Die JUSO Schweiz wird an ihrer nächsten Delegiertenversammlung ein neues Initiativprojekt auswählen. Als Debattenbeitrag machen wir hier einen Auschnitt aus unserem Dokument „Perspektiven des Klassenkampfes in der Schweiz 2014“ zugänglich, wo wir Sinn und Unsinn des Initiativrechts als Werkzeug im Klassenkampf untersucht haben.

Die Volksinitiative als Werkzeug
Wir MarxistInnen sind keine Traumtänzer. Wir sehen die Bewegung so wie sie ist, jedoch nicht ohne deren Sackgassen aufzuzeigen und die Orientierung und Aufgaben der Revolutionäre zu erklären. Momentan, in der konkreten politischen Konstellation der ArbeiterInnenbewegung, erscheint den LinksreformistInnen der ArbeiterInnenbewegung das Lancieren von Initiative um Initiative um Initiative als einzige kämpferische Perspektive.

Dies soll nicht nur die Partei und Gewerkschaft wieder in der praktischen Terrainarbeit voranbringen und die Verankerung unter den Arbeitenden erhöhen. Sie wird also mehr oder weniger bewusst zum Aufbau der ArbeiterInnenbewegung verwendet. Sie soll aber ferner auch ein Mittel sein, um eigene politische Forderungen aufzustellen und die „ideologische Hegemonie“ der Bourgeoisie und gleichzeitig aber auch die politischen Dominanz der SP durch ihre Regierungsvertreter und Parlamentarier zu brechen.

Dass dies bis zu einem gewissen Grad möglich ist, hat die 1:12 Initiative gezeigt. Sie hat Hunderte, ja Tausende von Jungen, von GewerschafterInnen von alteingesessenen SozialdemokratInnen mobilisiert. Sie hat die Juso regelrecht aufgebaut. Und noch viel wichtiger, sie hat das Bewusstsein breiter Schichten der Lohnabgängigen auf einer Klassenbasis gestärkt. Die ArbeiterInnenbewegung ist also, trotz Niederlage in der Abstimmung, dennoch als Siegerin hervorgegangen. Es war eines der wichtigsten Ereignisse für die Linke in den letzten Jahren.

Trotz der offensichtlichen Bedeutung des Initiativrechts im bürgerlichen schweizer Staat, gab und gibt es kaum eine kritische Auseinandersetzung der ArbeiterInnenbewegung mit diesem Instrument. Diese Lücke können auch wir hier nicht abschliessend füllen, glauben aber auch nicht, dass dies möglich beziehungsweise nötig ist. Die Frage des Wirkens einer Initiative stellt sich nämlich jedes mal wieder konkret. Wir können jedoch einige Punkte aufstellen, welche uns politisch weiter helfen können, um den Wert dieses demokratischen Werkzeugs zu verstehen, ohne jedoch in politische Illusionen zu verfallen.

Der deutsche Sozialdemokrat Karl Kautsky setzt sich mit der „direkten Gesetzgebung durch das Volk“ in seinem Buch „Der Parlamentarismus, Die Volksgesetzgebung und die Sozialdemokratie“ auseinander.[1] Seine Analyse beinhaltet einige Probleme, darunter besonders die künstliche Trennung zwischen den „einzelnen Massregeln“ und den „grossen Zielen“. Aufgrund dieser tendiert er in Richtung einer Ablehnung des Initiativrechts als Forderung der Sozialdemokratie, denn sie lenkten eben vom „Endziel“ ab. Kautsky schüttet hier das Kind mit dem Bad aus (auch wenn er dies verneint). Anstatt die Frage politisch zu stellen, stellt er sie abstrakt. Wir glauben, dass eine Initiative durchaus den Aufbau der ArbeiterInnenbewegung vorantreiben kann. Dafür müssen jedoch verschiedene Bedingungen erfüllt sein.

Initiativen können, wie Kautsky korrekterweise darstellt, „das Interesse von den allgemeinen prinzipiellen Fragen [ablenken] und auf einzelne konkrete Fragen […] konzentrieren.“ Eine isolierte Initiative ist im Kampf für den Sozialismus zu vergleichen mit ökonomischen Teilkämpfen, mit Streiks in einzelnen Branchen oder Fabriken. Sie betreffen die jeweils konkreten materiellen Interessen der beteiligten ArbeiterInnen und nicht notwendigerweise der gesamten ArbeiterInnenklasse.

Initiativen sollten demnach, wenn sie denn als Werkzeuge im Klassenkampf verwendet werden sollen, möglichst die gesamte ArbeiterInnenklasse betreffen. Sie sollen die Polarisierung zwischen den Klassen vorantreiben, also die Interessensgegensätze offenlegen. Die Frage nach dem Gehalt einer Initiative ist also eine politische Frage, inwiefern steigert sie das Klassenbewusstsein und kann somit ein Mittel „im Dienste der revolutionären sozialistischen Propaganda und Aktion sein“, wie dies die SP in ihrem Programm von 1920 forderte.

Eine Initiative beschränkt sich grundsätzlich auf die Grenzen des bürgerlichen Staates. Tut sie dies nicht, wird sie kurzerhand als ungültig erklärt. Das ist auch nicht weiter schlimm, können wir dies doch auch politisch ausschlachten. Stellen wir jedoch Initiativen auf, die sich innerhalb der bürgerlichen Ordnung bewegen, so ist die Einbettung dieser in ein sozialistisches Programm umso dringender notwendig. Denn eine Forderung wirkt nur „im Rahmen des sozialdemokratischen Programms als Mittel, die Arbeiterklasse zu heben und beizutragen zu ihrer politischen und sozialen Reife, zu ihrer Fähigkeit, das Werk der Befreiung, der sozialen Umgestaltung selbst in die Hand zu nehmen.“ (Kautsky)

Eine Initiative soll also Grundlage zur Verallgemeinerung sozialer und wirtschaftlicher Probleme darstellen, welche durch ein sozialistisches Programm beantwortet werden können. Sie ersetzt also nicht ein Programm, sondern ergänzt es höchstens. Wenn diese Bedingung erfüllt ist, kann eine Initiative auch wirklich das Klassenbewusstsein erhöhen und für den Aufbau der Bewegung und ihrer Organisationen beitragen. Ausgehend davon muss die Frage wieder konkret politisch analysiert werden. Die Erfahrungen mit der 1:12 Initiative und die aktuelle Erfahrung mit der Spekulationsstopp-Initiative zeigen dies deutlich auf. Während erstere das Klassenbewusstsein hob, hat zweiter kaum einen Einfluss auf dieses. Auch führte sie nicht zur Hebung der Agitation und Propaganda der Juso GenossInnen.

Das Initiativrecht hat neben den konkreten politischen Grenzen auch seine strukturellen Grenzen und wir müssen uns vor Illusionen in dieses Recht hüten. Wegen dem Föderalismus und dem notwendigen Ständemehr für eine Verfassungsinitiative besteht schon formal gesehen ein Übergewicht der eher konservativen Landbevölkerung in den Abstimmungen. Es ist wie ein Vetorecht der vielen kleinen ländlichen Kantone gegen die städtische Bevölkerung.

Auch wenn eine fortschrittliche Initiative angenommen wird, so besteht weiterhin die Möglichkeit zur Sabotage durch den bürgerlichen Staatsapparat. So erlebt mit der Mutterschaftsversicherung welche, nachdem 1945 eine entsprechende Initiative angenommen wurde, erst 60 Jahre später unter dem Druck einer neuerlichen Initiative umgesetzt wurde. Wenn die 1:12 angenommen worden wäre, hätten die Bürgerlichen ihre Umsetzung wo nur möglich sabotiert, herausgezögert und Schlupflöcher eingebaut. Wir können uns also keineswegs einfach auf den bürgerlichen Staat in der Umsetzung unserer Forderungen verlassen, auch wenn sie in einer Abstimmung gutgeheissen werden.

Die langen Sammelfristen und Verzögerungstaktiken im Parlament machen es oft untauglich als ein Instrument des flexiblen und dynamischen Klassenkampfes. Wenn Heute ein spezifisches Thema der ArbeiterInnenklasse auf der Leber liegt, kann dies in 5 Jahren bereits veraltet sein. Und wenn dann eine fortschrittliche Initiative abgelehnt wurde, ist die Forderung für Jahre vom Tisch, alles andere wirkte für die Masse der Bevölkerung wie Zwängerei.

Zudem braucht sie Ressourcen, viele Ressourcen sowohl menschlicher wie auch finanzieller Natur. Sie haben das Potential, Organisationen auszubluten. Eine seriöse Haltung gegenüber den Ressourcen und der Kraft der einzelnen GenossInnen ist für eine gesunde Organisation zentral. Permanenter Sammeldruck ermüdet und entfremdet viele Mitglieder. Wenn sie mit gutem Klasseninhalt gefüllt ist, kann sie die gegenteilige Wirkung haben und die Aktivität heben.

Wir müssen uns also ganz entschieden gegen eine Praxis stellen, welche einzig und alleine auf Volksinitiativen beruht. Eine solche trägt nicht nur organisatorische Risiken, sondern ist auch politisch falsch. Sie schürt unmissverständlich Illusionen in die Veränderbarkeit der Gesellschaft mittels Reformen dieses bürgerlichen Staates. Dabei kann das Inititiativkarrusel einen grossen Teil der Lohnabhängigen in die politische Apathie treiben. Wenn eine Kleinpartei wie die Juso eine Initiative zustande bringt, so erledigt es sich für Teile der Arbeitenden mit der Abstimmung. Anstatt sie in die politische Aktivität zu ziehen, drängt sie diese eher in die politische Passivität. Wir brauchen hingegen eine Organisation, die in vollem Bewusstsein für die Emanzipation der Arbeitenden und der Jugend kämpft.

Unsere zentralen Ansprüche an die Verwendung des Initiativrechts sind also ihre Einbettung in ein sozialistisches Programm, ihr Wert zur Hebung des Klassenbewusstseins und der Mobilisierung, sowie des Organisierungsgrades der Lohnanhängigen und der Jugend.

Aktuell beginnen verschiedene Gruppierungen, welche dem Staatsapparat nahestehen, also besonders von (ehemaligen) Funktionären ins Leben gerufen wurden, für eine Erhöhung der Hürden für Volksinitiativen zu lobbyieren. Dies ist ganz im Sinne der Kapitalisten. Die NZZ bemerkte in Bezug auf die Abstimmung zur 1:12 Initiative: „Am 24. November wird sich für ihn [den ausländischen Investor oder Manager] zeigen, ob er der bisher allen Unkenrufen zum Trotz bemerkenswert effizienten Institution «schweizerische direkte Demokratie» weiterhin vertrauen darf.“ (NZZ vom 09.11.13) Die NZZ schiebt hier die ausländischen

Kapitalisten vor, für die schweizerische Bourgeoisie ist es dasselbe. Die direkte Demokratie hat ihren Interessen Konform zu sein. Wir lehnen jeglichen Abbau der Volksrechte entschieden ab. Denn auch wenn diese nicht ein ausschliessliches Kampfmittel der Arbeitenden darstellt, so ist sie doch ein Werkzeug, welches wir durchaus verwenden können.

Ausschnitt aus „Perspektiven des Klassenkampfes in der Schweiz 2014“

[1] http://www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1893/xx/gesetzgebung.htm