Wir publizieren hier einen übersetzten Artikel von«Révolution», der französischen Sektion der IMT. In der kommenden Ausgabe #58 des Funke werden wir uns zudem allgemein mit den Präsidentschaftswahlen in Frankreich befassen.

[dropcap]D[/dropcap]ie Niederlage von Manuel Valls in den internen Vorwahlen («primaire») der Parti Socialist (PS) wurde gefeiert. Vor allem die 1,2 Millionen WählerInnen von Benoit Hamon freuten sich. Der Verlierer und ehemalige Premierminister Valls ist einer der konsequentesten Vertreter der rechten, pro-kapitalistischen Linie der Führung des PS. In den «primaires» der PS von 2011 wählte ihn nur eine Minderheit: Er erhielt lediglich 5,6% der Stimmen. Trotzdem teilte ihm Präsident Hollande zuerst das Innenministerium und später das Amt des Premierministers zu. Die Logik dieser Beförderung liegt auf der Hand: In der tiefen Krise des Kapitalismus forderte die herrschende Klasse in Frankreich harte Konterreformen. Um diese durchzuführen benötigte Hollande einen Regierungschef mit Rückgrat, viel Zynismus und grosser Hingabe zur Sache des Grosskapitals. Kurz gesagt: Manuel Valls.

Nach dem jüngsten Rückschlag wird er nun, zumindest für einige Monate, in den Hintergrund treten. Gut so. Allerdings repräsentiert Manuel Valls nichts anderes als die grossangelegte Rechtsausrichtung der ganzen PS. Die antisoziale Politik von Präsident Hollande wurde unterstützt von der überwältigenden Mehrheit der Parlamentsmitglieder, die sich «sozialistisch» nennen. Das gilt auch für den linken Flügel: Er folgte dem rechten als wäre er sein Schatten. Dabei zeigte er sich inkonsequent und feige. Die sogenannten Aufsässigen («frondeurs») protestierten, publizierten Communiqués und forderten Hollande auf, eine weniger brutale Politik zu fahren. Doch im entscheidenden Moment zügelten sie sich und stimmten für die reaktionären Vorlagen (besonders für die Budgets). Wenn sie ihrem Missmut doch einmal freien Lauf liessen und drohten, gewissen Vorlagen nicht zuzustimmen (z.B. Loi Macron, Loi de travail), konnte sich Manuel Valls immer noch auf den Verfassungsartikel 49-3 (Umgehung des Parlaments) berufen. Gefahr, dass die «frondeurs» einen Misstrauensantrag stellten, bestand dabei nie. Folglich ist die Bezeichnung «Linke der PS» absolut unpassend für ihr Verhalten der letzten fünf Jahre.

Benoit Hamon war kein standhafter, ernstzunehmender Gegner der Politik von François Hollande. Konkret hat er sich in den letzten zwei Jahren Hollande nicht im Geringsten widersetzt. Von Mai 2012 bis September 2014 war er Minister und hat die Regierungspolitik öffentlich vertreten und verteidigt. Deren Politik hat von Beginn weg Hollandes Wahlversprechen missachtet und sich den Interessen der Finanzwelt unterworfen. Hamon hat sogar in Zusammenarbeit mit Arnaud Montebourg darauf gedrängt, den Premierminister Jean-Marc Ayrault durch Manuel Valls zu ersetzen. Die beiden Verschwörer wurden in der Folge mit den wichtigsten Ministerämtern belohnt. Aber wie bereits gesagt: Die Beförderung von Valls war Ausdruck von weit mächtigeren Faktoren als solchen Manövern – einer Beschleunigung der rechten Regierungspolitik. Fünf Monate später wurden Hamon und Montebourg kaltgestellt, nachdem sie begonnen hatten, leise Kritik zu murmeln. Valls prangerte sie öffentlich an und Hollande warf sie aus dem Kabinett. In gewisser Hinsicht waren sie die Opfer ihrer eigenen Machtspiele.

Vor den «primaires» der PS verkehrte Montebourg in UnternehmerInnen-Kreisen. Auf der anderen Seite arbeitete Benoit Hamon an der Einheit schläfriger Reihen von «frondeurs». Er führte dazu einen Ritual ein, das sofort auf grosse Beliebtheit stiess: Am Morgen protestieren die «frondeurs» im Parlament verbal und am Abend stimmen sie den reaktionären Vorlagen doch zu. Gleichzeitig konnten sie zuschauen, wie die Regierung Hollande und die PS-Führung in den Meinungsumfragen abstürzte. Diese Situation eröffnete Hamon die Möglichkeit, seine Kandidatur für die «primaires» vorzubereiten. In seiner Zeit als Minister war er weniger exponiert gewesen als Montebourg. Hollande und Valls waren verbraucht und diskreditiert. Somit bot sich ihm eine Chance.

Hamon bastelte sich ein «linkes» Programm und sprang auf die Welle der Ablehnung von Manuel Valls. So gewann er die interne Vorausscheidung.

Der «Zusammenschluss» der KarrieristInnen
Seither ist die Aufforderung «la gauche doit se rassembler!» (die Linke muss sich zusammenschliessen) allgegenwärtig. Diese leere Formel wiederholt Benoit Hamon ohne müde zu werden. Mit ihm in der Endlosschlaufe sind seine Familie, die überwiegende Mehrheit der PS-ParlamentarierInnen, UmweltschützerInnen und leider sogar die Führung der kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Aber wer genau soll sich denn zusammenschliessen? Welche Kräfte? Mit welchem Programm? Und welcher Perspektive? Diese Fragen stellt sich niemand beim Besingen des Zusammenschlusses. Sonst müssten sie die heuchlerische Natur der ganzen Angelegenheit offen eingestehen.

Benoit Hamon und seine Nächsten freuen sich, bereits eine grosse Mehrheit der PS-Abgeordneten hinter sich gesammelt zu haben. Doch sie alle haben der reaktionären Politik der letzten fünf Jahre zugestimmt. Viele davon haben in den «primaires» sogar Valls unterstützt. Wenn sich diese Leute nun hinter Hamon stellen, folgen sie reinem Pragmatismus. An diesem Punkt glauben sie, das sei das Beste für ihre eigenen Parlamentskandidaturen im Juni. Es gibt nicht den geringsten Unterschied zwischen ihnen und jenen die sich nach Emmanuel Macron (Hollandes Ex-Wirtschaftsminister und Präsidentschaftskandidat von «En Marche!») ausrichten. Einige könnten auf dem Weg noch das Lager wechseln, je nach dem wie sich die Lage entwickelt. Ein wahrlich wunderbarer Zusammenschluss!

Das Programm, mit dem Benoit Hamon die «primaires» gewonnen hat, wird von der überwältigenden Mehrheit des Parteiapparates und der Parlamentsmitgliedern der PS abgelehnt. Beispielsweise haben diese das Arbeitsgesetz («Loi El Khomri») unterstützt, das Hamon zur Aufhebung vorschlägt. Haben sie plötzlich ihre Meinung darüber geändert? Natürlich nicht. Aber Benoit Hamon stellt das nicht zur Diskussion. Anstatt nach seinem Sieg einen Kampf gegen die Parteirechte zu starten, bot er ihnen Amnestie für ihre jüngsten Verbrechen an. Diese soll dem «Zusammenschluss der Linken» dienen. Indem er das tat, offenbarte Benoit Hamon die Widersprüchlichkeit seiner eigenen Ideen, die als Variablen zur Vereinbarung von Parlamentsfraktion und Bürokratie erscheinen.

Gestärkt durch den «Zusammenschluss der PS», in anderen Worten dem des grössten Teils der KarrieristInnen, besteht Benoit Hamon darauf, dass Jean-Luc Mélenchon ins gleiche Boot steigen solle. Der Kandidat von «La France insoumise» (das aufständische Frankreich) hat diese Einladung ins Verderben jedoch abgelehnt. Er hat absolut recht, sich von dieser Fallgrube fernzuhalten. Die Jugend und die Lohnabhängigen, die eine Alternative zum sich in der Krise befindenden Kapitalismus suchen, brauchen keine Manöver und prinzipienlose Zusammenschlüsse. Sie brauchen politische Klarheit!

Hamon und Mélenchon
Die Kampagne von Jean-Luc Mélenchon hat bereits die Unterstützung des bewusstesten und am stärksten radikalisierten Teile der Jugend und der ArbeiterInnenbewegung gewonnen. Diese fallen nicht auf Aufforderung des «Zusammenschlusses» herein, ganz im Gegenteil. Denn Hamons Kampagne wird dadurch belastet sein, dass sie unter dem Banner der PS läuft. Viele der WählerInnen, die 2012 für Hollande stimmten, wollen nichts mehr von dieser Partei wissen. Die öffentliche Meinung ist sehr unbeständig und kann sich rasch verändern. Das WählerInnen-Potenzial Mélenchons ist heute deshalb genauso wichtig wie vor den Vorwahlen der PS.

Mélenchon und die Führung von «la France insoumise» müssen – wie sie das korrekterweise machen – diese scheinheiligen Manöver der PS-Führung entlarven. Egal ob es sich dabei um Benoit Hamon oder den rechten Flügel handelt. Sie müssen auch im Detail aufzeigen, was der aktuelle PS-Kandidat seit seiner Regierungsbeteiligung in den Jahren 2012-2014 machte. Dazu gehören auch seine Aktivitäten als «frondeur sans fronde» (Aufständischer ohne Aufstand) und vor allem sein Abstimmungsverhalten in der Nationalversammlung (franz. Parlament). Es bedarf Aufklärungsarbeit, denn man darf nicht Benoit Hamon überlassen, zu erklären, woher er kommt und wohin er geht,

Natürlich müssen wir auch das Programm Hamons kritisieren. Es ist deutlich moderater und viel verwirrter als jenes von der «France insoumise». Wir müssen uns bewusst sein, dass für einen beträchtlichen Teil der Jugend und den linken Lohnabhängigen beide Programme sehr ähnlich scheinen. Genau diese Ansicht ist Wasser auf die Mühlen des «linken Zusammenschlusses». Es ist schwierig die konkreten Unterschiede zwischen «L’Avenir en commun» (Programm von «France insoumise») und Hamons Programm im Detail aufzuzeigen. Die meisten Jugendlichen und Lohnabhängigen die Programme nur oberflächlich und gehen nicht auf die Details ein. Diese Betrachtungsweise veranlasst viele dazu, die beiden Programme als sehr nahe beieinander zu sehen, denn in gewisser Hinsicht sind sie das auch. Beide schlagen letztlich eine Reihe von progressiven Reformen vor (mit Ausnahme des «bedingungslosen Grundeinkommen», welches nicht progressiv ist). Würden sie zusammen umgesetzt, gingen diese Reformen in die richtige Richtung. Allerdings führen sie zu keinem Bruch mit dem Kapitalismus. Anders gesagt: Beide Programm sind reformistisch, während der Zusammenbruch des Kapitalismus radikale, revolutionäre Veränderungen der Gesellschaft erfordert.

Das Programm von «France insoumise» beinhaltet allerdings Massnahmen, um die wirtschaftliche Macht des Grosskapitals zu brechen – was schliesslich deren Enteignung zur Folge hat. Damit schlägt «France insoumise» zwei Fliegen auf einen Streich: Erstens gehen sie deutlich auf Distanz zum Reformismus von Benoit Hamon. Zweitens gäben sie sich selbst die Mittel, das progressive Programm umzusetzen, wenn sie an die Macht kommen. Denn diese Massnahmen können in der Krise des Kapitalismus nicht umgesetzt werden.

2. Februar 2017

Jerôme Metellus
„Revolution“, Frankreich