[dropcap]N[/dropcap]ach den Anschlägen in Paris am 13. November wurde in Frankreich der Ausnahmezustand (l’État d’urgence) ausgerufen. Dieses „Notstandsrecht“ räumt den Behörden Sonderrechte ein und verwandelte Frankreich praktisch in einen Polizeistaat. Nun wurde die dritte Verlängerung um zwei Monate verhängt. Was ermöglicht dieses Recht? Was hat es gebracht und womit wird der Ausnahmezustand begründet?

In den letzten sechs Monaten fanden in Frankreich über 3000 Haus- und Wohnungsdurchsuchungen statt. Diese konnten ohne richterlichen Beschluss durchgeführt werden. Nur eine davon führte zu einer Untersuchungshaft wegen Terrorverdachts. Letzten Dezember wurden dagegen diverse AktivistInnen mit Hausarrest belegt während der UN-Klimakonferenz (COP 21) in Paris. Mit einem Versammlungsverbot wurde die Führung der Gewerkschaft CGT lange dazu angehalten, Demonstrationen und Streiks abzusagen. Die Basis hingegen drängte zu Demonstrationen und Streiks.

Die Regierung ist währenddessen versucht, das Antlitz der bürgerlichen Demokratie wenigstens teilweise zu wahren. Deshalb werden wieder mehr Demonstrationen gebilligt, vor allem von Gewerkschaften. Diese werden jedoch von einem enormen Polizeiaufgebot begleitet. Jegliche Arten von Einsatzkräften, von der Sondereinheit CRS bis zur Gendarmerie, die zum Militär gehört, sind zur Stelle — schwer bewaffnet, nicht nur mit Schockgranaten und Unmengen an Tränengas, sondern auch mit Sturmgewehren. Sämtliche Querstrassen zu den Demonstrationsrouten sind abgeriegelt, Demonstrierende werden eingekesselt und Einzelpersonen von zivil gekleideten Polizisten brutal herausgegriffen.

L’état d‘urgence
Der Ausnahmezustand ist in der Verfassung verankert und kann ausgerufen werden, wenn die Existenz des Staates oder der staatlichen Grundfunktionen von einer ‘massgeblichen’ Instanz als akut bedroht erachtet werden. Während der letzten Wochen zeigte sich deutlich, was darunter zu verstehen ist. Zunächst kann der Ausnahmezustand durch den Präsidenten für maximal zwölf Tage ausgerufen werden. Jedoch können per Gesetz (also per Parlamentsbeschluss) Verlängerungen beschlossen werden. In Frankreich geschah dies am 26. Mai zum dritten Mal. Begründet wurde dies mit der Terrorgefahr während der Fussball Europameisterschaft. Doch was bedeutet Terror?

Kaum Terrorgefahr aber Staatsterror
Wenn unter Terror all das verstanden wird, was die herrschende Ordnung gefährdet, ist auch jeder Streik und jeglicher Klassenkampf von unten an sich bereits eine terroristische Aktion. Doch wer übt hier über wen Terror aus? Eigentlich ist der ganze Staatsapparat mit seinen Gesetzen, seiner Polizei und seiner Armee nichts Anderes als kapitalistischer Terror. Ein Kolumnist von „Le Point“ brachte den wahren Zweck des Ausnahmezustandes gegen seinen Willen auf den Punkt. Er schrieb „Frankreich ist heute von zwei Gefahren bedroht, deren Natur verschieden sind, die aber umso mehr die Unversehrtheit des Staates bedrohen: Daesch [die islamistische Miliz IS] und die CGT“.

Die Sonderregelung eignet sich, um härter gegen Bewegungen vorzugehen, welche die Profite der Besitzenden bedrohen. So auch jene gegen die aktuelle Arbeitsmarktreform. Die Kapitalisten benötigen die sogenannte El-Khomri-Reform, um im internationalen Standortwettbewerb mithalten zu können. Sie erlaubt ihnen, Angestellte länger für weniger Lohn arbeiten zu lassen, sowie sie einfacher und kostengünstiger zu entlassen, wenn sie nicht mehr benötigt werden.

Ohne Ausnahmezustand wäre es beispielsweise nicht möglich, eine Demonstration oder eine Versammlung ohne jegliche Begründung, Ausschreitungen oder sonstige Gesetzesverstösse aufzulösen, Fotografen ein „Demonstrationsverbot“ zu verhängen oder 16-Jährige Schüler drei Tage in Untersuchungshaft zu stecken, weil sie Streiks und Blockaden an ihre Schulen organisiert haben.

Der Zeitpunkt für die Ankündigung der Reform war bewusst gewählt. Die Anschläge in Paris im vergangenen November haben ein Gefühlt der nationalen Einheit geschaffen. Doch dieses ist schnell zerbrochen. Schon heute fragen sich viele Lohnabhängige, was Hollande von einem Präsidenten wie Sarkozy unterscheidet.

Die Regierung, welche die Arbeitsmarktreform im Interesse der Besitzenden mithilfe enormer Repressionsmassnahmen durchzusetzen versucht, nennt sich selber eine „sozialistische“ Regierung.  Das grösste Problem ist jedoch, dass sich bis heute links davon keine Alternative abzeichnet.

Edmée M.
Juso Baselland