[dropcap]M[/dropcap]it der momentanen Konterreform der Renten steht ein weiterer Angriff auf eine Errungenschaft der ArbeiterInnenbewegung bevor. Von Widerstand gegen tiefere Renten, höhere Mehrwertsteuer und Rentenaltererhöhung will man in den Bürokratien von Gewerkschaft und Sozialdemokratie freilich nichts wissen. Doch wer nicht kämpft, hat schon verloren.

«Juso rebellieren gegen AHV-Pläne ihres eigenen Bundesrats» titelte am 2. März der Tagesanzeiger. Stein des Anstosses: Die Ablehnung der Erhöhung des Rentenalters für Frauen in einem Resolutionsentwurf, der an der Jahresversammlung vom 11. März vorgelegt wird. Sofort meldeten sich einige SP-PolitikerInnen, darunter auch viele ehemalige Jusos zu Wort und verurteilten die Position der JUSO Führung in den sozialen Medien. Es wurde betont, wie fatal doch ein Referendum sei, dass die Juso ein Problem mit ihrer Führung habe und dass die Jungen halt nach Aufmerksamkeit heischen würden.

Besonders stark echauffierten sich die sozialdemokratischen Apparatschiks über die mögliche Ergreifung eines Referendums und mittlerweile fordern auch Teile der Juso mit einer Gegenresolution, dass wir den Angriff auf die Renten schlucken sollen. Dabei hatte die Geschäftsleitung der JungsozialistInnen in der ursprünglichen Resolution eine korrekte Position bezogen: Die konsequente Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen.

Die ganze Polemik um die Resolution zeigt die Grenzen der Möglichkeiten einer reformistischen Politik in Zeiten der Krise auf. Und sie zeigt auch auf, dass wir eine Debatte benötigen, um klar zu machen, warum wir es hier mit einer Konterreform zu tun haben und wie wir JungsozialistInnen gegen diese den Kampf aufnehmen können. Die Tatsache, dass nun selbst von Teilen der Juso gefordert wird, dass wir diese Reform unterstützen, ist alarmierend.

Altersarmut auf dem Vormarsch
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte das Bild sozialdemokratischer Politik nachhaltig: Man hatte seine Parlamentsfraktion, die machte Kompromisse und zusammen mit einer sozialpartnerschaftlich organisierten Gewerkschaft versuchte man ein grösseres Stück vom Kuchen zu ergattern. Auf Basis des wirtschaftlichen Aufschwungs konnten somit tatsächlich Zugeständnisse erkämpft werden. Die Löhne stiegen, ein Sozialstaat wurde aufgebaut und es ging jeder Generation ein bisschen besser als der vorherigen.

Spätestens seit Ausbruch der Krise 2008 ist die materielle Grundlage für diese Politik verschwunden. Die verschärfte Konkurrenz und der Versuch, die Profite aufrecht zu erhalten, verunmöglichen zunehmend progressive Reformen. Um trotzdem konkurrenzfähig zu bleiben, müssen deshalb die Produktionskosten und dort in erster Linie die Personalkosten runter. Sozialversicherungen und Altersvorsorge laufen in dieser Situation den direkten Interessen des Kapitals zuwider.

Im Monatstakt kommt es zu neuen Einsparungen in den Kantonen und beim Bund, die Sozialwerke stehen unter massivem Beschuss von Seiten des Kapitals, die Arbeitslosigkeit steigt und immer mehr Menschen sind von Armut betroffen. Wenn es um die Beschönigung von Statistiken zu Arbeitslosigkeit oder Armut geht, ist die Schweizer Eidgenossenschaft Meisterin. Doch selbst die Zahlen des Bundesamts für Statistik lesen sich erschreckend: 13,6% der Alten seien armutsbetroffen. Die Zahlen der OECD sprechen sogar eine noch deutlichere Sprache – mit insgesamt 23,4% ist knapp jede*r Vierte über 65 von Armut betroffen. Damit ist die Schweiz europaweit Schlusslicht bei der Altersarmut und hat sogar eine höhere Quote als die heftig krisengeschüttelten USA.

Gleichzeitig liegt die Millionärsdichte bei keiner Altersgruppe so hoch wie bei über 65-Jährigen. Nirgendwo zeigt sich die soziale Kluft zwischen den Klassen so deutlich wie im Alter.

Besonders betroffen sind Frauen. Während nämlich für 37,7% aller pensionierten Frauen die AHV das einzige Einkommen im Alter bildet, haben nur 12,7% aller Männer kein Einkommen aus der zweiten oder dritten Säule. Für die Betroffenen bedeutet das ein Leben am Existenzminimum. Und die Altersarmut ist auf dem Vormarsch: in den letzten 15 Jahren verdoppelten sich die Kosten, die der Bund für Ergänzungsleistungen aufwenden musste, damit etwa 186’000 RenterInnen ihre grundlegendsten Lebenshaltungskosten überhaupt decken können.

Konterreform in Zeiten der Krise
Ein weiteres Problem, dass den AdvokatInnen des „Kompromisses“ nicht über die Lippen geht, ist die Frage von Altersarbeitslosigkeit in Zusammenhang mit der Erhöhung des Rentenalters. Denn die Altersarbeitslosigkeit mag in der Schweiz ein schwer sichtbares Problem sein (die Altersarbeitslosigkeit, wird vom Seco gar nicht erst statistisch erhoben). Fakt ist, dass der Anteil der Sozialhilfebezüger bei den zwischen 55- und 64-Jährigen im Jahr 2016 von 1,9% auf 2,7% stieg.

Die prekärer werdende Lage in Bezug auf Altersarmut hängt eng mit der Frage der Arbeitslosigkeit zusammen. Der Frankenschock sorgte für Massenentlassungen und Kurzarbeit in exportorientierten Industriebranchen und Fakt ist dabei, dass man je nach Branche ab 55 auch mit noch so guter Ausbildung praktisch keine Chancen hat, wieder eine Anstellung zu finden. Besonders betroffen sind wieder die Frauen. Sie fungieren im Kapitalismus als stilles Reservoir an Arbeitskraft. Sie sind stärker von temporären Anstellungsbedingungen betroffen und arbeiten häufiger Teilzeit. Wird Arbeit „knapp“ sind sie oft die Ersten, die gehen müssen und deren Arbeitsbedingungen flexibilisiert werden.

Die Erhöhung des Rentenalters der Frauen im Zuge der Konterreform wird deshalb die strukturelle Unterdrückung der Frau zusätzlich verstärken. Gleichzeitig droht ein weiteres Steigen der Arbeitslosenzahlen, wenn man die weiblichen Werktätigen länger auf dem Arbeitsmarkt hält.

Kein Kompromiss, doch ein neuer Angriff
Insgesamt droht mit der Rentenkonterreform 2020 ein weiterer heftiger Angriff auf die Lebensbedingungen der Menschen in diesem Land. Die bereits schockierend hohe Altersarmut wird auf diese Weise weiter steigen, die Abhängigkeit von Ergänzungsleistungen wird wachsen und wir können annehmen, dass bei den Sozialversicherungen, wozu die EL gehört, auch der Rotstift der bürgerlichen Sparer angesetzt werden wird. Was gerne als Kompromiss gepriesen wird, ist keiner – es ist ein Angriff, wie wir ihn schon zu dutzenden in den letzten Jahren gesehen haben. Nur hat diesmal irgend jemand als Feigenblatt 70.- mehr für die AHV draufgeklatscht. Die geringfügigen Verbesserungen werden durch die Verschlechterungen mehr als geschluckt.

Der Weg zur Konterreform 2020
Solange für die Bourgeoisie mehr Profit winkt, ist den bürgerlichen SteigbügelhalterInnen des Kapitals in den Parlamenten keine Ausrede zu dumm, um Angriffe auf die Lebensbedingungen der Massen zu begründen. Bei der Altersvorsorge ist das Lieblings“argument“ der demographische Wandel. Wegen der steigenden Lebenserwartung steigt auch die Zahl jener, die sich nicht mehr im Arbeitsprozess befinden. Die Losung der Bürgerlichen: Man könne sich die ganzen Alten halt nicht mehr in dem gleichen Umfang wie zuvor leisten. Drum müssten die Renten runter und das Rentenalter rauf.

Tatsache ist aber, dass mit der Erhöhung der Lebenserwartung auch die Produktivität pro Person gestiegen ist. Man hat halt nicht nur bessere Medikamente und medizinische Methoden entdeckt, es findet auch unter dem Schlagwort „Digitalisierung“ eine Effizienzsteigerung in der Produktion statt.

Trotzdem musste der demographische Wandel als Vorwand herhalten, um die Konterreform der Altersversorgung ins Rollen zu bringen. Doch ein Angriff auf die Altersversorgung ist ein Vabanquespiel, ein Wagnis mit hohem Risiko. Noch 2010 war die 11. AHV-Revision gescheitert – gerade auch wegen des damaligen Widerstands der Sozialdemokratie gegen ein höheres Rentenalter der Frauen ohne Kompensation. Für PolitikerInnen gibt es bei Pfuscherei an der Altersversorgung viel zu verlieren: RentnerInnen sind die aktivsten UrnengängerInnen des Landes und es droht jenen, die die materiellen Interessen der Pensionierten angreifen, die Abwahl. Praktisch für die Bürgerlichen: Es gibt Sozialdemokraten, wie Alain Berset, die das für sie übernehmen.

Dann macht’s halt einer von der SP
Schnell wurde klar, dass ein Angriff auf das Rentenalter bei Bundesrat Bersets Neuauflage der Konterreform nicht fehlen würde. Ebenfalls enthalten sind Rentensenkungen durch die Verringerung des Umwandlungssatzes, steigende Lebenshaltungskosten durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, aber auch eine Erhöhung der AHV. Für viele GegnerInnen eines Referendums scheint diese Erhöhung um 70.- der ausschlaggebende Grund zu sein, um Bersets Konterreform zu unterstützen. Zu Beginn des Reformprozesses hatte es vom Gewerkschaftsbund noch „Rentenklau!“ geheissen als der Bundesrat seine Konterreformpläne publik machte.

Viel ist davon nicht mehr zu merken: Unter der Bedingung einer AHV-Erhöhung um 70.- brachte der SGB-Doyen Paul Rechsteiner seine Gewerkschaften auf Spur. Und auch die SP frohlockte über ihren scheinbaren Sieg. Dass diese erste Erhöhung der AHV seit 40 Jahren durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Senkung des Umwandlungssatzes wieder geschluckt werden, war kein Thema. Völlig unkritisch stellte man sich hinter die Erhöhung der Mehrwehrtsteuer und verlor kein Wort darüber, dass jede indirekte Steuer die Armen härter trifft als die Reichen. Je niedriger das verfügbare Einkommen, desto heftiger leidet man unter jedem Prozent einer Erhöhung in diesem Bereich. Und auch die Erhöhung des Rentenalters für Frauen sei zwar „eine bittere Pille“, die man aber dennoch schlucken müsse.

Kämpfende Linke statt faulem Kadavergehorsam
Der Grund, weshalb sich die Führung der Gewerkschaften und der SP für dieses Spiel einspannen lassen, müssen wir in der inneren Logik der reformistischen Politik suchen. In der Krise, können keine Verbesserungen mehr erreicht werden und aus den Vertretern der Interessen der Lohnabhängigen werden Vertreter der Bourgeoisie, welche die unliebsamen Konterreformen vor ihrer Basis vertreten müssen. Wieso tun sie das? Einerseits, weil die ArbeiterInnenbewegung in den Jahrzehnten der Kompromisspolitik ihre Kampfesstärke eingebüsst hat, andererseits, weil die ReformistInnen nur so weiterhin als zuverlässige Verhandlungspartner akzeptiert werden. Diese Politik hat jedoch reale Konsequenzen für die Stärke und Glaubwürdigkeit der Partei.

In vielen Ländern konnten wir beobachten, wie das Verhalten von sozialdemokratischen Parteien bei Angriffen auf die Sozialwerke und Lebens- und Arbeitsbedingungen massive Auswirkungen auf die Stärke dieser Parteien hatte. Die griechische PASOK, die bei den Parlamentswahlen 2009 mit 44% zur mit Abstand stärksten Partei wurde, ist mit mittlerweile 6% so rasant ins Verderben geschlittert, wie kaum eine Partei überhaupt in der Geschichte. In Frankreich quittierten die Massen Hollandes arbeiterInnenfeindliche Politik mit so desaströsen Umfrageergebnissen, dass man nur ohne seine Kandidatur auch nur den Hauch einer Chance bei den kommenden Parlamentswahlen witterte.

Und auch in der Schweiz, werden die Menschen darauf reagieren, ob die SP im Interesse der Werktätigen eingreift oder ob sie sich mit einem faulen Kompromiss zufrieden gibt, der nur dafür sorgt, dass die Armen für die Krise des Kapitalismus zahlen müssen, während man dabei selber als Sozialdemokratie zumindest so tun kann, als habe man sein Gesicht gewahrt. Denn entscheidend ist nicht, ob die sozialdemokratischen MandatsträgerInnen im Parlament ihr Bestes gegeben haben, die Frage ist, ob sie sich hinter einen Raubzug auf die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung beteiligen und ihn bis aufs Blut verteidigen oder sich ihm entgegenstellen.

Für tatsächliche Oppositionspolitik!
Mit der ursprünglichen Resolution hätte die Geschäftsleitung der Juso in dieser Frage ein langfristigeres Bewusstsein bewiesen. Leider hat sie nicht verstanden, dass das Verhalten der traditionellen Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung in solchen Kämpfen für die Massen Gradmesser dafür ist, wer in ihrem Interesse kämpft. Das von vielen SozialdemokratInnen gefürchtete Mittel des Referendums kann dabei nur ein Mittel von vielen sein (hier muss es aber klar ergriffen werden). Denn im ganzen Prozess zeigte sich eben auch, welche Grenzen der Reformismus einer SP hat. Sprechen die Kräfteverhältnisse gegen Verbesserungen im Parlament, duckt man sich eben hinter 70.-, die aber an der realen Lebenssituation nichts ändern, weil sie sogleich wieder durch die Verschlechterungen verloren gehen.

Heute hat das Kapital gar nicht die Möglichkeiten, einem für die Massen vorteilhaften Kompromiss nachzukommen: Während der Krise konkurrieren die KapitalistInnen um schrumpfende Kaufkraft. Um dabei wettbewerbsfähig zu sein, muss jeder mögliche Rappen gespart werden, um mehr zu investieren. Ausgabenposten im Bereich von Sozialleistungen und Personalkosten kommen als erstes unter den Hammer.

Die von Levrat angekündigte „Opposition“ ist angesichts der bürgerlichen Mehrheiten und dem heutigen Verhalten der SP völlig zur Farce verkommen, zum protzigen Gehabe einer Parlamentsfraktion, bei gleichzeitiger offensichtlicher Schwäche. Einer Parlamentsfraktion, im übrigen, die eine ganze Partei nach ihrer Pfeife tanzen lässt, um auch ja ihr „Gesicht zu wahren“.

Unsere Verantwortung als JungsozialistInnen
Diese Umstände zeigen, wie wichtig es für uns JungsozialistInnen ist, den Kampf aufzunehmen. Es ist unsere Aufgabe für die Interessen derer aufzustehen, die man nun nach einem Leben der Arbeit in die Armut abschieben will. Es ist unsere Aufgabe aus einer zahnlosen Linken eine zu machen, die für die Menschen in die Offensive geht und auch weiss, wie sie das anzustellen hat.

Wir müssen gegen jegliche Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Massen kämpfen. Das Mittel des Referendums muss dabei ein Werkzeug sein und es muss auch ergriffen werden, wenn man damit nur einen kleinen Teil der bürgerlichen Angriffe zurückschlagen kann.

Ein Referendum kann aber nur ein Werkzeug von vielen sein. Wir müssen die Werktätigen und die sich radikalisierenden Jugend organisieren und den Kampf gegen den Raubbau in der Altersversorgung mit Kundgebungen und Demonstrationen auf die Strasse und mit Streiks und Besetzungen in die Schulen und Betriebe tragen. Dazu müssen wir die richtigen Forderungen stellen. Die Renten müssen nicht durch den Verzicht jener finanziert werden, die jahrzehntelang büezen mussten, nur um bei der Endstation Altersarmut zu landen. Die zweite und die dritte Säule gehören weg und ersetzt durch eine Volkspension. Eine Forderung, welche bereits in den 70er Jahren von den Kommunisten aufs politische Parkett gebracht wurde. Die SP hat damals den historischen Fehler begannen und sich für das 3 Säulen System einspannen lassen.  Die Folgen dieses Fehlers sind bis heute spürbar und die Forderung nach einer solchen Volkspension noch immer aktuell. Diese muss vollumfänglich durch das Kapital finanziert werden. Und wir müssen jederzeit klar machen, dass die Misere direkte Folge der Herrschaft des Kapitals ist, dass jeder unsere Schritte ein Schritt in Richtung Überwindung des Kapitalismus sein muss. Führen wir diese Kämpfe, können wir zu einer wirklichen Opposition gegen die herrschenden Zustände werden, die eben der Zustände der Herrschenden sind.

  • Für die ursprüngliche Resolution der GL an der JUSO JV (Resolution R-1a)
  • Gegen die heuchlerische Gegen-Resolution, welche mit einem linken Mäntelchen die Reform verteidigt
  • Für ein Referendum gegen die Rentenreform
  • Gegen jede Erhöhung des Rentenalters, speziell das der Frauen
  • Gegen jeden Versuch, Renten zu kürzen (speziell durch Senkung des Umwandlungssatzes)
  • Gegen die Erhöhung von Beitragszahlungen auf Seiten der Angestellten
  • Gegen die Erhöhung unsozialer indirekter Steuern, wie die Mehrwertsteuer, die vor allem die Werktätigen treffen