Pandemie und Krise prägten den Kongress der Gewerkschaft Unia nicht nur logistisch und organisatorisch, sondern definitiv auch politisch. Auf Initiative der marxistischen Strömung beschlossen die Delegierten nichts weniger als das Ende der Sozialpartnerschaft.

Mit einem Jahr Verspätung wurden in der grössten Gewerkschaft der Schweiz die politischen und organisatorischen Weichen gestellt. Der Kongress 2021 fand dezentral und digital in den Regionen statt. Aus der marxistischen Strömung nahmen wir mit drei Delegierten in Bern und Arbon teil, mit Fokus auf die IG Jugend. Zuoberst auf der Tagesordnung stand die Diskussion um die politische und strategische Ausrichtung der Gewerkschaft.

Mit einem Antrag an die Organisationsstrategie forderte die IG Jugend das Ende von Sozialpartnerschaft und Friedenspflicht, Streik und Arbeitskämpfe auch im Rahmen bestehender Gesamtarbeitsverträge, die Schaffung eines klaren Klassenbewusstseins gemeinsam mit den ArbeiterInnen und zu guter Letzt Kampfmassnahmen, wann immer Entlassungen drohen.

Dass diese Forderungen in ähnlicher Form auch im Funke-Übergangsprogramm zu finden sind, ist kein Zufall. Wie notwendig und vernünftig eine revolutionäre Perspektive für die ArbeiterInnen und ihre Organisationen ist, offenbart sich in der Krise besonders deutlich. Und wie offen die Basis für unsere Ideen ist, zeigt sich in der Diskussion um unseren Antrag.

Die Mär vom sozialen Frieden

Das Prinzip der Sozialpartnerschaft entspringt der Logik des Reformismus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Zuerst als Massnahme zum Burgfrieden 1937 eingeführt, war es der Bourgeoisie durch das Wirtschaftswachstum und die Expansion des Kapitalismus in der Nachkriegszeit möglich, Klassenkonflikte zu institutionalisieren. Den Gewerkschaften gelang es mit relativ wenig Aufwand, ein stetiges Wachstum des Lebensstandards vieler ArbeiterInnen zu erreichen. Arbeitskämpfen wurde infolgedessen nicht nur aus dem Weg gegangen, mit der Friedenspflicht wurde der Streik regelrecht aus dem Waffenarsenal der Arbeiterklasse entfernt. Natürlich bröckelte der soziale Frieden von Anfang an, der Klassenkampf von oben und von unten war nie weg. Spätestens seit der Finanzkrise von 2008, der Weltwirtschaftskrise der 2010er-Jahre und deren neueste Etappe im Corona-Jahr 2020 hat die Sozialpartnerschaft keine reale Grundlage mehr. Es gibt praktisch kein Wachstum mehr, der Klassenkampf von oben tobt in aller Härte. Unter diesen Umständen ist es für die Organisationen der Arbeiterklasse unverzichtbar, sich auf ihre kämpferischen Traditionen zu berufen und den Angriffen von oben den Klassenkampf von unten entgegenzustellen. Sozialpartnerschaft und Friedenspflicht stehen dem Kampf für eine bessere Zukunft im Weg, es gibt keine geschickten Deals mit der Bourgeoisie. So ist es nur vernünftig, sich dieses Prinzips zu entledigen und den Weg freizumachen für ein klares Klassenbewusstsein, für echte Klassenkämpfe und endlich für eine revolutionäre Perspektive.

Von dieser Vernunft war auch die Argumentation der BefürworterInnen des Antrags geprägt. Aus verschiedenen Sektoren, Regionen und Interessengruppen fanden sich KollegInnen, welche sich für den Kurswechsel aussprachen. Der Gegenvorschlag aus dem Zentralvorstand beabsichtigte, genau die relevanten Punkte, nämlich die Abkehr von der Sozialpartnerschaft und die Kampfmassnahmen bei Entlassungen, aus dem Antrag zu streichen. Damit wäre der Artikel zum Papiertiger geworden, reine Floskel ohne Ziel und Richtung. Als MarxistInnen fordern wir nicht einfach aus Prinzip einen radikaleren Kurs und erst recht nicht die Aufkündigung aller Verträge. Wir fordern einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Herangehensweise der Unia. Wir fordern die bedingungslose Parteinahme für die Arbeiterklasse. Gesamtarbeitsverträge werden uns nicht geschenkt, sie werden erkämpft. Ein Vertrag mit der feindlichen Seite im Klassenkampf ist ein Waffenstillstand, eine Gelegenheit die eigenen Kräfte neu zu sammeln. Den sozialen Frieden gibt es nicht und gab es nie.

Raus aus der Sackgasse

Die Sozialpartnerschaft lässt sich vergleichen mit einer toxischen Ehe. Die Bourgeoisie spielt die Rolle eines gewalttätigen, unterdrückenden Ehegattens, welcher seine Frau beleidigt, verprügelt und misshandelt. Versucht die Ehefrau nun die Ehe aufzulösen und ihrem Peiniger davonzulaufen, wird ihr gesagt: «Wenn du jetzt gehst, verlierst du alles, deine Familie, dein Auskommen, deine Unterkunft und deine soziale Stellung. Willst du wirklich alles aufs Spiel setzen, nur weil es manchmal schwierig ist?» Tatsächlich aber ist die Frau besser dran ohne ihren Mann, ohne Ehe und ohne Unterwerfung. Genauso gibt es für das Proletariat im Rahmen der Sozialpartnerschaft nichts zu erreichen, ausserhalb aber eine Welt zu gewinnen.
Der Antrag, sich dem Grundsatz der Sozialpartnerschaft zu entledigen wurde, mit über 60-prozentiger Mehrheit in die Organisationsstrategie aufgenommen. Man kann hierbei durchaus von einem ausserordentlichen Erfolg sprechen. Dieser ist Ausdruck der Verschiebung der objektiven Situation, vor allem aber des Bewusstseins der Gewerkschaftsbasis. Sie hat klar ihren Willen ausgesprochen, mit der Sozialpartnerschaft zu brechen. Die Annahme eines Artikels alleine wird aber noch keinen Fortschritt bringen, auf Worte müssen Taten folgen. Der Aufbau von Basisgruppen in den Betrieben spielt hierbei eine genauso wichtige Rolle wie die unmittelbare Verteidigung gegen die Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse. Keine einzige Entlassung darf ohne Kampf mit einem läppischen Sozialplan beantwortet werden. Daran werden wir die Unia-Führung messen.

Beat Schenk, Unia Jugend, Funke
12.07.2021