[dropcap]D[/dropcap]ie italienische Linke hat jeglichen Masseneinfluss eingebüsst. Über die Hintergründe dieser Krise sprachen wir in Turin mit Claudio Bellotti.

Funke: Hier in Turin wird an jeder Hausecke der kommunistischen Partisanenbewegung gedacht. Wenn man sich den Zustand der italienischen Linken ansieht, könnte man aber meinen, dass sich diese Tradition ins Nichts aufgelöst hat?

Bellotti: Nein, aber sie hat derzeit keinen politischen Ausdruck. Das Nichtvorhandensein einer Partei der Arbeiterklasse ist ein Schlüsselfaktor in der gegenwärtigen politischen Situation Italiens. Seit 2008 setzt die Linke auf Wahlbündnisse („Regenbogenlinke“, „Zivile Revolution“, „Europa anders“ usw.), was aber nur zu einer permanenten Schwächung führte. Die linken Parteien sind heute gesellschaftlich völlig isoliert. Für die Masse stellt sich die „Linke“ heute als eine kleine Gruppe dar, die krampfhaft bemüht ist, wieder ins Parlament zu kommen, aber sonst nicht viel anzubieten hat. Die Linke steht völlig abseits von den realen Kämpfen und ist unfähig eine glaubwürdige Analyse der kapitalistischen Krise zu liefern, geschweige denn ein Programm zu formulieren, das einen Ausweg aus der sozialen Misere eröffnen würde.

Funke: Und da gibt es keinen Ausweg?

Bellotti: Natürlich gibt es den, aber aus eigener Kraft wird die Linke das nicht schaffen. Eine linke Massenpartei wird in Italien, wie auch überall sonst, auf Basis grosser Mobilisierungen der Arbeiterklasse und aller unterdrückten Schichten entstehen. Diese Lehre ziehen wir aus der Geschichte und aus den aktuellen Prozessen in Europa, wie der Entstehung von Podemos. Eine Massenbewegung kann nicht am Reissbrett konstruiert werden und entsteht auch nicht allein aufgrund einer abstrakten historischen Notwendigkeit. Aber die italienische Linke kann in ihrem gegenwärtigen Zustand objektiv gesehen keine Massenbewegungen lostreten.

Funke: Warum?

Bellotti: Die zahllosen Versuche, eine parlamentarische Repräsentanz auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners zu erreichen, sind alle gescheitert und das von Mal zu Mal deutlicher. Wir haben seit 2008 alles getan, um die Rifondazione Comunista zu stärken. Wir haben darauf gepocht, dass endlich Schlüsse aus den Niederlagen gezogen werden, aber wir blieben damit erfolglos. Die Linke hält daran fest, ein „neues politisches Subjekt“ zusammenzustellen und arbeitet sich daran immer verzweifelter ab. Desillusionierung und Zynismus sind heute typische Merkmale des zeitgenössischen italienischen Linken. Letzte Woche sprach ich in Mailand auf einer Versammlung von zwei Dutzend ArbeiterInnen aus Logistikunternehmen, einer der wenigen boomenden Gewerbe im aktuellen italienischen Kapitalismus. Die Arbeitsbedingungen sind hier extrem ausbeuterisch, die Arbeiterklasse ist jung, migrantisch, kämpferisch. Die Wortmeldung eines „älteren“ Gewerkschaftsaktivisten bei dieser Versammlung wirkte hingegen wie die Stimme aus einem Paralleluniversum.

Funke: Wie analysiert ihr die Situation der Gewerkschaftsbewegung?

Bellotti: Die Situation der traditionellen Massengewerkschaften wie der FIOM (Metaller) und dem Dachverband CGIL ist nicht vergleichbar mit jener in den linken Parteien. Die Gewerkschaften sind immer noch imstande Hunderttausende auf der Strasse zu mobilisieren. Zuletzt sahen wir das im Kampf gegen die Arbeitsmarkt- und Bildungsreform. Das Problem der Gewerkschaften ist, dass sie aber nichts damit machen. Der Grund dafür ist im Opportunismus und auch der Feigheit der Gewerkschaftsführungen zu sehen, die sich der Perspektive verschliessen, dass es im Klassenkampf darum geht, die Bosse in die Knie zu zwingen. Stattdessen hängen sie an der Idee fest, ein Abkommen auf Augenhöhe mit den Unternehmerverbänden und der Regierung abschliessen zu wollen. Das Verhalten von Regierung und Unternehmen bieten aber keine reale Basis dafür.

Funke: Das klingt alles sehr pessimistisch. Was kann die Linke also tun?

Bellotti: (lacht) Nein. Die Anerkennung von objektiven Realitäten ist die Voraussetzung von zielgerichtetem Handeln. Wir sagen offen: Unsere Strömung kann das Problem nicht aus eigener Kraft allein lösen. Dazu sind wir zu klein. Eine Einheitsfrontpolitik ist heute ebenso notwendig wie in der Vergangenheit. Allein das blinde Scheitern der Rifondazione Comunista und die Krise der Linken im Allgemeinen zwingen uns zu absoluter Klarheit und politischer Unabhängigkeit in Programm und Aktion. Wir richten uns an jene Kräfte in der Arbeiterbewegung, die weiter ein Referenzpunkt für grosse Teile der Arbeiterklasse sind. Wir argumentieren ihnen gegenüber, dass sie ihre Unterordnung unter das Programm der Bürgerlichen aufgeben und ihrer politischen Verantwortung gerecht werden müssen, indem sie dem Prozess der Herausbildung einer Massenpartei der Arbeiterklasse neuen Schwung verleihen. Es genügt nicht, sich um vage Slogans wie „Mehr Demokratie“ und „Nein zum Neoliberalismus“ zu scharen. Dazu ist die Krise der Gesellschaft zu tief und die Erfahrungen von Venezuela und SYRIZA zu eindeutig.
In der Arbeiterbewegung und in der Jugend gibt es ein massives Potential für antikapitalistische Kämpfe. Der Durst nach politischen Analysen ist deutlich spürbar. Viele vor allem junge Menschen sind offen für ein revolutionäres Programm, für das es sich lohnt sich zu engagieren. Wir legen unser Hauptaugenmerk darauf, uns in der Arbeiterklasse und der Jugend zu verankern, AktivistInnen und Kader auszubilden, die der zukünftigen Arbeiterpartei wertvolle Dienste leisten können.