[dropcap]I[/dropcap]n der Bundesrepublik Deutschland steht im grössten Arbeitskampf der letzten Jahre ein Abschluss kurz bevor. Doch der in der Metall- und Elektroindustrie erzielte Tarifvertrag ist nicht der grosse Erfolg, als den die Gewerkschaftsführung ihn verkaufen will. Für viele Werktätige bringt er kaum Vorteile und für andere vor allem Nachteile.

Den Anfang macht Baden-Württemberg. Im Bundesland, das für den Konflikt zwischen den Unternehmerverbänden und der Gewerkschaft IG Metall (IGM) den Pilotbezirk darstellt, wurde am 6.2. ein Abschluss der Tarifverhandlungen (wie die Verhandlungen für einen Generalarbeitsvertrag in Deutschland heissen) verkündet. Das heisst, dass nun auch in den anderen Tarifbezirken der deutschen Metall- und Elektroindustrie, in der insgesamt 3,9 Millionen ArbeiterInnen tätig sind, Tarifabschlüsse bevorstehen, die sich am Abschluss in Südwesten orientieren. Der Einigung vorangegangen war eine beeindruckende Streikbewegung. Insgesamt 960.000 Werktätige legten allein bei der ersten Warnstreikwelle im Januar die Arbeit nieder. Als die Gewerkschaft zur nächsten Eskalationsstufe aufriefen, beteiligten sich bundesweit sogar 1,5 Millionen ArbeiterInnen an den Warnstreiks, die nun auch ganztägig geführt wurden. Wäre es auch in der jüngsten Verhandlungsrunde zu keiner Einigung gekommen, wäre es in der Gewerkschaftsbasis zu Urabstimmungen über einen unbefristeten Flächenstreik gekommen.

Arbeitszeit auf der Agenda
Neben der klassischen Forderungen nach 6 Prozent mehr Lohn, hatte sich die IGM auch das Anliegen einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf die Fahnen geschrieben. Bei einer breiten und durchaus repräsentativen Befragung in zahlreichen Betrieben hatten viele Beschäftigte den Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung geäussert. Daraus wurde die Forderung nach einer Option auf eine „kurze Vollzeit“ von 28 Stunden pro Woche für die Dauer von zwei Jahren, wenn die betroffenen KollegInnen Schichtarbeit leisten oder mehr Zeit für Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen wünschen. Das Anliegen einer Verkürzung der Arbeitszeit war von den KapitalistInnen als rote Linie bezeichnet worden, die man nicht überschreiten werde. Dennoch machte die richtige und wichtige Forderung Schlagzeilen und könnte auch europaweit den Kampf für eine Verkürzung der Arbeitszeiten wieder auf die Agenda setzen.

Fauler Kompromiss…
Doch der Abschluss von Baden-Württemberg lässt einen mit einem schalen Gefühl zurück. Die 4,3 Prozent ab dem 1. April 2018 sind auf den ersten Blick hoch. Sie gelten aber für eine Laufzeit von über zwei Jahren. Damit liegt die Steigerung kaum über der wahrscheinlichen Inflationsrate. Und auch bei den Arbeitszeiten muss man nennenswerte Fortschritte mit der Lupe suchen. Wer Kinder bis 8 Jahren hat, Angehörige ersten Grades pflegt und schon seit mindestens 15 Jahren im Betrieb Schichtarbeit leistet, kann statt eines Zusatzentgelts acht freie Tage im Jahr wählen. Sollten allerdings mehr als zehn Prozent aller Beschäftigten „verkürzte Vollzeit“ von 28 Stunden beantragen, so kann dies von der Geschäftsleitung abgelehnt werden. Anstatt einem allgemeinen Recht auf kürzere Arbeit, dürfte vielen ArbeiterInnen tatsächlich eine Arbeitszeitverlängerung ins Haus stehen. Bereits jetzt existieren Quoten, mit denen bei hoher Auslastung Werktätige zu längeren Arbeitszeiten, als im Tarifvertrag vereinbart, verpflichtet werden können. Mit dem Abschluss können diese Quoten auf bis zu 50 Prozent erhöht werden.

… trotz kampfbereiter Basis
Zum einen zeigte der Arbeitskampf die grosse Kampfbereitschaft der im Tarifkonflikt befindlichen ArbeiterInnen. Hunderte Betriebe wurden bestreikt und der Konflikt wurde für die KapitalistInnen zu einem enormen Verlustgeschäft. Besonders teuer wurden die ganztägigen Warnstreiks. Diese sorgten für Umsatzeinbussen, die schätzungsweise im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen. Die erfolgreichen Streiks in der umsatz- und exportstärksten Schlüsselbranche der deutschen Industrie hätte für das Kapital im Fall eines unbefristeten Flächenstreiks leicht zu einem finanziellen Debakel werden können. Wir sehen: Auch in vermeintlich ruhigen Schlüsselstaaten des Kapitals sind massive Arbeitskampfmassnahmen möglich. Doch das – und hier kommen wir zu unserer zweiten Erkenntnis – wurde durch die Gewerkschaftsführung verhindert, die sich im Zuge der unsicheren Regierungsbildung als Garant für Stabilität inszeniert: So hatte Rainer Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes einiges an Kritik einstecken müssen, nachdem er bei einer Gewerkschaftsversammlung für die grosse Koalition von SPD und CDU die Werbetrommel rührte und vor Chaos im Falle einer gescheiterten Regierungsbildung warnte. Hätte die IGM-Führung sich als ebenso kämpferisch gezeigt, wie die ArbeiterInnen der Metall- und Elektroindustrie, der Tarifkonflikt hätte zum Wendepunkt werden können, an dem das deutsche Proletariat wieder in die Offensive geht.