[dropcap]D[/dropcap]ie französischen Gewerkschaften und weitere linke Organisationen haben für den 14. Juni 2016 zu einem nationalen Protesttag gegen die «El Khomri»-Konterreform aufgerufen. Trotz Fussball-EM und massiver Polizeirepression kamen über 1 Million betroffene Lohnabhängige und solidarische AktivistInnen auf die Strassen von Frankreichs Hauptstadt. Wir waren dabei als Delegation der Gewerkschaft Unia.

Bereits mehrfach haben wir über den massiven Angriff auf die Arbeitsbedingungen von Frankreichs Lohnabhängigen mittels der Arbeitsmarktreform berichtet. Im Kern bedeutet diese die Aufhebung der 35-Stunden-Woche (als regulär bezahlte Arbeitszeit), die Erleichterung von Massenentlassungen und die Schlechterstellung von landesweiten und regionalen GAV gegenüber betrieblichen. Da die Regierung des «Parti Socialiste» sämtliche Proteste (Nuit debout etc.) und Streikbewegungen (Raffinerien, Akw, ÖV, etc.) ignoriert, haben die Gewerkschaften CGT, Solidaire, FO und weitere auf den Druck der Basis mit der Organisation einer nationalen Demonstration in Paris reagiert.

Nachdem das Arbeitsgesetz per Notstandsartikel durchs Parlament kam, stand es für den 14. Juni erneut zur Diskussion im Senat. Um den elitären «Volksvertretern» einen Wink mit dem Zaunpfahl zu geben, versammelten sich über eine Million Personen auf der zentralen Place d’Italie in Paris. Weitere Hunderttausende nahmen in anderen Städten an Demonstrationen teil. In der Zeit vor dem Aktionstag war es immer wieder zu massiven Übergriffen seitens der Polizei und vor allem der Spezialeinheit CRS gekommen. Folglich musste auch für diese genehmigte Demonstration mit gereizter Stimmung gerechnet werden.

Transportmittelknappheit verhindert noch grössere Demo
Bereits in der Vorbereitung musste eine logistische Herkulesaufgabe bewältigt werden, um die riesige Menschenmasse ins Pariser Zentrum zu bringen. Ausser für Demonstrationen wurden wohl nur bei historischen Heeresverschiebungen und aktuell noch für Sportevents solch massive Menschenmengen zu einem Punkt gebracht. Alleine die CGT mobilisierte über 300’000 Demonstrierende und hätte dies sogar gerne in noch grösserem Umfang gemacht. Leider waren keine weiteren Busse mehr verfügbar. Die Ankunft all dieser DemoteilnehmerInnen aus allen Landesteilen dauerte jedenfalls mehrere Stunden. Sie war noch im Gange als die Spitze der Demonstration bereits weit über die Hälfte der Route zurück gelegt hatte.

Unsere Delegation
Wir waren von unserer Gewerkschaft, der Unia Nordwestschweiz, eingeladen worden, an einer Gewerkschaftsdelegation aus der Schweiz am Demonstrationszug teilzunehmen. Der eindrückliche Anblick und die kämpferische Stimmung auf der Place d’Italie rissen uns gleich mit und sofort war man mittendrin. Tausende Fahnen der verschiedenen Gewerkschaften, von Parteien des Front de Gauche, des PCF sowie kleinerer Gruppierungen wie «Nouveau Parti Anticapitaliste» – der Sektion der Überreste der Vierten Internationalen, «Lutte ouvrière» oder AnarchosyndikalistInnen der beiden CNT prägten das Bild des Platzes. Dazu kämpferische Transparente und Schilder. «On lâche rien!» (Wir geben nichts her), aber auch Forderungen nach Absetzen der Regierung, der ersatzlosen Rücknahme der Konterreform. Natürlich war auch das grossartige Selbstverständnis der französischen Klasse der Lohnabhängigen mit dem Motto «Tous Ensemble» (Alle zusammen), das den gemeinsamen Kampf von SchülerInnen, Studierenden und Arbeitenden betont, vertreten.

Als sich der massive Demonstrationszug in Bewegung setzte, bekam man ein Gefühl für die Dimensionen der Menschenmasse. Als internationale Gäste der Gewerkschaftsspitzen waren wir in einem Block mit den Generalsekretären Martinez (CGT) und Mailly (FO). Die anarchistischen Organisationen deckten diese dann auch regelmässig mit Forderungen nach «Grève générale» (Generalstreik) ein. Ausser dieser Torpedierung mit der Forderung nach mehr Radikalität mutete es extrem komisch an, dass um unseren Gewerkschaftsblock ein blaues Seil getragen wurde. Wer hinein wollte, musste autorisiert werden.

Militanter Demoschutz und viele Stopps
Die Demonstration ging über den Boulevard de Royal bis zu «Les Invalides». Immer wieder wurde der Umzug angehalten und es bot sich ein Ausblick auf Wasserwerfer und fliegende Tränengasgranaten. Bei einem der Unterbrüche drängten plötzlich dutzende, zuvor noch wie durchschnittliche GewerkschafterInnen wirkende, AktivistInnen nach vorne, zogen Helme, Masken und Brillen auf und nahmen Schaufeln und schwere Stöcke aus ihrer Kleidung. Bald darauf kehrten sie an ihren Platz zurück und die Demonstration bewegte sich weiter.

Je näher wir dem Ziel kamen, desto höher war die Frequenz der Stopps und kaum noch eine Busstation oder Werbeanzeige war mehr unbeschädigt. Kurz vor «Les Invalides» ging es dann nicht mehr vorwärts. Man hörte nur Feuerwerk von vorne. Die Gewerkschaftsbosse entschieden kurzerhand, die Demo hier abzubrechen und sich aus dem Staub zu machen. Ansprachen waren sowieso nicht geplant gewesen.

Auch wenn sicher noch lange Aktivitäten auf den Strassen von Paris fortdauerten, musste die Schweizer Delegation der Unia wieder abreisen. Der Zug hätte nicht gewartet.

Die massive Demonstration war eindrücklich gewesen, vor allem da wir uns in der Schweiz schon über ein paar tausend Demonstrierende freuen. Eine gute Million oder knapp 2% der Landesbevölkerung auf der Strasse zu erleben ist beeindruckend.

Doch wie weiter?
Der einzige Makel war das Fehlen einer offensiven Forderung. Denn noch immer ist nicht klar was nach dieser Demonstration passieren wird. Geschweige denn, falls die «El Khomri»-Konterreform zurückgenommen würde. Würde die Regierung fallen, und wer würde folgen?

Ausser Gruppierungen der radikalen Linken, wie unserer Schwestersektion «Révolution», hat wohl kaum jemand wirklich Antworten auf diese Fragen. Auch wenn der Generalstreik durchgezogen wird, ist das was danach kommt, noch immer ein unklarer «Rève générale» (General-Traum, in Anspielung auf den Generalstreik aller, ein Traum aller).  Denn alle sind sich einig, dass niemand von dem träumt, was heute von Frankreichs Regierung und den Bürgerlichen als Lösung angeboten wird.

Michael Wepf
Unia Jugend Nordwestschweiz