[dropcap]A[/dropcap]m 5. Juni können stimmberechtigte SchweizerInnen über ein sogenannt bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) abstimmen. Die Linke scheint gespalten ob der vermeintlich revolutionären Idee. Wir möchten in diesem Artikel einen Blick auf die realen Folgen eines solchen Grundeinkommens unter den konkreten heutigen Bedingungen werfen, gleichzeitig aber auch den Charakter der Forderung eines BGE im Allgemeinen und ihrer Bedeutung für den Klassenkampf analysieren.

Bereits vor einem Jahr hatten wir in einem Artikel vier Kategorien zur Beurteilung des BGE aufgestellt: die Höhe, die Finanzierung, das Verhältnis zu den bestehenden Sozialversicherungen und ob es wirklich bedingungslos sei oder Personengruppen ausgeschlossen werden (Freie Arbeit oder von Arbeit befreit? – Zur Frage des bedingungslosen Grundeinkommens). Innerhalb der bürgerlichen Demokratie kann davon ausgegangen werden, dass nicht eine davon zufriedenstellend erfüllt würde. Die offene Formulierung im Initiativtext, dass das BGE eine «menschenwürdiges Dasein» ermöglichen müsse, überlässt die Definition von menschlicher Würde einem Parlament, das milliardenschwere Sparpakete durchsetzt und konsequent die Interessen der herrschenden Klasse vertritt.

 Welches Grundeinkommen denn?

Während Schweizer Medien das BGE noch als «utopische Idee» (Sonntagszeitung) oder «chancenlose» kommunistische Träumerei (SRF3: Focus) bezeichnen, soll in Finnland bereits 2017 ein Modell eingeführt werden. Dieses entspricht viel eher den Auslegungen der dominanten, neoliberalen Ideologen wie Friedrich August von Hayek und vor allem Milton Friedman. Mit einer Höhe von um die 800 Euro soll das BGE die Sozial- und Arbeitslosenversicherungen fast vollständig ersetzen. Damit verkommt das BGE zur Farce dessen, was sich linke UnterstützerInnen ausmalen: Statt Freiheit vom Zwang zu entfremdeter und entfremdender Arbeit wirkt es als Aktivierungsmechanismus des bürgerlichen Staates; ähnlich der bekannten Hartz IV-Rente in Deutschland, die für Wohnung aufkommt, sowie einen monatlichen Betrag um 400 Euro. Während das Nötigste gedeckt ist – das «menschenwürdige Dasein» umfasst im Hartz IV-Regelsatz 40,23 Euro monatlich für Freizeit, Unterhaltung, Kultur – wird alles Weitere in weite Ferne gerückt. In der Schweiz bewegen sich die Vorschläge zur Höhe des Grundeinkommens zwischen 2000 und 3000 Franken. Dies ist deutlich unter dem zum Beispiel von den Gewerkschaften geforderten Mindestlohn von 4000 Franken, der für die Existenzsicherung notwendig wäre. Zudem ist es eine Illusion zu glauben, dass die Einführung eines BGE keinen Einfluss auf das Preisniveau hat. Je nach Finanzierungsmodell ist sogar ein starker Anstieg der Preise ebenso wie ein Sinken des Lohnniveaus zu erwarten. Obwohl die Befürworter des BGE behaupten, dass die geringere Abhängigkeit von der Lohnarbeit zu einer besseren Verhandlungsposition, vor allem der schlecht bezahlten ArbeiterInnen, und damit zu höheren Löhnen führen würde, ist genau das Gegenteil zu erwarten. Löhne von 1000 Franken im Monat könnten zur neuen Normalität im Tieflohnsektor werden. Sie wären ein bedeutender Zustupf zum Grundeinkommen und insgesamt wäre das Einkommen dann durchaus existenzsichernd. Eine solche Entwicklung würde aber bedeuten, dass das BGE in erster Linie eine Subvention der Unternehmer sein würde. Die zweite wichtige Frage ist das Verhältnis des Grundeinkommens zu den Sozialversicherungen. Es ist offensichtlich, dass die konkrete Umsetzung des BGE in der Schweiz die Sozialwerke massiv unter Druck setzen würde. Leidtragende wären die Empfänger von Arbeitslosengeldern, IV, etc. Obwohl die InitiantInnen dies wohl nicht beabsichtigen, werden die Bürgerlichen das Grundeinkommen als Anlass nehmen, zum Generalangriff gegen die erkämpften sozialen Auffangnetze zu blasen und die bestehenden Sozialsysteme weitgehend aufzuheben.

Finanzierung

CC BY-SA 2.0 by Generation Grundeinkommen
CC BY-SA 2.0 by Generation Grundeinkommen

Neben den Auswirkungen des Grundeinkommens ist die Frage der Finanzierung zentral um den Charakter dieser Forderung zu verstehen. Auch hier ist in der Initiative überhaupt nicht klar, wie diese in der Schweiz aussehen würde. Das favorisierte Modell ist eine Finanzierung über eine massive Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dass wir auch der Finanzierung durch höhere Mehrwertsteuern wenig abgewinnen können, liegt auf der Hand. Die indirekten Steuern sind wie Gebühren von Grund auf asozial, da sie niedrige Einkommensklassen am stärksten betreffen. Zudem würde eine solche Erhöhung zu grossen Preissteigerungen führen, welche einen grossen Teil des ausbezahlten Grundeinkommens wieder auffressen würde. Dieses Konzept beisst sich also sozusagen in den eigenen Schwanz. Denn auch wenn die Löhne nominell gleichblieben, würden sie, beispielsweise bei einer MwSt. Anhebung auf 33%, real schrumpfen. Viele andere nehmen an, dass die aktuellen Löhne um die Höhe des Grundeinkommens sinken und die Finanzierung auf einer Unternehmenssteuer basieren würde. Das hiesse aber auch in diesem Fall, dass die Lohnabhängigen sich ihr Grundeinkommen durch Lohnkürzungen selbst finanzierten. Allerdings nur, wenn diese Steuer entsprechend hoch angesetzt würde. Ähnliche oder stärkere Abhängigkeit von den Geldströmen des Kapitalismus würde aus einer Finanztransaktionssteuer erfolgen. Die Systemfrage würde damit enorm schwierig. Das global herrschende Kräfteverhältnis vermag wenig Hoffnung auf eine befriedigende Finanzierung durch Besteuerung zu schüren. Schon bei der Finanzierung sehen wir also, dass ein Grundeinkommen im Kapitalismus schwerlich etwas Fortschrittliches mit sich bringt.

Verschärfte Spaltung der Klasse

Die letzte wichtige Frage, die sich bei der Umsetzung des BGE stellt, ist, wer tatsächlich Anspruch darauf hätte. Es wird zwingend gewisse Mindestkriterien im Bezug auf die Dauer der Niederlassung in der Schweiz geben. Oft wird dabei über 5 Jahre Mindestaufenthalt in der Schweiz gesprochen. Solche Regelungen werden immer hunderttausende von Menschen in der Schweiz von einem BGE ausschliessen. Diese hätten wohl fast bis gar keine soziale Absicherung mehr und würden ohne «die Subvention» durch das BGE zu prekärsten Löhnen arbeiten müssen. MigrantInnen würden wohl systematisch vor dem Erreichen der BGE-Kriterien des Landes verwiesen und dies würde als im besten Interesse der SchweizerInnen erscheinen. Die Spaltung zwischen In- und AusländerInnen würde weiter verschärft. Oft wird dem BGE eine emanzipatorische Wirkung für die Frauen zugesprochen. Laut den Befürwortern wird ein BGE die bisher unbezahlte Arbeit (z.B. Haushalt, Betreuung, Erziehung) entlöhnen und die Menschen, welche bisher finanziell abhängig waren von ihren Angehörigen, hätten so eine Möglichkeit, sich aus dieser Abhängigkeit zu emanzipieren. Dies mag teilweise stimmen, die entscheidendere Auswirkung wäre aber, insbesondere aufgrund der Lohndifferenzen zwischen Mann und Frau, dass das BGE quasi eine Herdprämie darstellen würde, also die Frauen erst recht an den Herd gedrängt würden. Das BGE hätte also keineswegs eine emanzipatorische Wirkung, sondern würde die bestehenden Rollenbilder vielmehr weiter zementieren. Auch sollte unser Ansatz nicht sein, die Haushaltsarbeit gänzlich im Privaten zu belassen, sondern nach Möglichkeit gesellschaftlich zu organisieren.

Es bringt uns nicht weiter

Unsere Kritik ist insbesondere aber auch grundsätzlicher Natur. Als MarxistInnen gehen wir davon aus, dass nur menschliche Arbeitskraft Wert erschaffen kann. Es ist die Arbeit und die menschliche Schöpfungskraft, welche verantwortlich sind für den technologischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Wohlstand. Das BGE versucht hier die Rolle der menschlichen Arbeit vom konsumierbaren Wohlstand zu entkoppeln. Wohlstand wird so nicht mehr als Resultat gesellschaftlicher Arbeit, sondern als reine Kaufkraft mit dem verfügbaren Einkommen wahrgenommen. Folge davon ist eine weitere Entfremdung vom Produktionsprozess. Die Befürworter behaupten, Freiheit erlange man dadurch, dass man vom Zwang der Lohnarbeit befreit werde. An dieser Stelle sieht man einen Hauptknackpunkt der Vision BGE: Arbeit wird dargestellt als eine Mühsal, die überwunden werden muss. SozialistInnen wollen aber nicht den Menschen von der Arbeit befreien, sondern die Arbeit aus den Klauen der Kapitalisten befreien. Was Arbeit im Kapitalismus schwer macht – die Entfremdung des Individuums vom Arbeitsprozess, dass Mehrwert entsteht und vom Kapitalisten angeeignet wird, prekäre Arbeitsbedingungen, drohende Arbeitslosigkeit und deren Konsequenzen – ist eine direkte Folge des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Das Grundeinkommen zielt jedoch in eine ganz andere Richtung. Anstatt Arbeit für alle zu fordern, die Arbeit unter allen zu verteilen und die Erwerbsarbeitslosigkeit so abzuschaffen, wird das System gefestigt. Der Produktionsprozess bleibt der gleiche. Die Gesellschaft wird gespalten in ihre Einzelteile. Das kollektive Bewusstsein der Arbeiterklasse wird so geschwächt und der Kampf gegen den Kapitalismus erschwert, da nur die vereinte ArbeiterInnenklasse dieses System zu stürzen vermag. Uns muss es darum gehen, kollektiv die Kontrolle über die gesellschaftlich relevanten Bereiche zu erkämpfen und die Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle zu bringen. Jegliche Spaltung der Arbeiterklasse und ihre Zerlegung in Einzelteile ist ein Angriff auf diese und schwächt sie! Darum stellen wir uns klar gegen die Idee eines Grundeinkommens unter kapitalistischen Bedingungen. Es ist illusorisch anzunehmen, dass mit einem „Ja“ bei der Volksabstimmung am 5. Juni der Weg zu einer sozialeren Schweiz geebnet wäre. Es gibt leider keine Abkürzungen. Die Bürgerlichen haben noch immer eine Mehrheit für ihre Politik und die organisierte Linke ist noch immer so schwach wie selten zuvor. Unter diesen Bedingungen ist ein annehmbares BGE völlig utopisch. Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, uns gewerkschaftlich und parteilich zu organisieren, gesellschaftliche Kämpfe zu führen, wieder einen Fuss in die Betriebe zu kriegen und vor allem sozialistische Ideen zu verbreiten. Nur auf diesem Weg ist eine sozialere Gesellschaft möglich und eine solche kann es heute nur durch den radikalen Bruch mit dem kapitalistischen System geben. BGE,

Etwas für SozialistInnen?

Natürlich könnte mit einem entsprechenden Kräfteverhältnis ein Grundeinkommen durchgesetzt werden, das zumindest in einigen wenigen Punkten mit sozialistischen Ideen vereinbar wäre. Nur ist nicht klar, wie dieses Kräfteverhältnis hergestellt werden soll. Denn das BGE schafft wohl kaum das entsprechende Massenbewusstsein. Wäre das Kräfteverhältnis vorhanden, ein systemsprengendes BGE-Modell einzuführen, ginge der Weg zum Sozialismus bestimmt nicht über dieses eher Kapitalismus-bestärkende Konzept, sondern über den Sturz der Bourgeoisie und somit der Revolution. Die andere Frage ist, warum wir bei einem Grundeinkommen stehen bleiben sollten, wenn wir fähig wären, derart weitreichende Projekte durchzusetzen? Grundsätzlich sehen wir das Grundeinkommen als einen falschen Freund der Linken. Wir müssen an unseren sozialistischen Ideen festhalten und uns besinnen, welche Forderungen die grosse Massenunterstützung gebracht haben. Ein Klassenprogramm kann nur eines sein, dass auf den Bruch mit dem Kapitalismus zielt. In Praxis liesse ein Grundeinkommen die Gesellschaftsordnung unangetastet oder würde sie wenn schon weiter zementieren. Ein BGE im Kapitalismus lässt sich nicht mit unseren sozialistischen Forderungen vereinen!