Die Universitäten sind zum Hort des Widerstands gegen die Politik des regierenden ANC geworden. Paul Ziermann zeigt, dass es längst nicht mehr nur um die Frage der Studiengebühren geht.

Bild von Discott, CC BY-SA 4.0

Die Proteste gegen Studiengebühren brachen im Oktober vergangenen Jahres an einer Uni aus. Sie haben sich mittlerweile zur grössten revolutionären Jugendbewegung Südafrikas seit dem Ende der Apartheid ausgewachsen. Oft wird mittlerweile schon der Vergleich zu den gewaltigen SchülerInnenstreiks in Soweto 1976 gezogen, als zahlreiche junge SüdafrikanerInnen gegen die rassistische Apartheidpolitik demonstrierten.

Die Proteste ziehen sich bereits mehr als ein Jahr hin. Der konkrete Auslöser war der Plan der Regierung, die Studiengebühren erhöhen zu wollen. Damals besetzten StudentInnen das Parlament in Kapstadt und den Hauptsitz des ANC in Johannesburg. Präsident Jacob Zuma sah sich gezwungen, die geplante Erhöhung auszusetzen. Doch seine Rechnung ging nicht auf, die Proteste klangen nicht ab, sondern gingen trotz dieses Zugeständnisses der Regierung weiter. Die Bewegung stellt sich seither nicht mehr nur gegen höhere Studiengebühren, die von der Regierung Zuma weiterhin für notwendig erachtet werden, vielmehr kämpft sie nun für ein frei zugängliches Bildungssystem.

Und dies aus gutem Grund. Die Krise hat auch Südafrika längst erfasst, ausgetragen wird sie auf den Schultern der Ärmsten, der ArbeiterInnen und der Jugend. Dies ist auch die eigentliche Ursache, warum die Kosten für ein Studium seit 2008 um bis zu 80% gestiegen sind. Abgesehen von dieser materiellen Frage ist auch der erneute Anstieg an rassistischer Diskriminierung ein wichtiger Grund für die Explosivität an den Universitäten. 61% aller SüdafrikanerInnen geben an, dass der Rassismus heute schlimmer sei als nach dem Ende der Apartheid. Gerade an den Universitäten sorgt er neben den exorbitanten Kosten für StudentInnen und einem nicht funktionierenden Stipendiensystem dafür, dass gerade Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten immer öfter ihr Studium abbrechen müssen.

Vor diesem Hintergrund hat sich vor einem Jahr die Bewegung „FEESMUSTFALL“ gegründet. Bemerkenswert an dieser primär von Studierenden getragenen Bewegung ist nicht nur, dass sie sich trotz eines enormen Drucks der herrschenden Klasse weiter am Leben hält, sondern vor allem auch die Art, wie sie ihren Kampf führt. Die Studierenden haben sich mittlerweile mit ArbeiterInnen zusammengeschlossen und kämpfen nun gemeinsam für eine Politik im Sinne der lohnabhängigen Massen. Angefangen hat es mit der Solidarisierung der Studierendenbewegung mit dem prekär beschäftigten, nichtakademischen Unipersonal. Dieses ist einem zunehmenden Outsourcing ausgesetzt. Diese ArbeiterInnen sind jetzt über private Firmen angestellt, was nicht nur Lohneinbussen, sondern vor allem auch massive soziale Verschlechterungen bedeutet. Mittlerweile haben sich jedoch auch andere ArbeiterInnen auf die Seite der Studierenden gestellt. Die Metallergewerkschaft NUMSA etwa solidarisiert sich mit der Bewegung und ruft ihre Mitglieder dazu auf, an Demonstrationen teilzunehmen. Der Kampf gegen die schlechten Studienbedingungen hat so eine neue Qualität erfahren.

Die brutale Faust der Herrschenden

Die herrschende Klasse ist sich der Explosivität dieser Bewegung bewusst. Einerseits gab es eine Reihe von Versuchen seitens des ANC sowie der stärksten bürgerlichen Oppositionspartei, der Demokratischen Allianz, politischen Einfluss auf die Bewegung zu nehmen, um ihr die Radikalität zu nehmen. Die Studierenden zeigten aber grosse politische Reife und liessen die etablierten Parteien abblitzen. In der letzten Zeit geht der Staatsapparat aber auch mit brutaler Gewalt gegen die streikenden StudentInnen vor. Mit Gummigeschossen, Wasserwerfern und Blendgranaten versucht der Staat die Bewegung zu zermürben. Polizei und private Sicherheitsdienste gehen mittlerweile sogar so weit, gewaltsam in Studierendenwohnheime einzudringen, um SympathisantInnen der Bewegung zu verunsichern. Mehrere führende Köpfe der Studierendenbewegung wurden aus dem Verkehr gezogen und werden in Hochsicherheitsgefängnissen in Isolationshaft gehalten. Dieses Vorgehen erinnert an die brutale Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks von Marikana im Jahr 2012.

Die ANC-Regierung schreckt bei der Unterdrückung sozialen Protests nicht einmal davor zurück, Gesetze aus der Zeit der Apartheid zur Anwendung zu bringen. Julius Malema, der Anführer der linken Oppositionspartei EFF (Economic Freedom Fighters), einer revolutionären Abspaltung des ANC, die sich aktiv an den Protesten beteiligt, wurde gemäss zweier Gesetze aus den 1950er Jahren vor Gericht gestellt, da er eine Umverteilung unbewohnten Landes an Arme forderte.

Ursachen der Krise des ANC

Der ANC kam 1994 als Ausdruck einer Massenbewegung an die Macht. Er versprach eine Verbesserung des Gesundheitssystems sowie der Wohn- und Arbeitsverhältnisse, eine Landreform zugunsten der Armen und freien Bildungszugang für alle. Südafrika ist aber ein gutes Beispiel, dass eine Linke, die die Systemlogik des Kapitalismus akzeptiert, letztlich auch Schritt für Schritt ihr Programm aufgeben muss. Dies ist auch der Grund, warum der ANC zusehends Vertrauen in der Bevölkerung verliert, wie sich zuletzt bei den Regionalwahlen im August zeigte. Dort büsste er landesweit im Schnitt über 10% ein. Die Wahlbeteiligung sank auf unter 60%. Von den unter 40-Jährigen ging nicht einmal die Hälfte wählen. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass die Bevölkerung, und da vor allem die Jugend, in eine unpolitische Apathie verfallen ist. Die aktuellen Kämpfe an den Universitäten aber auch der rege Zulauf zu den Veranstaltungen der EFF zeigen das genaue Gegenteil. Die Mehrheit der Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in die herrschende Elite, die korrupten ANC-Politiker und generell in das kapitalistische System.

Der Kampf geht weiter!

Der Kampf der Studierenden geht trotz der heftigen Repression derzeit weiter. Die Bewegung hat deutlich gezeigt, dass sie sich nicht durch Rassismus, Sexismus oder andere Spaltungsmechanismen auseinanderdividieren lässt. ArbeiterInnen kämpfen Hand in Hand mit StudentInnen. Die Bewegung selbst hat ebenfalls den richtigen Weg eingeschlagen. Hiess es am Anfang noch: „FEES MUST FALL!“, bekommt der Protest nun verstärkt einen antikapitalistischen Charakter. Aber die Bewegung muss auch vorsichtig sein. Sie darf sich nicht in die Machtspielchen der Bürgerlichen hineinziehen lassen. Dazu wird sie eine unabhängige revolutionäre Führung brauchen. Die GenossInnen der IMT in Südafrika sehen im Aufbau einer solchen Kraft ihre zentrale Aufgabe.