[dropcap]D[/dropcap]er französischen Regierung ist jedes Mittel recht, um die Kapitalisten zu unterstützen. Das Gesetz zur Arbeitsmarktreform (El Khomri) ist ein Paradebeispiel für die Politik der PS-Regierung gegenüber der ArbeiterInnenklasse.

Die sozialistische Regierung in Frankreich hat es geschafft. Trotz massiver Proteste und fehlender Mehrheit im Parlament wurde die Arbeitsmarktreform durchgesetzt. Der französische Präsident François Hollande musste dabei auf den Artikel 49 der französischen Verfassung zurückgreifen. Dieser erlaubt es, Gesetze auf einem Sonderweg, ohne Parlamentsabstimmung, zu verabschieden. Er nahm dafür sogar ein Misstrauensvotum des Parlaments in Kauf, welches aber nicht zustande kam.

Das Gesetzespaket stellt eine massive Verschlechterung der Rechte von Lohnabhängigen dar. Die neuen Regelungen machen es den französischen Kapitalisten leichter, ArbeiterInnen auszubeuten oder sie zu Tausenden zu entlassen. Laut einer Umfrage lehnen jedoch 71 % der Französinnen und Franzosen die Reform ab. Im Protest dagegen ging nun Frankreichs Jugend seit Anfang März auf die Strasse. Gegenwärtig sind ca. 25 % der Personen unter 25 Jahren arbeitslos. Die Jugend war auch der Funke für die «nuit debout»-Bewegung, welche teilweise über eine Million Menschen mobilisierte. Auch BasisaktivistInnen der Gewerkschaften nahmen an diesen Demonstrationen teil. Dies zeigt das Potenzial und die Wirkung der Proteste in der ArbeiterInnenklasse.

Basisdemokratie und fehlende Strukturen
Ähnlich der spanischen Indignados-Bewegung kommen sowohl die Offenheit der Bewegung für alle Interessierten wie auch die Unfähigkeit zur Handlung aus der Basisdemokratie. Die Diktatur des Konsenses ermächtigt Einzelne, Entscheide der Mehrheit zu blockieren. Doch genau hier liegt die entscheidende Herausforderung, welcher sich die «nuit debout»-Bewegung stellen muss: Sie braucht Strukturen, die handlungsfähig machen. Sonst ist sie zum Scheitern verurteilt!

Der organisierten Staatsgewalt, dem Repressionsapparat und der Macht der Arbeitgeber kann nur eine organisierte Gegenmacht entgegentreten. Die Masse muss sich strukturieren, andernfalls ist sie in etwa so schlagkräftig wie ein Joghurt. In den nächtlichen Treffen auf den Plätzen Frankreichs ist sogar die Notwendigkeit eines grève général (Generalstreik) bereits Konsens. Doch um dies – oder jeden anderen Wunsch nach Veränderung der Gesellschaft – in die Tat umzusetzen, braucht es einen subjektiven Faktor.

Das heisst ein kollektives Gerüst, welches sich ein Ziel setzt und den Grossteil der Massen überzeugt. Wir nennen das Partei und sozialistisches Programm. Beides fehlt offensichtlich gänzlich. Die Gewerkschaftsführung des CGT weigert sich, ihre Verantwortung zu übernehmen. Die organisierten Lohnabhängigen, aber vor allem die nicht organisierten und die Jugendlichen, werden damit sich selbst überlassen.

Was nun?
Darüber, wie lange die «nuit debouts» anhalten werden, wenn sich nichts ändert, kann nur spekuliert werden. Die Bewegung zeigt vor allem eines: Die französische Jugend, als Vorkämpferin ihrer Klasse, ist in ihrem Radikalisierungsprozess verdammt weit fortgeschritten. Sie drängt auf tiefgreifende Veränderungen der Gesellschaftsordnung. Die Rücknahme der Arbeitsmarktreform würde wohl kaum reichen, um sie langfristig zu beruhigen.

Was sie braucht, ist ein Mittel, um ihren Unmut zu bündeln und eine Perspektive. Ein politischer Streik – ein Generalstreik – könnte dazu dienen. Wie 1968, als die ArbeiterInnen in den Fabriken und die Studierenden «tous ensembles», alle gemeinsam, kämpften und de Gaulle zu Fall hätten bringen können, kann auch heute der Erfolg nur im gemeinsamen Kampf liegen.

«Frankreich ist das Land, wo die geschichtlichen Klassenkämpfe mehr als anderswo jedes Mal bis zur Entscheidung durchgefochten wurden» (Engels 1885). Die Rechnung vom Mai ’68 ist noch offen. Es ist höchste Zeit, sie zu begleichen. Ob es «nuit debout» oder eine andere Bewegung ist; die Jugend ist weder apathisch noch zimperlich. Sie sucht sich eine passende Form, um ihrem Ärger Ausdruck zu verleihen. Und wenn sie sich bewegt, zögert sie nicht, die traditionellen Organisationen meilenweit hinter sich zu lassen.

Joshua Meier
Vorstand UNIA Aargau
Michael Wepf
Juso Basel-Stadt

Bei Redaktionsschluss befanden sich sechs von acht französischen Öl-Raffinerien, sowie weitere Häfen im unbefristeten Streik. Verschiedene Branchen (Transport/Bahn) streiken jeweils Dienstag und Donnerstag. Die CGT ruft dazu auf, die unbefristeten Streiks auszuweiten. Ein Ende der Bewegung ist also noch nicht vorhersehbar. Ein aktuellerer Artikel zum Thema findet sich hier.