situation der Alleinerziehenden: Alleinerziehende Mütter mit Kleinkindern erreichen mit einer Gesamtbelastung von über 70 Stunden Lohn- und Hausarbeit den statistischen Höchstwert. Zeitgleich ist die Armutsquote bei 12.7% fast viermal höher als bei den restlichen Erwerbstätigen.[8]

Arbeitende Frauen erfahren somit eine spezifische doppelte Unterdrückung: in der Lohnarbeit einerseits, innerhalb der Familie andererseits. Die ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Mann führt zur männlichen Vormachtstellung innerhalb der Familie. Die Frau gilt als sein «Anhängsel» oder gar sein Objekt, über das er verfügen kann. Dies wird ideologisch auf unzähligen Ebenen gefestigt. Schon von klein auf werden uns entsprechende Rollenbilder anerzogen. Auch Menschen, die ausserhalb dieser Familienform leben, sind von diesen Rollenbildern geprägt. Der Mann soll draufgängerisch, ehrgeizig und dominant sein, die Frau hingegen einfühlsam und fürsorgend, dafür aber unterwürfig. Diese binären Rollenbilder stellen auch die Voraussetzung für die Diskriminierung von Menschen ausserhalb dieser Geschlechterkategorien dar.

Dennoch ist es wichtig zu sehen, dass die Frauen nicht von den Männern ausgebeutet werden. Von der entlohnten Reproduktionsarbeit profitiert nämlich hauptsächlich das Kapital. Die Lohnarbeit und die Reproduktionsarbeit sind ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt, aber beide Arbeiten haben den Zweck, die Arbeitskraft der ganzen proletarischen Familie zu reproduzieren, damit sie von Neuem durchs Kapital ausgebeutet werden kann. Mit dem Lohn erwirbt die Familie die «Rohmaterialien» (z.B. Essen, Wohnung), welche aber nur durch die Hausarbeit (Kochen, Putzen, etc.) auch tatsächlich die Arbeitskraft reproduzieren. Kurz: Die proletarische Familie wird als Ganzes vom Kapital ausgebeutet.

Obwohl auf der zwischenmenschlichen Ebene brutale Unterdrückungsverhältnisse zwischen den Geschlechtern existieren, haben arbeitende Männer und Frauen dennoch das gleiche objektive Klasseninteresse, nämlich das Ende der kapitalistischen Ausbeutung. Doch um gemeinsam gegen das Kapital kampffähig zu werden, müssen innerhalb des Proletariats die Unterdrückungsverhältnisse zwischen den Geschlechtern bekämpft werden. Viele Arbeiter reproduzieren sexistische Vorurteile gegenüber Frauen und behindern somit den gemeinsamen Kampf. Umgekehrt zogen viele Frauenbewegungen immer wieder den Fehlschluss, in den männlichen Lohnabhängigen keine Verbündeten zu sehen. Für uns ist jedoch klar: Klassenkampf ist Frauenkampf und umgekehrt!

These 5: Doppelbelastung – Die Lohnarbeitist für die Frauen nur potenziell emanzipierend.

Die nach wie vor überwiegende Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktionsarbeit beeinflusst die Stellung der lohnabhängigen Frau in der Familie, auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Das Kapital hat dabei widersprüchliche Anforderungen an die proletarischen Frauen. Sie sollen die unbezahlte Hausarbeit übernehmen und zudem auch als billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Dies führt für die arbeitenden Frauen zu einer unhaltbaren Doppelbelastung. Deswegen arbeitet ein Grossteil (60%) der Frauen in der Schweiz Teilzeit. Die typischen «Frauenbranchen» (Betreuung & Erziehung, Pflege, Detailhandel und Administration) sind deswegen besonders «flexibilisiert» und somit von sehr prekären Arbeitsbedingungen und tiefen Löhnen geprägt. Diese geschlechterspezifische Berufswahl ist wiederum Ausdruck der ungleichen Sozialisierung nach klaren Rollenbildern.

Doch nichtsdestotrotz bleibt der Einzug der Frauen in die Lohnarbeit ein potentiell emanzipierender Faktor. Ein eigenes Einkommen fördert die ökonomische Selbständigkeit, auch wenn dies für die meisten arbeitenden Frauen im Kapitalismus eine krasse Doppelbelastung von Haus- und Lohnarbeit mit sich bringt. Der Einbezug der Frauen in die Produktion stärkt aber das Potential der gesamten arbeitenden Klasse: Arbeitende Frauen haben eine stärkere Position gegenüber dem Kapital als eine Hausfrau, die in den vier Wänden des Haushalts isoliert ist. In der Lohnarbeit hingegen befindet sich die arbeitende Klasse genau an dem Hebel, um die herrschende Klasse empfindlich treffen zu können. Deswegen sind Forderungen nach «bezahlter Hausarbeit» kontraproduktiv, denn sie zementieren die Rolle der Frauen im Haushalt, anstatt sie davon zu emanzipieren. Stattdessen kämpfen wir für die vollumfängliche Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit. Denn nur so können Frauen vollumfänglich und gleichberechtigt an der Produktion und am öffentlichen und politischen Leben teilnehmen.

Was tun?
These 6: Für mehr Kitas und Kantinen! Die Vergesellschaftung der Hausarbeit ist eines der wichtigsten Zugpferde des revolutionären Kampfes.

Um die Unterdrückung der Frau aufzuheben, müssen wir sie von der Last der Reproduktionsarbeit befreien. Dabei geht es nicht darum, die Arbeit zwischen Mann und Frau «gerechter» aufzuteilen. Die Familie ist ein Hort für konservative und reaktionäre Ideologien, doch sie ist noch viel mehr. Die proletarische Familie ist eine wesentliche Stütze für die kapitalistische Wirtschaft, denn die KapitalistInnen profitieren wesentlich von der privat verrichteten Gratisarbeit. Wir müssen dafür kämpfen, dass die ganze Gesellschaft die Verantwortung und Kosten für die Reproduktion der arbeitenden Klasse trägt.

Deshalb fordern wir die Vergesellschaftung der Haus- und Betreuungsarbeit unter der Bedingung fairer Arbeitsbedingungen, finanziert durch die Bonzen und den Staat. Das heisst konkret:

  • Ein kostenloses flächendeckendes Netzwerk an Kindertagesstätten in jedem Quartier und jedem Betrieb – für jedes Kind einen Krippenplatz!
  • Den bedarfsdeckenden Ausbau öffentlicher Pflegeplätze
  • Kostenlose Kantinen in den Betrieben und Quartieren und kommunale Catering-Services für Haushalte
  • Kostenlose öffentliche Wäschereien und Reinigungsservices auf Quartierebene für Haushalte
  • Volkspension und staatliche Krankenkasse – von stark progressiven Steuern bezahlt!

Indem wir Haus- und Betreuungsarbeit aus der Familie herausnehmen und in die öffentliche Sphäre legen, brechen wir existenzielle Säulen des Kapitalismus. Wir verlangen, dass das Kapital vollumfänglich für die Finanzierung aufkommt. Doch dies ist natürlich unvereinbar mit der kapitalistischen Profitlogik. Deshalb ist die Befreiung der Frau eine revolutionäre Herausforderung, welche nur mit dem Sturz des Kapitalismus vollständig möglich ist.

Die Vergesellschaftung der Hausarbeit ist aber nur eine Seite der notwendigen Massnahmen. Solange Frauen hauptsächlich für die Haus- und Betreuungsarbeit zuständig sind, während sie gleichzeitig der Lohnarbeit nachgehen müssen, leiden sie unter Doppelbelastung. Die Lohnarbeit könnte Frauen potentiell emanzipieren, aber im Kapitalismus führt es eher zum Gegenteil. Deshalb fordern wir:

  • Eine drastische Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn – für Frauen und Männer
  • Mindestlohn von 2/3 des Durchschnittslohns – für alle Branchen
  • Aufbau von gewerkschaftlichen Angestelltenkomitees zur Kontrolle der Lohngleichheit
  • mindestens 12 Monate Elternschaftsurlaub

Diese Forderungen betreffen alle Lohnabhängigen. So stellen sie das Bindeglied zwischen den Geschlechtern her, das zeigt, dass Arbeiterinnen und Arbeiter ein gemeinsames Interesse haben.

These 7: Die ArbeiterInnenklasse ist das revolutionäre Subjekt in der kapitalistischen Gesellschaft

In den aufkommenden Frauenbewegungen dürfen wir nicht den Fehler begehen, Frauen als homogenen Block zu betrachten. Zwar teilen sie vielfach die gleichen Forderungen, in ihrer praktischen Umsetzung trennen sich diese Bewegungen aber entlang der Klassenlinien. Am Beispiel der Selbstbestimmung über den eigenen Körper lässt sich dies besonders plastisch darstellen: Während für bourgeoise Frauen allein die Legalität von Abtreibungen ausreicht, ist die Zugänglichkeit zu Kliniken an die finanzielle Situation gebunden. Für lohnabhängige Frauen stellt die Legalisierung von Abtreibungen vor allem eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen dar, wenn sie sich diese leisten können. Wir sehen: In letzter Instanz sind die Klasseninteressen ausschlaggebend. Zweifellos werden Frauen im Zentrum zukünftiger revolutionärer Bewegungen stehen. Doch ihr Kampf kann nur auf einer Klassengrundlage erfolgreich sein. Das revolutionäre Subjekt sind also alle Angehörigen der arbeitenden Klasse, nicht aber Frauen an sich.

Ihre Position im Produktionsprozess und somit der Gesellschaft macht die Lohnabhängigen zum revolutionären Subjekt – unabhängig von Geschlecht, Sexualität und Herkunft. Die ArbeiterInnenklasse ist die tätige Klasse. Alles, was um uns herum erbaut und produziert wird, entspringt ihrer Arbeit. Das heisst, dass sie geeint am Hebel der Macht sitzt, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst ist. Die ArbeiterInnenklasse ist das revolutionäre Subjekt, weil sie aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess die Macht hat, die Bourgeoisie zu stürzen und die Gesellschaft selbständig zu leiten.

Hier wird das sorgfältige Auseinanderhalten von der Arbeit im Produktionsprozess und der Hausarbeit in der Familie zentral. Streiken zum Beispiel PflegerInnen, so ist das ein direkter Angriff gegen den KapitalistInnen, welcher sie angestellt hat. Er verliert an den Streiktagen den Mehrwert, welcher aus ihrer Arbeit abschöpfen kann. Ihre Stärke überhaupt streiken zu können, ziehen sie aus dem kollektiven Charakter ihrer Arbeit. Hingegen sind Hausfrauen, welche keiner Lohnarbeit nachgehen, nicht nur aufgrund ihrer geringen Zahl (71% der Frauen in der Schweiz sind erwerbstätig) in einer anderen Situation. Die unbezahlte Reproduktionsarbeit wird individuell in der Familie organisiert. Hausfrauen können sich schwer zusammentun, gemeinsam ein Bewusstsein entwickeln und den gemeinsamen Feind bekämpfen. Weil es die individuelle Verantwortung der Frau ist, schadet sie mit einem Streik schlussendlich in erster Linie ihrem Kind, den übrigen betreuungsbedürftigen Familienmitgliedern oder sich selbst, anstatt dass sie gegen die Ursachen ihrer Unterdrückung kämpfen kann.

Die tief verankerte diskriminierende Ideologie der herrschenden Klasse wie Sexismus oder Rassismus werden auch in der arbeitenden Klasse reproduziert. Doch es ist gerade der gemeinsame Kampf gegen das Kapital, welcher imstande ist, diese zu überwinden. Deshalb müssen wir einerseits die verschiedenen Kämpfe auf einer Klassengrundlage vereinen, aber auch einhergehend mit unseren politischen Forderungen einen entschlossenen ideologischen Kampf gegen Sexismus und anderen Formen von Unterdrückung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung führen.

These 8: Die JUSO ist das Bindeglied zwischen den Kämpfen der Frauen und der ArbeiterInnenbewegung.

Als sozialistische Partei haben wir die Aufgabe, diese Kämpfe auf einer Klassenbasis zu vereinen und den ideologischen Kampf innerhalb der ArbeiterInnenbewegung voranzutreiben. Deshalb stellen wir uns gegen den spaltenden Feminismus, welcher die Unterdrückung der Frau rein durch Geschlechtergegensätze erklärt. Wir müssen aufzeigen, dass Junge und Lohnabhängige jeglichen Geschlechts, Sexualität und Herkunft vom Kapital unterjocht und von der herrschenden Klasse gegeneinander ausgespielt werden.

Die Vergesellschaftung der Hausarbeit und die drastische Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibenden Lohn sind unsere zwei Kernforderungen. Um sie umzusetzen, braucht es eine starke ArbeiterInnenbewegung. Denn es sind die Lohnabhängigen, welche durch die Niederlegung ihrer Arbeit die KapitalistInnen erpressen können und sie so dazu zwingen, Zugeständnisse zu machen. Dass Frauen in der ArbeiterInnenbewegung untervertreten sind, zeigt sich an den tiefen Zahlen vom gewerkschaftlichen Organisationsgrad in typischen Frauenberufen. Doch wir stellen uns gegen den Fehlschluss, dass somit die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen reaktionär sind. Es ist vielmehr unsere Aufgabe, dafür zu kämpfen, dass Frauen organisiert und besser in die ArbeiterInnenbewegung integriert werden.

Gerade angesichts des geplanten Frauenstreiks am 14. Juni 2019, fordern wir die Gewerkschaften auf, dass sie mit Hochdruck:

  • Frauen in sogenannten «Care-Jobs» (und anderen typischen «Frauenbranchen») organisieren und sich in den Betrieben verankern.
  • Die Bildung von Kontrollkomitees aus Angestellten vorantreiben, die gegen Lohnungleichheit und Lohndumping vorgehen.
  • Druck auf die Betriebe aufbauen, dass Kantinen, ganztägige Kinderbetreuung und Mittagstische für die Arbeitenden eingerichtet werden.

Die ArbeiterInnenklasse ist sich ihrer Stärke nicht bewusst. Sie braucht Kampferfahrung, um Selbstvertrauen zu erlangen und muss erstmal entgegen der bürgerlichen Ideologie ihre Interessen erkennen, d.h. ein Klassenbewusstsein entwickeln. Aber dieses Selbstvertrauen kommt nicht von punktuellen Mobilisierungen auf der Strasse und den Hinterzimmerverhandlungen der Führung mit den KapitalistInnen. Nur der direkte Eingriff der Menschen in ihre Realität und ihre Selbstermächtigung kann dieses Selbstvertrauen hervorbringen.

Deshalb ziehen wir die folgenden Schlussfolgerungen:

  1. Erst der Sturz des Kapitalismus kann Frauen zusammen mit der gesamten Menschheit vollständig befreien.
  2. Der Kampf der Frauen für ihre Rechte beginnt bereits im Kapitalismus.
  3. Diese Kampferfahrungen werden das Selbstvertrauen und das Klassenbewusstsein der Frauen sowie der gesamten ArbeiterInnenbewegung vorantreiben.
  4. Die Forderungen der Frauen sind ein Teil derjenigen der gesamten ArbeiterInnenklasse und werden die ArbeiterInnenbewegung weiter aufbauen.

Als sozialistische Partei stehen wir in der Verantwortung, diese Schlussfolgerungen zu verfolgen und die Anliegen der Frauen mit denjenigen der ArbeiterInnenbewegung zu verbinden. Ebenso müssen wir in dieser Bewegung jegliche Illusionen in das kapitalistische System zerstören.

 

Zum Positionspapier der Geschäftsleitung geht es hier lang. Wer gerne mehr über die Unterschiede zwischen beiden Ansätzen erfahren möchte, seien diese Artikel empfohlen: «Soziale Reproduktion vs. Care und Patriarchat» und «Kapitalistin vs. Arbeiterin – oder doch nicht?»

[1]Reproduktionsarbeit: Jegliche Arbeit, welche zur Erhaltung und Ersetzung der einzelnen Lohnabhängigen und der ArbeiterInnenklasse als Ganzes beitragen (bspw. Putzen, Kochen, Kranken- und Altenpflege, seelische Unterstützung usw.).

[2]MarxistInnen erkennen, dass in der Produktion die Erschaffung der Lebensgrundlage der Menschen liegt. Insofern wird auch die Gesellschaft letztlich gemäss der Art und Weise wie wir produzieren organisiert. Mit der zunehmenden Entwicklung der Produktion geht sie zunehmend über die Befriedigung der einfachsten Bedürfnisse hinaus. So werden auch die Moral, die Religion oder der Staat gesellschaftlich produziert. Doch Ideen und Institutionen sind nicht einfach die passive Widerspiegelung der materiellen Produktion, sondern entstehen immer in gegenseitiger Wechselwirkung.

[3]Mehrprodukt: Diejenigen Güter, welche eine Gesellschaft über die zum unmittelbaren Überleben notwendigen Güter hinaus produziert

[4]vgl. Friedrich Engels (1891): Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates

[5]Die gesamte im Jahr 2016 geleistete unbezahlte Hausarbeit wird auf einen Geldwert von 293 Milliarden Franken geschätzt, hinzu kommen 81 Milliarden weitere Betreuungsaufgaben. Quelle: Bundesamt für Statistik (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/medienmitteilungen.assetdetail.3882343.html)

[6]Prof. Dr. Brigitte Leibig (2013), Familien heute: Gleichstellungspolitische Herausforderungen

[7]Bundesamt für Statistik, Ein Portrait der Schweiz – Ergebnisse aus den Volkszählungen 2010-2014, S. 33 (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen.assetdetail.1020816.htmlm)

[8]Bundesamt für Statistik, Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2017 (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen.assetdetail.2347880.html)