Im Rahmen der Rubrik „Virus at Work“ konnte der Funke folgenden Bericht eines befristeten Arbeiters aus dem Industriesektor im benachbarten Frankreich sammeln. Er betont, dass es unmöglich ist, die Gesundheitsmaßnahmen einzuhalten und gleichzeitig die Produktion fortzusetzen, die in Zeiten einer Pandemie nicht unbedingt notwendig wäre.

Könnten Sie sich zunächst in ein paar Worten vorstellen?

Also, um mich vorzustellen: Ich bin ein temporär Angestellter, der in einer Fabrik für Automatendreherei arbeitet, die Autoteile herstellt, zum Beispiel durch die Vergabe von Unteraufträgen für Continental.

Was waren also die ersten Schritte, die gegen das Coronavirus an Ihrem Arbeitsplatz unternommen wurden?

Als die ersten positiven Fälle in Frankreich eintrafen, wurde ein wenig Desinfektions- Gel zur Verfügung gestellt, und die Fabrikleitung gab Anweisungen zur Einhaltung des 2m-Abstandes und des Verzichts auf Umarmungen und Händeschütteln, die jedoch kaum eingehalten wurden. Erst als Frankreich in den Lockdown ging, begann alles: Die Regeln wurden verschärft und man fing an, sie einzuhalten, aber ihre Wirkung blieb begrenzt: Welchen Sinn hat es, den Handschlag zu verbieten, wenn jeder die Türen öffnet? Da die Unternehmensleitung immer noch keine Informationen über die Zukunft des Unternehmens herausgab, brach Panik aus, bis eine Botschaft des Chefs die Wut aller MitarbeiterInnen zum Explodieren brachte.

In diesem Brief hieß es wortwörtlich, dass die Bedürfnisse der KundInnen wichtiger seien als die Gesundheit der MitarbeiterInnen. Der Chef machte deutlich, was seine Priorität war, und beendete sein Schreiben mit der Drohung, dass die Schließung der Fabrik den Verlust der Arbeitsplätze für alle LohnarbeiterInnen bedeuten würde. 

Rubrik: Virus at Work

Wir veröffentlichen Berichte aus dem Alltagsleben der Lohnabhängigen, die trotz dem Coronavirus zur Arbeit gehen müssen – unabhängig davon, ob ihre Arbeit lebensnotwendig ist oder nicht. Dies soll aufzeigen, wie inkonsequent die Massnahmen des Bundes sind. Die Corona-Krise soll nicht auf den Schultern der Lohnabhängigen abgewälzt werden!

Wir fordern, dass alle, die nicht-essentielle Arbeit machen müssen, zu Hause bleiben dürfen. Nur so kann die Pandemie eingedämmt werden. Leben vor Profite!

Wenn du auch deine Geschichte erzählen möchtest, meldet dich bei info@derfunke.ch. Es ist wichtig zu streuen, wie fahrlässig mit unserer Gesundheit umgegangen wird! Schreib uns, schick uns zwei oder drei Sätze, ausführliche Berichte, oder melde dich, wenn du dies persönlich besprechen willst!

Was geschah dann?

Letzte Woche konnten wir endlich ein Treffen mit dem Chef abhalten. Er wiederholte seine Botschaft: „Die Fabrik muss laufen! Ich habe eine Familie zu ernähren“ und fügte hinzu, dass diese Pandemie der perfekte Zeitpunkt sei, um den Verzug der bereits bestellten Teile aufzuholen. Wir erfuhren auch, dass niemand Anspruch auf Kurzarbeit haben würde, dass wir im Falle der Schließung der Fabrik bezahlten Urlaub nehmen müssten. 

Was mir am meisten aufstiess, war, dass wir, die knapp den Mindestlohn erhalten, dies von einem Mann mit einem 220’000-Euro-Auto zu hören bekommen mussten. Alle MitarbeiterInnen waren wütend, ich auch.

Wie habt ihr im Team reagiert?

Es wurde eine Abstimmung unter den ArbeiterInnen durchgeführt, um herauszufinden, ob die Fabrik schliesse oder nicht (meine Stimme wurde nicht berücksichtigt). Sie beschlossen, die gesamte Produktion der Teile zu schließen und die Abteilung, welche die Waren verpackt und an den Hersteller schickt, offen zu lassen (wir haben Lagerbestände und können für eine Weile ohne Fertigung auskommen).

Heute ist die Fabrik zu 80% geschlossen, die Lohnabhängigen, die nicht mehr arbeiten wollen, mussten ihren bezahlten Urlaub nehmen, und wenn dieser aufgebraucht ist, wird die Fabrik bis zum Ende der Krise oder bis zu einer strengeren Eindämmung durch den Staat wieder mit voller Kapazität geöffnet.

Wie siehst du die Situation?

Das Problem ist, dass ich es mir als temporär Angestellter unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht leisten kann, meine Arbeit einzustellen, weil ich keinen Anspruch auf Kurzarbeit habe. Die Schließung der Fabrik würde meinen Lohn fast halbieren, und das kann ich mir einfach nicht leisten. Im Moment macht mir die Wirtschaftskrise mehr Angst als die Gesundheitskrise. Ich bin nicht in Gefahr, aber ich bin auf meinen Lohn angewiesen. 

Im Nachhinein finde ich es zwar grausam, dass wir offenbleiben, auch wenn wir nichts Essentielles herstellen, aber das Land muss immer noch ein Minimum an Arbeit leisten; wirtschaftlich ist es schon heute ein Schlamassel, so dass ich mir nicht einmal vorstellen möchte, was auf uns zukommen wird. 

Was wäre, wenn das Unternehmen deinen Gehalt während der Schließung weiterzahlen müsste?

Das würde ich mir natürlich wünschen! In Zeiten wie diesen müssen die fetten Bonzen, die sich täglich die Taschen füllen, den Ärmsten helfen. Aber das geht gegen die Logik des Kapitalismus!

Zudem bekomme ich, ergänzend zu dem, was mir die Firma weiterhin bezahlt, wöchentliche Verträge. So könnte man mir von heute auf morgen sagen, dass ich einfach nicht mehr gebraucht werde. Für mich wäre es also knallharte Arbeitslosigkeit. Es wurde angekündigt, dass mein Taggehalt dann nicht unter dem Mindestlohn liegen würde, aber ich stelle mir vor, dass ich, da ich kurz davor arbeitslos war, immer noch sehr weit von den 80 % meines Gehalts entfernt wäre. Seit Beginn der Pandemie lebe ich in kompletter Unsicherheit; alles ist unklar und verschwommen.

Zum Schutz der Autoren werden die Berichte anonymisiert. 

#VirusAtWork

#WirWollnNachHauseGehn